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<77^ Beilage zur „Weißeritz-Tciturrg" 10Ü. Jahrgang Freitag, am 9. November 1934 Nr. 262 Vie LveierullMkrkv io krsnkrolod -r LÄ-. k6§isrun§ OoUM6?§U6 2urü6k§6bi'6t6N X^binstt klLnäin Das Kabinett Doumergue ist zurückgelrelen. Eine der führenden Persönlichkeiten der Regierung war der Außenminister Laval, der jetzt die Neubildung der franzö sischen Regierung abgelehnt hat. Unser Bild zeigt Laval während seiner letzten Rede in der Kammer. Laval dleibt Aubenminifter Aus unterrichteter Quelle verlautet, daß der bisherige Kriegsminister P 6 tain es abgelehnt habe, im neuen Ka binett Flandin zu verbleiben. Als Nachfolger Pötajns wirb SOemWe Nach einer ereignisreichen Zeitspanne von 9 Monaten ist das unter tragischen Umständen gebildete Kabinett der sogenannten nationalen Einigung wieder von der politischen Bühne Frankreichs abgetreten. Die Hoffnungen, die auf das Kabinett Doumergue gesetzt wurden, haben sich nur zu einem geringen Teil erfüllt' Auch Doumergue hat es nicht ver mocht, Frankreich aus der Systemkrise hinauszuführen, um die es sich letzten Eudes handelt. Immer wieder konnte der säst unvermeidlich scheinende Bruch verhindert werden. Da aber nicht so sehr staatspolitische Gründe als außenpolitische Befürchtungen zur Ueberbrückung der Gegensätze dienten, konnte auf die Dauer von den widerstrebenden Richtungen, die sich einen vorübergehenden Waffenstillstand zugesagt hatten, keine gemeinsame Aufbauarbeit geleistet werden. Das Schicksal des Burgfriedens war eigentlich schon im Som mer entschieden. Von da ab handelte es sich mehr oder weni ger um ein taktisches Ausweichen vor der Verantwortung für einen Bruch. Keiner der Beteiligten wollte Lie Verantwor tung für das Scheitern der nationalen Einigung vor der leicht erregbaren öffentlichen Meinung tragen. So wurde der Ball zwischen der Regierung und den parlamentarischen Parteien hin- und hergeworfen. Der Zusammenstoß zwi schen Staatsminister Tardieu und dem damaligen Frak tionsführer der Radikalsozialisten Chautemps schien be reits zu einer Kabinettskrise führen zu sollen. Doumergue brachte zwischen Herriot und Tardieu im Rahmen des Ka binetts einen Ausoleicb zustande, und die weitere BekanL- rung aufgedeckt. Mehrere Personen leien verhaftet, eine grö ßere Anzahl von Waffen beschlagnahmt morden. Einen geradezu phantastischen Antrag haben mehrere Lehrer aus Matamoros im Staat Tamaulipas der Kammer zugeleitet. Die Lehrer fordern die Erschießung sämtlicher Erz bischöfe, Bischöfe und Priester, weil sie Vaterlandsverräter seien, dem Papst unterständen und somit al» Ausländer ge wertet werden müßten; sie seien ferner Feinde der Regie rung und ein Hindernis für den Fortschritt de» mexikanischen Proletariat». Dieser Antrag wurde von der Kammer den Ausschüssen überwiesen, wo er wahrscheinlich ad acta gelegt werden wird. Aus Mexiko... Sturmius Heiligenbilder / Mehrer fordern Erschießung aller Geistlichen lung der grundsätzlichen "Seite dieser Angelegenheit wurde! dem radikalsozialistifchen Landesparteitag überlassen. Ins Nantes verlegten die Radikalsozialisten die Entscheidung je doch wieder in den Kreis der ausführenden Gewalt zurück, indem sie Herriot Vollmachten zu Verhandlungen mit Dou mergue erteilten. Der Ministerrat entzog sich aufs neue einer Entscheidung, indem er den radikalsozialistischen Kabinetts mitgliedern die Möglichkeit ließ, von ihrer Fraktion eine endgültig« Stellungnahme zu erbitten. Die Fraktion gab den Ball wieder zurück, indem sie dem Wesen nach unnachgiebig, der Form nach verbindlich, Staatsminister Herriot zu einem letzten Versöhnungsversuch mit Doumergue ermächtigte. Im mer enger wurde die gegenseitige Spielgrenze. Jetzt gab es nur noch die Wahl zwischen einem Austritt der radikalsozia- listischen Regierungsmitglieder, der einen Gesamtrücktritt -es Kabinetts zur Folge haben mußte, und einem Sturz der Regierung in der Kammer. Pierre Etienne Flandin Der mit der Regierungsneubildung beauftragte bisherige Mi nister für Oessentliche Arbeiten im Kabinett Doumergue, Pierre Etienne Flandin, ist im April 1889 in Paris geboren. Als Doktor! der Rechtswissenschaften und Inhaber des Diploms der Hochschule für Politik wurde er im Jahre 1914 vom Departement Honne in die Kammer gewählt, wo er mit seinen 28 Jahren der jüngste Abgeordnete war. Den Weltkrieg machte Flandin a>s Flieger mit.^ Im Jahre 1917 wurde er dem Unterstaatssekretariat für Luftfahrt zugeteilt und gehörte als französischer Vertreter dem Unteraus schuß für Luftrecht aus der Friedenskonferenz an. Ms Unter- jtaatssekrctär im Luftfahrtministerium gehörte Flandin dem Ka binett Millerand (1929) und Leyaues (1929/21) an. Später war er Handelsminister !m Kabinett Francoie-Marjal 11924) und in den beiden ersten Regierungen Tardieu (1929/39). In den beiden Kabinetten Laval (1921/32) und in dem dritten Kabinett Tardieu (1932) leitete Flandin das Finanzministerium. Als Finanzminister trat er gegen das Hoover-Moratorium auf und zeigte sich in der Reparationsfrage sehr wenig nachgiebig. Im Februar 1934' wurde Flandin als Minister für Oessentliche Arbeiten in das Kabinett der Nationalen Einigung berufen. In der Kammer ge hört Flandin der Gruppe der Republikanischen Linken, einer Gruppe der Mitte, an. Ferner ist er Präsident der Demokra tischen Allianz, einem überparteilichen politischen Verbände.' Mexiko, 9. November. Rach einer Meldung der Zeitung „La prensa" ans Me rida, hat der Lnndschuldirektor von hampolol im Staate Campeche 29 Heiligenbilder, die von der Polizei bei Privat personen beschlagnahmt worden waren, verbrennen lassen. Ferner hat die Gerichtspolizei in Merida sämtliche Kirchen geschlossen und den Erzbischof von Pucatan ausgesorderl, Mexiko zu verlassen. Der Gouverneur des Staates Chi huahua hat die Schließung sämtlicher Privatschulen ange ordnet. .La Prensa" meldet weiter aus Aguas Calient«s, die Polizei, habe dort eine Verschwörung gegen die Staatsregie- Angst vor der Verantwortung, Angst vor Lem Verlust der Zugkraft bei den Wählern. Die Politiker hätten Angst vor inneren und äußeren Drohungen, die in der nächsten Zu kunft über Frankreich schwebten. Sie hätten Angst davor, ihre Zutunftsaussichten zu verlieren und eine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, um an die Macht zu kommen. Die Parlamentarier hätten Angst vor ihrem wachsenden Miß kredit in der öffentlichen Meinung. Sobald diese ihnen ruhig erschien, griffen sie wieder auf ihre Intrigen zurück aus Angst, ihre Bezüge und ihren Vorteil oder ihren Einfluß zu vermindern. Paris, 9. November. Das Kabinett Doumergue ist zurückgetreten. In dem entscheidenden Minlsierrat haben zunächst die radikalsozia- llstischen Minister Herriot, Berthod, Bertrand und üüeuille im Laufe des Minlsterrats ihren Rücktritt erklärt. Das ka- binett hat daraufhin den Gesamtrücktritt beschlossen. Der Präsident der Republik betraute zunächst den bisherigen Außenminister Laval mit der Neubildung einer Regierung, doch lehnte dieser den Auftrag ab. Daraufhin wurde Flandin berufen, der den Auftrag annahm. Amtlich wird mitgeteilt, daß di« radikalsozialistischen Minister zurückgetreten seien, weil eine Verständigung über die Vorlag« der drei provisorischen Haushaltszwölftel nicht erzielt werden konnte. Der Präsident der Republik Lebrun hat Doumergue für seine Dienste gedankt und die Regie rung zunächst mit der Fortführung der laufenden Geschäfte beauftragt. Der nun gestürzte Ministerpräsident Doumergue er klärte vor der Entscheidung Pressevertretern auf die Frage, ob der Ministerpräsident von allen ihm verfassungsmäßig zur Verfügung stehenden Mitteln Gebrauch machen wolle: „Um die Auflösung zu beantragen, ist ein Kabinett not wendig. Ich will keine Minderheitsregierung bilden; denn dann würde man mich der Diktatur beschuldigen". Als Ministerpräsident Doumergue das Elysee verließ, wohin er sich begeben hatte, um dem Präsidenten Lebrun das Nücktrittsschreiben der Regierung zu überreichen, wurde er von der Menge erkannt und war Gegenstand einer leb haften Sympathiekundgebung. Aus den Reihen hörte man wiederholte Rufe: „Es lebe Doumergue!" Line EMrmg LvsGrrz«» Der bisherige Ministerpräsident Doumergue hat eine Erklärung abgegeben, in der er daraus hinweist, einer der Hauptpunkte jeines Entwurfs zur Aenderung der Verfas sung habe bezweckt, dem Artikel über die Kammerauflösung cher Verfassung vom Februar 1875 wieder Anwendungs möglichkeit zu geben, nachdem er seit 1877 nicht mehr an gewandt worden sei. Sein Vorschlag habe einen lebhaften Widerstand gerade bei denen heroorgerufen, die die eifrig sten Verfechter der Volkssouoeränität zu sein vorgäben. Aus ihren Druck hin habe ein Teil der Regierungsmitglie der -sich der Zustimmung zu dem Reformplan nicht ange- ! schlossen. Dieser Druck habe diese Minister dazu gezwungen, !oie Vorlage über die provisorischen Haushaltszwölftel ab- Izulehnen. Wenn die Regierung zur Kammerauflösung ! schreiten müsse, sei mindestens eine Frist von Monaten ! erforderlich. Er, Doumergue, habe wohl gewußt, daß der Sturz der Regierung von ihren Gegnern etwa zum 15. November vorbereitet gewesen sei. Von diesem Zeitpunkt an wäre dann die Regierung nicht in der Lage gewesen, falls sie in die Minderheit geraten wäre, zur Kammerauflösung zu greifen, da di« Haushalts- kredite, über die sie bis zum Zusammentritt einer neuen Kammer hätte verfügen können, nicht ausgereicht Kälten. Aber di« Männer, die für die Politik verantwortlich sind, so schließt Doumergue, die zu den Februarunruhen führte und zu dem Tode ehemaliger Kriegsteilnehmer, die ohne Waffen aus der Place de la Concorde oorbeizogen, wüllen um keinen Preis jetzt schon für diese Politik die Verant wortung übernehmen. Doumergue hat an das französische Volk folgenden Auf ruf gerichtet: „Ich bin gezwungen, mein Amt niederzulegen. Ich bitte alle meine Mitbürger, die Ruhe zu bewahren. Sie ist notwendig, um die augenblicklichen Schwierigkeiten im Interesse der Sicherheit und des Vaterlandes zu lösen." Lie Begründung der BadilalloriaUlten Herriot hat im Namen der raditalsozialistischen Minister «in Schreiben an Doumergue gerichtet, in dem er ihren Rück tritt begründet. Darin heißt es u. a., Doumergue habe in seinen Rundfunkreden, die die Regierung vorher nicht ge kannt habe, schwerwiegende Reformen rein politischen Cha rakters dem Lande oorgefchlagen. Die radikalsozialistischen Minister hätten ihm gern vorher ihre Auffassung zu dieser Frage mitgeteilt. Sie seien auch für eine Staatsreform, für die Einschränkung der Rechte der Kammern aus finanziellem Gebiet. Sie wollen eine Stärkung der Regierungsgewalt, vorausgesetzt, daß dies nicht ein Hineinziehen Les Präsiden ten der Republik in die politischen Kämpfe zur Folge hätte. Aber warum solle man nicht Bedenkzeit erbitten, ehe man sich auf eine Aenderung der Verfassung einige, die nicht ein leicht abzuänderndes Gesetz sei, sondern ein dauerndes Ge setz und damit das Schicksal der Republik! Durch die Vor lage über die Haushaltszwölftel habe Doumergue die Frage der Kammerauslösung aufgerollt. Von einer Entscheidung über die Haushaltszwölftel habe er all« übrigen Entscheidun gen abhängig machen wollen. Es wäre, so heißt es, nicht loyal von den radikalsozialistischen Ministern gewesen, weiter an der Regierung mitzuarbeiten, wenn sie nicht das gesamte Programm Doumergues billigten. . Allgemeine Angst Der Führer der Fcuerkreuzler Oberst de la Rocque äußerte sich in einer Unterredung mit einem Vertreter des „Paris Midi" sehr freimütig über die gegenwärtige Krise. Das Kennzeichen der Lage sei «ine allgemeine Angst. Alle Parteiführer ohne Ausnahme hätten Angst vor dem ,Nachlassen ihrer Beliebtheit, von dem sie betroffen sind. Kurze Notizen Der Führer und Reichskanzler hat dem Könitz von Siam zu seinem Geburtstag seine aufrichtigsten Glück- ! wünsche telegraphisch übermittelt. Der Neichskvmmissar für das Siedlungswesen Staats sekretär Gottfried Feder ist zum Honorarprofessor in -er Fakultät für Bauwesen der Technischen Hochschule Verlltt ernannt worden Der Beauftragt« des Führers für Abrüstnng»fragen, von Ribbentrop, ist in London eingetroffen. M« verlau tet, handelt es sich um einen privaten Besuch von Ribben trops, der einen Teil seiner Ferien auf Einladung von Freunden in Schottland verbringen wird. In Paris ist ein französisch-österreichischer Abkommens- entwurf paraphiert worden, der eine Erhöhung der öster reichischen Ausfuhr nach Frankreich zum Gegenstand hat. Die schwedische Akademie hat den diesjährigen Nobel preis für Literatur dem italienischen Dramatiker Luigi Pi randello zugesprochen. In Wien wurden wieder zahlreiche Marxisten, die für den ausgehobenen Republikgründungsfeiertag am 11. November zu Kundgebungen aufreizten, in Hast genommen. Unter ihnen be findet sich auch der ehemalige Nationalrat Reichmann, der Kurier»! blenste leistete. Das Gericht in Lemberg sprach das Urteil gegen 9 ukrainische Terroristen, die Mitglieder der ukrainischem Muitärorganisation waren und der Ermordung eines Polizeiagenttb und mehrerer an derer terroristischer Anschläge beschuldigt wurden. Alle Angeklag ten wurden verurteilt, von ihnen zwei zum Tode und sieben zu 5 bis 12 Jahren Gefängnis. Bei den Wahlen zu den Dorsräten in der Wojewodschaft Posen erlangte der Regierungsblock ungefähr 63 o. H. aller Mandate. Die Liga pazifistischer ehemaliger Frontkämpfer hat in Paris, einen Anschlag verbreiten lassen, in dem die Auslösung des rechts-! stehenden Fronttämpferverbandes „Feuerkreuz" gefordert wird! mit der Begründung, er sei di« Vorhut des Faschismus. Der Kaiser von Mandschukuo wird im April nächsten Jahres Japan einen Besuch abstatten. Das Hofmarschallamt in Tokio hat bereits unter Mithilfe von Hofbeamten aus Mandschukuo mit den Vorbei-eMmaen zu seinem Empfang« begonnen.