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Veilas« Z«r „WeiHeritz-Leitung" Mittwoch, am 5. September 1934 Nr. 207 100. Jahrgang Die Schlacht an -er Marne Jas MMgms eines falschen Befehls: Siegreiche KWM Armeen werden WMgenommen Gleich dem gigantischen Flügel einer riesenhaften Wind- nühle schwenkte die deutsche Front um ihren Drehpunkt Metz durch Belgien und Nordfrankreich herein. Besonders sie drei deutschen Armeen des rechten Flügels, die erste ,nter Generaloberst von Kluck, die zweite unter General- »berst von Bülow und die dritte unter Generaloberst von Hausen wälzten sich wie Lawinen durch das kämpfende Feindesland, schwemmten über die Festungen hinweg, und »rachen durch alle Verteidigungslinien, in denen der wei hende Gegner sich immer wieder sammelte. Jeder neue Lag brachte neue Siegesmeldungen, nannte eroberte Fe stungen, gewonnene Schlachten, meldete Deuteziffern, 'chil- »erte die unfaßbaren Marschleistungen und das jubelnde korwärtsstürmen der herrlichen Truppen. Die äußerste Flü- zelarmee Kluck zielte senkrecht auf Paris, doch wirkte sich ichon unterwegs die Verwässerung der Schlieffenschen Idee verhängnisvoll aus. Es fehlt dem stark sein sollenden rech ten Flügel an Kräften, um die Front beliebig zu dehnen. Schließlich verkürzte sich mit fortschreitender Schwenkung die Reichweite des starken deutschen Arches immer mehr, so daß die Faust nicht mehr auf Paris emschmetterte son dern östlich davon vorbei hieb! Kluck war zu dieser Stunde der Nachbararmee Bü lows um einen Tagesmarsch voran. Schwenkte er auf Paris ein, so riß die Verbindung zum Ganzen ab. Marschierte er aber südwärts weiter, so blieb der größte Wasfenplatz der Welt, für den Paris damals galt, als ständige Lebensbe- drohung in seiner Flanke. In diesem kritischen Moment eines schwerwiegendsten Entschlusses traf ein strikter Befehl aus Luxemburg ein: Kluck habe im innigen Anschluß an Bülow um einen Tagesmarsch rückwärts gestaffelt die Flankendek- kung der ganzen Front gegen Paris zu bildenl Das bedeutete für Kluck nichts weniger, als die Ver folgung der geschlagenen englischen Armee aufzugeben und den greifbar werdenden Siegespreis fahren zu lassen. Kluck stand mitten in den Ereignissen und glaubte die Sachlage besser zu übersehen als das Hauptquartier, das nichts aus eigener Anschauung kannte. Er war deshalb nicht geson nen, um eines Phantoms willen, wie. sich ihm die Bedro hung aus Paris darstellte, den Schlachtenerfolg aus der Hand zu geben. Er ließ Paris Paris sein und marschierte an ihm vorbei, den Engländern nach, einen Tagesmarsch voraus, um die geplante Einkreisung der Feindesheere ein zuleiten, sie vom Stützpunkt Paris abzuschneiden und im Verein mit der übrigen Front in die Schweiz zu werfen! Noch am kritischen 5. September ergab die Luftaufklä rung ans der ganzen Linie ein übereinstimmendes Bild vom fortgesetzten feindlichen Rückzug auf die Seine zu. Nur an Klucks äußerstem rechten Flügel, dem äußersten Punkt der gesamten .Heereslinie überhaupt, stellte Kavallerie Be wegungen aus Paris fest. Der Kommandeur des Flügel korps, IV. Res.-K., General von Gronau, entschloß sich des halb zu einer scharfen Rekognoszierung und schwenkte ^egen Paris ein. Kurz daraus entwickelte sich nördlich von Meaux ein heftiges Gefecht, das um 20 Uhr 30 nachmittags bereits den Einsatz beider Divisionen erforderlich machte. Obwohl diese Kampfhandlung abseits der Marne stattfand und als örtliche Aktion betrachtet werden muß, so war sie doch der Auftakt zur gewaltigen Entscheidungsschlacht. Sie war der Beginn der Schlacht an der Marne! Sie IMschea kommen! Noch in den letzten Augusttagen muß Poincarö erfah ren, daß die Feldarmee die Hauptstadt preisgibt, muß der Kriegsminister Kenntnis davon nehmen, daß Paris über ¬ haupt nicht verteidigungsfähig ist, daß seit der Kriegserklä rung weder ein Spatenstich getan, noch eine einzige Kanone in Stellung gebracht wurde, ja, daß in dem größten Waf fenplatze der Welt an Truppen nichts vorhanden ist als die Fnedensgarnisonl Der Kriegsminister demissioniert. Das Kabinett stürzt. Clemenceau brüllt eine halbe Stunde lang mit allen Lchimpfworten, an denen die französische Sprache jo reich ist, auf Poincare ein. „Sie sind ein Lügner, Herr Präsident —" „Sie sind toll . . ." stammelt dieser fassungslos dage- zen. Die Regierung beschließt zu fliehen. Der Goldschatz der Lank von Frankreich wird in Züge verladen, allein 60 Waggons füllen die ungezählt in Säcke gestopften großen French bekommt einen hochroten Kops und stößt seinen! Stuhl zurück: „I will do all my possible!" Es ist das dieselbe Phrase, wie das berühmte: „I am so sorry —", das zu nichts verpflichtet. Der Dolmetsch zögert einen Augenblick und übersetzt: „Der Herr Marschall hat zu gestimmt!" Iossre eilt leichten Herzens weiter zur rechts davon an schließenden 5. Armee des Generals Franchet d'Esperey, die sich Bülow gegenüber befindet, und noch weiter nach rechts zu Foch, dessen 9. Armee Hausen gegenüber steht. Der Be fehl zum Angriff ergeht. Die beiden Armeen greifen auch tatsächlich im Vertrauen aus die englische Mithilfe an — und werden geschlagen. French hat sein „möglichstes" getan und keinen einzigen Mann in Gang gesetzt, keinen einzigen ? mß abgefeuert! Dabei brennt die Schlacht auf der ganzen Deutsche AuMeungskavarleeLe seht vor Banknoten. Die Notenpresse wird zur Sprengung vorbe reitet. Flieger- und Zeppelinbomben krachen in die Häuser und erhöhen die Panik. General GalliSni, der neue Gouver neur von Paris, rafft an Truppen zusammen, was er in der Eile finden kann, um wenigstens die unmittelbar be drohte Nordostecke der Festung zu besetzen, requiriert Ar beitskräfte, um zumindest Andeutungen von Schützengräben ausstechen zu lassen und fährt schließlich die ältesten Kali ber an auftreibbaren Kanonen in Stellung, damit nur eini germaßen eine Verteidigungsfähigkeit geschaffen wird. Trotzdem muß er offen zugeben: „Nur ein Wunder kann Pans retten!" Um Frankreich zu retten, traf auch Generalissismus Joffre verzweifelte Anstalten. Der kurze Traum von Mühl hausen, der grandiose Offensioplan Nr. 17, Einmarsch in El- saß-Lothringen, Vormarsch zum Rhein, war längst abge- ' blasen. Dennoch verfügte Joffre über Vorteile. Er befand sich auf der „inneren Linie", die ihm Handlungsfreiheit gab und verfügte über vorzügliche Eisenbahnverbindungen, welche es ihm ermöglichten, aus den Massen bei Belfort Ver- stärkungen nach Paris zu werfen. Auch spornten drakonische Befehle die Armeeführer zu offensiven Taten an. „Schmeißt die Tattergreise aus der FührungI" Selbst kommandierenden Generälen drohte Füsilierungl > Trotzdem wurden diese dauernd geschlagen. Schon war Ver dun zum Teil umklammert.. Es ging drunter und drüber. Angriffe mit Truppen wurden besohlen, die zur Zeit noch auf der Bahn rollten und gar nicht zugegen waren. Auch war das Heer durch die dauernden Rückzüge demoralisiert. Ein Korpskommanoant meldet fast weinend vor Wut. daß ein frisch eingesetztes Regiment blindlings ausriß, als die Tete deutsche Patrouillenreiter erblickt! Zu alledem war Mar schall French mit den Trümmern des englischen Expeditions heeres in flottem Rückmarsch, und hatte nicht die Absicht, sich noch länger für Frankreich abschlachten zu lassen Sie Engländer wollten alcht mehr Joffre verdoppelte sich. Er raste im Auto von Stab zu Stab. Jetzt hieß es Paris retten, galt es, Kluck zum Stehen und French zum Vormarschieren zu bringen. Als Jofsre nach Melun eilt, kommt der Wagen nicht weiter. Alle Straßen sind von rückflutenden Truppen blockiert. Auf den Chausseen herrscht ein unentwirrbares Chaos ineinandergekeilter Trainkolonnen, durch welche sich fluchende Truppenteile durchwinden. Der Generalissimus braucht Stunden, bis er endlich Melun und damit das Hauptquartier Frenchs er reicht. Dieser winkt müde ab. Er will hinter hie Seine zurück und mindestens 8 Tage ausruhen. Beide können nur mit tels Dolmetscher miteinander sprechen. Joffre haut die Faust auf den Tisch: „Wir greifen morgen an, egal, ob ihr Eng- länder mitmacht! Es ist dies Sache eurer Ehre, den Bundes genossen im Stich zu lassen — Linie fort. Zugleich werden aus Paris ausfallende Truppen der eben in Neubildung befindlichen 6. französischen Armee vom 4. Res. Korps Gronau blutig heimgeschickt. Deutschs Reiterpatrouillen kommen auf 10 Kilometer heran und se ien das schlanke Eisengerüst des Eiffelturms. Kluck kann, wenn er will, glatt in Paris einmarschieren. Das erwarten auch die Franzosen, damit rechnet GaMni, das fürchtet Joffre, weiß jedermann in Paris. Bei jedem Pferdegetrap pel fliegen die Köpfe erschreckt herum. Panik lauert in allen Straßen, und von der Peripherie bis zum Quai d'Orsay gellt ein einziger Schrei: Die Deutschen kommen! Sie 2«»» Lari von Paris Die ganze Marne entlang donnern und toben die Kano nen. Aus 250 Kilometer Frontlänge prallen Vorstoß und Gegenoffensive aufeinander. Bloß um Paris liegt fast un heimliche Stille. Die Stadt erwartet Kluck. Sie ist bereit zu kapitulieren! Da platzt eine Fliegermeldung herein: de» Generalstäbler reicht sie mit zitternder Hand GaMni hin. Dieser liest die kurzen Zeilen und staunt fassungslos in di» gespannten Gesichter seines Stabes: „Das ist doch unmöglich!" Eine zweite Meldung bestätigt die erste. GaMni stürzt wie rasend an das Telefon und stammelt die Nachricht. Am andern Ende des Drahtes ruft Joffre ebenso verblüfft: „Aber, das ist doch ausgeschlossen!" Aber das Wunder hat sich tatsächlich vollzogen! Kluck .arschiext an Paris vorbei, nach Meaux! Paris ist gerettet! G.Mni erfaßt den Augenblick. Alles Erraffbare, aller was eben von der übrigen Front in Eiltransporten einlangt, wird zulammengeballt und in den Rücker, des vorbeimar- schirrten Kluck dirigiert. Das Kavallerie-Korps General Sorbet holt zu Siner weiten Umgehung über Nanteuil aus. Man male sich aus, was 16 Reiterregimenter im Rücken einer Armee für Unheil anrichten könnenI Das ist aber Gal- liLni noch zu wenig. Kluck muß vernichtet, die ganze Zeutsch« Front aufgerollt werden. Es müssen Truppen über Trup pen hingeworfen werden ebenso schnell wie die ausreitende Kavallerie, wenn diele nur einmalig gegebene Chance wirk- lich ausgenützt werden sollt Aber niemand weih, wie dies geschehen kann. Da schleudert ein subalterner Generalstäb ler den zündenden Gedanken in die allgemeine Ratlosigkeit: „Die Taxi, die 2000 Taxi von Paris!" Im Handumdrehen sind diese Droschken requiriert. Um Mitternacht schon fahren 2000 bis obenauf mit Benzin ge füllte Autos in Kolonnen zu hundert zum Bahnhof, wo gleichzeitig die Transportzüge aus Belfort eintreffen. Un mittelbar von der Rampe weg steigen die Infanteristen zu fünft in die Droschken über und werden in sausender Fahrt in die Nacht hinein gefahren. Die Batterien traben