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(22. Fortsetzung.) Und nun packten die beiden Damen. Maria aber fühlte sich immer müde, allzu viel konnte sie nicht helfen. Aber die kleine, rührige Tante wollte das auch gar nicht. „Setze dich nur hin und überwache ein bißchen deinen Kram! Damit alles so wird, wie du es haben willst! Ich mache das mit Minna ganz gern allein." „Du hast mit mir nur Plage und Arbeit. Aber — ich fühle mich tatsächlich so schwach und elend", sagte Maria leise. Die Tante wußte ja auch ganz genau, daß Maria der Abschied so schwer wurde. Denn hier, in diesen Räumen, war sie eine Zeitlang so glücklich gewesen. Und dann kam der Tag, an dem das letzte Möbelstück hinausgciragen würde. Maria lehnte sich an die Wand. Vorbei! Vorbei wie ein Traum! Ein wundervoller Traum, aus dem sie erwacht war, und der nie wieder kommen würde. Arm in Arm gingen d-- beideü Damen den schmalen Gartenweg an der Mauer hinunter. Von einem Fenster des Stiftes sah Schwester Beate ihnen nach. In der Wohnung der Tante war auch alles fertig ge packt. Die Möbel waren schon verladen, und die großen und kleinen Koffer standen umher. Jeden Augenblick mußte der Dicnstmann kommen. Und dann kam der Augenblick, wo sie den Zug bestiegen. Einer neuen Heimat entgegen. Im Abenddämmern verschwommen die Türme der Stadt. Maria hatte die Hände gefaltet. So saß sie und sah still hinaus in die vorüberhuschende Landschaft. Neuntes Kapitel. Still und tief lag das Wasser da. Ringsum hingen die Weiden und Erlen ihre Aeste weit über das User. Zwei Kähne schaukelten sich drüben beim Bootshaus, und vier Schwäne zogen langsam und majestätisch ihre Bahn. Ringsum war dichtes Gebüsch, und weiße Bänke standen versteckt. Pom Dorfe herüber läuteten die Mittagsglockcn, und irgendein Vogel zwitscherte hoch droben im Geäst. Dicht am Wasser lag das kleine alte Schlößchen, das «inen ungemein behaglichen Eindruck machte. Seine Fenster blitzten hell, und lustig wehten schneeweiße Gar dinen im leisen Luftzug. Auf den Stufen der hoben, schmalen Treppe lag Flock, der Schäferhund. Aufmerksam blickte er immer wieder am Teich entlang. Die Herrin mußte doch endlich kommen? Maria saß mitten zwischen Grün und blühendem Ge büsch. Ihre schönen großen Augen blickten ans bas Wasser. Ab und zu sprang ein Fisch in die Höhe. Zu ihren Füßen huschte eine Eidechse vorüber. Ein bunter Käfer schleppte irgendeine Last emsig dahin. Frieden! Den Frieden hatte sie gefunden. Sie hatte liebe, wert volle Menschen um sich, wenn sie Gesellschaft haben wollte, und man ließ sie allein, wenn sie allein sein wollte. Frieden! Wirklich Frieden? Nein.! In ihrem Herzen war die große, heiße Sehnsucht nach Hans Joachim geblieben. Und die Zeit nahm ihr diese Sehnsucht nie, das wußte Maria nun genau. Maria ahnte, daß die Delthovcns alles wußten. Aber oiese taktvollen Menschen spielten nie auf etwas an. Und die beiden schönen Töchter waren wie der junge strahlende > Frühling selbst. Jolanthe, die älteste, war groß und schlank, dunkel und » feinsinnig, dabei immer mit einem unversiegbaren Froh sinn in den schwarzen, lebhaften Augen. Hanni aber war ein Kobold. Blond, blauäugig, mit einem rosigen, lachenden Gesicht, und immer zu losen s Streichen aufgelegt. Beide waren noch nicht verlobt, was ! eigentlich ein Wunder war, denn die Delthovcns waren ! reich, und an Bewerbern fehlte cs wahrlich nicht. j Aber die Eltern wollten ihre zwei schönen Töchter i durchaus noch nicht an den Mann bringen. Das gemüt- ! liche Familienleben war ihnen viel zu wertvoll, als daß sie erpicht gewesen wären, die Töchter so schnell als mög lich zu verheiraten. „Von mir aus — ich werde ganz gern eine alte Jungfer", sagte Jolanthe gleichgültig. „Wozu soll man sich eigentlich einen Mann aufhalsen? Man weiß ja doch s nie, wie cs ausgcht. Und ich könnte nie zu einem Manne » rufschauen, als sei er ein Halbgott." „Ra, na, ich bin nie als solcher behandelt worden! Frage Muttern!" Die Mutter hatte gelacht. „Nein! Männer sind schon übcrhebend genug. Man soll sie in dem Dünkel nicht noch bestärken", hatte sie dann lachend gemeint. Aber ihre Augen hatten sich mit denen des Gatten in innigstem Verstehen getroffen. Der Sohn war schweigsamer. Ein blonder Niese. Aber ;r konnte auch aus sich herausgehen. Dann gab es ein lustiges Gelächter. Eigentlich hatte er heiraten sollen. Aber »r wollte nicht. Er hatte da eine kleine trübe Erfahrung hinter sich, und das hatte ihm alle Lust aenommen, an eine öeirat zu denken. Er war ein sehr tüchtiger Landwirt, und der alte Herr war stolz auf ihn. Ohne daß sie das gewollt hatte, war Maria in dem zemütlichen Kreis heimisch geworden. Und wenn man sie herzlich bat, mitzukommcn, so folgte sie der Einladung. Sic wußte auch, daß die beiden jungen Mädchen sehr gern nit ihr noch nähere Freundschaft geschlossen hätten, daß äe nur ihre Nuhebedürftigkeit respektierten. Und in diesen letzten Wochen war Maria auch am, liebsten allein. Die alte Sehnsucht, das unsagbare Weh hatten sie wieder gepackt. Und darüber konnte ihr nichts hinweghelfen. Was sollte sic mit ihren traurigen Augen unter den fröhlichen, kernigen Menschen sitzen, denen sie, eielkLicht noch zuletzt die Freude verdarb? Immer weißer, durchsichtiger, schöner wurde Marias Gesicht. Die Tante sagte einmal händeringend: „Kind, reiß dich doch nur zusammen! Du siehst aus,^ As wärest du todkrank. Ich kann das ja kaum noch ver-l antworten, dich hier so gehen zu lassen. Wenn das so weiter geht, müssen wir den Arzt rufen." Maria hatte sie groß angesehen. „Den Arzt? Nein, Tante Katharine, der Arzt hat hier, nichts zu suchen. Ich bin ganz gesund. Und meine Wahn-, linnssehnsucht nach Hans Joachims Liebe und seinen! Küssen kann mir niemand aus dem Herzen nehmen." Da hatte die Tante nie mehr etwas gesagt. Aber sie, umsorgte sie mit doppelter Sorgfalt. Maria griff jetzt nach den Zeitungen, die sie sich mit gebracht. Sie faltete sie auseinander. Gleichgültig blieb ihr Blick an einigen Artikeln haften. Sie las, ohne Wohl so recht zu wissen, was sie eigentlich las. Auf einmal wurden ihr Augen weit. Todes stürz des berühmten Artisten Bruno Bonelli! In Neuyork verunglückte der berühmte Artist Bonelli tödlich. Er fiel aus der Zirkuskuppel herab, als er seinen berühmten Sprung ausführen wollte. Um den Toten trauern eine junge Frau und ein kleines Töchterchen. Tot! Maria faltete die Hände. Das letzte, was aus ihrem Vaterhaus noch zu ihr ge hört hatte, war gegangen. Verheiratet war Bruno ge wesen. Warum hatte er ihr das nie geschrieben? War ihm diese Ehe so unwichtig gewesen? Maria dachte, daß der Bruder doch ein seltsamer, ver schlossener Mensch gewesen sei. Nun war er tot! Hatte sie ihn geliebt? Vielleicht!