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OrbvberroLÜtc-coutr:: künk Türine-Vcrl.iü. I lriNc 201 Nachdruck verbalen. „Aber mit dem größten Vergnügen! Denken Sie mal, Herr Ncschke, wie lange ich als Hilfsarbeiter arbeiten muß, bis ich zehn Mark verdient habe!" „Also abgemacht! Ich gehe inzwischen nach der Setzerei." Kaum hatte Reschke das Zimmer verlassen, als das Telephon von neuem rief. Seiner Anweisung entsprechend, ging Werner an den Apparat. „Ja! Ich werde Herrn Reschke bestellen, daß auch Herr vou Muthesius mitkommt. Wie heißt der Herr? Nicht Muthesius? Ach so, Malcsius. Ja! Ich richte es bestimmt aus. Herr Reschke kommt gleich zurück, er ist nur mal nach der Setzerei gegangen." * * * Frau von Mertens war erst spät cingcschlafen. Die Nachtcxkursion Irenes hatte nicht ihren Beifall gefunden. Tic alte Berta hatte sie beruhigen müssen: „Das ist nun mal heute anders mit die jungen Mäd chcu, gnädige Frau! Und wenn Fräulein Irene schreibt sie muß zur Nachtaufnahme fahren, dann muß sie eben hin In meiner Jugend gab's das nicht. Aber da gab's auch kein Kino und kein Auto." Ganz wohl war es der alten Berta bei diesen Bc rnhigungsversuchen nicht zumute. Als sie früh um sechs Uhr aufwachte, klinkte sie ganz leise die Tür zu Irenes Zimmer auf. Sie erschrak — das Bett war unberührt. Was hieß denn das? Es war längst Tag und das Gewitter lange vorbei. Jetzt konnte man doch keine Nacht aufnahmen mehr machen? Die alte Berta schüttelte den Kopf. Wenn sic ihr Fräu lein Irene nicht so genau kennen würde, dann hätte sic wirklich Schlimmes senken müssen. So atmete sie er leichtert auf, als um sieben Uhr die Korridortür ging und Irene, erschien. Aber als sie das verstörte und vcrwcinü Gesicht des jungen Mädchens sah, fragte Berta nicht viel Sie half Irene schweigend ins Bett, und als Irene er zählen wollte, strich sic ihr über das Haar und sagte mit mütterlicher Weichheit: „Schlafen Sic man erst, Kleinchen, zum Reden ist immer noch Zeit!" Willenlos und gänzlich erschöpft ließ Irene sich zu Belt bringen und fiel nach wenigen Minuten in einen schweren, traumlosen'Schlaf. Mit brummigem Gesicht beantwortete Berta die Fragen der Frau vou Mertens, als diese aufgcstanden war: „Wo soll das Fräulein sein? Im Bett liegt sie und schläft. So eine durchwachte Nacht strengt doch an. Wir wollen sie mal schlafen lassen, bis sie sich von selber meldet. Wenn sie die Nacht über arbeitet, dann kann sie ja auch mal später ins Büro gehen. Der Herr Direktor schläft sicher auch noch." „Ein verrückter Tag ist das heute", murrte Berta, als -schon um halb acht Uhr Fräulein Dumont dringend am Telephon verlangt wurde. Und als Avonne schon zwanzig Minuten danach fortging, war das Berta auch nicht recht. „Fräulein Irene, die sonst früh aufsteht, liegt heute um acht Uhr noch im Bett, und Fräulein Dumont, die sonst bis in den Mittag 'reinschläft, geht heute ganz zeitig fort. Mich soll nur wundern, wenn an so einem Tage nicht noch was passiert." Um halb zehn Uhr klopfte Berta an Seeburgs Zimmer. Ter hatte wohl sehr lange gearbeitet. Sonst antwortete er gleich, und jetzt kam trotz allen Klopfens keine Ant wort. Zuletzt hämmerte Berta mit beiden Fäusten gegen die Zimmertür. „Was machen Sie denn für einen Lärm, Berta?" fragte Frau von Merten erschreckt. „Da stimmt was nicht, gnädige Frau! So fest schläft der Herr von Seeburg sonst niemals. Ob er vielleicht schon fortgegangen ist? Seine Sachen hängen auch nicht an der Tür, wie sonst jeden Tag." Leise drückte Berta aus di Klinke. Die Tür gab nach. Als sie einen Spalt öffnete, sah sie zu ihrem Erstaunen das elektrische Licht noch brennen. Auf dem Schreibtisch stuhl saß Lcgationsrat von Seeburg. Sein Kopf lag auf der Plarre des Schreibtisches. Die rechte Hand hing schlaff herunter. Der Federhalter war auf den Teppich gefallen. Frau von Merten, die neugierig ins Zimmer geschaut hatte, schrie auf, griff mit der Hand zum Herzen. „Da ist etwas passiert, Berta — um Gottes willen, er ist doch nicht..." Sie konnte nicht vollenden, sie schauerte zusammen. Berta nahm sic sorglich beim Arm: „Nee, tot is er nich, gnädige Frau, das sch ich, aber ein gewöhnlicher Schlaf ist das nicht. Aber das ist nichts für Sie. Sie regen sich zu sehr auf. Ich bring' Sie ins Wohnzimmer. Und dann weck' ich Fräulein Irene, und die ruft den Herrn Sanitätsrat Fritsche an." * » * Brrba -aKe Mühe, Irene aus ihrem bleiernen Er schöpfungsschlaf zu wecken. Aber als sie hörte, daß etwas mit Seeburg passiert war, flog sie förmlich aus dem Bett. Die stürmte in Seeburgs Zimmer; ihr Herz schlug wild und angstvoll, als sic ihn in dieser eigentümlich zusammen- gcsunkencn Haltung fand. Sollten die Schrecken kein Ende nehmen? Zitternd fühlte sie an Seeburgs hcrabhängcnoc Hand. Gottlob, die Hand war warm und lebensvoll. Es war nur ein rätselhaft schwerer Schlaf, der ihn erfaßt hatte. „Nichts im Zimmer verändern", sagte Irene ent schieden, als die Mutter Berta zum Aufräumen des Zimmers veranlassen wollte, „nur Fenster auf!" Leise, wie um den geliebten, schlafenden Manu nicht zu wecke», ging sie zum Fenster. Kühl und würzig strömte die nach dem nächtlichen Gewitter gereinigte Lust herein. Tief atmete Irene die reine Frische; es war, als müßte vor dem klaren Tag der Spuk dieser rätselvollen Nacht verschwindcn. — Es klingelte. Berta ging eilig hinaus. Es war der alte Sanitätsrat. Irene unterrichtete ihn leise. Fritsche trat auf den noch immer fest schlafenden Seeburg zu, cichtetc ihn im Schrcibscsscl auf und zog die Augenlider rusciuander. Dann griff er zu Frau vou Mertens Er- äaunen nach der Kaffeetasse, die neben Seeburg stand, rach daran, steckte einen Finger hinein, den er zum Munde ährte. Er schüttelte den Kopf. „Lassen Sic den Kaffee hier auf dem Schreibtisch stehen, .'licht ausgicßen! Wo ist dieser Herr beschäftigt?" sagte Doktor Fritsche zu Frau von Merten. Als er hörte, daß er im Auswärtigen Amt tätig sei, verlangte er telephonisch sofortige Verbindung mit dieser Behörde. Dort forderte Fritsche sofort einen der an wesenden Ministerialräte zu sprechen. „Hier ist Doktor Fritsche, Arzt. Ich befinde mich im Ummer des Legationsrals von Seeburg. Ich habe ihn n einem Bctäubungsschlaf an seinem Schreibtisch an- etroffcu. Ehe ich die Polizei benachrichtige, möchte ich ören, ob Sie einen Ihrer Herren hcrschicken wollen, um ckc hcrumlicgcndcn Akten sichcrzustellcn." Auf eine Frage am Telephon erwiderte Doktor Fritsche: .Ein Selbstmordversuch scheint ausgeschlossen; cs ist auch weder eine Flasche, noch die Umhüllung eines Pulvers hier zu sehen. Lediglich eine Tasse Kaffee steht neben Lcm Kranken. Ich höre eben, daß er den Kaffee bestellt hat, weil er lange arbeiten wollte. Gut, also Sie wollen die Benachrichtigung der Polizei selbst übernehmen? Ich bleibe hier, bis ein Vertreter des Amts kommt." Fritsche legte den Hörer wieder auf. Dann bat er Irene und Frau von Merten, das Zimmer zu verlassen. Mit Bertas Hilfe bettete er den Bewußtlosen auf ein Sofa, löste die beengenden Kleidungsstücke und packte See burg bis zum Hals ein. Wenige Minuten später fuhren zwei Autos vor. Legationsrat von Matzow und Kriminalkommissar Werbcl trafen sich vor der Korridortür. Die Herren machten sich miteinander bekannt und betraten gleichzeitig mit Frau von Merten und Irene Seeburgs Zimmer, wo Doktor Fritsche sie empfing. Werbe! bat, zunächst alles stehen- und liegcnzulassen. Herr von Matzow ergriff trotz alledem ein Aktenstück und schlug cs auf. Dann wandte er sich an Wcrbel: „Ich habe den Beweis, daß hier ein Verbrechen ver sucht oder verübt worden ist. Dieses Schriftstück war gestern in dieser Mappe fest eingeheftet. Ich habe es gestern noch in der Hanv gehabt. Herr von Seeburg kannte die Wichtigkeit des Dokuments. Es ist ausgeschlossen, daß er es herausgerissen hat. Es muß also ein anderer getan haben. Damit entfällt auch jede Möglichkeit, daß Seeburg freiwillig ein Gift genommen hat. Ich habe ihn gestern abend telephonisch gesprochen, und er hat mir durch einen Angestellten des Amts einen ausführlichen schriftlichen Bericht geschickt. Der Angestellte hat mir diesen Bericht heute früh übergeben. Ich nehme dieses Aktenstück vor läufig an mich, Herr Kommissar. Ich kann die Einsicht auch Ihnen erst nach Zustimmung des Herrn Ministers gestatten." Dann wandte sich Matzow mit besorgter Miene an den Arzt: „Ist Seeburgs Zustand irgendwie bedenklich, Herr Doktor?" „Nein, ich glaube nicht." „Gottlob", sagte Matzow erleichtert. „Seeburg steht mir nahe. Ich schätze ihn außerordentlich hoch." Der Kriminalkommissar Werbel sah auf: „Ich bitte, dafür zu sorgen, daß niemand die Wohnung verläßt. Im Zimmer hier bleibt alles unberührt. Wer hat diesen Kaffee zubereitet?" „Das biu ich gewesen", sagte Irene, die leichenblaß und zitternd im Zimmer stand und besorgt Seeburgs Züge beobachtete. — „Wir wollen methodisch Vorgehen", sagte Kriminal kommissar Werbel. „Ich werde zunächst noch einige Be amte Herkommen lassen. Ich bitte, gnädige Frau, geben Sie mir ein Verzeichnis aller zum Haushalt gehörender Personen und sämtliche vorhandenen Wohnungsschlüssel." Dann wandte er sich an Lcgationsrat von Matzow: „Herr Legationsrat, wünschen Sie der Untersuchung in dienstlicher Eigenschaft beizuwohnen?" „Ich habe dazu bisher keinen Auftrag", erwiderte Matzow. „Ich nehme an, daß Sie das Telephon hier als gesperrt betrachten. Ich bitte um Erlaubnis zu seiner Be nutzung." „Selbstverständlich steht Ihnen die Benutzung frei. — Welchen juristischen Tatbestand würden Sie für gegeben halten, Herr Lcgationsrat, wenn sich jemand unrechtmäßig an dem Dokument, das Sie an sich genommen haben, zu schaffen gemacht hat?" „Landesverrat oder Spionage", war Matzows kurze Antwort. „Also, ich bitte Sic, noch wenige Minuten hierzu- blciben, Herr Lcgationsrat. Ich muß meine Behörde Ihrer dienstlichen Auskunft entsprechend benachrichtigen." Werbel ging zum Tischapparat und nahm den Hörer ans Ohr: „Polizeipräsidium. Bitte Herrn Oberregierungs rat Tönnies. Hier Kriminalkommissar Werbel. Der Legationsrat des Auswärtigen Amts Freiherr von See burg ist in seiner Wohnung Maaßenstraße 164 nach Zu führung eines Betäubungsmittels im Schlafzustand auf- gcfundcn worden. Das Auswärtige Amt hat Meldung erstattet und Herrn Lcgationsrat von Matzow oienstlick hierher gesandt. Ich habe den Fall in Vertretung des ab wesenden Kriminaldircktors Doktor Miller übernommen Nach der dienstlichen Auskunft Herrn von Matzows ist Landesverrat oder Spionage in B"-^cht zu ziehen. Wich tige Aktenstücke hat Herr von M an sich genommen Zur gründlichen Untersuchung c^. ich drei Beamte in Zivil. Ich bitte um weitere Anweisungen und um Weiter gabe der Meldung." Werbcl beantwortete die telephonisch gegebenen Wei sungen nur mit einem kurzen: „Jawohl, Herr Obcr- regicrungsrat!", und legte den Hörer wieder auf. „Wann wird Herr von Seeburg vcrnehmungsfäbic sein, Herr Sanitätsrat?" „Das Bewußtsein dürfte in etwa einer Stunde wicdcr- kehrcn. Da der Puls gut ist, tun wir am besten, den Patienten schlafen zu lassen. Ich bleibe zunächst hier, um bei etwaigen Komplikationen zur Hand zu sein." Auf die drei Frauen hatten die Ereignisse des Vor mittags in ganz verschiedener Weise gewirkt. Frau vor Merten jammerte leise vor sich hin, über das Unglück, das man dem armen Herrn von Seeburg etwas habe zufüger wollen, und daß so etwas in ihrem Hause passieren müsse Berta nahm trotz aller inneren Anteilnahme an Seeburgs Ergehen das Geschehene wie eine unabwendbare Schicksals fügung hin. Gründe und Zusammenhänge waren ihr Wei: weniger wichtig als Tatsachen. Irene aber, die zuerst vor Schreck und Aufregung fast gelähmt war und immer wieder nur versucht hatte, Seeburg behilflich zu sein, halt« ihre Lethargie erst überwinden können, als der Arzt mi> voller Bestimmtheit Seeburgs Zustand für ungefährlich erklärte. Von diesem Augenblick an versuchte sie, sich nützlich zu machen. Das Verbot des Polizcikommissars bereitete ihrem Tätigkeitsdrang jedoch sofort ein Ende. Mit auf fallender Schärfe wandte sich Werbcl an Irene: „Fräulein von Merten, ich muß Sic und auch Ihre Frau Mutter und das Mädchen dringend bitten, hier nichts anzurühren und das Zimmer nicht zu verlassen. Auch die Benutzung des Fernsprechers kann ich nicht gestatten." „Wenn ich hierblcibcn soll, Herr Kommissar, muß ich doch wenigstens im Büro Bescheid sagen, daß ich nicht kommen kann." „Auch das kann ich vorläufig nicht erlauben. Das Hai Zeit." Es klingelte. Werbel ordnete an, daß Berta aufmachen solle. Er blieb in der geöffneten Tü< von Seeburgs Zimmer stehen, um zu beobachten. Es waren die von ihm angefordertcn drei Beamten. Werbcl gab seine Anord- nnngen. Ein Wachtmeister postierte sich in Seeburgs Zimmer, sc: andere in der Diele. Werbcl selbst nahm mit Obcrwachlmeister Knssck eine flüchtige Besichtigung aller Räume vor. Dann ließ Werbel Frau von Merten in die Diele rufen. Dort hatte er einen Tisch unter die Mittelbelcuchtung ge stellt, die noch eingeschaltet war. Er ließ sich vor dem bercitgelegten Schreibmaterial nieder und begann zunächst mit der Vernehmung Frau von Mertens, die, ganz ver nichtet vor Aufregung, sich in dem ihr hingcschobenen Sessel niederließ. Nach Feststellung der Personalien und Auf nahme des Verzeichnisses sämtlicher zur Wohnung ge hörender Personen begann Werbel mit Einzelfragcn. Als er erfuhr, daß Frau vou Merten am vergangenen Tage mit Berta nachmittags und abends fortgcwesen war, notierte er die Adresse der Schwester in Potsdam. „Wer hat den Kaffee für Herrn von Seeburg zubereitet, und wer hat ihn zuletzt gesehen oder gesprochen?" wollte Werbel wissen. „Den Kaffee hat meine Tochter Irene zubereitet. Wer den Herrn Baron zuletzt gesehen hat, weiß ich nicht." „Warten Sie bitte in der Küche oder in Ihrem Zimmer, bis ich die anderen Räumen freigeben kann. Aber lassen Sie die Türen offen und alles genau so liegen, wie es jetzt liegt. Fchring, rufen Sie erst das Mädchen, und halten Sie sich dann in der Küche auf, bis ich rufe." Bertas Aussagen deckten sich genau mit denen Frau von Mertens. Auch sie wurde zum Schluß mit den gleichen Weisungen hinausgeschickt. Run begann die Vernehmung Irenes. „Sie haben gestern für Herrn von Seeburg Kaffee ge^ kocht. Woher haben Sie den Kaffee dazu genommen?" „Ans der Kaffeebüchse in der Küche." „Haben Sic irgend etwas dem Kaffee zugesetzt?" „Nein, wir nehmen nie einen Zusatz. Nur reinen Kaffee." „Das meine ich nicht. Haben Sie irgend etwas in dev Kaffee hineingetan?" „Nein." „War außer Ihnen, während Sie den Kaffee kochten; jemand in der Küche?" „Nein." „Wie erklären Sie sich denn, daß Herr von Seevurg betäubt worden ist?" ^Fortsetzung folgte)