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(2l. Fortsetzung) mit Dina traf. Was dann Dina zu der unseligen Tat ge trieben hat, ist ein Rätsel. Las; gut sein! Wir wollen nie wieder dav,on sprechen. Ich werde meinen Weg gehen. Irgendwo wird sich ein Fleckchen finden, wo uns niemand kennt." Die Tante weinte leise. Maria senkte den Kopf tief aus die Brust. Ich liebe dich trotz allein. Oh, wie ich dich liebe!, dachte sie und preßte die Handflächen ganz, ganz fest ineinander. „Wenn es aber trotzdem nur um deinen Bruder ist? Stahl wird darüber denken wie dein Vater." „Vater war grausam gegen seinen Sohn. Professor Stahl hatte kein Recht dazu!" sagte Maria hart. Da schwieg die Tante. Nach einer Weile sagte Maria: „Es ist unverantwortlich von mir, dich aus deinem ge mütlichen Heim zu reißen. Ich weiß doch, wie du immer daran gehangen hast." „Das spielt jetzt gar keine Rolle, Maria. Die Haupt sache ist dein Frieden, und den fändest du hier nicht, wo du täglich an alles erinnert wirst. Also müssen wir fort." „Wie gut du bist, Tante Katharine!" „Ich habe niemand als dich. Ich gehe gern mit dir. Wir wollen davon nicht mehr sprechen." , „Hattest du wieder etwas von Bruno gehört? Ich § meine, in diesen letzten Tagen?" „Nein! Justizrat Hessel hat das Erbe noch immer in Verwahrung. Bruno hat nicht geantwortet bis heute. Ich habe ihm die genaue Hälfte meines Erbes bestimmt. Es ist nur recht so." Die alte Dame schwieg. Da setzte Maria noch s hinzu: „Bruno war leichtsinnig, schlecht war er nicht. Und Papa hätte ihn nicht zu einem Beruf zwingen sollen, zu dem er keine Lust und Liebe in sich verspürte. Die Mama hat mir kurz vor ihrem Tode das Versprechen ab genommen, Bruno nicht fallen zu lassen, wenn er sich an mich wenden sollte. Und ich habe der Mama das Ver sprechen gehalten." „Du hast ganz recht getan, Kind. Und — dein Mann hätte sich darüber mit dir aussprcchcn müssen. Ich werde über diese formlose Art, in der er sich von dir trennte, nie hinwegkommen." Marias Gesicht war still und weiß, aber ihre Augen blickten stolz und abweisend. „Ich werde Professor Siayi niemals mit Erklärungen lästig fallen, selbst wenn ein Zufall ihn mir noch einmal in den Weg führt", sagte Pe. Nun besprachen sie noch dies und jenes. Tante Katharine schlug als Wohnsitz Pommern vor. Sie hatte dort eine Jugendfreundin, die ein altes schönes Gut be saß. Vor Jahren war sie dort zu Besuch gewesen. Sie dacbte. daß man ibr vielleicht das kleine Haus am Schloß- tcich abtrcten werde. Es hatte so märchenstill und ver lassen mitten zwischen all dem Grün gelegen. Und für Marias zerrissenen Frieden würde die traumhafte Stille ! wohl gut sein. Freilich, der Winter mochte nicht so leicht sein. Aber da ließen sich doch vielleicht viele Erleichtc- ! rungen schaffen, und verlassen war man nicht. Die Familie Delthoven war sehr gesellig; sie bestand aus einem gemütlichen Elternpaar, zwei reizenden Töch tern und einem Sohn, der jetzt daheim weilte, um vom Vater noch gründlich zu lernen, denn er sollte ja später das Gut übernehmen. Tante Katharine stand immer im Briefwechsel mit der Freundin, und so war sic über alles orientiert. „Wie denkst du darüber, Maria?" wandte sie sich an die Nichte, nachdem sie ihr alles klargelegt, die Gegend und die Familie Delthoven geschildert hatte. Maria sah die Tante nachdenklich an. Dann sagte sic: , „Dieser stille Winkel könnte mich locken. Und — wenn du meinst, daß wir der Familie Delthoven nicht lästig sind? Sie werden doch ohne weiteres annehmen, daß wir oft bei ihnen sein wollen. Du kannst ja gehen, Tant- wen. Mir — ist jedoch vorläufig am liebsten, wenn ich ganz allein bleiben kann. Schreibe also, bitte, deiner Freundin, Tante Katharine!" „Das ist lieb von dir, Maria. Und ich denke, daß dir unser kleines Heim am Wasser gefallen wird. Ich war damals im Sommer dort, da war es wie ein kleines, ver wunschenes Schlößchen. Und unsere Sachen nehmen wir ja mit. Da werden wir uns schnell genug heimisch fühlen. Ich schreibe also gleich heute, und nach Empfang der Ant wort packen wir. Ich freue mich schon darauf. Wahr haftig!" Die alte Dame sprach nicht ganz die Wahrheit. Sie wollte nicht zeigen, daß ihr ein bißchen weh zumute war. Sie trennte sich doch nur schwer von der alten schönen Stadt, von ihren vielen Bekannten und freunden. Aber für Maria gab es nichts anderes. Sie müßte fort, wenn sie über all das Schwere hinwegkommen sollte. „Willst du dich nicht ein bißchen hinlegen, Maria? Du bist so furchtbar blaß", sagte sie dann und betrachtete Maria mitleidig. Maria nickte müde. „Du hast recht. Ein Stündchen Schlaf wird mir gut tun", sagte sie nachgiebig, trotzdem sie genau wußte, daß sie nicht schlafen konnte. Und sie legte sich auf das Ruhe- bett in das Zimmer ihres Mannes. Eine Weile lag sie regungslos da. Dann aber wühlt« sie den Kopf in das weiche Seidenkissen. „Hans Joachimi Ich habe so fest an deine Liebe ge glaubt. Ich ertrage es ja nicht, von dir getrennt zu sein." Maria spürte die Nähe des Mannes, den sie so unsag bar geliebt. Und der sich ihr gegenüber doch nur zur Liebe gezwungen hatte! Wie furchtbar das doch war! Unfaßlich! Demütigend war es. Und für sie war es das Beste. Sie konnte sich in irgend einem Winkel verstecken, damit sie Hans Joachim nie wieder sehen brauchte. Und Erik Molström? Das war seine Freundschaft, die er ihr so oft versichert hatte? Marias armer Kopf tat weh. Fast konnte sic nicht mehr denken. Und die Augen taten ihr so weh vom vielen Weinen. Wenn sie doch nur eine halbe Stnndc lang Hütte schlafen können! Doch der Schlaf kam nicht. Maria lag ganz still. Bilder, selig und beglückend, zogen an ihr vorüber. Konnte ein Mann sich derart ver stellen? Konnte er so warm und ehrlich eine Liebe heucheln, die gar nicht in ihm wohnte? Wie heiß Hans Joachim sic geküßt hatte in der letzten Zeit! Und sie hatte so fest an seine Liebe geglaubt! Nun war alles vorüber. Maria zuckte zusammen. Es war ihr, als stehe ihr Gatte neben ihr. Sie hörte seine warme, dunkle Stimme leidenschaftlich klingen: „Liebst dn mich, Maria? Keiner deiner Gedanken darf einem anderen gelten, denn ich Vin wahnsinnig eifersüchtig — Maria, hörst du? Mir gehörst du! Nur mir!" Maria schloß die Augen. Fort mit diesen betörenden Bildern, die sie nur aufs neue ruhelos machten, so oft sie ihr erschienen! Im Nebenzimmer schrieb die Tante an ihre Jugend freundin. Einige Tage darauf war die Antwort da. Frau Dclt- hoven freute sich sehr. Sie bat die Damen, recht bald zu kommen. Verkaufen wollte ihr Mann das kleine Schlöß chen am Teich nicht. Aber er stellte es den Damen bereit willigst zur Verfügung. Es werde noch renoviert, damit es recht gemütlich sei, und die ganze Familie freue sich sehr, die Tante Katharine so ganz in die Nähe zu be kommen. Und ihre Frau Nichte sei herzlich willkommen. Die arme junge Frau werde sicherlich ihren Frieden finden. Man würde sich ihr nicht aufdrängen, n.an würde aber ehrlich erfreut sein, wenn sie recht oft mit nach Delthoven käme. In vier Wochen könnten sie kommen. Dann wäre es schon wundervoll; das Haus in sattes Grün gebettet, und die vielen Blumen ringsum würden die junge Frau sicher lich erfreuen. Herzlich und mütterlich schrieb Hermine Delthoven, und zufrieden faltete Tante Katharine den Brief zusammen, als sie ihn ihrer Nichte vorgelesen. (Fortsetzung aus der 4. Seiles