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S1. ) Mi» der Wichtigkeit und Barschheit, die manchen Kriminalbeamten eigen ist, wenn sie sich starrsinnig in eine, wenn auch falsche Theorie verbohrt haben, schritt der Kommissar voran. Wie ein Trunkener folgte ihm Rainer oon Nakenius. Der Geheimrat schüttelte unentwegt den Kopf. »Unmöglich alles, unmöglich, Herr Geheimrat!" Der Arzt redete beruhigend auf den Bater ein. „Es muß sich la alles aufklären. Muß ..." Auf der Platte des großen massiven Schreibtisches sanden sich zwei Briefe, der eine an den Geheimrat, der »ndere an Rainer von Nakenius adressiert. „Bitte, öffnen Sie diese Briefe in meiner Gegenwart, Herr Doktor!" Nakenius zögerte nicht einen Augenblick. ES War ja rlles so ungeheuerlich, so unbegreiflich. Und er las: „... es soll genug sein des grausamen Spiels, Rainer! Nun hast du diese Dame gar in deinem eigenen Betrieb untergebracht. Es genügte dir nicht, daß du diese Reklameschönheit dauernd auf Plakaten und Prospekten vor Augen haltest — nein, du willst mehr haben... mehr, sie täglich in deiner Nähe haben. Und das machen deine Eltern mit? Und dann wundert man sich über mein kühles Verhalten in unserer Ehe. Lange genug habe ich das ertragen. Ich mache es nicht mehr mit. Heute noch werde ich dich für immer verlassen. Forsche nicht nach meinem Verbleib! An deiner Seite unter solchen Umständen weiterzuleben, ist mir unmög lich. Ich müßte keinen Stolz in mir haben, wem, ich das ertragen könnte. Das gleiche schreibe ich deinen Ellern. Evelyn." Und wirklich. Als der Kommissar den zweiten Brief gelesen hatte, fand er den ersten nur bestätigt. „Die Schrift mag zweifellos die Ihrer Gattin sein, Herr Doktor! Es klingt oder soll klingen wie Selbstmord, den ich nach Befund der Leiche nnd vor allem nach der Lage verneine. Die Schlüssel zum Schubfach des Schreib tisches fehlen. Vielleicht haben Sie sie doch noch in der Tasche? Wollen Sie mir einmal jagest, welchen Anzug Sie gestern abend trugen?" . . „Frack." „Und wo hängt er?" — AMmer E i - Ein Beamter ging mit dem Diener hin und brachte die Schlüssel. Atemlose Gespanntheit. - - Der Geheimrat war auf einen Stuhl gesunken. Nakenius biß auf die Zähne. „Nach Aussagen der Dienerschaft empfing Ihre Gattin keinen Besuch, und Sie geben selbst zu, daß Sie sich nicht entsinnen, jemals in der Nähe Ihrer Gattin einen Menschen gesehen zu haben, der als Täter in Betracht kommen könnte. Herr Doktor von RakeniuS, ich muß Sie bitten, mir sofort zu folgen. Vielleicht lassen Sie irgendwelche Anordnungen an Ihren Herrn Vater hier!" Grauen packte die Anwesenden. Jetzt erst drang allen die Gefährlichkeit der Situation ins Bewußtsein. „Vater!" Rainer von Nakenius machte taumelnd einen Schritt auf den Vater zu. Der Geheimrat aber saß stumm da, wie von einem Blitzschlag gelähmt. Er/hörte nicht mehr, was um ihn geschah. Nur. die furchtbare. Gewißheit schien in ihm zu sein. Da riß sich der Gelehrte zu seiner ganzen Größe auf. „Ich habe nichts mehr zu regeln. Ich bin unschuldig. Ich werde bald wieder daheim sein müssen." Er ging. Jetzt erst schien Leben in den Geheimrat zurückzu- kebren. Seine Augen irrten durch das Zimmer. Alles lag ordentlich und friedlich an seinem Platze — und doch, wie fremd mutete ihn plötzlich der vertraute Raum an. Mit wehem Herzen nahm der alte Vater Abschied von dieser Umgebung. Ein letzter sehnsüchtiger Blick — er begriff das alles nicht mehr. Nur die Worte seiner Frau vom Abend zuvor klangen ihm noch in den Ohren: „Hältst du es für richtig, daß du dich so um eine fremde Dame bemühst? Könnte dir das nicht falsch ausgelegt werden?" Und dann später noch: „Ich bange um den Jungen." Es war, als ob dem alten Manne jemand die Kehle zudrückte, so befiel ihn furchtbare Angst. lieber das Haus Nakenius war jäh ein unheilvolles Schicksal hereingebrochen. Ein Schicksal, das im Nu alles zermalmen konnte — alles... Achtzehntes Kapitel. Träge fiel der erste Schnee. Noch wässerig, ohne langen Bestand — aber doch schon die Freude der Kinder. Feuchtigkeitgesättigt war die Luft wie in einer Waschküche. Eng eingemummclt schlichen die Menschen. Rotgeschnupft« Mädchennäschen lugten aus dicken Pelzkragen und sahen verdrießlich in den Spätherbsttag. Mit leeren Augen, den weißen Stutzbart nervös drehend, erschien Geheimrat von Nakenius. wie immer. att einer der ersten in seinem großen Werk draußen vor der Stadt. Selbst dieser schwere Tag, der der furchtbarsten Nacht seines Lebens solgte, fing bei ihm mit der regelmäßigen Arbeit an. Er stand in seinem Büro und sah auf den großen Doppelschreibtisch. Dort saß noch gestern mein Junge!, mochte er denken und schüttelte sorgenschwer den Kopf. Dann schien ihm etwas einzufallen. Nichtig — seine liebe Frau, die er weinend daheim wußte, hatte ihm noch einmal die Erinnerung an Rainers Worte und Verhalten zurückgerufen. „Dieses Mädchens wegen etwa?" Dein alten Geheim rat kamen Zweifel. Aber doch — hatten nicht ost genug schon leichtfertige Frauen den ethisch fest verwurzelten Mann aus der Bahn geworfen? Gewiß, er sah nicht klar. Konnte nicht urteilen. Doch schon die Möglichkeit, daß dieses Mädchen mit der grauen haften Katastrophe irgendwie in Verbindung stehen konnte, brachte sein Blut in Wallung. Vielleicht zum ersten Male in seinem langen Leber»,handelte Geheimrat von Nakenius, ohne nach Recht und Unrecht zu fragen. Er wußte nur, daß es um die Ehre seines Hauses ging. Um die Ehre! Das raubte ihm fast die Besinnung. Er nahm den Hörer von der Gabel. Die Zentrale meldete sich. „Das Wert in Wahren, bitte!" Zitternd stand der alte Mann da. Rote Funken tanzten« vor seinen Augen. „Direktor Meinhardt! Bitte, Herr Geheimrat — Fräu lein EhlerS? Ach ja — richtig. Die ist da. Sofort fristlos entlassen? Ja — ja — gewiß, Herr Geheimrat!" „Ja, sofort! Die Dame verläßt augenblicklich den Be trieb. Welche Kündigungsfrist hat sie? Halbjährlich?! Soso?! Ja, es war meines Sohnes Wunsch. Gut — zahlen Sie das Gehalt auf ein halbes Jahr aus. Sofort — allerschnellstens. Die Papiere können Sie nachschicken. Schnellstens." Unverständliche Worte drüben. Der Geheimrat hatte! schon aufgelegt. Nun wurde er ruhiger. Ganz ruhig.! Jetzt glaubte er, richtig gehandelt zu haben. Wenige Minuten später brachte ihm ein Bürobote die! tägliche Post. Obenauf die Zeitungen. Aengstlich, als wären es unbekannte Sprengkörper,! entfaltete er die „Morgennachrichten" — und erblaßte. „Furchtbarer Mord an der Gattin des bekannten Er- finders Rainers von Rakenius. Nakenius wegen dringen den Verdachtes sofort verhaftet." Der Geheimrat sank in seinen Sessel nieder. In seinem Hirn wirbelte alles durcheinander — alles.