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„rverzeiyen Vie einen ^!?ugÄwua, lleoer Freund. ES handelt sich um eine erkrankte Stute I" „Aber bitte — bitte sehr!" Wegmann, weitbekannter Trainer — er lieferte nach England und Rumänien, und eine ganze Anzahl der be rühmtesten Renner ging aus seinem Stall hervor —, sah Frau Kopesch nachdenklich nach. Sie war eine kleine, untersetzte Person, nicht mehr ganz jung, doch keinenfalls über die ersten Vierziger hinaus. Hätte sie Wert auf äußere Pflege gelegt: niemand möchte ihr mehr als dreißig gegeben haben, so unverbraucht war ihr rundes Gesicht. Aber sie trug das spärliche Blondhaar straff zurückgekämmt, setzte die rosige Haut jedem Wetter aus, kleidete sich in Loden und mit Sporthosen, für die sie zu breithüftig war. Alles in allem wirkte sie zwar wie eine Persönlichkeit, aber nicht durch ästhetische Reize. Ihr grades, ehrliches Wesen nahm jeden für sie ein. Sie war zielbewußt, ohne vermännlicht zu wirken. Sie kannte keine Launen. Auf ihr Wort war Verlaß, mehr als auf das Wort manchen Mannes. Weil sie viele Vorzüge hatte, war sie bei denen, die nur die Glanzseite ihres Lebens sahen, unbeliebt. Und sie sorgte dafür, daß die meisten eben nur die Glanzseite sahen. Das war das Leben einer unabhängigen und tätigen Frau, deren Mann zwar noch lebte... Ja, Herr Kopesch war nun sicher eine dunkle Seite ihres Daseins. Aber es hieß allgemein, sie nähme die Sache mit ihrem Manne sehr leicht, und man tadelte sie noch, weil sie nicht klagte und sich nicht entnnüigen ließ. Wegmann überdachte dies alles, während er, wartend, den schmalen Gang zwischen den Pferdeständen auf und ab ging. Eine Reihe guter und edler Tiere stand da, und er, der Kenner, hatte seine Freude dran. So eine Frau! ' Machte Geschäfte wie ein gewiegter, gelernter Landwirt, überschaute und durchschaute alles — und kam doch von einer ganz anderen Branche. Es war bekannt genug, daß sie vor dem Kriege Theologie studiert hatte, Griechisch und Lateinisch nicht nur, auch Hebräisch und Aramäisch gelernt und sich an komplizierten alttestamentlichen Forschungen beteiligt hatte. Sie stand kurz davor, ihr Lizentiat zu machen, als, bei Beginn des Krieges, das junge Fräulein von Deiken sich ihrem Jugendfreund, dem Gutsbesitzer und Leutnant der Reserve Kopesch antrauen ließ. Ursula Kopesch gab ihr Studium auf und begab sich auf das Gut ihres Gemahls, der sich auf dem westlichen Kriegsschau- olah befand. Mit der ihr eigenen Energie und einer intuitive«! Er fassungsgabe arbeitete sie sich ein, beherrschte bald die Lage und wand sich durch alle Kriegsverordnungen und -gesetzt siegreich und unbehelligt hindurch. Kopesch wurde schon in der Marneschlacht entscheidend verwundet. § Er hörte eigentlich mit dieser Verwundung auf, ein Mensch zu sein. Verkrüppelt, verstümmelt, einer deutlichen Sprache beraubt, furchtbar entstellt, lebte er in Verborgen heit und Verbitterung auf dem Gute — niemand sah ihn, außer seiner Frau und seinem alten Kammerdiener. Nie mand wußte mehr etwas von ihm außer diesen beiden. Und diese beiden schwiegen. Niemand sollte etwas wissen. Ursula Kopesch hatte vergessen, daß sie einst Wissen schaftlerin gewesen war. Der Alltag und die Wirtschaft, das waren ihre Realitäten geworden. Nichts hatte sie aus der Vergangenheit behalten, als die unverlierbare Geschultheit des Denkens und jene intellektuelle Sauber keit, die überall ein bißchen provozierend wirkte. Und nun also diese Chose mit dem Pferd. „Entschuldigen Sie. Es hat länger gedauert, als ich ooraussehen konnte!" trat sie jetzt wieder zu ihm. „Aber bitte, gnädige Frau! Uebrigens: wie heißt denn das Viech?" „Wie soll ich es wissen? Es schaut einem zwar aus braunen Augen klug und sogar sprechend an. Aber es schweigt — wie ein Pferd! Es hält uns gewiß für furcht bar dumm. Ich habe zwei Dutzend und mehr Namen versucht. Es reagiert auf keinen. Doch weiß es längst, daß es gemeint ist, wenn ich vom Ueberläufer' rede Sehen Sie?" Wirklich wendete das Tier den Kopf Die beiden lachten. „Intelligent ist er", sagte Frau Kopesch. „Aber auch... Er muß einmal eine schlechte Erfahrung gemacht haben. Er ist scheu vor Dingen, die ihm eigentlich ganz natürlich sein müßten. Ich habe versucht, ihn einspännen zu lassen. Ausgeschlossen. Er schlug hinten und vorne aus, trom petete sozusagen über den ganzen Hof, als ob ihm eine unehrenhafte Zumutung, gestellt würde, benahm sich hoch im Bogen und blieb noch stundenlang hinterher aufgeregt und angstvoll. Aber er läßt sich auch nicht ohne weiteres satteln. Er benimmt-sich wie ein Wildling. Komisches Viech. Nur unser junger Inspektor — der wird mit ihm fertig. Gegen den ist er zutraulicher." „Ich will ^Fhnen einmal etwas sagen, gnädige Frau. Ich habe doch ein Verzeichnis aller raffeechten Pferde, die sich in Deutschlands Gauen herumtreiben — nebst Angabe ihres Besitzers und des Stalles, aus dem sie hervorgehen. Ich werde zu Hause gleich einmal nachsehen. Ist eines gemeldet als gestohlen, so gebe ich Nachricht — nach beiden Seiten: Ihnen und dem Beraubten. Irgend was werde ich feststellen können. Ich habe doch noch wettere Ver- bindungrn wie Sie. Aber, wie S i e meinten: mitnehmen? Es steht hier doch ganz gut, Sie haben noch Platz, und es hat sich eingelebt. Der Herr Inspektor kann es reiten." „Dazu ist er nur eigentlich nicht da, zugelaufene Pferde zu betreuen. Gr hat anderes und Wichtigeres zu tun!" „Seien Sie großherzig, gnädige Frau — wie man es nun einmal von Ihnen gewohnt ist. Auch ich bin Ihrer Ansicht, daß das Tier gestohlen ist, und der Dieb hat sich seiner entledigt. Ich werde nachsehen und nachforschen. Aber mein Stall ist über und über besetzt. Und Sie haben, wie gesagt, noch Raum. Ich werde tun, was ich kann, den Eigentümer zu ermitteln." Frau Kopesch dachte einen Augenblick nach. „Ra schön", sagte sie dann. „Kommen Sie zur Vesper. Es ist alles bereit, und Ihr Wagen fährt, mit seinen großen, unheimlichen Lichteraugen, bei Nacht so gut wie bei Tage. Ihr Chauffeur sitzt in der Leutestube bei meinen Mädchen, die schon Weihnachtswolle Wickeln — wir stricken hier noch alles selbst, unmodern, unpraktisch — ja, ich weiß. Aber: ich kann's mir leisten. Soll ich drei Mädchen entlassen und arbeitslos machen, bloß weil's bequemer, wenn auch nicht viel billiger wäre?! — Wir wollen eS^ uns gut schmecken lassen." Frau Kopesch ging im kräftigen Zulangen ihrem Gast mit so gutem Beispiel voran, daß der von dem ländlich üppig besetzten Tisch nahm, was irgend zu bergen war. Man trank einen leichten Wein und plauderte angeregt. Es klopfte. - Marie, die bei Tisch bediente, brachte ein Telegramm. Durchaus nicht auf silbernem Teller, sondern höchst einfach! in ihren sauberen und gut gehaltenen Mädchenhänden. „Nanu?" machte befremdet Frau Kopesch. Sie riß das Formular auf. .Doch nichts Unangenehmes?" fragte Wegmann: „O nein! Nur... Ja, sehen Sie, die Tatsachen sind! so drollig unlogisch. Mehr eigentlich: launisch! DaS^ Telegramm kommt aus Hamburg — und was bringt es??! „Der Besitzer des Ueberläufers meldet sich!" entschied! Herr Wegmann. „Glauben Sie?" » „Das möchte ich, Ihrem Gesicht nach, das! voll fröh-! licher Verdutztheit war, annehmen!" bekräftigte Herr! Wegmann. „Irrtum! Eigentlich noch etwas viel Komischeres, jedenfalls Entlegeneres: Ankomme mit Kind und Kegel von Hamburg morgen nachmittag bei dir. Deiken. — Mil Kind und Kegel? Wenn der gute Vetter nun wenigstens die Zahl angegeben hätte. Sie ahnen nicht, wer das ist?" „Ein Vetter von Ihnen. Das genügt doch." „Das sagen Sie so, Herr Wegmann. Dieser Vetter ist ein Oelmagnat — irgendwo in Amerika hat er eine Un zahl Bohrtürme. Natürlich ist er längst eine .Gesellschaft'.