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UrdobsrrectitssckutL: kiwk lürme-Vorlas, ttaUe (Laals) 101 - Nachdruck verboten. Wie lange es still im Raume gewesen war, wußte Fritz nicht zu sagen. Aber er erschrak, als Kurt Roschwitz plötz lich nebeu ihm stand und die Hand hart auf seine Schulter legte. Sich umwendend, sah er in ein von Zweifeln auf gewühltes Gesicht, aus dem die anfängliche Ergebenheit gewichen war. „Du — hast du das damals schon gewußt?" fragte Kurt mit unbeherrscht wilder Stimme. Fritz sah das unruhige Flackern in den Augen des Freundes und fühlte gleichzeitig dessen Hand sich fester um seine Schultern krampfen. Begütigend befreite er sich von ihr und hielt sie fest. „Ich sehe, wie es dich trifft, Kurt. Und darum will ich dir sagen: Nein! Ich habe damals, als du mit mir über meine Schwester sprachst, weder etwas gewußt, noch im entferntesten ein solches Ereignis geahnt. Es kam mir ebenso unerwartet wie dir." „Aber diese Verbindung kommt dir erwünscht — nicht wahr? Hauenstein ist reich, und ich ein armer Teufel." Der Sarkasmus in diesen Worten trieb Fritz das Blut nach dem Kopfe. Doch zwang er sich zu einer ruhigen Antwort. „Du irrst dich, Kurt! Ich kann nicht sagen, daß mir die Verbindung Sannas mit Hauenstein erwünscht ist. Im .Gegenteil, gerade jetzt kommt sie mir vollkommen zur Unzeit. Trotzdem kann und werde ich, wie ich dir schon einmal sagte, Sanna in einer derartigen Entscheidung nicht beeinflussen." Die Festigkeit der Stimme brachte Kurt Roschwitz etwas zur Ruhe. Die Erregung legte sich, und mit Dank hörte er die guten, warmen Worte des Freundes. „Ach, auch mir wird dadurch ein lieber Wunsch zu schanden, denn niemanden hätte ich Sanna lieber gegeben als dir. Noch habe ich mir meine Einwilligung Vor behalten. Wenn nun aber Sanna zu dem anderen hält — würdest du wollen, daß ich einen Zwang auf sie ausübe?" In Kurts Gesicht kam ein heftiger Kampf. Nur kurz; dann sagte er ohne Zögern: „Nein, Fritz! Das Glück Sannas steht mir höher als die Erfüllung meiner Liebe." Fritz nickte ein wenig versonnen und sagte leise: „Hoffen wir, daß sie glücklich wird!" Kurt Roschwitz konnte dieses Gespräch nicht länger er tragen. In ihm war der Drang, allein zu sein. So gut auch jede Teilnahme gemeint war, sie tat ihm doch weh. Erst alles in sich überdenken, alles ordnen, das war es, was er tun mußte, wenn er nicht an dem Feuer, das in ihm loderte, verbrennen wollte. So reichte er dem Freunde die Hand. „Zwischen uns bleibt alles wie es war." Dann ging er, und Fritz Grovcnstahl sah ihm lange nach, bis er im Dunkel entschwand. — * -i- * > Gleich einem, der nicht weiß, wo er sein müdes Haupt zur Ruhe legen soll, irrte Kurt Roschwitz durch die Straßen. Ohne einen Zweck, ohne ein Ziel lief er umher, getrieben und gehetzt von dem Gedanken: Es ist zu Ende. Die Zukunft schien ihm so schwarz, des Lebens so unwert, daß er wünschte, tot zu sein und damit frei von dem Quälenden. Und doch war alles in ihm bei Susanna. Jetzt erst, da er wußte, daß seinen Wünschen keine Er füllung werden konnte, fühlte er die ganze Größe seines Verlangens nach ihr. Was will ich noch?, schrie es aus ihm: Susanna! Stunden verrannen. Klappernd fuhren die Jalousien an den Fenstern der Geschäfte herab. Die Straßen füllten sich mit heimkehrenden Menschen. Achtlos ließ Kurt sich in dem Gewühl mittreibew- Daß daheim die Schwester auf ihn warten würde, kam ihm gar nicht in den Sinn. Immer so gehen, immer weiter, ohne ein Ende zu finden, das schien ihm erstrebenswert zu sein. Nur die Gedanken hätten nicht sein dürfen. Hal Wenn er sie doch über Bord werfen könnte! Wie sich die Nerven spannten, bis zum Zerreißen spannten, um den einen Punkt, den sie um faßten, und der immer größer wurde. Wenn er doch nur vergessen könnte, vergessen, Susanna vergessen! Längst hatten sich die Straßen wieder geleert und lagen einsam in der Nacht da. Kurt schritt weiter, und das laut hallende Geräusch seiner Schritte erschreckte ihn. Und wenn er dann auS der Ferne die Schritte eines Nachtschwärmers hörte, wie sie langsam näher kamen, immer lauter wurden und wieder im Dunkel verhallten, da fragte er sich: Soll das ein Symbol sein für mein Leid? Heißt das: Anderes geht vorüber, nur dieses, das deine nicht? Aus einem Lokal drang die Musik eines Schlagers ins Freie, und hier blieb Kurt zum ersten Male stehen, als wäre ihm daS etwas Neues. Da glitt dicht an ihm eine schlanke Frauengestalt vorbei in das Innere desselben. Ein kurzer, auffordernder Blick streifte ihn. Er hörte das Knistern der Seide, und eine mächtige Sehnsucht nach Liebe packte ihn. Ja, er wollte allem anderen zum Trotz warme Frauenlippen küssen... Lisa Roschwttz wartete voll Unruhe auf den Bruder; aber Stunde auf Stunde verrann, und er kam nicht. Im Nebenzimmer stand der Tisch gedeckt. Sie hatte noch keinen Bisse« gegessen. Längst war Mitternacht vorbei, als sie In einem Stuhl in Schlummer fiel. Einmal fuhr sie aus. Lt« bßM» Wie tastende Schritte näher kamen, und eine wilde Angst legte sich um ihr Herz. Wer war das? Konnte das Kurt sein? Sie sah nach der Uhr. Die wies auf den nahen Morgen. Draußen fuhr ein Schlüssel ins Schloß, und dann taumelte der Bruder ins Zimmer. Lisa erschrak vor ihm. Sein Gesicht zeigte die Spuren des Alkoholgenusses, das Haar hing ihm wirr in die Stirn, und in den Augen war etwas Unstetes. Als er die Schwester sah, versuchte er harmlos zu lächeln; aber es wurde nur eine Fratze. «Fein ... Lisa .... daß du ... ge wartet hast", stammelte er. Dann ließ er sich schwankend in einen Stuhl fallen; seine Stimme ging in ein un- zusammenhängendes Lallen über, und er vergrub den Kopf in die Hände. In Lisa wurde es bitter, daß sie den Bruder so sehen mußte. Fast wollte es wie Abscheu über sie kommen, aber sie zwang sich zu der Frage: „Warum tatest du das, Kurt?" Er hob den Kopf und sah sie verständnislos an. Dann kam ein Suchen in seine Augen, so, als wollte er etwas weit, ganz weit Zurückliegendes in sein Gedächtnis rufen. Es ging eine merkliche Veränderung in ihm vor. Er ver suchte seine Gestalt zu straffen und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als wollte er das Häßliche daraus scheuchen; aber seine Stimme blieb spröde und rissig. „Sanna ... Sanna ... hat sich verlobt... mit einem ... anderen", stammelte er. Sein Kopf wollte wieder auf den Tisch sinken, doch Lisa schüttelte ihn an den Schultern. Da sprang er auf und stellte sich vor sie. „Hörst du ... mit einem anderen ... kannst du das verstehen ... mit einem anderen!" Lisa fragte nicht mehr. Sie wußte, was dem Bruder widerfahren war, und ein großes Erbarmen überkam sie. „Ertrag es, Bruder!" sagte sie leise. „Mit uns Rosch- Witz' hat die Liebe kein Erbarmen." Bei dem Klang der Stimme merkte Kurt auf und sah zögernd in das leidbewegte Gesicht der Schwester. Da wurde ihm bange, und er fragte: „Auch du ... Lisa?" - — „Ja... auch ich... und auch ein Grovenstahl!" Da vergrub Kurt den Kops wieder in die Hände; in seinen Augen war ein stummes Verzweifeln. Doch Lisa trat zu ihm und strich ihm begütigend über sein Haar. «Wir wollen beide stark sein und es ertragen," . " i Elftes Kapitel. In der nächsten Woche kehrten Frau Drohne und Susanna zurück. Beiden war die Reise Wohl bekommen, hauptsächlich Susanna, die einer frischen Blüte glich. War sie mit einer letzten Spur von kindischem Wesen abgereist, so hatte sich das während ihrer Abwesenheit vollkommen verloren. Ihre Bewegungen zeigten die Selbstsicherheit, die ihr früher gefehlt hatte. Dabei war sie von einer An mut, die bestricken konnte. Fritz Grovenstahl war überrascht, als Susanna ihn umarmte. Ohne weiteres begriff er die Möglichkeit, daß es nichts Außergewöhnliches war, wend ein Mann seine schöne Schwester zur Frau begehrte. In diesem Sinne wollten seine Gedanken zu Kurt Roschwitz abirren, aber er zwang sie zurück und begrüßte Frau Sibylle, die eben falls frisch und gesund aussah. Mit dem Heimgekommenen zog wieder das Leben in das kleine Haus, um das just die Bäume zu grünen be gannen, und das Starenpaar, das sich in einen von ihnen eingenistet hatte, schaute verwundert auf die ihm noch unbekannten Gestalten. Fritz hatte erwartet, daß sich die Stiefmutter irgendwie über den Fortgang Gerdas auslassen würde, aber selt samerweise berührte sie diesen Punkt gar nicht. Und als er sie einmal rundheraus um ihreMeinung hierüberfragte, zuckte sie nur gleichgültig die Schultern. Geschickt verbarg sie ihren Aerger, der bei dieser Frage in ihr aufstieg. Weiß Gott, sie hatte sich das alles anders vorgestellt. Wie schön wäre es gewesen, wenn Gerda die Frau des Haüses geworden wäre-j^Welch einen Rückhalt hätte das für sie gegeben! Sie hatte so bestimmt damit gerechnet, und nun machte ihr dieses Mädel in einer sentimentalen Laune alle Hoffnung zuschanden. Das war doch zu dumm. An dem der Ankunft folgenden Tage bat Fritz Groven stahl seine Schwester zu sich. AlS sie gekommen war, nahm er ihr gegenüber Platz und sah ihr forschend ins Gesicht. Susanna verstand diesen Blick und senkte errötend den Kops. Aber leise flüsterte sie: „Ich bin ja so glücklich, Fritz!" Der beugte sich im Stuhl vor und stützte den Kopf in die Hand. „DaS ist es, was ich wissen will. Erzähle mir, wie es kam." Minutenlang war Schweigen zwischen beiden. Susanna hielt die Augen geschloffen, und um ihren Mund lag ein Lächeln. Erst als Fritz sich räusperte, schlug sie die Augen hoch. Dann erzählte sie, wie sie vor wenigen Wochen Alexander Hauenstein tennengelernt habe. Erst im Hotel, wo sein Platz «eben ihrem lag. Er hatte gut und inter essant zu plaudern verstanden, düzu hatte ihm der Nimbus des Reichtums von vornherein alle Aufmerksamkeit ge sichert. Später waren gemeinsame Ausflüge gefolgt, und an einem solchen war es gewesen, daß er sie gebeten hatte, seine Frau zu werden. „ - - n Susanna erzählte die-alles mit großer Wärme, unvi ' ihr Glück sprach so deutlich aus ihren »orten, da» Fritz seine früheren Bedenken-— Hauenstein Haye sich nur auS einem ihm unklaren Grunde und nicht auS Liebt UM Susanna beworben — verwarf. Trotzdem sagte er warnend: „Hast du auch bedacht: Hauenstein ist mehr als doppelt so alt wie du?" Susanna sah den Bruder erstaunt an. - „Alexander ist zweiundvierzig Jahre alt; aber das hat doch nichts zu sagen!" Fritz Grovenstahl fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Was er Susanna jetzt sagen wollte, hätte eigentlich besser für eine Frau gepaßt. Aber wer sollte es ihr sagen? Auf die Stiefmutter war kein Verlaß, denn die stand par teiisch genug zu Hauenstein. So sprach er also zögernd, aber fest: „Ganz so gleichgültig darf man den Altersunterschied von Eheleuten nicht betrachten; denn vielfach ist er später der Anlaß zu großem Unfrieden, wenn nicht zu noch Schlimmerem. Es ist also ein Unterschied von dreiund zwanzig Jahren. Wenn du in zehn Jahren im besten Frauenälter stehen wirst, ist Hauenstein ein verbrauchter Mann. Es ist meine Pflicht, dir das zu sagen, und du verstehst, was ich meine. Wirst du dann nicht etwa bereuen und dich so in der Gewalt haben, daß du dich nicht ver lierst?" Beinah entsetzt sah Susanna den Bruder aus großen Augen an. Fritz merkte, daß sie an das, was er ihr eben gesagt, noch nie gedacht hatte, und ließ ihr Zeit zum Ueberlegen. Dann, als er meinte, daß dies hätte geschehen können, fragte er: „Nun?" » ' Da warf Susanna den Kopf in den Nacken. Um ihre» Mund flogen die Schatten des Trohes, und ihre Stimme hatte einen feindseligen Klang. „Was du mir da sagtest, ich nehme es auf mich — hörst du? Das wiegt mir das Leben auf, das Hauenstein Mir bieten wird!" Fritz horchte auf, und als er fragte, konnte er die Ironie nicht ganz verbergen. „Also hat auch deine Liebe einen immerhin realen Hintergrund?" „Neid!" sagte Susanna mit leiser Abwehr. „Meine Liebe ist wahr; aber auch das Leben habe ich gern." Fritz erhob sich und reichte der Schwester die Hand. „So will ich weiter keine Einwendungen machen. Mögest du glücklich werden!" Da legte Susanna ihm die Hände um den Hals und sagte leise: „Ich bin es schon. Ich liebe... und die Liebe kann doch nichts anderes als Glück bringen?" Fritz strich ihr mit der Hand über das Haar. - „Möge dir diese Meinung erhalten bleiben, Schwester!" Am nächsten Tage kam Alexander Hauenstein. Fritz Grovenstahl empfing ihn in seinem Arbeitszimmer. Un mittelbar nach seinem Eintritt brachte Hauenstein seine Werbung vor, und obwohl das in kurzen,-knappen Worten geschah, fand Fritz doch Zeit, den zukünftigen Schwager eingehend zu mustern. Er fand, daß Hauenstein sich seit seinem ersten Besuche im Hause Grovenstahl nicht merklich verändert hatte. Noch genau dieselbe stolze, ungebeugte Kopfhaltung, keine Falte im Gesicht, und das Feuer in den dunklen Augen brannte ungemindert. Auf keinen Fall sah man diesem Manne, dessen aufrechte, straffe Gestalt nur wenig kleiner war als seine, das vorgerückte Alter an. Fritz sah mit Bewunderung auf dieses Gesicht, das keinen Widerspruch zu dulden schien. In seine Betrachtung vollkommen vertieft, merkte er nicht, daß Hauenstein längst schwieg, bis dieser ein wenig spöttisch mahnte: „Ich erwarte Ihre Antwort, Herr Grovenstahl!" Fritz sah die Augen Hauensteins auf sich gerichtet und fühlte den zwingenden Einfluß, den sie ausübten, in sich. Das aber mißfiel ihm, und die bisher gehegte Bewunde rung drohte unterzugehen. Auch er schlug die Lider voll auf. § Die Blicke der Männer kreuzten sich, und beide wußten, daß sie einander nie näher kommen würden — daß sie immer Gegner sein würden. Ebenso iurz, wie Hauenstein die Werbung vorgebracht hatte, erteilte Fritz seine Einwilligung. Nur wenige kühle, fast geschäftsmäßige Worte waren es, denen ein flüchtiger Händedruck folgte. Fritz wollte nun gleich alles Geschäftliche ordnen. Doch kaum hatte er zu sprechen begonnen, als Hauenstein ihn mit einer leinen Widerspruch duldenden Hand- bcwegung unterbrach. Beinah betroffen, schwieg Fritz, und ehe er sich so weit gefaßt hatte, daß er trotzig fort fahren wollte, trat Susanna in das Zimmer; die« bewirkte eine endgültige Unterbrechung. Fritz wandte sich bei der Begrüßung der beiden ab; aber er hatte das Beivußtsein, daß er jetzt durch Hauenstein eine gewaltige Schlappe erlitten habe. Offen gestand er sich das ein, undssin Ge sicht flammte in dieser Erkenntnis vor Zorn. Wie hatte ihn der behandelt! Wie einen unreifen Schuljungen. Nur mit Mühe zwang er sich zu einigen Glückwunsch worten an Susanna und Hauenstein, der seit dem Ein treten der Verlobten ganz anders war. Freundlich unter hielt er sich mit allen, und Fritz mußte gestehen, daß er dieses trefflich verstand. Wenn Hauenstein von großen, geschäftlichen Transaktionen sprach, konnte er nicht ver hindern, daß er gespannt lauschte. Angeregt verlief der Nachmittag, und als Hauenstein sich am Abend verabschiedete, stellte er Fritz für den nächsten Tag seinen Besuch in der Fabrik in Aussicht, um, wie er sagte, die noch schwebenden Fragen zu erledigen. Damit verband er die Bitte, das Werk besichtigen zu dürfen.