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Freitag, am 30. November 1934 100. Jahrgang Nr. 279 Ergebnis der Woche Mstungssragen im englischen Unterhaus Wenn man die Ankündigungen der englischen Unter hausdebatte über das Rüstungsproblem in einem Teil der Auslandspresse las. mußte man mit „sensationellen Enthül lungen" auf diesem Gebiet rechnen. Jetzt, nachdem diese Aussprache in ihrem Ergebnis vorliegt, kommt man zu der Auffassung, daß diese Sensation ausblieb, daß aber trotzdem eine gewisse Reinigung der Atmosphäre und auch eine grö ßere Beruhigung eingetreten ist. Nicht, als ob jetzt das ganze Wettrüsten abgeblasen worden wäre. Aber bei aller bekannten Deutschfeindlichkeit des Herrn Churchill mit seinen Andeutungen und Behauptungen über Deutschlands Rüstun gen war doch die ganze Unterhausdebatte auf den Ton ge stimmt, daß man nicht Deutschland dafür verantwortlich ma chen kann, wenn ein allgemeines Wettrüsten begonnen hat. Man hat im englischen Unterhaus sich auf den Boden der Tatsachen gestellt und mehr oder weniger offen zugegeben, daß die hochgerüsteten Staaten ihren Abrüstungsverpflich- tungen nicht nachgekommen sind, daß man Deutschland aber Lie Gleichberechtigung zuerkennen müßte. Man hat im Un terhaus Zahlen über die angebliche deutsche Aufrüstung ge nannt, die wesentlich ruhiger wirkten als jene Phantasiebe hauptungen, die vor kurzem in einem Teil der französischen Presse aufgestellt worden sind. Wir könnten also in Deutsch land im Grunde dankbar sein für die „Enthüllungen", die sich im letzten Grunde gegen Frankreichs Rüstungswahnsinn wandten, wenn man nicht zu problematisch über die deutsche Gleichberechtigung hinweggegangen wäre. Gewiß hat Lloyd George, einer der Mitbeteiligten des Versailler Diktats, sehr vernünftige, sehr einsichtige und in gewissem Sinne auch sehr gerechte Ausführungen über Deutschlands Lage und seine Rechtsforderungen gemacht. Wir begrüßen die anerkennen den Worte, die das konservative Mitglied Lord Winterton für Deutschland gefunden hat. Wir nehmen auch die beruhi genden und sachlichen Ausführungen des englischen Außen ministers Simon ernsthaft zur Kenntnis. Und doch hätten wir im Interesse des europäischen Friedens an dieser ernsten Zeitenwende von London her einen ernsten Appell an die Völker Europas und der Welt erwartet, sich in letzter Stunde auf ihre Friedensmission und auf ihre Verantwortung für die Menschheit zu besinnen. Der Versuch, nochmals die Äb- rüstungsverhanolungen in Gang zu bringen, ist zweifellos lobenswert. Allein uns fehlt der Glaube, daß man in Paris bierfür das nötige Verständnis aufbringen wird. . Neue DeuNchenhetze in Prag Eine gewisse Enttäuschung hat die englische Unterhaus- ^ebatte in jenen Ländern ausgelöst, die von ihr gleichsam eine Einkesselung Deutschlands erwarteten. Denn diese streife glaubten, unter einem solchen allgemeinen Druck auf Deutsch land ihr rücksichtsloses Vorgehen gegen ihr« Staatsbürger deutscher Nation unbehelligter fortsetzen zu können. Das gilt in erster Linie von den Tschechen und den Litauern. Um sich «ine gute Wahlparole zu sichern, hatten di« tschechischen Na- tionalisten die Herausgabe der Universitätsinsignien in Prag verlangt und in den tschechischen Studenten die Helfershelfer gefunden, di« schon in früheren Jahrzehnten ihren Deutschen haß durch Gewaltmaßnahmen gegen alles Deutsche zum Aus druck brachten. Sie mögen sehr stolz auf ihre Untaten sein, N« können es aber nicht verhindern, daß die Welt gerade durch diese Brutalität erfahren hat, daß in Prag noch ein deutscher Stützpunkt vorhanden ist, der nicht gewillt ist, kampflos deutschen Kulturboden aufzuaeben. Vielleicht ist man in diesen Kreisen heute nach dem Verlauf der englischen Unterhausaussprache etwas ernüchtert. Die Ueberlegung darüber, welche Wirkung die systematische Diskriminierung des deutschen Volkes nach sich ziehen muß, hat alle Wunsch träume beijeitegeschoben und die Dinge gezeigt, wie st« sind. Man soll sich auch in der Tschechoslowakei keiner Täuschung über den „Ewigkeitsbestand" eines Vertrages hingeben, der von anderen Voraussetzungen ausging, als die natürliche Entwicklung von Völkern und Staaten zuläßt. Und wenn diele Entwicklung Momente aufweist, die man in Versailles nicht sehen wollte, und wenn man diese vergleicht mit den Völkerschicksalen überhaupt, dann wird man in Prag trotz allem tschechischen Fanatismus den deutschen Kulturboden gerade dort nicht zu leugnen wagen, wo das Streitobjekt, die Unioersitätsinsigmen, auf einen deutschen Gefchichtsablauf bis ins 14. Jahrhundert zurückweisen. DeuWqranMlche Saarverhandlungen Die vor fast einem Monat begonnenen Saaroerhandlun gen de» Dreier-Ausschusses in Rom haben ein«n Umfang an genommen, der erkennen läßt, -aß man dort das Problem in seiner Gesamtheit aufgerollt hat, ohn« sich dem Druck zu- Kurze Notizen Am Donnerstagnachmittag wurde der Chefkonstrukteur oer Daimler-Benz-Werke, Dr h. c. Nibel unter großer Beteiligung auf dem Prag-Friedhof in Stuttgart zur letzten Ruhe bestattet. Als erster legte Obergruppenführer Hühn lein im Auftrag des Führers einen Kranz nieder. Der sowsetrufsische Geschäftsträger in Paris, Rojen- oerg. wird im Januar zum Unteraeneralsekretär beim Völ- kerbünd ernannt werden Der bisherige stellvertretende Sekretär der englischen Arbei terpartei, Middleton, ist als Nachfolger des zurückgetretenen Hen derson zum Sekretär der Arbeiterpartei ernannt worden. B«i der Ergänzungswahl zum englischen Unterhaus in Putney erhielt der Konservative Markus Samuel 15 599, die Arbeiter- parteilerin Edith Summerskill 12 936 Stimmen. Bei der letzten Wahl hatten die Konservativen 21116 Stimmen erhalten Danzigs neuer Senatspräsident. Der stellvertretende Gauleiter der NSDAP, in Danzig und SS.-Oberfübrer Arthur Karl Greiser wurde zum Senats- Präsidenten gewählt Bericht des Bankenausschusses Wiederherstellung der Wirtschaftlichkeit des Kreditapparates. Berlin, 30. November. Nachdem die Prüfungen des Untersuchungsausschusses für da» Bankwesen abgeschlossen sind, hat der Vorsitzende de« Ausschusses, Reichsbankprasident Dr. Schacht, den vom Ausschuß festgestellten Bericht an den Führer und Relchs- s kaazler geleitet. Der Bericht wird als Grundlage für die von der Reichsregierung zu treffenden Maßnahmen dienen. 1 Der Bericht befaßt sich ausführlich mit den Mängeln der Vergangenheit, um dann die Grundlage einer Neuord nung aufzuzeigen. Die Wiedererlangung eines innerlich ge sunden und leistungsfähigen Kreditapparates hat zur Vor aussetzung, daß seine Wirtschaftlichkeit wiederhergestellt wird. Sie ist, ganz abgesehen von etwaigen Gewinnaus schüttungen, erforderlich zur Beseitigung der Krisenreste, zur Neubildung von Rifikoreserven und vor allem zur Ver ringerung der Zinssponne. Nur ein wirtschaftlich rentabler Kreditapparat ist befähigt, seine volkswirtschaftlichen Auf gaben zu erfüllen, d. h. die allgemeine wirtschaftspolitische Zielsetzung der Reichsregierung wirkungsvoll zu unter stützen. Vor allem ist es erforderlich, daß sämtliche Kreditin ¬ stitute restlos erfaßt und dem Aufstchtsamt unterstM wer den. Das Amt wird die Aufsicht im Auftrage de» N«ich«t handhaben und für die Uevereinstimmung d«r Kredit«- varung der Institute mit der Währungs- und Kreditpolitik des Reiches sowie mit der allgemeinen Wirtschafteipolitik Sorge tragen müssen. Entsprechend dem in Form und In^ halt der Reichsführung eingetretenen Wand«! sind ver stärkt« Einwirkungsmöglichksuen im Sinne einer Konzen trierung aller WIrtschastskreise auf die nationale Wieder aufbauarbeit zu schaffen. Der Ausschuß empfiehlt die Ein führung eines Genehmigungsverfahrens für Kredituittcr» nehmungen. Die Abwicklung des gesamten unbaren Zahlungsver kehrs ist in den Einfluß der Reichsbank einzubeziehen, ohne daß eine Rückentwicklung der bargeldlosen Zahlungsmetho- den der vorhandenen Girokreise oder eine Beeinträchtigung ihrer Vorteile für das Publikum herdeigeführt wird. Der Postscheckverkehr kann von einer besonder«» Ueberwachung ausgenommen werden. Der Ausschuß hat von einer gene rellen Empfehlung der Verstaatlichung des Kreditwei-n- abaesehen. gunsten einer bestimmten Lösung zu beugen. Allerdings weiß man über den Stand und das bisherige Ergebnis die ser Verhandlungen nichts. Die auffallende Stille und Be scheidenheit in der französischen Presse in den letzten Wochen aber scheint anzudeuten, daß die Dinge sich nicht in der erhofften Richtung entwickelt haben. Der Verlauf der Be ratungen brachte es mit sich, daß sich nicht nur politische son dern auch wirtschaftliche Vertreter Deutschlands und Frank reichs zusammenfanden, die offenbar nach anfänglicher Sprö digkeit sich mit sachlichem Ernst den Lösungsfragen gewidmet haben. Gewiß, di« Schwierigkeiten sind noch nicht restlos beseitigt, und der Versuch, von Deutschland bestimmte poli tische Zugeständnisse zu erhandeln, ist zweifellos nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Das Wesentliche aber ist, daß man sich auf seiten der französischen Unterhändler von jeg licher Erpressungspolitik fernhält und die einzelnen Streit punkte gleichsam nach Art gewissenhafter Kaufleute bestens auszuhandeln sich bemüht. Man möchte glauben, daß in sol cher Atmosphäre etwas Brauchbares herauskommen sollte, das sowohl den beiderseitigen Interessen wie dem Recht und dem Volkswillen an der Saar Rechnung trägt. Auch der Umstand, daß sich in Berlin Unterhändler der Saar-Regie rung eingefunden haben, um mit Deutschland die mit der Rückgliederung des Saargebiets zusammenhängenden Be amtenfragen zu erörtern, deutet darauf hin, daß man mit den realen Tatsachen und nicht mit einer Politik rechnet, die unübersehbares Unglück über das mißhandelte deutsche Ge biet und über die beteiligten Länder bringen müßte. Man soll die Dinge nicht leichter nehmen, als sie sind, und bei der jetzigen Frage der Liquidierung des Versailler Saar-Experi mentes handelt es sich schließlich auch darum, das S»-"-- problem für alle Zeiten aus der Welt zu schaffen Noch 44 Tose bk rar SasraMmmmm! Eisenacher Karrende-SSuger bei Wer Berlin, 30. November. 26 Kurrende-Sänger aus Eisenach, meist arme Arbeiter- linder, unter Führung des Eisenacher Oberbürgermeisters Dr. Janson, die an der Thüringenfeier im Thüringenhaus mitgewirkt hatten, haben es sich nicht nehmen lasten, dem Führer im Garten der Reichskanzlei einige Heimatlieder vorzutragen. Der Führer ließ der kleinen Sängerschar eine Spende für die Wethnachtskasse übergeben. Bon gestern bis heute Neue Geschäftsverteiluug der Danziger Regierung. Im Anschluß an die Senatorenwahlen hat der Danziger Senat, wie amtlich mitgeteilt wird, folgende neue Geschäfts- Verteilung beschlossen: Präsident Greiser übernimmt die Ab teilung des Aeußeren unter Beibehaltung der Abteilung des Innern; Senator Huth die Abteilung Wirtschaft und Senator Rettelsky die Abteilung Landwirtschaft. Alle anderen Ab teilungen bleiben wie bisher. Der Posten des Senatsvizs- Präsidenten ist eingespart worden. „Irischer Bürger nicht britischer Untertan. Im.Parlament des irischen Freistaates wurde di« Aus sprache über die zweite Lesung des Gesetzentwurfes über das irische Bürgerrecht beendet. Am Schluß nahm Mini sterpräsident de Valem das Wort. Er sagte, nach dem In krafttreten des Gesetzes werde kein Bürger des irischen Frei staates mehr britischer Untertan sein. Die Iren könnten zwar die Gesetze, die im britischen Statutenbuch verzeichnet seien, nicht ändern, st« könnten auch die Engländer nicht zwin gen, ihre Bürger künftig nicht mehr britische Untertanen zu nennen, aber es wäre eine Unverschämtheit, wenn dl« Briten Leute, die offensichtlich Bürger eines anderen Landes seien, j als Bürger kür ibr »and beanspruchten. l Allerlei Neuigkeiten Dem irdischen Richler eatzogea. Die Große Strafkam mer Kiel verhandelte seit einigen Tagen in Ploen aea?n den früheren Rechtsanwalt und Notar E. W. Busdorf, der ihm anvertraute Mandantengelder veruntreut hatte und dem Untreue In 45 Fällen zur Last gelegt wurde. Auf Grund der Beweisaufnahme hatte der Angeklagte ein« hohe Strafe zu erwarten. Zu Beginn der Donnerstage Verhandlung teilte der Vorsitzende oer Strafkammer mit, daß sich der Angeklagte dem irdischen Richter entzogen habe und in seiner Zelle erhängt aufgesunden worden fei. Schweres vertehrsuaglück. Auf dem Kreisstrahen-Ueber- gang Neumarkt-Muggensturm in Baden wurde «In Perso nenkraftwagen von einem Güterzug erfaßt und zertrüm mert. Von d«n Insassen wurde der Ingenieur Rosenbusch aus Renchen getötet, zwei weitere mitfahrend« Personen wurden leicht verletzt. Di« Verletzten konnten die Reise fort setzen. Der Unfall ereignet« sich dadurch, daß d«r Schranken wärter nach Durchfahrt des Personenzuges Rastatt—Karls ruhe die Schranken öffnete, so daß rin kurz darauf verkehren der Güterzug den In diesem Augenblick nahenden Kraftwagen erfaßt«. Zur Zeit des Unfalles herrschte starker Nebel. ' Granatzünder-Erplosion in einer Schule. In einer Lemberger Schul« spielte während des Unterrichts ein Schü ler mit einem Gvanatzünder, den er gefunden hatte. Der Zünder explodiert«. Der Schüler wurde schwer verletzt, vier Mitschüler leicht. In der Schule brach Infolge der Explo sion, die die Scheiben mehrerer Klassen zertrümmerte, eine Panik aus. > Fünfköpfige Familie an Tobsucht ertrankt. Im polni schen Städtchen Augustowo erkrankte ein« fünfköpfige Fa- mili« unter schweren Vergistungserscheinungen nach dem Ge nuß von Tollkraut, da» zwischen das Gemüse geraten war. Di« ganze Familie erlitt Tobsuchtsanfälle und mußte nach Anlegung von Zwangsjacken ins Krankenhaus überführt werden. Dänische» Motorschiff überfällig. Das Motorschiff „He lme" aus Gravenstein (Nordschleswig), das sich auf der Fahrt von Hamburg nach Aarhus befand, ist seit acht Tagen überfällig. Man nimmt an, daß es mit der Besatzung unter-, gegangen ist. wieder eia Flnonzstandal in Frankreich. Das „Echo! de Paris" kündigt einen neuen Finanzskandal an, der em beträchtliches Ausmaß anzunehmen verspreche. Die Urheber seien zwei Schwindelagenten gewesen, die für Rechnung einer Pariser Gesellschaft fiktive Anleihestücke von Llektri- zstätsunternehmungen in Limoges und Umgebung nnter- brachten und auf diese Welse zahlreiche kleine Sparer und Privatpersonen geschädigt haben.