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2j Nachdruck verboten. DoralteS wiederholte, weil ihr Vater zu lange schwieg: „Ich bleibe hier! Ich will nicht fort von dir!" Fritz Wolfram machte eine beschwichtigende Be wegung mit der Hand. „Nicht so stürmisch, Wildling! Du mußt dich in die Trennung finden. Vorausgesetzt, Frau von Stübnitz will dich bei sich aufnehmen, was ich aber kaum bezweifle. Uebrigens bleibe ich auch nicht hier. Ich wollte schon lange mal wieder ein bißchen in die Welt hinaus und beabsichtige, gleich nach dir aufzubrechen. Nach Afrika hin über. In Tanger wohnt ein lieber Freund von mir. Ich will dort Studien machen für meinen neuen Roman. Ich schreibe »och heute an Frau von Stübnitz und bitte um telegraphischeAntwort. Triff immer deine Vorbereitungen, und wenn du noch etwas nötig hast, dann jage cs, dann wird es angeschafft. Was dir nicht sehr nötig fehlt, kauft vir Frau von Stübnitz in Berlin." Doralies schluchzte auf: . ' „Das kann doch nicht dein Ernst sein, Vati! Ich will doch nicht weg! Und ich kann auch nicht weg!" Er trat auf sie zu, legte leicht und behutsam den Arm um ihre Schultern. „Wer wird so erregt sein über ganz harmlose Dinge?! Du hast den Blick ganz falsch eingestellt, Kind. Was ich wünsche, geschieht doch nur zu deinem Besten. Du mußt einmal in andere Verhältnisse, wo du erkennst, daß, wenn du auch hier in Mooshausen wer bist, doch auch anderswo Menschen leben, damit du begreifen lernst: cs darf nicht jeder tun, was ihm paßt. Ich erinnere dich nur daran, wie du beim Sommerfcst im Kasino alle jungen Leute, die beim Pfänderspiel nicht über die von dir zu hoch gespannte Schnur zu springen wagten, laut .Feige Bandel' titu liertest, und dem Kutscher Schnödcrhahn, weil er seinen Wagen zu voll geladen, so daß ihn das Pferd nicht ziehen tonnte, gleich die Peitsche weggerissen hattest und auf ihn losschlugst. Du sorgst seit Jahren für die Unterhaltung dcr Mooshausener Kaffeekränzchen und Stammtische. Jetzt soll da mal Schluß gemacht werden, mein liebes Kind. Ich habe zuviel geschrieben, mich in einer Be ziehung nicht so um dich kümmern können, wie ich es hätte tun müssen, und das soll jetzt nachgeholt werden. Als feine, weltgewandte junge Dame wirst du nach einigen Monaten zurückkommen." Doralies entzog sich dem Vater. „Du bist herzlos! Ich will doch nicht weg!" Sic stampfte mit dem Fuß auf: „Will, will, will nicht weg!" Er wandte sich ab. „Du beweist durch dein Benehmen nur, wie richtig mein Entschluß ist. Geh jetzt, Doralies! Ich werde gleich an Frau von Stübnitz schreiben." „Wirst ja sehen, was aus der Geschichte wird, wenn du so dickköpfig bleibst, Fritzchen!" platzte sie heraus, und dann verschwand sie, nachdem sie das Dolchmesser, das sie noch immer in der Hand gehalten, derb auf den Tisch ge worfen. Der berühmte Mann sah ihr kopfschüttelnd nach und dachte, ob er Edda von Stübnitz überhaupt zumute» durfte, sich mit der ungebündigten und unberechenbaren Doralies zu befassen. Ganz reibungslos würde das wohl kaum ab gehen. Er nahm an seinem Schreibtisch Platz und stützte den Kopf in beide Hände. Vielleicht war es gescheiter, das Experiment zu unterlassen, Doralies hierzubehalten und selbst auch hierzubleiben. Aber nein, das wäre töricht; danach würde ihm Doralies erst recht auf der Nase Herum lanzen. Darauf durste er es nicht ankommen lassen, und außerdem — die Afrikareise reizte ihn. Er war seit vielen Jahren nicht mehr sehr weit von daheim fort gewesen. Wie eine Vision stieg Algier vor ihm auf. Er glaubte Moscheen zu sehen, Palmen senlten tief die Wedel; in weichen Wüstensand versank sein Fuß. Er hatte nach langen Jahren wieder Fernenweh, und er mußte es heilen, weit draußen in der Welt. Er ließ die Hände sinken und stand aus, setzte sich an da- Tischchen, das die Schreibmaschine trug, spannte einen Bogen ein und schrieb mehrere Seiten voll. Edda von Stäbnttz sollte genau wissen, was er von ihr wünschte, und deshalb mußte er ihr Doralies auch vorher bis in die kleinste Charattereinzelheit schildern. - * „HänSchen, romm schnell mit in meme Zimmer!' DoralteS stand in der Küchentür und riß die gute Frau Hensel auS einer Jnstrukttonsstunde, die sie dem kleinen Dienstmädchen gab, das sich nur tagsüber hier im Hause aufhielt. Willig folgte die mollige, grauhaarige Frau mit dem etwas derben, aber gutmütigen Gesicht ihrem Lieb- ling. Schon auf der Treppe fragte sie angstvoll: „Was ist denn nur, DoralteS?" Sie erhielt keine andere Antwort als ein dumpfes Stöhnen, das sie erst recht beunruhigt«!. Endlich waren die Räume erreicht, die DoralteS bewohnte. Im zweiten Stock drei Zimmer, eins immer hübscher als das andere. l, Doralies zog ihre Vertraute in das Schlafzimmer. Weiße Lackmöbel gab eS hier, mit Grün abgesetzt, Weiße Mull gardinen mit riesigen grünen Kleeblättern, einen breiten Teppich in Grün mit rosigen Blumen und ein weißes Bett mit grünseidener Steppdecke. Der Länge nach warf sich Doralies auf das Bett und erzählte mit dumpfer Stimme, als bezichtige sie den Vater einer finsteren Tat, daß sie fort solle für Monate nach Berlin zu Frau von Stäbnttz. Berta Hensel kniff die kleinen Augen ein; sie taten ihr plötzlich weh und sie sagte leise: „Dein Vater wird sich das noch sehr überlegen. Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Er hat heute seinen schlechten Tag." Doralies schluckte. „Ich fahre auf keinen Fall nach Berlin!" Berta Hensel zuckte die Achseln. „Wenn's deinem Vater damit Ernst ist, wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben, Doralies." Doralies richtete sich ein wenig auf und antwortete, jede Silbe betonend: „Mag es ihm die ernsteste An gelegenheit der Welt sein — ich werde nicht gehen." Sie ließ sich wieder zurückfallen, lag nun mit fest geschlossenen Augen da. Sekundenlang rührte und regte sie sich nicht. Frau Hensel bekam es mit der Angst zu tun. Wenn Doralies nicht gerade schlief, pflegte sie nie so still zu liegen. Fast unheimlich wirkte die Regungslosigkeit auf die Frau. Sie fragte ängstlich: „Fehlt dir etwas, Doralies?" Die schlug die Augen auf, die großen wunderschönen Braunaugen, und machte eine Bewegung der Abwehr. „Nachgedacht habe ich, Hänschen!" Sie schloß wieder die Äugen, murmelte: „Ich muß einen Ausweg finden, damit ich hierbleiben kann, wenn es diesmal, wie eS scheint, wirtlich zum Aeußersten kommt." Plötzlich sprang sie hoch, ihre Augen leuchteten, und der hübsche, kecke Mund saß ganz übermütig in dem weichen Gesicht. „Ich habe es!" jubelte sie. „Jetzt bin ich gerüstet." Sie umfaßte die grauhaarige Fran. „Hänschen, wir brauchen uns nicht trennen, wir bleiben zusammen, und wenn Vati wegreist nach Afrika, werden wir beide hier äußerst ge mütlich zusammen Hausen. Fein wird das!" Sie lachte. „Ich habe doch immer glorreiche Ideen!" Die Wirtschafterin sah ein bißchen bedenklich aus. „Ehrlich gestanden, traue ich deinen glorreichen Ideen nicht so ganz, Doralies." Das blonde Mädel strahlte über das ganze Gesicht. „Wenn du mir treu beistehst, Hänschen, muß alles gut gelingen. Und nun paß mal auf — jetzt erkläre ich dir die Sache, und nachher wirst du davon gerade so begeistert sein wie ich." Sie drückte Berta Hensel auf einen Stuhl nieder und hockte sich mit verschränkten Beinen auf den Bettrand. Sie warnte: „Keinen Ruf des Erstaunens von dir geben, Hänschen! Vati könnte an der Tür Vorbeigehen, trotzdem er wohl kaum hier 'raufkommt. Wollen ganz leise sprechen, besser ist besser." Sie bog den Kopf ein wenig vor und begann gedämpft und eifrig auf die Frau einzureden, die aber schon nach wenigen Sätzen lebhaft abwinkte und trotz der Warnung vorhin ziemlich läut sagte: „Bitte, halte ein, DoralteS — du kannst doch nicht im Ernst daran denken, solchen Unfug in Szene zu setzen. Ich mache sowas auf keinen Fall mit. Also mit meiner Hilfe brauchst du nicht zu rechnen." Sie schüttelte den Kopf. „Es ist nicht zu glauben, was dir immer für Unfug einfällt." Doralies zog leicht die Brauen hoch, und das war bei ihr stets ein Zeichen von Unzufriedenheit. „HänSchen, nimm dich ein bißchen zusammen und höre mich ruhig bis zu Ende an. Mußt nicht so vorschnell urteilen." Sie holte tief Atem. „Also, Henselchen, mach' mir keinen Kummeri Du hast mich doch lieb, und ich möchte nicht daran zweifeln müssen. Höre jetzt aufmerk sam weiter zu." Sie sprach wieder eifrig auf Frau Hensel ein, die sie mehrmals unterbrechen wollte, waS ihr aber nicht gelang. So mußte sie DoralteS denn reden und sich genau und ausführlich einen Plan erklären lassen, der ihr wie ein toller Karnevalsscherz erschien, und den sie beim besten Willen nicht ernst nehmen konnte. Endlich war Doralies fertig uni blickte nun die Aeltere abwartend an. Frau Hensel verzog den Mund. „Etwas Unmöglicheres als das, WaS du dir ausgeheckt hast, gibt es nicht mehr. Ra, ich verbrenne mir nicht die Finger daran, und dir rate ich, nicht weiter darüber nach zudenken.' Sie erhob sich. „Und jetzt muß ich in die Küche." DoralteS schnellte wie eine Feder hoch. „Du bleibst noch, Hänschen, die Geschichte muß doch durchgesprochen werden. Und vor allem, sie muß erst mal in deinen Kopf 'rein. Du sollst mich verstehen, sollst mich begreifen und zugeben: eS wird alle» gut verlausen, wenn die paar Beteiligten den Mund halten und frisch und mutig an die Sache Herangehen. Deine Rolle ist außer- Mi dem ganz leicht. Viel mehr als den Mund zu halten! brauchst du ja nicht." Sie streichelte die rotgeäderten Wangen der allzeit Getreuen. „Oder möchtest du mich eine Weile loswerden? Liegt dir daran?" Sie wußte genau, mit welcher Hingebung die Frau an ihr hing, und war überzeugt, nun hatte sie in ihr eine empfindliche Stelle berührt. Aber der Erfolg war nicht der erwartete. Frau Hensel murrte: „Du weißt schon, wie du mich ktrremachen kannst! Aber hast dich diesmal geirrt, DoralteS. So Weh es mir auch wäre, wenn du monatelang fort von hier müßtest, lasse,ich mich doch nicht auf solchen Schwindelschnack ein. Uebrigens kannst du sicher sein, Regina Graden lacht dich aus und erklärt dich für verrückt, wenn du bet ihr mit deinem Plan 'rausrückst." Doralies schüttelte den Kopf. „Bewahre, mit Gina werde ich bestimmt einig, und mit dir muß ich's auch werden." Sie machte ein paar Schritte durch das Zimmer, blieb vor der Wirtschafterin stehen; ihre Augen, die eben noch beinah übermütig ge funkelt, hatten mit einem Male einen seltsam tiefen Blick, und die Helle Stimme zitterte ein wenig, als sie bekannter „Ich will ja nicht aus Trotz hierbleiben, Henselchen, nicht aus Eigensinn oder übertriebener Sentimentalität. Sv sehr ich an unserem Nest und am Schlößchen hänge, des- halb wäre ich doch ganz gern für ein paar Wintermonate nach Berlin gesockt. Ich hätte mich bei Frau von Stübnitz wahrscheinlich doch bald ganz unmöglich gemacht und wäre dann schnellstens wieder zurückgekommen. Nein, Hans- chen, der Hase liegt ganz woanders im Pfeffer. Und wo, das will ich dir auch anvertrauen." Noch leiser wurde die Stimme. Nur noch wie ein Hauch glitt es in Berta Hensels Ohr: „Lutz kommt bald! In zehn bis zwölf Tagen; seine Mutter hat es mir letzthin erzählt." „Lutz kommt?" klang es als fragendes Echo zurück. Doralies nickte eifrig und bestätigte mit jubelnden« Unterton in der Stimme und diesmal ganz unvorsichtig laut: „Ja, denk nur, Lutz kommt!" Einen Augenblick verharrte die Frau schweigend, dann sagte sie zögernd, als geschähe es gegen ihren Willen, als handle sie unter einem Zwange: „Ja, wenn Lutz kommt, ist das natürlich wohl was anderes." Doralies atmete sehr laut und befriedigt auf. „Ich wußte ja, daß du mich verstehen würdest." Sie sahen sich beide an und lächelten. Berta Hensel wurde gleich wieder ernst: „Trotzdem, Doralies — es geht nicht, ich kann nicht mithelfen." Doralies hatte plötzlich Tränen in den Augen, und langsam zogen die ersten glitzernden Tropfen groß und wichtig die weichen Wangen hinunter. Ein Anblick, der Frau Hensel durch und durch ging. Doch blieb sie äußer lich noch fest, innerlich hatte sie schon nachgegeben. Doralies schluchzte auf: „Wenn ich Lutz nicht sehen soll, stelle ich irgend was ganz Schlimmes an, und du wirst dann deine Dickköpfigkeit schwer bereuen. Ich muß Lutz sehen; ein ganzes Jahr war er weg, da drüben in Indien beim Brückenbau, und nun hat er drei Monate frei. Und als er wegging, hat er gesagt: .Wenn ich wiederkymmen werde, will ich dir's genau sagen, wie gut ich dir bin — jetzt bist du noch zu jung für die Liebe.' Und — dann — hat er mich — geküßt, Hänschen — und dann ist er fort gelaufen, so schnell, als ob er verfolgt würde. In unserem Park war es, ganz hinten an der Mauer, und der Sommer ging zu Ende. Lutz sprang über die Mauer, ich habe ihn dann nicht mehr gesehen; er reiste noch am selben Abend ab. Seine Mutter hat mir seither oft Grüße von ihm bestellt, ich aber warte seitdem. Jeden Abend, ehe ich schlafen gehe, bete ich'für ihn, damit ihm nichts Böses zustößt so weit da drüben, wo'S so heiß ist und wo es Fiebersümpfe gibt und giftige Schlangen." Während sie sprach, rannen ihr langsam, aber unauf hörlich dicke Tränen über das Gesicht, das einen beinah verklärten Ausdruck trug. Leise bat sie: „Hilf mir hierzubleiben, Hänschen. Die ganze Zeit, länger als ein Jahr, habe ich aus das Wiedersehen mit Lutz gewartet und mich mehr darauf gefreut als ein Kind auf Weihnachten. Und nun soll mir die große Freude zerstört werden, mir und ihm auch." Sie schluckte. „Er muß noch einmal fort, so sehr weit fort, und wenn wir unS vorher nicht sähen, wäre eS doch entsetzlich traurig." Frau Hensel hatte jetzt auch Tränen in den Augen. Den Jamnzer ihres Lieblings konnte sie nicht länger mit ansehen. Sie legte ihr eine Hand auf den Arm, tröstete: „Laß gut sein, Kind! Es wird sich vielleicht doch machen lassen, wie du meinst. Aber ich muß deine Idee erst ein bißchen verarbeiten; mein alter Kopf braucht Zeit dazu." Sie holte ein neues, blütenweißeS Taschentuch hervor und fuhr ihrem Liebling damit sanft über das Gesicht. „Weine nicht mehr, DoralieS, ich verstehe dich — und wenn dich Regina Graven auch so versteht, ist alles in bester Ord nung. Auf mich kannst du dich verlassen, von mir erfährt keiner etwas." Sie saßen dann beisammen und flüsterten, trennten sich wie zwei richtige Verschworene. Frau Berta Hensel schlich sich über die Hintertreppe in die Küche hinunter, während Doralies, laut und vergnügt pfeifend, die Vorder treppe benützte. Sie lies unten ihrem Vater in den Weg. Er lächelte: „Jetzt bist du schon wieder quietschvergnügt? Also hast du dich mit der Reise abgesunden — nicht?" Sie lachte: „Zu Vesehl, Vati — mit der Reise habe ich mich abgefunden." Er nickte: „Dann sind wir ja wieder einmal einig, Wildling!" * . So leicht, wie eS sich Doralies vorgestellt, wurde sie mit Regina Graven nicht einig. Regina wohnte bei einer Beamtenwitwe. Die Möbel ihrer Eltern hatte ihr Vormund, «in sehr nüchtern' denkender Handwerksmeister, Stück für Stück damals ver kauft, als ihr Vater gestorben und man ihm und seiner Frau das Mädchen zur weiteren Erziehung anvertraut« (Fortsetzung sö!gt.)j Mm»»—MMMi