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IN« v«u Erinnerungen an di« Juli- und Augulttage 1»l4 / Das öewilterwMn Am Abend des 10. Juli 1914 befindet sich der russische C andte in Belgrad in den Räumen der österreichisch-unga scheu Botschaft. Trotz seiner baltischen Herkunft ist Herr vr. Hartwig der größte Deutschenfresser und die treibende Krost ,m verhetzten Serbien. Die Atmosphäre ist seit dem Saro- ,evo«r Attentat mit Hochspannung geladen: komm! es zum Lergeltungskrieg oder nicht? Der österreichisch-ungarische Latschaster trisft den Russen mit der Kernfrage: „Ohne Ruß- and ist Serbien nichts. Mit Rußland im Hintergründe wird - rs jedes Maß verlieren. Sie allein können es noch im Zaum halten. Wollen Sie es ermutigen? Wollen Sie den Welt krieg heraufbeschwören und sich persönlich mit der Beant wortung, mit dem Tode von Mill'onen Menschen belasten?" Hartwig verneint lebhaft. Er verspricht sichtlich bewegt ieinen ganzen Einfluß aufzubieten, uni eine Katastrophe ab zuwehren und bekräftigt es mit seinem Handschlag. Plötzlich wird ihm unwohl. Er sinkt zusammen, rollt vom Kanapee und stürzt zu Boden. Ehe der nächste Arzt zur Stelle ist, hat ein Herzschlag seinem Leben ein Ende bereitet. Hartwigs Tochter erscheint in der Botschaft. Sie ist Panslawistin. Kriegshetzerin, und in diesem Augenblicke an der Grenze eines hysterischen Anfalls. Sie späht argwöhnisch umher, entdeckt auf einem Tischchen eine offenstehende Eau de Colo- > gneflasche, riecht mißtrauisch daran, und steckt sie mit viel sagender Miene ein. Am nächsten Morgen durchschwirren die abenteuerlichsten Gerüchte Belgrad: der russische Ge sandte, die Stütze und das Rückgrat Serbiens gegen Oester reich, in nächtlicher Stunde in der österreichischen Botschaft vergiftet! Die serbische Presse widerspricht nur lau. Wer zwischen den Zeilen lesen will, der lese! Auch die Regierung findet bloß matte Worte! Die Erbitterung steigt ins Uferlose, und das feierliche Staatsbegräbnis gestaltet sich zur großar tigen antiösterreichischen Kundgebung, an welcher ganz Bel grad und auch die Vertreter der Entente durch ihre Gegen- " wart teilnehmen. PoimarL und Sassonow besprechen während des Staatsbesuchs Püincarös oen ; kommenden Krieg. Zehn Tage darauf macht PoincarL dem Zaren eine,. Besuch. Dieser ehemalige lothringische Advokat durchbricht die Gepflogenheiten der französischen Staatspräsidenten, die ein zurückhaltendes Leben vorzogen. Aber Poincarö ist die Säule der Revanche-Politik. Schon als er 1913 gewählt wurde, flüsterte man in Paris: „Poincarö Präsident? — Das ist -er Krieg!" Tatsächlich erwies er sich auch als der größte Kriegshetzer: er machte politisch« Reisen und seine Fahrt nach Rußland, in einer Zeit, in welcher ganz Europa wie gelähmt auf Sarajewo starrte, ist eine Demonstration, die in dem Satze gipfelt, den er dem österreichisch-ungarischen Bot schafter am Zarenhof« zuwirft: „Serbien hat sehr warm« Anhänger im russtschen Volke. Und Rußland hat einen Bun desgenossen — Frankreich!" Man ist also darauf los, den Mörder zu schützen? An das Opfer denkt niemand! An der kaiserlichen Tafel fallen noch ganz andere Worte, mitten im Frieden, ehe noch irgendein diplomatischer Schritt Sie Handhabe gibt: „Der Krieg wird ausbrechen. . . von Oesterreich wird nichts übrig bleiben . . . Frankreich holt sich Elsaß-Lothringen wieder . . . unsere Armeen werden sich in Berlin vereinigen . . . Deutschland wir- vernichtet." PoincarL war nicht als Zivilist im Sonderzug gekom men, sondern als Staatsoberhaupt auf Frankreichs größtem Schlachtschiff „La France". Indessen gehen in Oesterreich die Untersuchungen über den Thronfolgermvrd ihrem Abschluß entgegen, Ärrbiens Schuld am Attentate ist erwiesen. Serbische Offiziere schulten die Attentäer, rüsteten sie mit Wassen und Handgranaten aus dem serbischen Kriegsarsenale aus, und brachten sie mit Hilfe-serbischer Zollbeamte über die Grenze. Sogar der ser bische Kronprinz ist in diese Verschwörung verwickelt un schwer kompromittiert. Endlich überreicht am 23. Juli der k. k. Botschafter in Belgrad das Ultimatum. Es ist mit zwei Tagen befristet und scharf in «einer Forderung nach Genugtuung. In ein zelnen Punkten ist die Note sogar überspannt und tangiert die Souveränität Serbiens, aber im großen und ganzen ent hält ste nichts, was nicht England, Frankreich oder Rußland im gleichen Fall« auch gefordert hätten. Dennoch mischt sich Rußland sofort in die Angelegenheit und ersucht ohne wei tere Begründung um eine Fristverlängerung für Serbien. (In Wirklichkeit rollten schon seit Wochen die Truppentrans porte aus Sibirien und dem Kaukasus heran. Der Grund ist klar: man wollt« Zeit und damit Vorlvruna a«winnenl) Natürlich wies'Oesterreich-Ungarn die russische Einmi- chung zurück und stellte sich auf den Standpunkt, daß die «evorstehende Auseinandersetzung niemandem als die Mo- «archie. und Serbien angehe. Darüber ging die Friste zu knde. Die serbische Regierung gibt in letzter Minute eine Er- viderungsnote, di« nicht befriedigt und die Sühne auf das Parkett endloser Verhandlungen leiten will. Gleichzeitig er seht aber der serbische Mobilmachungsbefehl, und der Hof «erläßt mit allen Behörden, den Ministerien und der Gar- «ison die Hauptstadt! Trotzdem erfolgt di« österreichisch-un- zarische Kriegserklärung erst am 28. Juli. Am Tage darauf irscheinen vier Donaumonitore unterhalb der Kriegsinsel am Zusammenfluß der Save und Donau. Gleichzeitig gehen bei Semlin, Belgrad gegenüber, österreichisch« Feldbatterien in Stellung, und am Morgen des historischen 29. Juli 1914 «richt aus einem österreichischen Kanonenrohr der erste Schuß «es Weltkrieges, rollt der erst« Geschützdonner und heulen )i« ersten Granaten ihr« Bahn, um viereinhalb Jahre hin- zurch mit ständig wachsendem Kaliber, mit stets steigender Intensität und dauernd brachiale» werdender Sprengwir- 'ung weiterzuheulen, zu explodieren, und in dem grauen haften Morden der Völker alles das vollends zu zerstampfen, was die übrigen Waffen noch am Leben gelassen hatten! Sie Kriegstrklärmsen Am gleichen Vormittage mobilisierte Rußland 13 Armee korps gegen Oesterreich-Ungarn. Dieses hatte bisher nur leine halbe Armee gegen Serbien unter die Waffen gerufen. Die Transporte rollten bereits, und jeder weiß, was für ein komplizierter Apparat die Mobilmachung und der Aufmarsch ind, wie alles bis zum letzten Tüpfelchen vorher bestimmt und eingekeilt ist und alles auf die Minute Wappen muß, damit im Ernstfälle nur auf den Knopf gedrückt zu werden braucht, um das Ganze reibunoslos abrollen zu lassen. Mitten in )er Ausführung wurde Oesterreichs Aufmarsch brutal ge stört. Die Hauptmasse der österreichischen Armee kam zu !pät an die Ostgrenze, während gegen Serbien bloß vier Korps verblieben, die sich später an der kriegserfahrenen llebermacht notwendigerweise blutige Köpfe holten. Bisher hatte sich Deutschland von diesen Balkanhündeln vollkommen ferngehalten. Um dies ausdrücklich zu doku mentieren, befand sich der Kaiser aus seiner gewohnten Nord landreise, weilten Tirpitz und andere Staatsgrößen fern von Berlin auf ihren üblichen Sommerurlau den. Selbst Frank reich hatte früher Kenntnis vom Wortlaute des österreichi schen Ultimatums als die verbündete deutsche Regierung! In Berlin befand sich leider bloß der Reichskanzler von Bethmann-Hollweg, der den Komplikationen nicht gewach sen war. Natürlich kehrten der Kaiser und die Staatsmän ner unverzüglich nach Berlin zurück. Am 29. Juli telegraphiert Wilhelm ll. noch abends dem Zaren und beschwört ihn im heiligsten Ernst, „Europa nicht in den entsetzlichsten Krieg zu verwickeln, den es je gesehen hat," denn der Kaiser, das ganze deutsche Volk, sind fried liebend«. ünd seit vierzig Jahren hat Deutschland kein Ge lvehr gegen einen anderen Weißen abgefeuert. Deshalb hat dieser Mahnruf auch noch in dieser Stunde und trotz der sattsam bekannten Einkreisung sein volles Gewicht. Der Zar zuckt zurück, und widerruft den schon /geheim gegebenen Befehl zur allgemeinen Mobilisierung. Die Kriegspartei in Petersburg denkt jedoch nicht daran zu gehorchen. Die Mo bilmachung läuft in offenem Ungehorsam unbeirrt weiter, die Großfürsten, der Kriegsministe-r bestürmen den Zaren, der am 30. Juli nachgibt und die allgemeine Mobilisierung nicht bloß gegen Oest«rr«ich-Ungarn sondern auch ausdrück lich gegen Deutschland anordnet. das war brr Meg! Mobilmachung ist Krieg. Man mobilisiert nicht Milli onen, um sie wieder nach Hause zu schicken, sondern um loszu schlagen I An diesem 30. Juli 1914 entschied der Zar über den Tod von nahezu 9 Millionen Soldaten, über die Zer schmetterung ganzer Staaten, über das grenzenlose Leid und Elend der Nachkriegswelt und lud mit dem Federstrich unter die Mobilmachungsordre die "ungeheure Blutschuld und die Schuld am Vernichtungskriege überhaupt mit vollem Be wußtsein auf seine Schultern! Er ahnte bestimmt nicht, daß er auch sein eigenes und das Todesurteil seiner Dynastie, seines Volkes damit unterschrieb. Vergeblich depeschiert der Kaiser am 31. Juli nochmals an seinen russischen VetteF und appelliert zum letzten Male an das Gewissen des Zaren. Umsonst! Nun galt es zu handeln! Bei einer Mobilmachung dreht es sich um den Vorsprung von Stunden, sonst ist der Krieg schon im Aufmärsche verloren. Pflichtgemäß drängt der Werk Poi«carees Große Generalstab zu sofortigen Maßnahmen. Deutschland richtet ein Ultimatum an Rußland, sofort die Mobilisierung einzustellen. Die Note bleibt unbeantwortet. Zugleich er geht eine Anfrage an Frankreich, um dessen Haltung zu son dieren, und wird in Paris mir zynischen Worten abgetan: „Frankreich wird das tun was sein« Interessen ihm gebie ten!" Zur selben Stunde befiehlt Belgien die allgemeine Mobilisierung' An diesem k -njalsyaslen 31. Juli wird in Deutschland unter Tromm de! erst der Zustand drohender Kriegsge fahr verkündet. Lie Straßen sind ichwarz von Menschen. Noch weih niemand wie die Sache laufen wird. Dex Tele graph spielt fieberhaft und bringt von Stunde zu Stunde Mel dungen über die zugejpitzte Lags. Nun kann und darf Deutschland nicht länger zögern: Einen Tag, nachdem Ruß land. einen halben Tag, nachdem Belgien, eine halbe Stunde, nachdem Frankreich die Mobilisierung befohlen haben, wird auch in Deutschland um Punkt 5 Uhr nachmittags die all gemeine Mobilmachung verkündet! Nun begeht Bethmann-Hollweg einen seiner größten Fehler: aus deutscher Gewissenhaftigkeit und formaler juri discher Gründlichkeit heraus, ergeht gleichzeitig mit dem Waf fenruf auch die Kriegserklärung an Rußland und Frank reich. Die Hetz- und Lügenpropaganda der Feind staaten wußte späterhin geschickt die Kriegsschuldlüge aus dieser Voreiligkeit zu drechseln, und die Aufnahme der Kriegserklärung war auch darnach: in Frankreich nahm Vi viani das Dokument mit einer unbewegten Gleichgültigkeit entgegen, wie man ein gegenstandsloses, inhaltlich längst be kanntes Aktenstück entgegennimmt und achtlos in die" Faszikel reiht! SW MMmachung Eine ungeheure Menschenmenge wälzte sich gegen, Abend die Linden hinauf und staute sich vor dem Kronprinz zenpalais und vor der Schlohbrücke, oie von berittener Po lizei abgesperrt ist. Plötzlich zeigen sich der Kaiser und di«! Kaiserin auf dem Mittelbalkon des Schlosses. Zugleich wird, die Absperrung aufgehoben und die Menschenmenge eilt im Laufschritt und unter dröhnendem Hurra über die Brücke vor das Schloß. Das „Heil Dir im Siegerkranz" und das Deutschlandlied brausen vieltausendstimmig auf. Hinterher ertönen Ordnungsrufe: „Ruhe — der Kaiser will sprechen!" Dann erstirbt der Lärm in absoluter Stille, welche die> Stimme des Herrschers bis in den letzten Winkel des weitem Raumes trägt. Der Kaiser dankt für den Beweis der Liebe! und Treue, spricht von der Einigkeit des deutschen Volkes, und von dem deutschen Schwerte, das siegreich aus diesem! aufgezwungenen Kampfe hervorgehen werde. s Die stürmischen Hochrufe gehen in der begeistert ge-, sungenen „Wacht am Rhein" unter. Die gleiche Begeisterung! schwemmt die Menschenmasse vor das Kronprinzenpalais. Dort zeigt das junge Paar den Stammhalter und ist der, Mittelpunkt stürmischer Ovationen. Begeisterung und Vaterlandstreue leuchten in Berlin, sowohl wie im kleinsten Provinznest aus den Augen von. Jung und Alt. Während zur selben Stunde in Paris die« Männer mit finsteren Gesichtern fluchend vor den franzö sischen Mobilmachungsplakaten herumlungern und der Pöbel! die deutsche^ Läden demoliert, geht ein Zug hehrster Begei-i sterung durch die Herzen der Deutschen. Wer auf Urlaub ist, eilt Hals über Kopf heim. Die Züge sind überfüllt mit Reservisten und solchen, die noch nicht gedient haben und nun von Kaserne zu Kaserne lausen, um angenommen zu werden, oder, im Andrange zurückge wiesen, von Stadt zu Stadt fahren, um endlich ein Regiment zu finden, das noch nicht überfüllt ist. Am dritten Tage der Mobilmachung verfügte das Reich bereits über 2 Millionen Kriegsfreiwillige, und der Zustrom fand noch immer kein Ende! Noch galt es dem Zweifrontenkrieg. Schlieffen beab sichtigte, zunächst in kurzen Wochen Frankreich zu überren nen, um dann die gesamte Heeresmacht gegen Rußland einzu- ietzen. In dieser Stunde lag es noch bei England, ob der Krieg auf den Kontinent beschränkt bleiben oder sich zum Weltbrand auswachsen würde. Noch am 3. August depe schierte der deutsche Botschafter aus. London, daß England neutral bleiben würde. Er täuschte sich und verkannte den absoluten Vernichtungswillen des Inselreiches: nie würde Britannien die Gelegenheit verpassen, dem Gegner im Welt-! handel und der zweitstärksten Flotte der Welt den Garaus zu machen. Tags darauf lag auch die englische Kriegserklä- rung schon in den Händen des Reichskanzlers, am gleichen Taae. an welchem der Kaiser im Reichstckae erklärte, er kenne keine Parteien mehr son dern nur Deutsche, am selbem Tage, an welchem die Reichstags mitglieder durch Handschlag das Treuegelöbnis bekräftigten! und mit einstimmiger Bewillig gung der 5 Milliarden des erstens Kriegskredites den englischen! Ueberfall beantworteten! , Das war der Anfang ders Kriegserklärungen. Wie ein Rat tenkönig vermehrten sich die Kampfansagen, bis endlich 19, Staaten mit rund 1200 Millionen! Menschen, bis, knapp gerechnet, zwei Drittel der ganzen Mensch heit mit all den Senegalnegern, Somalis und Gurkhas, Anami- ten, Indianern und Mestizen ge gen die 120 Millionen der allsei tig blockierten Mittelmächte auf standen und trotz dieses Massen ansturms an der reckenhaften Wehr zerschellten, die kühnen Mutes und mit vollster Berechti gung auf ihrem Schild den stol-i zen Wahlsprüch ktüg: Biel' Feind,j viel' Ehr! O. v. Hainspach. l