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Orkeborrecktssckutr: I^unk 1?ürme-VorIllL, tlallv (Lasls) 81 Nachdruck verboten. „Es ist mir zu still hier." - Lisa lächelte; ein feines, wissendes Lächeln. Sie wußte, daß Gerda ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Sie wußte aber auch, daß es Vorkommnisse gab, von denen man zu leinem Menschen, und mochte es der beste Freund sein, sprechen konnte. So faßte sie es denn auch nicht als Mangel an Vertrauen auf. Lisa Roschwitz ahnte, was in Gerda vorging. Deren Blicke, mit denen sie Fritz Grovenstahl umhegte, hatten es ihr verraten ... Gerda liebte ihn und war aus der Flucht vor ihrem eigenen Herzen. Sie konnte es aber nicht verstehen, daß sich jemand vor der Liebe fürchtet, und so fragte sie scherzend: „Du willst dich also in das große Treiben der Welt stürzen?" „Ich werde mich zur Lehrerin ausbilden lassen", sagte Gerda. „Ein Mensch sollte immer einen Beruf haben." Lisa horchte auf. Was war das? Nach Eutsagenwollen batte das geklungen. So weit dürfte doch die Scheu nicht gehen. Oder hatte Fritz Grovenstahl ihr unrecht getan? Doch das konnte Lisa nicht glauben. So sprach sie er mutigend zu ihr: „Du darfst nicht vergessen, Gerda, daß unser Beruf der ist, Frau und Mutter zu sein!" „Es geht nicht immer", warf Gerda dazwischen. „Freilich ist es aus Wirtschaftsgründen heute oft nötig, irgendeinen Beruf zu ergreifen. Deshalb bleibt cs doch immer ein Arbeiten gegen die Natur, und ich meine, wen die Notwendigkeit nicht zwingt, der sollte das nicht tun." Gerda war bei diesen Worten heftig errötet. „Du magst recht haben, Lisa!" sagte sie. „Es muß etwas Hohes sein, Frau und Mutter zu werden; aber nicht allen ist dieses Glück beschieden." Nun blieb ein langes Schweigen. Bis Lisa fragte: „Warum?" Gerda hob den Kopf. Das Gesicht schien von durch sichtiger, Blässe zu sein, und darin brannten die dunklen Augen. Aber der Blick war flehend. „Frage mich nicht, Lisa, rühre nicht daran. Es ist ja alles noch so frisch und schmerzt. Was ich in den letzten Wochen verloren habe, läßt mich vor der Zukunft bangen. Bitte, frage nicht." Achtes Kapltel. Anfang Januar war Klaus großjährig geworden. Nach der Gratulation sagte Fritz zu ihm: „Du hast von heute ab ein Anrecht auf dein Erbe; aber ich hoffe, du beläßt es noch in der Fabrik." Klaus winkte heftig ab. „Ich brauche es nicht, Fritz! Es ist bei dir ebenso gut aufgehoben wie in der Bank. Vorläufig genügt mir mein Gewinnanteil. Ich geh' in den nächsten Tagen nach der Reichshauptstadt." „Nach Berlin?" „Ja, Fritz! Ich muß hinaus ins Leben. Wenn wir Künstler nicht den Kampf kennenlernen, kommen wir schwerlich hoch." „Du mußt e§ wissen, Klaus! Begleitest du mich nach der Fabrik?" „v^a! Die Brüder schritten nebeneinander auf dem knirschen den Schnee. Beide gleich groß — und doch wie verschieden schon die Gestalten. Fritz aufrecht, Klaus ein wenig vorn- übergenetgt. Klaus war früher nicht oft in der Fabrik gewesen. Ihn hatte der große Lärm nie recht behagt. Aber jetzt, da er neben dem Bruder schritt und den stolzen Blick in deffen Augen sah, war es ihm, als hätte er viel versäumt. Wenn er HSrte, wie Fritz mit selbstbewußter Stimme hier und da Anordnungen gab. Überkam ihn fast etwas wie Neid. Doch den verwarf er sofort. Aber er konnte den Bruder jetzt um vieles bester verstehen. Einmal hatte Fritz zu ihm gesagt: „Für die Fabrik wäre er imstande zu hungern." Damals hatte er es nicht begriffen und es für den Ausspruch eines Wichtigtuers gehalten. Sie traten in die Schmiede. Die rußgeschwärzten Arbeiter nahmen nicht die geringste Notiz von ihnen. Fritz deutete auf einen glühenden Stahlklotz, der unter dem Hammer lag. „Gib acht ... so ist das Leben!" Dröhnend fiel der Hammer. Auf und ab ging es, und so sehr sich die unförmige Glut auch wehrte und zornige Funken stob, sie wurde doch zusehends kleiner und nahm die Form an, die man ihr geben wollte. Fritz nickte: „Da hast du das Leben! Entweder du bist Hammer, oder du wirst von anderen gezwungen, eine Form anzunehmen, die dir meistens nicht paßt." Der Hammer sauste wieder dröhnend herunter, und Fritz mußte dem Bruder die Worte in» Ohr schreien: „Wenn du draußen zu unterliegen drohst, wenn du schwach wirft» dann denk« an diese- Bild. Sei niemals Amboß... immer Hammer!' Etwas von der Kraft de- Brühers kam irr Klaus. Er schrie zurück: „Ja, Fritz, Has soll gelten!' Dann reichten sich die Brüder die Hände. „Es wird stiller bei mns werden, Gerda! Wieder zieht ein Grovenstahl in die Welt. Klaus siedelt nach der Haupt stadt über"/sagte Fritz am Abend zu Gerda. Diese kam zitlerud näher. Nun mußte auch sie sprechen. Was würde er nur sagen, daß auch sie fort wollte? Von Tag zu Tag hatte sie es verschoben, mit Fritz Groven stahl darüber zu sprechen. Es fiel ihr ja so unsäglich schwer. Nun würde er bald ganz allein sein. Doch sie unterdrückte das anfsteigende Mitleid und begann stockend: „Auch ... auch ich ... muß fort ... Herr Groven stahl!" Gerda sah an seinem maßlosen Stannen, wie un erwartet ihm ihre Mitteilung kam. Hatte er geglaubt, sie würde immer bleiben? „Sie wollen fort von uns, Gerda?'" fragte Fritz ge dehnt. „Ja!" sagte sie leise. „Aber warum denn? Hat man Ihnen etwas getan?" „Nein!" Gerda stockte das Blut, und ihr Auge bat ihn: Mache es mir nicht so schwer, ich kann ja nicht bleiben. ' Fritz sah, wie sie in ihrer Befangenheit vor ihm stand. Aber er hielt ihr Schweigen für Trotz. Hatte man ihr etwas getan? In seiner Stimme war Bitternis, als er fragte: „Ist es mir erlaubt, zu erfahren, warum Sie fort wollen?" Das Zimmer begann sich vor Gerdas Augen zu drehen. Wie weh ihr seine harte Stimme tat. Sah er denn nicht, was in ihr vorging? War er denn wirklich ohne jedes weiche Empfinden? Ihr Gesicht mußte ihm doch alles verraten! „Nun? Jede Frage ist eine Antwort wert", beharrte Fritz. Da wandte sie sich ab und trat zum Fenster. „Es ist mir zu still hier, Herr Grovenstahl!" Fritz zuckte bei diesen Worten zusammen. Wenn er alles erwartet hätte — das nicht. Wie man sich in den Menschen täuschen kann! Bei dieser habe ich gedacht, sie ist gut — und nun ist sie eine genau so hohle Puppe wie die anderen. Oder schlimmer; denn was war die ver gangene Zeit anderes gewesen als Heuchelei. Warum hatte sie nicht bald gesagt: Das Leben hier gefällt mir nicht. Gerda stand noch immer abgewandt da. Nur als Fritz Grovenstahl mst herbem Auflachen zu sprechen begann, fuhr sie zusammen. „Ah, ich begreife!" sagte er. Seine Stimme war von beißender Ironie. „Es steht Ihnen natürlich zu jeder Zeit frei, das Haus zu verlassen. Das Zwingende Ihres Grundes sehe lch ohne weiteres ein." Dann klappte die Tür. Gerda fuhr herum. Sie war allein. Sie wollte Fritz nacheilen, ihm znrufen: Was glaubst du von mir ... du... laß mich nicht fort... nicht so ... Aber ihre Beine versagten den Dienst. Sie fiel in einen Stuhl. Gerda wurde ruhiger. Nun war auch dieses vorbei, das Schwerste, vor dem ihr so länge unsäglich bange ge wesen war. Sie hatte bald nach Weihnachten an Verwandte ihres Vaters geschrieben, und die Antwort war eingegangen, daß man sie erwarte. Ihre Mutter wollte sie um Freigabe des ihr vom Vater zugefallenen kleinen Erbes bitten, dann würde sie weiter sehen. Als Marta Grovenstahl von der bevorstehenden Ab reise Gerdas erfahren hatte, schüttelte sie den Kopf und sagte: „Kind, das solltest du nicht tun!" Doch Gerda blieb fest. Der Tag der Abreise kam heran. Klaus und Gerda reisten zu gleicher Zeit. Noch einmal saßen sie olle um den gemeinsamen Früh- stückstisch herum. Aber das lähmende Schweigen, das über ihnen lag, wurde von niemandem gebrochen. Viel leicht war es der Gedanke an das Morgen, der alle um fangen hielt. Fritz Grovenstahl erhob sich und reichte Gerda die Hand. „Ich muß mich bereits jetzt verabschieden, denn ich kann dann nicht herüber. Mein Dank und der Wunsch alle- Guten ist Ihnen gewiß!" Der Händedruck war kurz und flüchtig gewesen. Aber Fritz hatte doch die Källe.threr Hand gefühlt. Zu KlauS sagte er im Fortgehen: „Du kommst, bitte, noch zu mit herüber!" Gerdas Augen umfaßten noch einmal seine hohe Ge stalt, dann war er gegangen ... vielleicht füy immer auS ihrem Leben. Auch der Abschied, den die Brüder voneinander nahmen, war kurz. - „Vergiß draußen nie, daß du zu uns gehörst!" sagte der Aeltere. ' < „Nein, Fritz!' . . „Solltest du mich einmal brauchen, so rufe mich!' KlauS nickte und leichte dem Bruder die Rechte. Dev umschloß ste mit kräftigem Druck und ließ das Auge forschend auf dem Jüngeren ruhen. „Und Mary Argenhardt?" . - Tro« seine« StaündnS — er Saite mif Fritz nicht darüber gesprochen — sah KlauS dem Bruder fest U» Gesicht. „Sie ist mein!' Der Druck der Hände wurde stärker. Dann ging KlauS, und Fritz blieb zurück. Bon Mary hatte Klaus schon tags zuvor Abschied ge^ nommen, und so fuhr er mit Gerda ohne jeden Auf:nt- halt zur Bahn. Nach wenigen Stationen gingen auch ihr« Wege auseinander. * * Nun war Fritz Grovenstahl allein! Auch Tante Maria war wieder in ihr Heim übergesiedelt. So stand das kleine Haus verlassen da; Fritz kam nur noch zum Schlafen hin. Von früh bis spät blieb er in der Fabrik. Die Mahl zeiten nahm er in der Beamtenkantine ein. Dazu häufte sich die Arbeit ins Unerträgliche. Nachtschichten mußten eingelegt werden, um den rumänischen Auftrag fertigzu- stcllen, denn die Auftraggeber drängten zur schleunigen Lieferung. Natürlich steigerte das den erlittenen Verlust erheblich. Fritz Grovenstahl war die Arbeit gerade recht. Für ihn war sie der Kampf, den er brauchte, um anderes überwinven zu können. Den Sorgen, die ihm das Werk bereitete, ging er mit seinem ganzen Grimm zu Leibe. Für ihn hieß es: Ihr oder ich! Einer muß Weichen' In Fritz vollzog sich eine Aenderung. So wurden seine Anordnungen kürzer, und immer seltener geschah es, daß er sich von Diesinger oder den Ingenieuren Rat holte, wie es in der ersten Zeit oft ge schehen war. Aber nicht nur sein Wesen — nein, auch sein Aeußcres wandelte sich. Das Gesicht war hager und kantiger, der Blick der Augen starrer. Wenn er jetzt mit knappen Bewegungen durch'die Werkstätten schritt, ohne, wie früher, diesem oder jenem ein scherzhaftes Wort zu gerufen zu haben, ging ihm wohl manch ein erstaunter Blick nach. Aber dann flogen die Hämmer schneller, uns die Feilen quietschten schriller. Seine Arbeiter verstanden ihn. Sie schätzten ihn aber auch, denn er gab jedem, was ihm gebührte Neuntes Kapitel. Kurt Noschwitz war einigermaßen aus dem Häuschen; denn Susanna Grovenstahl hatte ihm, ihrem Versprechen gemäß, geschrieben. Und was schrieb Susanna? Nicht viel, aber der Doktor war entzückt davon. Immer und immer wieder zog er den Brief aus der Tasche, um ihn aufs neue zu lesen; ertrug darüber geduldig die Necke reien seiner Kollegen. Seine Frage von damals und ihr Versprechen erwähnte sie überhaupt nicht. Doch das gerade war es, worüber der Doktor sich freute. Es genierte sie — dachte er bei sich — und das ist ein gutes Zeichen. Kurt Roschwitz war mit sich einig. Als Fritz Grovenstahl am Abend seines Geburtstages zu den Geschwistern kam, nahm ihn Kurt erst zu sich aufs Zimmer und drückte ihn in den Sessel. Er selbst ging einigermaßen aufgeregt hin und her, bis er mit einem Male vor Fritz stchenblieb und sagte: „Rauch, trink, mach', was du willst, aber höre zu, was ich dir jetzt sage!" Fritz sah den Freund, der, die Hände in den Hosen taschen, schon wieder eilig im Zimmer umherlief, be lustigt an. Doch Kurt schien jetzt keinen Sinn für Humor zu haben, denn er bat: „Du — lach' nicht, bitte! Bleib ernst bei einer ernsten Cache. Ich habe nämlich" — er reckte seine Gestalt etwas höher — „die Absicht, zu heiraten." Kurt nutzte wieder die Bewegungsfreiheit des Zimmers aus, und Fritz war erstaunt, warum er, wenn er durchaus heiraten wollte, schon jetzt die.Ruhe verlor. So sagte er fast begütigend: „Du willst heiraten? Das halte ich für gut. Auch ich werde einmal heiraten, um als Mann meiner Staats bürgerpflicht zu genügen." Kuri Roschwitz blieb stehen und sah den Freund ver dutzt an. Dann lachte er schallend auf. „Verdammt fein hört sich das an: Staatsbürgerpflicht genügen — wirklich fein!" In vollkommen verändertem Ton fuhr er fort: „Sag mal, Fritz, bist du von Eis? Hast du wirklich kein Herz, oder wenigstens einen warmen Winkel darin? Ich habe bei deinen Worten vorhin gefroren." Ein wenig zynisch antwortete Fritz: „Ein Herz habe ich wohl. Aber über dessen verborgene, Kammern uns Winkel und die Temperaturen darin bin ich nicht orien tiert. Darüber nachzustnnen fehlt es mir wohl an Zeil und Veranlagung. Doch erzähle von dir!" Der Doktor schien durch diese Worte ein wenig verletzt nnd seine Stimme war wohl schroffer als sonst: „Ich sehe, wie wenig dich diese Angelegenheit inter essiert, Fritz. Aber leider kann ich dir nicht ersparen, mich weiter anzuhören.' Betroffen trat Fritz neben den Freund und legte ihm begütigend die Hand aus die Schulter: „So habe ich eS nicht gemeint, Kurt. Höre nicht aus mich, denn ich habe alle Anlagen, ein unleidlicher Patton zu werden." - Schnell versöhnt, drückte der Doktor Fritz wieder in den Sessel und setzte sich dann vor ihn. Doch eine Wrile blieb es noch still zwischen beiden. Ein jeder hing seinen Gedanken nach, bis dann Tellerklappern auS dem Neben zimmer Kurt in die Wirklichkeit zurückrief^ „Es betrifft deine Schwester", sagte er. Frltz sah erstaunt auf. „Sanna?"' lw-or Kurt» Gesicht ging bei Nennung dieses NamenS ein Freudonschimmer. Er ergriff Fritz GrMkstayl» Hand, und es war ein Blüm in seiner Stimme „Ja — Sanna. Ich liebe dritte Schwester, Fritz — und djch frage ich, ob du etwa» dagegen hast, wenn ich mich MN sie bewerbe?' (Fortsetzung folgt.) ^