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Urüeberrocbtsscbutr: tunt Dürrns-Vcrlax, UaUe (LüLle) 1Sj Nachdruck verboten. Er hatte auch sein Studium unterbrochen. Ja, es kam vor, daß er wochenlang keine Taste anrührte; und wenn er sich doch einmal so weit überwand, hatte es jedesmal einen Verzwciflungsausbruch zur Folge, indem er sich mit bitteren Vorwürfen plagte. Dagegen aber gab es ein gutes Mittel: Alkohol und Liebel In ganz krassen Füllen nahm er dann mit gewöhnlichen Spelunken vorlieb. Meist aber war es Sonja Aleschkin, die ihm immer wieder den Wert des Lebens vor Augen führte. Das alles durchdachte Klaus nicht etwa, als er mit dem Bruder die Werkstätten durchschritt. .Er sah nur in Ge danken und berauschte sich an dem Bilde, das er erblickte. Seine Sinne gerieten immer mehr in Feuer, seine Schritte wurden eiliger. Er empfand nicht, das; sie schon längst wieder im Freien waren. Erst das Knarren der vom Bruder geöffneten Gartentür machte ihn aufmerksam, uud da zerrissen auch schon kurze Worte die Bilder der Phantasie. „Deine Antwort, Klaus 8' Er schwieg. „Nun?" Da sprach Klaus trotzig die Worte: „Ich habe meinen Worten von vorhin nichts hinzu zufügen. Ich werde das tun, was ich, nur ich selbst, für gut halte. Ich passe nicht zu Man; Regcnhardt." Fritz Grovenstahls Gesicht verzerrte sich zu unheilvollen Zügen. Seine Hand fuhr in die Höhe, als wollte er auf den Bruder losschlagen Aber er lieb sie wieder sinken „Lump!" preßte er zwischen den Zähnen hervor, dann schritt er dem Hause zu. Einmal noch wandle er sich um. „Das. Geld werde ich überweisen. Im übriaen nimm deine Sachen und verlasse mein Haus." Dann verschwand er hinter der Tür. Klaus stanv wie gelähmt an seinem Platze. Seine Lippen bewegten sich, aber er brachte kein Wort darüber. Er wollte rufen, dem Bruder nachschrcicn, er solle nicht so gehen; aber es war, als wenn ein Strick um seinen Hals hänge. Jeder Erwägung unfähig, stand er da und starrt? auf das Haus, in dessen einem Fenster ein Licht aus- flammte. Als er nach langer Zeit versuchte, sich die Worte des Bruders ins Gedächtnis zurückzurufcn, gellte ihm nur ein Wort in die Ohren: „Lump!" — Da stürmte er ins Haus. Die Tür schlug ins Schloß. Einmal, und bald darauf ein zweites Mal. Fritz Grovcnstahl hörte das und wollte aufspringen, dem Bruder nacheilen, ihn zurückrufen. Aber er selbst legte sich Zwang anf. Vergebens wartete er auf das Wieder öffnen der Haustür. Er lauschte hinaus in die Nacht, um näherkommende Schritte zu hören. Doch es blieb alles still. Da ging ein Schütteln durch seinen Körper. Schwer stützte er den Kopf in die eine Hand und verbarg mit der anderen die Augen Drittes Kapitc Wenige Tage nach seinem siebenundzwanzigsten Ge- vurtstage erhielt Fritz Grovcnstahl von seiner Schwester die Aufforderung, die Patenschaft bei ihrem zweiten Kinde zu übernehmen. Zwar wollte er diese ablehnen, doch Tante Maria bestand darauf, daß er sie annähme. „Du muß» dich nicht so abseits von allen Lebenspfaden stellen, Friedrich. Du verhärtest dabei an deinen eigenen Anschauungen. Wenn man auch nicht als Harlekin durch das Leben schreiten kann, so soll man doch mehr als nur pflichtgemäße Freude darüber empfinden, daß Gott es einem geschenkt hat. Nimm die Einladung Sannas an; denn es ist eine Ehre, die man dir erweist." Ihr Blick war bei diesen Worten weicher als sonst. Beinah bekümmert sah sie ihren Neffen an. Die Gleich gültigkeit, mit der Fritz bald darauf einige Zeilen des Dankes und die Mitteilung seiner Ankunft an Susanna schrieb, tat ihr weh. Dabei hatte sie noch eine Frage auf dem Herzen, die sie schon lange mit sich herumtrug. Fritz Grovcnstahl faltete das Schreiben und ließ es samt dem Umschlag in die Tasche gleiten. Dann schritt er zur Tür, um nach dem Werk zu gehen; doch da rief ihn Maria Grovenstahl zurück. „Es gibt so wenig Gelegenheit, mit dir zu reden. Ich Habe eine Frage an dich." Fritz sah beinah ein wenig erstaunt auf die Sprechende und suchte fragend ihre Augen. „Ich meine, Friedrich", begann sie, „es wäre jetzt auch bald für dich an der Zeit, daß du dir eine Frau suchst. Es ist deine Pflicht des Werke« wegen." Fritz Grovenstahl mußte lächeln. „Höre, Tante Maria!" sprach er. „Wenn diese Zeit Heran sein wird, weiß ich genau, was ich zu tun habe. Borläufig scheint mir aber die Notwendigkeit nicht so dringend." Damit schritt er hinaus. Während der Schnee unter seinen Füßen knirschte, gingen ihm die Worte der Tante noch einmal durch den Akopf. Mit spöttischer Selbsttronie begann er sie zu zer- jiegen. Es war also des Werkes wegen seine Pflicht, zu Anratens Richt seinetwegen?! Er brauchte keine Ge- Mhrttn; nur einen Erben sollte sie ihm schenken, der ein- Wal, wie er, der Herr »der Knecht des Werkes sein würde. Es war doch einfach verwunderlich, daß bei ihm hinn, jedem Wort, hinter jeder Lebensstufe Pflichten standen. Zur gegebenen Zeit begab sich Fritz Grovenstahl nach ocr Neichshauptstadt; in einem Vorort hatte Hauenstein seinen Wohnsitz. Hier erfuhr er von seiner Schwester, daß man als seine Partnerin Mary Regcnhardt geladen hatte, die ebenfalls bei dem jungen Hauenstein Pate stehen sollte Die Schwester fand Fritz Grovenstahl kaum verändert, vagcgcn schien ihm Alexander Hauenstein, sein Schwager, sehr gealtert. Im übrigen aber gestaltete sich das Wieder sehen mit diesem vollkommen zwanglos. Nicht mit einer Silbe wurde an geschäftlichen Dingen gerührt, vielmehr befleißigten sich beide einer wenn auch nur konventionellen Liebenswürdigkeit, die in diesem Hause scheinbar ihr dauerndes Domizil hatte; denn es blieb Fritz nicht lange verborgen, daß die ganze gesellschaftliche Glätte, mit der sich alle Personen dieses Hauswesens umgaben, nur Schein war. Als er einmal mit seiner Schwester allein war, fragte er sie, wie sie sich fühle? Ob sie mit ihrem Lose zufrieden sei? Ohne lange zu zögern, gab sie ihm die Antwort: „Wenn ich dir die Wahrheit sagen soll, Fritz, so muß ich bekennen, daß mir die ersten Monate der Ehe sehr schwer geworden sind. Das mag an sich verwunderlich und wenig glaubhaft erscheinen, denn im allgemeinen be zeichnet man ja gerade sie als die schönste Zeit des Lebens. Mir jedenfalls wurde sie schwer. Der Grund mag in meiner damaligen Lebensauffassung und nicht zum ge ringen Teil in dein zwischen mir und meinem Gatten bc- stchcndcn Altersunterschied gelegen haben. Ich empfand die Ehe als einen Zwang. Als aber dann die Gewöhnung an die neuartigen Verhältnisse kam, sah ich rasch ein, wie töricht mein erstes Aufbänmen gewesen war. Ich kam zu der Ueberzcugung, daß das uns vom Schicksal zugcteilte Los für jeden von uns gerade das richtige sei. Als ich Mutter wurde, eröffnete sich mir der Wirkungskreis, der für uns Frauen nun mal der höchste und wichtigste ist. Mein Zusammenleben mit Alexander ist das denkbar beste, und somit ist meine Ehe auch besser als tausend andere der großen Gesellschaft. Im übrigen aber habe ich mich mit der Zeit zu einer Grovcnstahl herausgewachsen. Ich habe gelernt, den mir vom Leben zugeteilten Platz auch auszufüllen." Fritz sah mit bewunderndem Blick auf seine junge Schwester herab. Schüchtern fuhr er ihr mit der Hand über den blonden Scheitel. Da lachte sie ihn an und schlang ihm die Arme um den Hals. „Oh, Bruder, du scheinst dich auf dem Gebiete der Fraucneroberung wenig oder gar nicht zu betätigen, da du deiner Schwester gegenüber schon so wenig Schneid zeigst." Lachend küßte sie ihn auf die Wange und freute sich wie ein Kind, als er dabei heftig errötete. Doch dann wurde sie wieder ernster. „Sag, Fritz, stimmt das mit Mary Regcnhardt und Klaus?" „Was?" fragte Fritz kurz. Sein Gesicht war schon wieder finster. „Mary erklärte mir eben, daß sie seit Jahren mit Klaus so gut wie verlobt sei. Demnächst solle nun die Verlobung veröffentlicht werden." Fritz horchte auf und vergaß vollkommen, daß die Schwester seine Antwort erwartete. Erst als sie daran erinnerte, sprach er: „Das erstere weiß ich schon lange. Daß die Verlobung nun doch zustande kommen soll, ist mir neu, da ich mit Klaus keine Gemeinschaft mehr pflege." Susanna blickte den Bruder erschrocken an,, und selt sam, Fritz mußte unter diesem Blick die Augen zu Boden schlagen. Er versuchte, die Schwester über das Vor gefallene aufzuklären, aber das war schwer. Als sie endlich doch alles soweit begriffen hatte, konnte sie ihn nicht verstehen. „Ja, hast du denn nicht zu erfahren versucht, aus welchem Grunde Klaus sein Versprechen nicht halten wollte", fragte sie, von des Bruders Erzählung noch immer ganz entsetzt. „Nein!" gestand Fritz. „Und was gedenkst du nun zu tun?" Fritz zuckte die Achseln. „Nichts! Ich werde abwarten. Sollte das, was Mary erzählte, Wahrheit werden, so habe ich die Genugtuung, daß mein Verhalten Klaus gegenüber doch seinen Zweck erfüllt hat." Eine Weile schwiegen beide. Nachher fragte Susanna wieder: „Liegt dir so viel an dieser Verbindung?" Fritz wandte sich ihr zu. Diesmal war sein Blick stark und klar. „Mir liegt daran, daß ein Grovenstahl immer sein Wort hält." Da nickte auch Susanna und erzählte dem Bruder, daß Klaus augenblicklich irgendwo in Polen weile. Bei seinem letzten Hiersein habe er ihr davon Mitteilung gemacht, daß er diese Reise antreten würde. Später fragte sie noch einmal: „Und Gerda? Wo lebt die jetzt?" Fritz fuhr auf und sah sich scheu um. Das letzte, schon Jahre zurückliegende Zusammentreffen mit Gerda hatte doch einen Stachel in ihm zurückgelassen. Da sollte ihm niemand daran rühren. Flüchtig antwortete er: „Sie wird wohl längst irgendwo verheiratet sein. Ich, habe seit Jahren nichts mehr von ihr gehört." Am nächsten Tage fand die Tauffeier statt, und Fritz wunderte sich über ven Glanz, der dabet entfaltet wurde. Da das Fest dem Stammhalter galt, war diese Tatsache allerdings begreiflich. Mary Regcnhardt war sehr hübsch. Das empfand auch Fritz Grovenstahl. Aber was er noch mehr empfand, war eine grausame Freude darüber, wie sehr er sich in der Gewalt hatte. Wie sehr sich alles Emp finden seinem Willen unterordnen mußte. Ein Ereignis war es noch, daß während des Diners zwei Telegramme eintrafen. Beide zu gleicher Zeit. Eins für Alexander Hauenstein, ein zweites für Fritz Groven stahl. Dem ersteren wurde von seiner Verwaltung mit- geteilt, daß ein bestimmter, großer Auftrag ausfalle, da er ?cr Konkurrenzfirma Grovcnstahl erteilt worden sei, und Fritz erfuhr durch das zweite Telegramm die Erteilung ?es Auftrages, der für ihn von großer Bedeutung war. Unwillkürlich sahen sich die beiden Männer nach vcm Lesen der Blätter au. Die Augen bohrten sich ineinander»/ und auf den Gesichtern erschien ein Ausdruck, der besagte: Einer von uns beiden muß fallen. Als Fritz Grovcnstahl am anderen Tage abreiste, gab ihm Susanna das Versprechen,, den kommenden Sommer einige Wochen mit acn Kindern in der Heimat zu ver bringen. Zu Hause erwartete Fritz Grovcnstahl eine Ucbcr- raschung. „Nun hast du doch etwas verstimm", sagte Tante Maria zu ihm. „Und das ist schade." „War es so wichtig?" fragte Fritz lächelnd. Die alte Frau wiegte den Kopf. „Gerda war hier. Jie wollte einmal nach uns scheu." Das Lachen auf Fritz Grovenstahls Gesicht erstarrte. Um seinen Mund prägte sich ein düsterer Zug. Es hatte beinah den Anschein, als wollte er das Zimmer verlassen. Dann fragte er doch: „Warum sprichst du nicht weiter?" Tante Maria sah ihn ernst an und nickte. „Ich berichte schon. Ich mußte eben daran denken, wie wenig Gerda ihrer Mutter gleicht. Sie ha« vor ein paar Wochen das Examen bestanden. Jetzt ist sie Lehrerin." Fritz war gereizt, und irgend etwas trieb ihn zürn Widerspruch. „Daran ist schließlich nichts Besonderes. Das bestehen tausend andere auch." „Nichtig! Das ist ja auch nebensächlich. Vielmehr ge fällt mir an ihr, daß sic Grundsätze hat und auch nach ihnen lebt." „Das tut wohl jeder Mensch, Tante Maria", bemerkte Fritz. Doch da sah sie ihn groß nnd durchdringend an: „So? Meinst du? Ah! — lernst du mich die Menschen erst kennen?! Ich weiß, wie sie sind." Dann, nach einer Weile: „Zwei Tage blieb Gerda hier." „Und wo ist sie jetzt?" fragte Fritz. „Bei Verwandten, wo sie auf eine Anstellung warten will. Du solltest dir das Mädel mal näher anschaucn, Friedrich." Doch da fuhr er auf, und es war das erste Mal, daß er zu seiner Tante heftige Worte sprach: „Sag so etwas nie wieder! Ich dulde darin keine Ein mischung von dritter Sette. Wenn cs an der Zeit sein wird, werde ich mich allein nach einer Frau umsehen. Im übrigen ist Gerda gar nicht mehr frei." Krachend flog die Tür hinter ihm ins Schloß. Maria Grovenstahl sah ihm kopfschüttelnd nach, wie er zum Werk schritt. So ist er nun!, dachte sie und strich mit einer müden Handbewegung über die Augen. Fortan aber wurde Gerdas Name im kleinen Hause nicht mehr erwähnt. Nur Lisa Roschwitz gedachte noch oft ihrer. Sie konnte Gerdas Worte, die diese beim Abschied gesprochen hatte, nicht vergessen. „Es ist schon so. Die Zeit, die uns manchmal nur alK leerer Begriff erscheint, bildet uns Menschen zwar, aber sie hilft uns doch nicht über das hinweg, was sie uns bringt. Da gibt cs manches, was sie uns in den Schoss wirft, und das von uns als willkommene Gabe empfangen wird. Da jubeln wir und möchten jauchzen und unser Glück mit anderen teilen. Aber dann zeigt es sich, daß von den anderen niemand etwas haben will. Es scheint bei nah, als wenn jeder Mensch in einer anderen Welt stände, und plötzlich kommen wir uns so einsam, so verlassen vor, daß uns ganz weh ist. Es wäre zum Verzagen, ließe nicht das Pflichtgefühl ein festes Ziel vor einem erstehen, dcm man zustreben muß, wenn man sich selbst nicht verlieren will. Ob man aber dabei froh wird..." „Gerda, kann ich etwas für dich tun?" hatte Lisa gefragt. Ein stummes Kopfschütteln war die Antwort gewesen und später dann noch wenige Worte: „Du kannst nicht helfen, Lisa. Der einzige, der es könnte, hat, als ich ihm vor einigen Jahren den Weg andeutete, den er gehen sollte, zu mir gesagt: .Für Sie, Gerda, habe ich keine Zeit.'" Die Zeit aber ging weiter. Der Sommer kam heran, und an einem der letzten Junitage Iras auch Susanna ein, mit ihren beiden Kindern, der zweieinhalbjährigen Anne und dem kleinen Alexander, der gerade seine ersten Sitz versuche machte. Mit ihnen zog etwas Leben in das kleine Haus ein. Maria Grovenstahl waltete mit gesteigerter Ge schäftigkeit, und Fritz blieb jeden Nachmittag einige Stunden tm Hause. Er trieb allerlei Unfug mit den Kindern, so daß Tante Maria manchmal den Kops schüttelte, während er sich meist selbst nicht verstand. Susanna fühlte erst jetzt ihre Zugehörigkeit zu diesem Hause und den beiden Menschen, die ständig darin lebten. Früher war ihr die ernste, stille Tante nie recht sym pathisch gewesen. Jetzt empfand sie aufrichtige Hochachtung für sie und schämte sich, wenn sie der Tage gedachte, die sie vor Jahren erstmalig in dem Hause »erbrachte. (Fortsetzung folgt.)