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I6j Nachdruck verboten. Fritz Wolfram ging es durch den Kopf: War es nicht eigentlich tausendmal wichtiger, die Liebe der beiden ge währen zu lassen, als darüber Romane zu schreiben und der warmen, lebendigen Liebe hart zu begegnen, nur weil der Vater Lutz Gärtners einmal seiner Eitelkeit Weh ge tan hatte? Sein Herz beantwortete die Frage, und er winkte Lutz Gärtner mit den Augen heran, schob ihm Doralies in die Arme. „So, Lutz, da haben Sie mein Mädel! Das Glücklich machen ist nun Ihre Sache!" Doralies, die eben noch einer Ohnmacht nahe gewesen war, entzog sich Lutz Gärtner schon, ehe s noch richtig von ihm umfangen war. Sie legte die Arm. sest um den hals des Vaters, rief glücklich: „Fritzchen, wenn man dir vernünftig zuredct, bist du doch der liebste Vati der Welt, und ich danke dir von ganzem Herzen!" Da lachte der- so Gelobte.laut auf, und Lutz Gärtner stimmte mit ein. Und damit war auch die letzte Peinlich keit zwischen den dreien ausgelöscht. Draußen auf dem Flur hörte Frau Hensel das frohe Sachen; sie hatte ängstlich gehorcht und atmete jetzt auf. Also hatte es ihr Liebling doch wieder geschafft, mit dem Vater fertig zu werden. Sie war glücklich. Nun hatte die anscheinend so ver fahrene Geschichte, die Doralies angezettelt hatte, doch noch gut geendet. Fritz Wolfram öffnete eben die Tür. Ein bißchen zu plötzlich. Frau Hensel konnte nicht mehr entwischen. Un angenehm war es, als Horcherin erwischt zu werden. Sie versuchte recht harmlos auszusehen. Fritz Wolfram lächelte vergnügt: „Gehen Sie hinein, Frau Hensel, und gratulieren Sie Ihrer Doralies! Sie hat mal wieder, wie eigentlich immer, ihren Willen durchgesctzt und wird sich bald mit ihrem Lutz verlob..c." Er verbesserte sich: „Nein, gehen Jie noch nicht hinein, holen Sie erst eine Flasche Sekt aus dem Keller, es muß noch eine von meinem Geburtstag her da sein. Und dann lausen Sie schnell hinunter zu Frau Gärtner und holen Sie die Dame her, verraten Sie ihr auch ruhig, was es Neues gibt. Wollen nachher alle zusammen anstoßen auf das Glück unserer Doralies!" Am nächsten Vormittag bat er Doralies, ihm jetzt, nachdem er ihren Herzenswunsch erfüllt hatte, zu sagen, wer ihre Stelle bei Frau von Stübnitz eingenommen. - Doralies erwiderte ohne Ueberlegen: „Nein, Vati, das kann ich nicht! Erlaß es mir und glaube nur, es ist besser so. CS-ist ja nun alles in Ord nung. Frau von Stübnitz wird nichts unternehmen. Durch einen geschickten Brief an sie kannst du das jedenfalls unterbinden. Und ich möchte nicht die verklatschen, die erst nach langem Weigern und nachdem ich tüchtig geweint halte, sich dazu herab, meine Rolle zu spielen, damit ich hicrbleiben konnte, um Lutz Gärtner wiederzusehen." Fritz Wolfram willigte nach längerem Ueberlegen ein. „Gut, lassen wir das Thema fallen. Und jetzt werde ich sofort an Frau von Stäbnitz schreiben." Er schrieb: „Liebe Freundin! Meine Tochter traf ich, wie ich nach dem Telegranim ja erwarten mußte, zu Hause an, und zwar bei bester Gesundheit. Wie sie mir gestand, hatte sie das Schlöß chen überhaupt nur für einen Tag verlaffen, um die Reise zu Dir, liebe Edda, vorzutäuschen. Und warum? Doralies hatte eine heimliche Liebe zu einem jungen Mann, der als Ingenieur im fernen Ausland gewesen. Sie wollte seine bevorstehende Heimkehr nicht ver säumen und deshalb zu Hause bleiben. Der Berliner Aufenthalt patzte nicht zu dem, was ihr Herz wollte. Sie fand nun in Ihrer Not irgendein ihr ergebenes Mädel, das an ihrer Stelle als Doralies Wolfram nach Berlin reiste. Ich erfuhr aber bisher nicht, wer die falsche Dora- lies gewesen, die sich, wie die echte Doralies beteuert, nur schwer und durch Tränen weich gemacht, ihrem Vor schlag gefügt hat. Doralies hält es für eine Art Ehren pflicht, die Helferin nicht noch zum Dank zu verklatschen. Und deshalb bitte ich Dich, Jugendfreundin Edda, vergib meinem verliebten Töchterchen den Streich, zu dem sie sich in ihrer Verliebtheit hinreitzen lieh; ich ver- gab ihn ihr auch. Und, bitte, vergib ebenso der anderen, die gleichfalls fabelhaft leichtsinnig gehandelt. Begraben wir gemeinsam diese Torheit meines . Wildfangs. Ich bitte Dich recht herzlich darum. Bei ver Gelegenheit möchte ich Dir, liebe Edda, gleich mitteilen, daß sich meine Tochter gestern nach meiner Rückkehr mit dem Ingenieur Lutz Gärtner verlobt hat. Seinetwegen hat DoralteS die Unbesonnenheit begangen. Doralies bittet herzlich um Vergebung, und ich schließe mich der Bitte an. Mit vielen Grützen, auch an den Gatten, und schön sten Handkutz Dein alter Freund - . Fritz Wolfram." Als der Brief in Berlin ankam, hatte Otto von Stäb nitz, der berühmte Verteidiger, gerade feinen großen Prozeß gewonnen. Das heißt, er hatte die Mörderin, für die der Staatsanwalt die Todesstrafe beantragt, mit zehn Jahren Zuchthaus durchgebracht; man sprach begeistert in ganz Berlin von der gewaltigen, herzergreifenden Rede des Anwalts, der den Beweggründen der Angeklagten zu der schlimmen Tat in so wunderbar menschlich wahrer und verständlicher Weise nachgegangen. Im Hause Stäbnitz herrschte sehr frohe Stimmung. Und in diese Stimmung hinein kam der Brief aus Mooshausen. Jetzt erfuhr Otto von Stübnitz erst, daß Doralies Wolfram gar nicht er- kältet oben in ihrem Zimmer lag, wie er noch immer ge glaubt, und er schüttelte verblüfft mit dem Kopfe. „Das ist ja eine ganz verrückte Sache, Edda! Ich mutz aber bekennen: wenn das alles eine komische Seite hat — ich möchte keine Tochter haben, die solche Dinge anzettelt." Peter Konstantin, der sich, wie meistens, in Gesellschaft des Ehepaares befand, blickte sehr nachdenklich drein, und meinte: „Ich möchte nur wissen, wer die falsche Doralies Wol fram ist, und wo sie sich jetzt aufhält?" Frau von Stäbnitz machte eine schroff ablehnende Be wegung. , „Wozu? Ich jedenfalls möchte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Ich wünsche ihr nicht, daß sie einmal mit mir zusammentrifft. Ich würde entweder über sie hinweg sehen; als wäre sie Luft, oder ihr, falls sich Gelegenheit dazu bieten sollte, gründlich die Meinung sagen." „Was ich dir nicht verdenken könnte", pflichtete ihr Mann bei, und Peter Konstantin gab ihnen recht. Aber tief drinnen in seinem Herzen tat es ein bißchen Weh, daß man so verächtlich von einer sprach, die ihm gefallen, wie ihm bisher noch kein Mädchen gefallen hatte. Aber er hätte nichts zur Rechtfertigung der falschen Doralies vorbringen können, und deshalb war es besser, zu schweigen. Er, der die Lüge haßte und verdammte, durfte sich nicht schützend vor eine Lügnerin stellen, und er hing auch so sehr von Otto von Stäbnitz ab. Der Berühmte hatte ihn aus mittlerer Anwalts existenz jäh emporgerissen, ihm einen Platz neben sich an gewiesen; den Platz durfte er nicht dadurch erschüttern, daß er für eine eintrat, gegen die Edda von Stäbnitz Groll hegte. Seine Liebe hätte gern nack der falschen Doralies ge sucht; fein Ehrgeiz scheute davor zurück. Die hervor ragende, vielbeneidete Stellung an der Seite des großen, Verteidigers durfte er nicht in G-tahr bringen — das gab sein Ehrgeiz nicht zu. Es war kurz vor Weihnachten. In einem großen Warenhaus der Leipziger Straße Berlins drängten sich die Käufer, aber auch viele Schaulustige befanden sich dar unter. Es war so interessant, an den mit Waren aller Art überreich bepackten Tischen Dinge zu bestaunen, die es hier gab. Riesige geschmückte Tannenbäui^e versetzten die Besucher in die richtige Weihnachtsstimmung. Regina Graven, die sich nach Wochen zum ersten Male wieder mitten in das belebte Berlin gewagt, lauschte fast an dächtig, als ganz in ihrer Nähe eine Schallplatte abgespielt wurde und es in sanftem Chor aufklang: Stille Nacht, heilige Nacht... Sie war mit leicht geneigtem Kopf stehengeblieben. Ihr war in diesem Augenblick besonders wohl und zufrieden zumute. Schon weit hinter ihr lag das, was sie so sehr lange gequält. Sie lebte im Hause Jobst Freeses wie eine gut behütete junge Verwandte und hatte längst an Dora lies den Pelzmantel zurückgesandt und die dreihundert Mart ebenfalls. Sie hatte DoralieS gebeten, sich das zurückgelaffene Gepäck von Frau von Stäbnitz nach Moos hausen senden zu lassen. Doralies hatte daraus Reginas Köfferchen geschickt und ihr geantwortet, daß alles gut an gekommen, ohne daß ihr Vater etwas davon bemerkt, der gar nicht ahne, wer die falsche Doralies gewesen. Jie schri-b auch: „... Ich durfte mich mit Lutz verloben, und es ist nun alles, alles gut. Frau von Stäbnitz ist allerdings ziem lich beleidigt, weil ich eine Stellvertreterin sandte. Sie will die Sache nicht mit Humor auffassen. Das Gepäck von ihr erhielt ich aber. Zum Glück ist ja Berlin groß, und Du wirst ihr wohl kaum dort begegnen..." Regina dachte: Nein, das würde sie wohl kaum. Ueber die Gefahr hatte sie sich allmählich völlig beruhigt. Nun hatte sie Zeit. Landgerichtsdirektor Freese war verreist und würde erst am Abend wiederkommen. Er hatte ihr geraten: „Nützen Sie den freien Tag aus, Regina. Vorschlägen möchte ich Ihnen, nach Berlin hineinzufahren und sich den Weihnachtstrubel zu beschauen. Das stimmt fröhlich, und ein bißchen fröhlich-r dürften Sie schon werden! Sie war seinem Rat gefolgt. Da es nicht besonder- kalt draußen war, hatte sie ihr KäNS SIM angezogen und darüber «« kMjeSKNmmer- jäckchen, von dem die Verkäuferin behauptete, es sähe wie Persianer aüS. DaS Jäckchen mußte den schönen grauen Pelzmantel ersetzen, den sie DoralteS zurückgeschtckt. Aber sie sah wirk- ltch sehr hübsch und elegant darin aus, und manche- Männerauge betrachtete interessiert die ganz in den GenG des Weihnachtsliedes versunken Dastehende. Plötzlich fuhr Regina zusammen. Eine Hand hatte sich auf ihren Arm gelegt, und als sie aufschaute, sah sie m ein lachendes Jungmädchengestcht. Ein vergnügter Mund grüßte: ' , „Wie nett, daß wir uns treffen. Ich habe Sie nämlich« nicht so vergessen, wie Sie scheinbar mich! Kommen Sie, Fräulein Wolfram, wollen zusammen ein bißchen durch das Warenhaus bummeln." Regina war vor Schreck wie erstarrt. Sie vermochte nicht gleich zu antworten. Das frische Mädel lächelte: „Kennen Sie mich etwa immer noch nicht wieder? Frau von Stäbnitz brachte Sie doch einmal mit zu meinen Eltern und lud mich dann zu sich ein. Wir zwei Habens uns beide Male ausgezeichnet und nett unterhalten, und vor allem, ganz offen, ich schwärme geradezu für Sie, weil Sie die Tochter des von mir am meisten verehrten Romanschriftstellers sind." Regina überlegte geängstigt. Was sollte sie tun? Sollte sie erklären: Sie müssen sich irren. Ich kenne weder Sie, noch eine Frau von Stäbnitz! Aber sie brachte es nicht über die Lippen und schwieg noch immer. Die andere lachte vergnügt. „Ich bin natürlich kein so markantes Menschenkind wie Sie, das man sich leicht merkt; ich bin Dutzendware. Also falls Sie sich nicht mehr an mich erinnern, stelle ich mich vor: Ich bin Irma Hoff, neunzehn Jahre alt, jüngste Tochter von Bantdirektor Hoff, Kurfürstendamm. Sie würde ich unter Tausenden herauskennen. Sie kann man gar nicht verwechseln!" Regina entschloß sich zur Antwort. Sie wagte es diesem lebhaften Persönchen gegenüber gar nicht, sich zu stellen, als wäre sie eine Fremde. „Ich kenne Sie natürlich, Fräu lein Hoff!" gab sie zurück. „Ich freue mich, Sie zu sehen." Das genügte Irma Hoff vollständig. Regina hatte nun erklären wollen, sie hätte leider keine Zeit mehr, aber dazu ließ sie die Lebhafte gar nicht kommen. Sie zog sie vorwärts. „Bitte, kommen Sie mit. Wir müssen zusammen eine Tasse Kaffee und ein paar Mohrenköpfe genehmigen und ein bißchen schwatzen. Ich lade Sie ein." Regina war nicht fähig, sich zu wehren. Sie fühlte wohl, das einzig Nichtige wäre gewesen, sich unter einem Vorwand so schnell als möglich zu entfernen, aber sie war zu betäubt dazu. Ihr fehlte die Entschlußkraft. Und so saß sie denn bald daraus an einem Tischchen des Er frischungsraumes und hatte eine Portion Kaffee vor sich und zwei Mohrcnköpfe, von deren Schokoladenhaut man nichts sah vor lauter dicker, schneeweißer Schlagsahne. Irma Hoff plauderte lebhaft, merkte gar nicht, wie schweigsam die andere war. Sie berichtete eifrig, was sie alles am Christabend den Eltern, Geschwistern, Ver wandten und Freunden schenken wollte. Sie fragte: „Reisen Sie nach Hause, oder bleiben Sie über Weih nachten bei Frau von Stäbnitz?" Regina dachte: Nun mußte sie wieder lügen, aber es ging doch nicht anders. Sie antwortete: „Ich reise morgen früh nach Hause!" „Wie schade!" entfuhr es Irma Hoff. „Ich hätte Sie gern an einem Wcihnachtsfeiertag eingeladen. Aber jetzt erzählen Sie mir, bitte, von Ihrem Vater. Was hörten Sie von ihm? Geht es ihm gut?" Sie wartete keine Ant wort ab, faßte Reginas Rechte. „Bitte, wenn Sie nach Hause kommen, grüßen Sie ihn recht sehr von mir und bestellen Sie ihm, unsere ganze zahlreiche Familie liest seine Romane mit Begeisterung. Ich aber bin von allen die Begeistertste." Sie sah auf, ließ Reginas Hand los und winkte leb haft nach einer Richtung, rief fröhlich: „Hierher, gnädige Frau! Hierher!" Im nächsten Augenblick schon standen Frau von Stäb nitz und Peter Konstantin am Tisch. Beide grüßten, beide reichten nur Irma Hoff die Hand, aber das fiel Irma Hoff nicht auf — auch nicht, daß sich zwei Augenpaare fest- saugten an Regina Gravens jetzt sehr blassem Gesicht. Irma Hoff lachte harmlos: „So trifft man sich in der Millionenstadt! Aber natür lich, so ein Warenhaus ist der reinste Stelldicheinplatz. Ich schleifte Fräulein Wolfram, die ich unten traf, hierher. Selbstverständlich haben Sie sich hier zusammen verab redet." Sie schob die Stühle zurecht. „Nicht wahr, Sie setzen sich beide zu uns, und ich darf noch ein Weilchen bleiben?" Zu.Reginas Entsetzen nahm Frau von Stäbnitz wirk lich Platz und Doktor Konstantin ebenfalls. Frau von Stäbnitz sagte in anscheinend leichtem Ton, aus dem aber Regina Graven deutlich die Schärfe heraus hörte: „Ich hatte keine Ahnung, daß Doralies Wolfram heute auch hierher gegangen ist, sonst wäre ich nicht gekommen." Irma Hoff nickte verstehend: „Natürlich! Keiner möchte gern, daß der andere weiß, was man einkauft. Vor Weihnachten hat man immer Ge heimnisse." Sie überlegte: „Aber bei Ihnen kommt das doch gar nicht so genau darauf an, weil Fräulein Wol fram, wie sie mir erzählte, schon morgen nach Hause fährt." Frau von Stäbnitz warf Regina einen ganz seltsamen Blick zu. - — (Fortsetzung folgt.),