Volltext Seite (XML)
(46.soqch«») Auch in ihm war ein Sinnen. Kannte er den Kerl nicht? KaiK ihm fast so vor ... Aber woher? Wieso? Schließlich glich ein Vagabund dem anderen. „Was wollte der — von meinem Liebling?" fragte Zoe mit funkelnden Augen. „So eine gewöhnliche Mann!" „Ach, irgendein Lump ...", wehrte Wegmann. Ihm schwante, als ob das alles aus die Woilachs ab gesehen gewesen wäre. Wegmann hatte manches Geschäft mit Bodenbach ge macht, hatte manche Gefälligkeit von ihm angenommen und manche frohe, gesellige Stunde mit ihm verlebt ... Aber: ihn täuschte der Nock! Das Tier indessen fühlte Beruhigung einer alten, un bewußten Sehnsucht. Das Bild des Herrn war freilich wieder verschwunden, aber die Kraft und Freudigkeit des erfüllten Verlangens blieb. Es hatte, auch im schäbigen Rock, den Menschen wiedererkannt, der ihm einmal so viel Güte und Freundlichkeit erwiesen hatte. Denn Tiere haben ein besseres Gedächtnis für das, was man ihnen Gutes erweist; Tiere sind treu. Aber auch Bodenbach hatte das Wiedersehen mit Peterle mit neuer, seit langem nicht gefühlter Zuversicht und Kraft erfüllt. Mit einem Male wußte er, was er zu tun habe, wohin er gehöre, und welcher Weg zum Ziel führen würde. In diesem Augenblick war noch kein Wundern in ihm; er fragte nach keinem Wieso und Woher. Die Tatsachen schienen ihm einfach gegeben wie ein Rohmaterial, aus dem es nun die Zukunft zu formen galt. Das Schicksal gab ihm eine letzte Gelegenheit. Wehe ihm, wenn er sie verpaßte! Bodenbach war nichts als geballte Energie. Keine Skrupel hemmten ihn. Sie kamen ihm nicht einmal. Er Lachte gar nicht an ein Mißlingen dessen, was viel weniger als Plan, als als intuitive Einsicht unumgänglichster Not wendigkeit in ihm nicht entstand, sondern einfach da war. Zwischen ihm und Peterle, zwischen ihm und der Welt, in der Peterle, sein Peterle, lebte, stand nur eine Schranke: seine Armut! Er würde sie überrennen! Jetzt galt es zu benutzen, was er gelernt hatte. Entweder — oder! — Eile tat Not, höchste Eile. In wenigen Minuten wurde der Totalisator geschlossen. Noch drängte sich das Publikum vor dem Schalter. - Manche entschlossen sich eben doch erst im letzten Augen- ! blick, die Groschen zu wagen. Manche ließen sich erst durch den geaiuo loci überhaupt dazu bestimmen. Bodenbach I hörte genau: niemand setzte auf das unbekannte Pferd. Es war wie einfach nicht da. Sein Benehmen eben, als es herangeführt wurde, hatte auch niemand Wetter für eS interessiert. Hätte es Sympathien gehabt: wahrscheinlich hätte eS sie sich dadurch-nur verscherzt. Man liebt sie heute nicht, die großen Gefühle, und empfindet es als taktlos, wenn sie sich äußern. Feist und geruhsam stand ein Mann, dessen Gesichts ausdruck und Gehabe Vertrauen zu seiner Vermögenslage erwecken konnte. Bodenbach schob sich hinter ihn. Soeben steckte der die Geldtasche wieder an ihre Stelle zurück — steckte sie in die Hosentasche über den runden Hintern, der anmaßend-protzig durch den Schlitz des Rockes sichtbar blieb. Dort schien sie unfehlbar sicher ... Aber noch halte er die halbe Wendung aus dem Haufen nicht vollzogen, als Bodenbach mit federleichtem Griff das schmale Leder etui bereits wieder herausgezogen hatte und in seinem Aermel verschwinden ließ. Als die Reihe an ihn kam, setzte er auf den „Ueber- läufcr" ... zweihundert Mark... Als er aber, einen Blick in die Börse werfend, bemerkte, daß sie viel reicher gespickt war, als er in seinem kühnsten Traum gehofft, änderte er rasch seinen Entschluß. „Nein — achthundert!" „Aus vas unbekannte Tier?" fragte verdutzt der Herr hinter dem Schalter. „Passen Sie man mal auf", lächelte Bodenbach mit weißen Lippen. Ermattet und seelisch bis zum Zusammenbruch erschöpft, ging Bodenbach nun erst einmal speisen. Auf einem ver schwiegenen Orte überzählte er den Rest, der ihn von dem „geliehenen Geld" blieb. Dreihundert Mark! Bodenbach merkte sich noch einmal genau das Aeußere des Herrn, der ihn so liebenswürdig „ausgeholfen" hatte, um ihm „nachher" die „gefundene" Tasche nebst Inhalt zurückerstatten zu können. Der hatte den Verlust noch nicht bemerkt. Um so besser! Gern — ach, wie gern, hätte er Peterles Siegeslauf miterlcbt. Aber das mußte er sich versagen. Er winkte einem Mietauto, zahlte bar im voraus, um jedes Mißtrauen gegen seine abgenutzte Kleidung von vornherein zu beseitigen, und fuhr in die Stadt. Auf dieser Fahrt erst fiel ihm Jochmus ein und der heillose Betrug, den der. an ihn verübt. Also hatte Alma Adler doch recht gehabt! Er würde ihr ... Ach, leider Gottes, ging das nicht. Doch! Wenn er zu Geld ge kommen wäre, würde er ihr schreiben und ihr alles beichten, und sie sollte auch Modersohn und Comv. auk- kiaren. Schließlich war« kein Dieb (an die Geldtasche dachte er gar nicht, die war ja nur auf wenige Stunden geliehen!) und man würde es ihm schon glauben, wenn er in guten Verhältnissen lebte. Aber Jochmus! Auge in Auge würde er mit dem rechten — diesem Schuft. Er haßte den Bauer in diesem Augenblick mit einem tödlichen Haß. Dem, dem allein verdankte er all sein Elend — und all seine Schuld. In Baden-Baden trommelte er einen Althändler her aus. Rasch versah er sich mit einem recht netten Anzug, mit frischer Wäsche, Mantel, gutem Schuhzeug und allem, was nötig ist, um als „Herr" auftreten zu können. Das alte Zeug ließ er sich sorgsam in einen kleinen Handkoffer packen und suchte und fand noch ein Zimmer in einer netten, wenn auch einfachen Privatpension. Für vier Tage zahlte er im voraus. Nun hatte er immer noch mehr als hundertfünfzig Mark, obwohl er keineswegs ängstlich mit den Groschen gewesen war. Mit einem Male kam ihm die kalte Furcht. Und wenn nun Peterle versagt hatte? Nein, nein, nur keine Zweifel! Sie hätten töten können. „Du mußt hoffen, du mußt wagen, denn die Götter leihen kein Pfand..." Ein dahersausendes Auto mit elegantem Inhalt hielt aus sein bittendes Zeichen. Ja, jetzt, wo er wieder fein war ... Er setzte sich neben den Chauffeur. In kurzer Zeit war man in Iffezheim. Das Rennen war gerade vorüber. Bodenbach vergaß fast, sich bei den Herrschaften zu bedanken. Seine beobachtenden Augen erhaschten schon von weitem günstige Anzeichen. Erregte Gesichter, heiße Wangen, verärgerte, enttäuschte Mienen... Er fing Ansrufe auf. „So etwas..." „Das konnte keiner ahnen ..." „Wie ist das möglich!" „Niemand hat auf das Tier gesetzt? Niemand?" „Wie heißt das Tier?" „Und hat nicht mal einen richtigen Besitzer?" „Toll, so was ..." In Bodenbach jauchzte es auf. „Gerettet, gerettet..." Seine Finger suchten unwillkürlich sein Ticket. Da steckte es in der Westentasche des „neuen" Anzugs. Ihn zog es zu den Pferden. Da stand sein wiedergefundener Liebling, schweiß- bedeckt und zitternd, eine Unruhe in den großen braunen Augen. An seinem Halse hing die kleine, gelbe Katze: Das Tier litt es mit sichtlichem Unbehagen. Jack strahlte übers ganze Gesicht; langsam trank er sein Glas an- gewärmtcs Sodawasser. Wegmann redete auf ihn ein. Er grinste und schwieg. (Fortsetzung folgi)