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UrkoberrvcktssLtiutr: 1-üvl 1'urias.VsclsL UMv (Laatv) 21j . Nachdruck verboten. Bei der Mahlzeit pand vor seinem Platze eine Flasche Wein, und als er Tante Maria fragens ansah, nickte sic ihni zu und sagte, wie zur Rechtfertigung: „Mute ist ein froher Tag für uns Seide." Da schenkte er die" Gläser voll, und beide verbrachten eine schöne Stunde. Als er sich später erhob und zum Hut griff, fragte ihn Maria Grovenstahl, wohin er lebt ginge? Leise gab er ihr zur Antwort: „Zum Vater." Draußen, auf dem Friedhof, stand er vor der Gruft der Eltern — stand und hielt stumme Zwiesprache mit ihnen, indem er seinen Gedanken die Freiheit gab, in die Jugend zurückzukehren. Freilich, das Bild der Mutter fand er nicht mehr. Das lag verborgen Hinzer den Nebeln der Vergangenheit, die zu bannen ihm nicht möglich war. Mit dem Vater aber sprach er, als wenn er vor ihm stände. Alle ihm widerfahrene Unbill^prach er von seinem Herzen, aber auch die wenigen Freuden verhehlte er nicht. Auf dem Heimwege traf er mit Lisa Noschwitz ;u- sowW«-n Er erfuhr aus ihren ersten Worten, daß sie ihn ZM H-vjc ausgesucht, aber nicht angetroffen hatte, und daß ü« ihm deshalb entgegengegangen war. Er fragte sie daraus, ob sie ihm eine Botschaft des Bruders bringe? Da nickte sie bejahend. »In, Fritz, ich bringe Ihnen eine solche Botschaft I Aber nicht, wie Sic viclleicht annehmen mögen, eine meines Bruders, sondern — Ihres Bruders!" Fritz Grovenstahl schrak sichtlich zusammen, und un gewollt entfuhr seinem Munde die Frage: „Von Klaus?" Wieder nickte Lisa Noschwitz. „Ja, von Ihrem Binder Klaus!" Da wollte Fritz Grovenstahl aufsahrcn, ihr befehlen, daß sic schweigen solle. Er habe leinen Bruder mehr. Aber er blieb still, konnte unter dem Vorwurf ihrer Worte nicht anders, und so stellte er nur die Frage: „Was haben Sie mir zu berichten?" Lisa Noschwitz blieb stehen und deutete auf einen kleinen Scitcnpfas, der vom Haupiwcgc abzwcigtc und seitwärts in die Felder führte. „Lassen Sie uns diesen Weg gehen. Was wir zu sprechen haben, dürste wohl im Einsamen besser geschehen als unter vielen Menschen. Die Stille wird Ihnen das Verstehen leichter machen... Sie wissen, daß ich für kurze Zeit in der Neichshaupt- stadt weilte?" fragte sie dann, und fuhr, als Fritz Groven stahl bejahte, gleich fort: „Was mir da begegnete, will ich Ihnen erzählen. Um eines aber bitte ich Tie im voraus: Mich während meines Berichtes, den ich so kuP wie mög lich fassen werde, nicht zu unterbrechen, auch wenn er manches Ihrem Empfinden Widersprechende enthalten sollte." Fritz Grovenstahl versprach Gewährung, und Lisa Roschwitz begann, beinah automatisch, zu sprechen. Fühl bar war es, wie sehr sie sich die Worte vorher zurecht- geleg« hatte. „Etwa am vierten Tage meines Aufenthalts in der Reichshauptstadt sah ich zufällig in einer Zeitung die Be kanntgabe eines Konzerts des Pianisten Klaus Groven- stahl. Ich hatte Ihren Bruder Klaus jahrelang nicht ge sehen und beschloß daher, die Veranstaltung zu besuchen. Daß mich zu meinem Tun ein gut Teil Neugierde ver anlaßte, gestehe ich ein. Den Konzertsaal fand ich mäßig besucht. Als Ihr Bruder das Podium betrat — ich saß ziemlich in der Nähe und konnte ihn recht gut betrachten —, wurde es mir zur Gewißheit, daß er krank sei. Als Schwester eines Arztes hat man dafür einen Blick? lieber sein Spiel will ich nur sagen, daß es vor Jahren, als ich ihn das letzte Mal hörte, besser war. Zwar technisch voll kommen, spielte er ohne jede Innerlichkeit, ohne Seele. Es war ein totes Bild, das er .den Zuhörern hinwarf. Das, was seinerzeit bei seinem ersten Konzert so frap- Pierre, das Verstehen, das Mitschwingen der eigenen Seele, fehlte vollkommen. So blieb auch das Publikum gleichgültig. Rach der Pause trat dann der Zwischenfall ein. Ihr Bruder erlitt mitten im Spiel einen Nerven- zusammenbruch. Auf meine Erkundigungen erfuhr ich, daß man ihn in ein Sanatorium gebracht hatte. Ich sprach dort am nach- Pen Tage vor, selbst auf die Gefahr hin, nicht vorgelassen zu werden. Und ich wurde nicht vorgelassen. Erst drei Tage danach fand ich Einlaß und durfte zu dem Patienten. Ich will nicht beschreiben, wie ich ihn antraf; es genügt, wenn ich fage, daß er sich von dem Anfall schon sichtlich erhol« hatte. Mit guten Worten versuchte ich ihm Erleichterung zu schaffen. Aber er nahm sie gleichgültig hin, bis er dann die Frage stellte >- die Frage nach Ihnen. Was er weiter zu mir sprach, wie er, einem mir unverständlichen Impuls folgend, sich alles von der Seele sprach und zu mir wie zu einer Mutter redete, kann ich nicht erzählen. Es ist ja das auch zwischen uns gleichgültig. Eines aber muß ich Ihnen sagen, so sehr ich mich auch scheue, es auszusprechen: Ein Gtoßteil der Schuld, daß aus Ihrem Bruder das wyrde, was er heute ist, liegt bet Ihnen. Versuchen Sie das gut zumachen!' Lisa Roschwltz schwieg und blickte vor sich nieder auf -den Weg. Die schwere Anklage ihrer letzten Worte schmerzte selbst ihr, und sie vermied eS daher, Fritz Grovenstahl anzusehen; sie wußte, wie starr sein Gesicht unter dem Einfluß des Grames wurde. Daß ihre Worte etwas anderes in ihm erwecken konnten, kam ihr gar nicht in den Sinn, oder doch erst dann, als sie ihn voll Spott vor sich hin lachen hörte. „Gestatten Sie eine FrageI Hat Ihnen Klaus auch erzählt, daß ich ihm vor nahezu eineinhalb Jahren schon einmal sagte, was er ist? Sollte er es Ihnen gesagt haben, nun — etwas anderes ist er heute auch nicht." Lisa durchrieselte ein Schauer. Herrgott, welcher Kälte war dieser Mann fähig! Aber sie mußte das einmal Be gonnene zu Ende führen, ganz gleich mit was für einem Resultat. Zitternd begann sie wieder zu sprechen: „Ihr Bruder ist nichts anderes als ein vom Leben zer brochener, unglücklicher Mensch. Von dieser Ansicht werden mich all Ihre versteckten Anspielungen nicht abbringen, auch nicht davon, daß sein Unglück zum Teil Ihre Schuld ist..." Fritz Grovcnstahls Entgegnung war voller Ironie: „Ein tüchtiger Anwalt sind Sie, Lisa Noschwitz, das muß ver Neid Ihnen lassen. Wie wäre cs, wcnn Sie nnn einmal die Beweisführung Ihrer Worte versuchten. Ich müßte mich dann eventuell geschlagen bekennen. Aber so?" Lisa stieg das Blut ins Gesicht. Ueber ihre Stirn flog Zornesrötc: „Fritz, Sie sind der Aeltere nnd sollten deshalb auch der Besonnenere sein. Mit welchem Recht verdammen Sie Ihren Bruder? Was lai er Ihnen? Warum wiesen Sic ihn auS dem Hause? Wissen Sie, saß Sie ihm damit de» letzten Halt nahmen und ihm statt Brot Steine reichten?" „Er wollte es nicht anders", brauste Fritz Grovenstahl aus. „Mit einem Wortbrüchigen habe ich nichts gemein." Nun war es Lisa Noschwitz, die lachte, bitter lachte. „Sie sind ein Pharisäer, Fritz Grovenstahl, ein Egoist, der die Mängel seiner Mitmenschen mit harten Worten tadelt, um seine eigene Ehrbarkeit hervorzuhcben und mit ihr zu prahlen. Noch ist Ihr Bruder nicht wortbrüchig, und wenn er es wird, ist auch dieses Ihre Schuld. Sie haben ihn damals, als er kam, um sich Ihnen anzu- venraucn, bei dem ersten Anlaß, der Ihnen nicht paßte, von sich gewiesen. Weil er ein gegebenes Versprechen nicht halten wollte, haben Sie ihn einen Lump geheißen, ohne ihn vorher nach den Gründen seines Tuns zu fragen. Qhne seine Rechtfertigung, seine Entschuldigung ab- zuwartcn, haben.Sie ihn verurteilt. Sie wissen nicht im geringsten, was ihn veranlaßte, so handeln zu wollen, trotzdem Sie, als gereifter Mann, sich wohl denken konn ten, was vorlag. Nämlich, daß Klaus in den Händen eines raffinierten Weibes nichts anderes als ein willenloses Spielzeug mar. Ein wenig vernünftiges Nachdenken hätte Sie darauf gebracht. Statt dessen aber haben Sie den eisernen Mann herausgekehrt und iamit alles verdorben. Jetzt beanspruchen Sie gewiß noch mein Zugeständnis, daß Sie gerecht gehandelt haben?" Sie atmete tief auf und riß den niedrigen Filzhut vom Kopfe. Dann kam noch die knappe Frage: „Sind Ihnen das Beweise genpg?" Jetzt scheute sie sich nicht, ihn anzublicken, aber er wich ihren zornleuchtenden Augen auS. In sein Gesicht war der Kampf seines Innern geschrieben. Da ließ sie ihm Zeit und schwieg. Eine halbe Stunde schritten sie so einher, immer an den Feldern entlang. Die Sonne war schon im Unter gehen und warf einen letzten Schein über das verblassende Laub. Ueber den Wiesen begannen die Nebel zu wallen, und wenn es dem schwachen Wind gelang, einen Fetzen davon loszureißen, trieb er ihn vor sich her, bis er sich in ein Nichts auflöste. Das alles nahm Fritz Grovenstahl nicht wahr. Auto matisch ging er einen Schritt nach hem anderen, ohne sich bewußt zu sein, wohin ihn der Weg führte. Alles das, was er von Lisa gehört hatte, war schon längst entschieden. So unklar ihm noch alles schien, war doch das Urteil schon gesprochen. Er hatte unrecht. Nicht genug! Er hatte unrecht getan! Zwar, warum er unrecht hatte, verstand er nicht; aber sein Herz sagte eS ihm, und er glaubte es. Er wollte auch tun, was es ihm vor schrieb, nämlich den Bruder aufsuchen und ihn heimholen. Bet diesem Porsatz wurde ihm leichter, und er begann zu verstehen, warnm er in letzter Zeit an den Bruder zu denken vermieden hatte. Es war die Ahnung seines Unrechts gewesen, das ihn diese Gedanken scheuen ließ. Als im Westen nur noch ein schmaler, roter Streifen am Horizont stand, hielt er seinen Schritt an und ergriff Lisas Hand. „Ich danke Ihnen, Lisa! Und nun erzählen Sie mir nochmals von meinem Bruder!" -Sie erfüllte seinen Wunsch und konnte doch das Staunen über seine Veränderung nicht verbergen, so daß er es bemerkte, ihr lächelnd zunickte und dann wieder aufmerksam ihren Ausführungen lauschte. Er unterbrach sie njcht; erst, als sie geendet hatte, stellte er seine Fragen: „Ihrer Meinung nach ist Klaus also auf dem besten Wege, an seiner eigenen Lebensauffassung, an selbst, geschaffenen Widerständen zugrunde zu gehen?" Lisa bejahte und sprach; „Aber nicht allein dieses ist eS, woran er leidet. Da sind zwei Meinungen in ihm, von denen die eine Merk male der Grovenstahl- trägt, nämlich ehrgeizige Streberei und Stolz, während die andere ein Produkt seiner Sin« ist, die Liebe zu jenem Weibe, von dem sich zu befreie», ihm nicht gelingt, und die so sein Untergang werde« kann. Der Kampf dieser Meinungen, deren Stärke ab wechselnd zunimmt oder verliert, mußte ihn aufretd«, schon aus dem Grunde, weil sie ihm die kritische Setvst. beurteilung raubten. Ja, ich staune sogar, daß sein ohne- hin schwächlicher Körper ihn diese Aufreizung der Nerve» . so lange aushaltcn ließ. Zu allem aber noch das Zer- würfnis mit Ihnen, das ihn schwer genug plagt nnd peinigt. Wäre es ein Wunder, wenn er unter einer solchen Zersplitterung der Verhältnisse den Verstand verloren hätte." Fritz Grovenstahl fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Sagen Sie, Lisa, warum habe ich nicht früher daran gedacht, daß ein solcher Fall eintretcn könnte. Wissen Sie dafür eine Entschuldigung?" Drese Worte, mehr geschrien als gesprochen, taten ihr Weh und machten sie befangen. »Fritz, es liegt daran, daß Sie die Menschen mit Ihrem Maßstab messen! Das, was Sie vollbringen, verlangen Sie von den anderen auch und ziehen dabei nicht in Be tracht, daß Ihre Leistungen das Maß des Gewöhnlichen weit überschreiten. Zudem beherrscht Ihr Wille Ihr anderes Empfinden, wahrend es bei den meisten Menschen umgekehrt der Fall ist." „Bei ivem liegt da nun die Schuld? Bei mir oder den anderen?" „Beim Manschen überhaupt, Fritz Grovenstahl! Ich sage auSvrUcklich beim Menschen. Nur weil wir Menschen sind, können wir Schuld auf uns laden." Danach blieb es eine Weile still. Bis Fritz Groven stahl wieder fragte: „Und wie steht es mit Klaus als Künstler? Sic sehen", unterbrach er sich mit auf sich selbst gerichtetem Spott, „ich stand vcm Leben des eigenen Bruders bisher so voll kommen fremd gegenüber, daß ich mir kein Bild von § scincn Leistungen machen kann." Da schüttelte Lisa den Kopf. „Sic übertreiben!" sagte sie. Es lag ihr daran, ihm seine Schuld leichter erscheinen zu lassen. „Daß Ihres Bruders Leistungen unter der Zwiespältigten seines Mesens gelitten haben, daran ist nich« zu zweifeln; aber ich denke, daß gerade diese Seelenkämpfe, wenn -er erst einmal von ihnen genesen ist, ihm die rechte Reisc geben werden." Fritz Grovcnstahls Augen richten dankbar auf Lisa, und er ergriff ihre Hand. „Ich sänke Ihnen, Lisa", sprach er zu ihr, „daß Sie mir die Augen öffneten, ehe mein Starrsinn noch unheil vollere Folgen haben konnte. Den Dienst, vcn Sie mir sadurch leisteten, werde ich Ihnen nie vergessen, denn ich darf wohl sagen, daß ich, indem ich gegen meinen Bruder hart war, es auch gegen mich sein mußte. Ich fahre noch heute zu Klaus und hole ihn heim." Lisa halte während dieser Worte die Augen geschlossen gehalten. Nun hob sie die Lider und nickte ihm zu. „Tun Sie das, Fritz Grovenstahl!" ; Dann schritten sie schweigend den Weg wieder zurück. Ehe in der Stadt ihre Wege sich trennten, nahm Lisa noch einmal das Wort: -- „Hüten Sie sich davor, den größten Teil der Schuld auf sich zu laden. Damit würden Sie nur schaden. Und dann —", sie stockte, „sann — Klaus liebt Mary Regen- Hardt noch immer. Verlassen Sie sich auf meine Wahr nehmungen. — Gute. Reises" „Ich danke Ihnen, Lisa Roschwitz!" " ' Ihre Wege gingen auseinander. Augenblicke hörte jedes noch den. sich entfernenden Schritt des anveren. Als sie sich aber einmal umwandten, sahen sie nichts mehr, voneinander. Die Dämmeruna batte ihre Gestalten verschlungen.. Fünftes Kapitel. Noch in der gleichen Nacht reiste Fritz Grovenstahl nach der Reichshauptstadt ab. Da er erst gegen Mittag dort eintraf und die Besuchsstunde» deS Sanatoriums auf den Vormittag gelegt waren, konnte er den Bruder nicht mehr sprechen. Susanna weilte mit den Kindern in Italien, so daß er eS für zwecklos hielt, erst in ihre Wohnung hinauszugehen. Zudem verging ihm der Nachmittag in Erledigung einiger geschäftlicher Angelegenheiten rasch genug." Am Abend ging er in ein gute- Restaurant, wo er sein Nachtessen einnahm. Seine Gedanken weilten bei Klaus, und er fragte sich, wie sich,das baldige Wieder sehen, das erste nach eineinhalb Jahren, wohl gestalten würde. Plötzlich horchte er aus. Am Rebentisch, an dem zwei Herren in eifriger Unterhaltung beisammen faße», war der Name Hauenstein gefallen. Der eine von ihnen wollte den anderen anscheinend von etwas überzeugen und zog nun ein Zeitungsblatt aus der Tasche. Dabet sprach er ziemlich laut auf den anderen ein, so daß Fritz Grovenstahl die Worte vernehmen mußte. „Hier haben Sie es schwarz auf weiß: Das dem Hauenstein gehörende Obersdorferwert ist wegen Auf tragsmangel bis auf weiteres stillgelegt worden. — Nun, sagt das nicht genug? Aus bester Quelle weiß ich, daß die Anlage seit langem mit Verlust arbeitete. Man hat sie trotzdem aufrechterhalten, und jetzt läßt man sie plötzlich fallen. Das ist der Anfang.". Der andere zuckte darauf seine breiten Schultern und sagte ruhig: „Sie sehen Gespenster. WaS ist daS Werk für Hauen stein? Ein vollkommen unmaßgebliches Anhängsel. Daß er es stillegt, ist eine Laune von ihm. Ebensogut hätte er eS welterlaufen lassen können." Er schüttelte den Kops. „Nein, mein Lieber, Ihre Befürchtungen sind grundlos!" Die beiden debattierten noch eine Weile und gingen dann. tKortkewiua tolaQ .t