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„Ja, ick bin hier ooch Portier", sagte der Alte selbst bewußt. „Aber wat denken Se, so wat wie in die letzten Wochen Ham wir hier lange nicL erlebt. Wir Ham doch jetzt die Bergmann hier, wissen He, wat die Tochter von die jroße Bergmann is, die vor zwanzig Jahren in Berlin jedet Kind kannte un die denn den jroßen Kunstmaler Neuß jeheirat't hat, den schwerreichen Mann. Na, aber wat wollte ick sagen? Ach so, wat nu die kleene Bergmann is, also die Rosemarie, Mensch, ick sage Ihnen, so wat, I so wat... Wenn die hier spielt, wissen Se, da Ham mer I vor vill'n Blumen jar nich treten kenn'n hier. Und wat die vorn Applaus hat, bis hier hinter hört ma das. Na, wissen Se, junger Mann, die hat aber ooch wat los; da kenn'n Se de Tränen jleich iwer de Backe kullern..." Es war Wangenheim jetzt ganz gleich, mit wem er sprach. Nur etwas von Rosemarie hören wollte er. Etwas aus ihrem Leben wissen? Da unterbrach er den Redefluß des Alten: „Na ja! Die ist aber doch verheiratet, die Bergmann? Vorhin wurde sie doch von einem Herrn, offenbar ihrem Gatten, abgeholt? Oder war es nur ihr Kavalier?" „Na, Junge, nu mache aber den Damper, vastehste! Die Bergmann is nich verheirat't, und von Kavalier — von wejen — nee, nischt is. Dat war en Bekannter von ihr, Fürst Lueberg. En janz nobler! Der würde sich alle Zähne nach die lecken. Aber die Bergmann — nee, junger Mann, da kann keener nich ran — vastehste?" „Ach, Sie meinen, der Fürst würde Fräulein Berg mann heiraten?" fragte Wangenheim, während ihm schon die Kehle wie zugeschnürt war. „Na ja, freilich! Wenn die nur wollte. Fürstin Lue berg! Hm! Wat denken Se, wie die anderen alle varrückt pn ymrer ven Kerl!? Motz die Bergmann nich! Die nicht — aber dat scheint den Fürsten jrade zu imponier'«..." Wangenheim wußte genug. Schwer klopfte sein Herz in der Brust. Wie im Fieber schlugen seine Zähne auf einander. Er ballte die Fäuste in ohnmächtigem Schmerz. „Gefunden — und verloren zugleich!" sagte er dumpf. Drei Abende hintereinander war Wangenheim im Theater gewesen. Drei Abende hatte er am Hinteren Aus gang in seiner Nische verboraen aettanden. batte Ne nar- averhuschen und mit dem Fürsten im Auto davonrasen sehen. Alles, was er in den letzten Jahren um Rosemarie ge litten hatte, war ein Spiel gegen das, was er jetzt durch machen mußte. Fast greifbar nahe ging sie an ihm vorbei — und er durfte sich ihr nicht nähern. Der Justiziar tröstete ihn, so gut er konnte. Ihm tat Wolfgang Wangenheim in seinem Schmerz so unendlich leid. „Wir wollen doch erst einmal abwarten, ob die Sache mit dem Fürsten wirklich schon in dem Topfe ist, wo's kochen soll!" sagte er ein über das andere Mal scherzhaft, um Wangenheim etwas aufzurütteln. Aber der war wie erstarrt. Es war ihm nicht gelungen, den alten Schließer noch einmal zu erwischen, den er doch ganz gut hätte ausfragen können, wohin die beiden immer nach Theaterschlutz fuhren, eventuell in welchem Lokal sie verkehrten. Wie an jenem Abend, so stand er auch jetzt wieder in seiner kleinen Mauerecke in der Nähe des Portals und wartete, aber heute in Begleitung des Justizrats. Sie hatten Glück! Der Schließer kam heute. Ein Zwanzig-Mark-Schein wirkte Wunder. Bei Cojazzi aßen Fürst Lueberg und die Bergmann. Schon oft hatte er in der gediegenen Weinstube das Souper bestellen oder bestimmte Plätze reservieren lassen müssen. Für heute war es zu spät geworden. Aber morgen!, morgen! Am nächsten Abend war Wangenheim nicht im Theater. Schon von zehn Uhr an saß er mit dem Justizrat bet Cojazzi. Auch hier hatten diverse Trinkgelder die sonst so reservierten Ob« gesprächig gemacht. Die Weinstube war heute fast unbesucht. Erst nach Schluß des Theaters kamen noch einige Gäste. Für Fürst Lueberg und Fräulein Bergmann waren bestimmte Plätze reserviert. Sie würden sich in den kleinen Nebenraum setzen, schlug Wangenheim vor. Da würde man sie kommen sehen, ohne daß man selbst bemerkt werden konnte. Der bedienende Ober hatte bereits vorsichtig an- gedeutet, daß Fürst Luebergs und Fräulein Bergmanns Verhältnis zueinander freundschaftlich, kameradschaftlich sei. Mehr habe er beim besten Willen bisher nicht fest stellen können. Die Uhr schlug nun elfmal. Silberhell zitterten die Schläge durch den dämmerigen Raum. Die Zeit verrann. Jeden Augenblick mußte sie ein treten. Ein Viertel nach elf Uhr. Ein Boy riß die Tür ganz wett auf. Frau Bergmann, Rosemarie und Fürst Lueberg traten in das Lokal. Wangenheim, der soeben sein Weinglas zum Mund«! führte, mußte es schnell wieder auf den Tisch stellen. So sehr zitterte seine Hand. Ab und zu hatte er Gelegenheit, an den Tisch hinüber zublicken, an dem Rosemarie saß, Ihr Gesicht war tm Hellen Lichtkreis der Lampe, und so konnte Wolfgang Wangenheim eS ganz deutlich erkennen. Am liebsten wäre er aufgesprungen und zu ihr geeilt, aber das war nicht möglich — nichts war möglich. Andere waren da; andere, die er nicht kannte, nahmen, ohne zu fragen, von ihr Besitz, von ihr, die ihm gehörte jetzt und immer. Es war ja nur Schein, was dort geschah. Zu ihm gehörte sie. Zu ihm allein! War Rosemarie nicht freudig erregt? Stand nicht ein ! Heller Schein der Freude in ihren Augen? Und wie herz lich und lebhaft plauderte ihre Tante Berta, die ihn da-! mals so kalt abgewiesen hatte. „Ich konnte mir denken", hörte er den Fürsten sagen, „daß er Sie zur Erbin einsetzen würde. Das Testament! war selbstverständlich schon lange vorher fertig. Oft hat! er mir gesagt, daß er Sie lieb hatte wie ein eigenes Kind. Und andere Erben besaß er doch nicht." „Ja, aber er hat schon so viel an mir getan ...", wehrte! Rosemarie. „Doch es ist ja so lieb und gut von ihm, daß er uns nicht aus seinem Hause weist, sondern daß wir in aller Liebe sein Vermächtnis verwalten dürfen. Wie trostlos sah mich vor wenigen Tagen die Zukunft noch an, und wie licht ist sie jetzt geworden! Der gute Onkel Brun- nenrandt! Warum mußte nur sein Lebensfaden so schnell! abreißen?" Warum? Rosemarie hatte die Frage gestellt, die alle! einmal stellen werden. Warum?? Wolfgang Wangenheims Augen hingen an Rosemaries. Gesicht, rasch ging sein Puls. Ein paarmal hob Rosemarie wie lauschend den Kopf, in ihre Augen trat eine selige Versonnenheit, Md wie so. oft, gingen ihre Blicke scheinbar durch Wände und Türen hindurch in eine unergründliche Ferne. Fast lähmend wirkte auf Wolfgang die Sülle in diesen Räumen, die nur ab und zu durch leises Murmeln unter brochen wurde. Er drückte die Hände an die schmerzhaft pochenden Schläfen. Sollte er hinübergehen? Sollte er vor sie hintreten?! Schon stand er auf. Da gewahrte er in einer Ecke des Raumes ein Klavier. Jetzt sich austoben können — seinem Schmerz Lust machen... Wie mit magnetischer Kraft zog ihn das Instrument in seinen Bann. Da tral er entschlossen heran, schlug den Deckel leise zurück. Kühl, beruhigend hoben sich die Tasten aus der Däm merung. Wie im Traum begann Doktor Wangenheim zu spielen. Melodien klanaen auf. versanken...