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Nachdruck verboten. »Wir gehen I" sagte sie ein wenig brüsk. .Das Auto wartet.* Der Chauffeur riß den Wagenschlag auf und half Frau Fleh in die weichgepolsterten Kissen. Schüchtern kroch Renale hinter ihr her. Noch nie war sie in solch einem feinen Wagen gefahren — höchstens den Autobus tonnte sie für weitere Strecken benutzen. Und selbst der erschien ihr meist so unerschwing lich teuer, daß sie lieber zu Fuß lief. Fast unfühlbar federte das Gefährt dahin und ver stärkte in Renate noch mehr das Gefühl des Unwirklichen. Daisy hatte sich inzwischen gefaßt. «Paffen Sie auf, Kindl Wir werden den Abend natür lich nicht allein verbringen. Da ist einmal vor allem mein — mein...* — sie suchte nach dem richtigen Wort —, ...mein Bräutigam Ulrich Preberg, der uns Gesellschaft leisten wird. Und dann ist ein Herr da ans Berlin — Hans Westin heißt er. Der wird natürlich Ihr Kavalier sein. Suchen Sie reckt luitia und erbettelnd — — ja...?* .Ja!* Und dann nach eun-l Pause: »Ich wußte gar nicht, gnädige vag Sie verlvbt sind. Darf ich Ihnen gratulieren?* Ein wenig erstaunt schaute die schöne Daisy Fleh. Dann huschte belustigtes Lächeln um ihre Lippen. .Wie ernst Sie alles nehmen I Damit werden Sie im Leben nicht weiterkommen. Meinetwegen übrigens — gratulieren Sie mir zur Verlobung * Renate wurde aus dem Gehörten nicht klu^ Mit unmerklichem Ruck hielt der Wagen. Der Chauf feur iprang von seinem Sitz; doch ehe er den Schlag auf- zureißen vermochte, war ihm schon der Türsteher des Nachtlokals .Zum lachenden Faun* zuvorgekommen. .Ja — sind wir denn schon in Wien?* staunte Renate. .Wir suhren doch eben erst von Weidling weg.* Daisy Fleß lachte. «Sie sind eben bloß den Autobus, die Bahn und die Straßenbahn gewohnt, Kind. Wir schlagen ein anderes Tempo ein.* ^Äüß die Hand, gnä' Frau!* begrüßte der Türsteher, der sich in prächtiger goldstrotzender Livree präsentierte, Daisy Fleß vertraulich. «Vor fünf Minuten is' der gnä' Herr lmnmen. Er wartet schon aus die gnä' Frau.* Daisy Fleß nickte ihm huldvoll zu, dann schritt sie die breiten, mit dicken Teppichen in schreienden Farben be legten Treppen hinab. Mit pochendem Herzen folgte ihr Renate. Dem jungen Mädchen war, als erlebe sie einen der Tonfilme, die sie bisher nur gesehen. — Ganz märchen haft dünkte sie alles, was mit ihr geschah. Der kleine, aber mit exquisiter Eleganz ausgestattete Raum war noch ziemlich leer. Nur da und dort saß ein flüsterndes Pärchen an einem der zierlichen, weißgedeckten Tische, und die Musiker begannen eben erst ihre Instru mente zu stimmen. In einer der Logen, die erhöht den Zuschauerraum umkränzten, entdeckte Renate Ulrich Pre berg, ven sie vom Sehen aus kannte. Besuchte er doch oft ?-aisy Fleß in ihrer entzückenden Weidlinger Besitzung. Er starrte verdrießlich aus die Speisekarte und schien nicht zu wissen, was er wollte, während ein Kellner ihn auf ver schiedene besondere Leckereien aufmerksam machte, die für verwöhnte Zungen geboten wurden. Renate schloß, geblendet, die Augen, denn in diesem Moment flammte volles Licht durch den Zuschauerraum. Hatten sie schon die bunten, strahlenden Fluten der Be leuchtung überwältigt, die das Portal des «Lachenden Faun* in die dunkle Nacht ergoß, so fühlte sie sich nun vollends wie in ein Märchen versetzt, in ein Märchen von Farben und Licht. Grotesk-modern war die Bemalung der Wände, aus venen dort, wo sie zusammenstießen, in kantig geschliffenen Röhren grelles Licht in wechselnden Nuancen zwischen Rot und Violett brach. Von der Decke herab strahlten Lüster in eigenartigen Formen. Renale warf einen Blick auf ven Vorhang, der die kleine Bühne gegen den Zuschauerraum abschloß. Er zeigte das Bild eines grinsenden Fauns, der nach Nymphen hascht, die vor ihm fliehen. Die wenigen Schleier, in die diese Nymphen eingehüllt waren, erregten ein Gefühl der Beschämung in Renate. Sie senkte die Lider und wagte nicht mehr aufzuschauen. Daisy Fleß war das eben recht, denn schon von weitem verständigte sie sich durch einen fragenden Blick: „Glaubst du, daß sie die Richtige ist?*, mit ihrem Freund. Stummes Reigen deS Hauptes war die Antwort, die ihr von Pre berg wurde, und sie atmete erleichtert auf. «Erlauben Sie, daß ich Ihnen meinen Bräutigam, Herrn Ulrich Preberg, vorstelle, liebe Renate!* hörte das junge Mädchen Daisys Stimme neben sich; dann fühlte sie ihre Hand ergriffen und an Lippen gezogen, über dellen «in kleiner, kurzgestutzter Schnurrbart saß. «Ich freue mich sehr!* stammelte sie — das war die Redensart, die Tante Brigitte ihr einstudiert hatte, und X« sie stereotyp anwendet«, wenn neue Menschen in ihr Seb«« traten. ückodorrecbtscbutr: künk Dürmv-Verlsg Halle l8sslo). «Die Freude ist natürlich ganz auf meiner Seite!* tönte es wohllautend zurück. „Doch nun genug der^ Formalität — nehmen wir Platz. Ach — da kommt ja auch schon Freund Westin. Pünktlich wie eine Präzisions uhr.* Renates Blick blieb am Tischtuch wie sestgebannt. Sie hörte elastische, fast lautlose Schritte, die sich rasch näherten. Ein Schatten tauchte an ihrer Seite auf, und vann erklang abermals Prebergs Stimme. „Meine kleine Freundin Daisy kennen Sie vom Vor jahr, Westin! Doch hier — hier stelle ich Sie Fräulein Renate Ohlsen vor, die unsere heutige Zusammenkunft durch ihre Anwesenheit verschönt!* Renate hob die Augen, und ihr Herzschlag stockte. Ein Hüne an Gestalt stand da vor ihr, lachende graue Auge« senkten sich in die ihren, und eine wohlgestaltete Hand streckte sich ihr entgegen. „Donnerwetter — aus solch einen Vogel Phönix var ich nicht vorbereitet! Meine Gnädigste, bei wie vielen Ichönheitskonkurrenzen waren Sie schon Königin?* Renate nahm sich zusammen. „Nirgends! Sie irren auch, wenn Sie mich schön finden. Nur durch das Kleid, das mir, Frau Fleß gab, sehe ich so aus — in Wirklichkeit ist gar nicht viel an mir dran.* Hans Westin schaute sie verblüfft an. „Auf diese Antwort war ich wahrhaftig nicht vor bereitet. Heutzutage trifft man selten so viel Bescheiden heit.* Preberg zog ihn ein wenig beiseite. „Die Kleine ist ganz weltfremd. Sie werden sich be stimmt glänzend mit ihr amüsieren, denn die naive Art ihres Wesens ist sicherlich etwas Neues für Sie!* Zwanglos gruppierten sich die vier — doch Daisy wußte es natürlich so einzurichten, daß Westin feinen Platz an Renates Seite fand. Flüsternd wandte sie sich an ihren Freund. „Was Neues?* / -Jal* „Gutes?* „Im Gegenteil! Die Gläubiger sind mir hart aus den Kerfen. Betrügerische Schulden heißen sie das, was ich unternahm, um hochzukommen.* > Daisy erblaßte unter der Schminke. „Keine Rettung?* fragte sie so leise als möglich. «Doch!* «Und die wäre?* „Westin muß das Geschäft abschließen, das ich ihm Vor schläge, und deswegen er eigens nach Wien gekommen ist. Und er muß mir noch heute einen großen Vorschuß in bar geben — dann halten wir uns weiter über Wasser.* Nervös schaute Daisy auf Westin und Renate, die — auf einander angewiesen — zu plaudern versuchten. Besser gesagt, Westin sprach und Renate hörte zu, fast ohne ein Wort einzuwerfen. Zuerst bereitete ihm das Spaß, doch bald fand er es quälend. Gewiß, er, der hauptsächlich in Gesellschaft welt gewandter Menschen verkehrte, kostete ganz gern einmal den Reiz aus, den Befangenheit einem jungen Mädchen verlieh. Doch alles mutzte seine Grenzen haben, auch die Schüchternheit. . Da setzte die Musik ein und spielte in hinreißendem Tempo einen modernen Tanz. Unwillkürlich straffte sich Renates geschmeidige Gestalt im Takt. Er bemerkte es. „Tanzen Sie gern, gnädiges Fräulein?« Noch nie hatte sie jemand so ehrerbietig angesprochrn, und abermals verschlug es ihr beinah den Atem. Doch sie nahm sich eisern zusammen. „Ich tanze gar nicht — habe es nie gelernt — Onkel und Tante finden, daß sich das für ein junges Mädchen nicht schickt." Westin machte große Augen. „So? Und was schickt sich denn nach Onkel und Tantes Meinung für ein junges Mädchen?" Sie zog die Stirn in nachdenkliche Falten, was ihrem lieblichen Gesicht den Ausdruck eines Ernstes verlieh, der ihren Jahren nicht zustand. „Kochen und Waschen und Nähen — überhaupt häus liche Arbeiten. Ich muß alles lernen, denn ich soll doch — ich soll doch..." Renate vermochte nicht weiter zu sprechen. Bleischwer lag der Gedanke an Artur Merkner auf ihrer Seele. War es ihr bisher immer bedrückend erschienen, die Seine werden zu müssen, fühlte sie es nun beinah wie eine Last, die sie unmöglich ertragen konnte. Er sah den Ausdruck jähen Schmerzes, der ihr süßes Gesicht überschattete. „Was sollen Sie denn?" Unverkennbar sprach Mitleid aus seinen Worten, und Renate empfand es auf einmal als grenzenlose Erleichte rung, ihm ihr Herz ausschütten zu dürfen. «Ich soll den Lehrer Artur Merkner heiraten!" riß cs sich bang von ihren Lippen. Warum berührte ihn dieses Geständnis so eigenartig? .»as sollt« ihm an dies«« «Mcheulenpt«, kkGmMWeS liegen, das so plötzlich t« feit» Lebe« heretugrschnoiewar — dieses junge, unbedeutende Mädchen, das er gewiß bat» wieder vergessen würde? Unwillkürlich legte er den Arm um die Lehne de» Sessels, auf dem sie Platz genommen hatte — eS wat ihm, als könne er ihr durch diese Bewegung -eigen, daß er sie in Schutz nehmen würde, wenn Unbill des Lebens sich an sie heranwagte. «Haben Sie ihn denn lieb! Hans Westin wunderte sich, wie weich seine Stimme klang. Vibrierte es nicht wie verhaltenes Weh in seiner Frage! Schon öffnete Renate die roten Lippen, ihm zu ant worten — da zerrissen drei hallende Gongschläge ihr Gespräch. Der Vorhang flog auf, und eine Sängerin betrat die Bühne. Sie sang drei Liedchen, von denen eines immer ge wagteren Textes war wie das andere. Renate hörte nur den Sinn der Worte — den wahren Inhalt verstand sie nicht. Ihr kam es nur zum Bewußt sein, daß die Stimme der Vortragenden schrill und Hari klang, und daß sie oft distonierte. Trotzdem erntete sie Beifall. Die Sängerin wurde von einer Tänzerin abgelöst, die sich an grotesken Verrenkungen der Glieder nicht genug tun tonnte. Ihr ebenmäßiger Körper wurde nur wenige durch Kleidung behindert. Mit großen, erstaunten Augen verfolgte Renate das Spiel der Arme und Beine, die sich schier unentwirrbar verknoteten, um dann doch wieder Lösung zu finden. Westin warf bloß hier und da einen gleichgültigen Blick nach der Bühne. Er kannte diese Art in tausend fältigen Variationen — ihm wär das nichts Neues. Sein ganzes Interesse galt Renate: dem feinen Nacken, an den sich der dicke Haarschopf schmiegte, der ihn bet jeder Kops- bewegung des jungen Mädchens zu kosen schien. Die reinen blauen Augen, die schmalen, kindlichen Schultern, der anmutige Mund, der sich eben so herb geschloffen Haire, als das junge Mädchen von ihrem künftigen Gatten sprach. Da Westin ihr Schauen nach der Bühne für angeregte Aufmerksamkeit hielt, wollte er sie nicht stören. Erst im Applaussturm, den die Claque der Tänzerin spendete, neigte er sich zu ihr. „Haben Sie ihn denn lieb?" wiederholte er ein dringlich. Ihre großen blauen Augen ruhten in den seinen — unverhüllte, scheue Liebe leuchtete ihm daraus entgegen. Dann senkten sich die Lider des jungen Mädchens langsam und ihr Kopf neigte sich in Verwirrung. „Nein!" gestand sie mit bebender Stimme. „Und doch wollen Sie die Seine werden?* drängte er. «Ich muß wohl — Onkel und Tante wollen es!" „Das ist noch lange kein Grund — eS kommt doch nur darauf an, ob Sie wollen oder nicht!" Sie schaute in ehrlichem Erstaunen. „Ich? Auf mich kommt es dabei gar nicht an — ich muß Onkel und Tante doch gehorchen, da ich ihnen alles verdanke." Der Bühnenvorhang, der sich geschloffen hatte, nachdem die Tänzerin die weltbedeutenden Bretter verlassen hatte und hinter den Kulissen verschwunden war, ging wieder hoch — ein Sketch wurde gespielt. Das Publikum lachte laut über die Zweideutigkeiten, die von den Künstlern gebracht wurden. Renate verstand . davon kein einziges Wort, und sie saß daher mit tod ernstem Gesicht da. Westin beobachtete sie unausgesetzt. Ihm erschien es peinlich, dieses liebliche junge Ge schöpf an solch einem Ort der Ungebundenheit zu sehen, wie es der „Lachende Faun* war. In schnellem Tempo flog der Sketch vorbei, und die große Pause war da. Preberg neigte sich vor. „Sie waren so in das Gespräch mit Freund Westin und in die Vorgänge auf der Bühne vertieft, daß ich Sie nicht zu stören wagte, Fräulein Ohlsen!" meinte er mit dem Unterton des Schmeichelns in der Stimme. «Darf Ich Sie nun fragen, was Sie zu speisen wünschen?" In Westins Antlitz schoß Helle Röte, und er schlug sich vor die Stirn «Ich bin ein netter Kavalier! Was werden Sie von mir denken, gnädiges Fräulein?" Renate lächelte treuherzig. «Ich verspürte bisher weder Hunger noch Durst. Hier der Beweis.* Und sie wies auf das Glas Sekt, das unberührt vor ihrem Platz auf dem Tischchen stand. Ungewohnt, von einer Speisekarte selbst zu wählen, bat sie Westin, dies für sie zu besorgen. Die beiden jungen Leute neigten die Köpfe über das eng beschriebene Kärtchen. Mit zufriedenem Lächeln bemerkte es Preberg und winkte Daisy mit den Augen. Sie erhob sich sofort. «Wir haben Bekannte entdeckt, mit denen wir im Foyer ein wenig plaudern wollen. Auf Wiedersehen inzwischen!" Und schon hatten sie und Preberg sich aus der Loge entfernt. Hastig erteilte Westin dem wartenden Kellner die nötigen Befehle, und dieser entfernte sich. Westin sah sich mit Renate allein. Er schob das Glas mit dem abgestandenen Sekt bei seite und goß ein anderes voll. „Auf Ihr Wohl, gnädiges Fräulein! Oder darf ich Renate sagen?" Mit zitternden Fingern hob sie das Glas, trank ihm zu. „Ich weiß nicht...l" Er neigte sich ihr so nahe zu, daß seine Lippen fast ihre zarten Schultern berührten. „Sie wissen es nicht? So etwas sollte eine Frau nicht sagen. Wäre es Ihnen unangenehm, wenn ich Sie blotz mit dem Vornamen anredcn wollte?" /Forts, folgt.»