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MmliiWen von A. Schrönghamer-heimdal, Passau-Haidenhof. Sonntagnachmittag. Zwischen Aschermittwoch und Auf erstehung. Die Stadt speit ihre Menschen aus. Auch mich. Ich bin sogar der erste, den sie ausspeit. Ich flüchte mich so gern an das Herz der Natur. Besonders in diesen Vorfrühlingstagen. Denn ich weih, da draußen am Rande eines Wäldchens eine richtiggehende Salweide mit echten Palmkätzchen, die außer mir noch niemand weiß. Gottlob! Ich schneide mir mit dem Taschenmesser ein einziges Zweiglein ab und stecke es mir in das Knopfloch, das sonst für Orden bestimmt ist. Dann trete ich ins Dickicht, damit ich das Geheimnis meiner Salweide nicht selbst verrate. Denn hinter mir wälzt sich schon der Menschenstrom ans der Stadt wie ein Lind wurm. Wie ein gräßliches Ungeheuer, das verheerend in das unberührte Reich der Natur einfällt. Ob mich schon jemand gesehen hat? Ich hoffe nicht. D--n wenn — dann wehe dir, Sal weide! Mit angehaltenem Atem stehe ich im Tannendickicht neben der Straße, auf der sich der Menschenwurm daher wälzt. „Wie meinen, Herr Kollege? Das Gymnasium gehöre der Vergangenheit an? Können Sie sich vorstellen, daß es in Zukunft noch mehr solch verruchter Subjekte geben wird, die ut mit Indikativ konstruieren? Subjekte sage ich, die nicht einmal wissen werden, wann die Schlacht bei Salamis statt- sand? So leid es mir tut, Herr Kollege, hier gehen unsere Meinungen entschieden auseinander. Die Kultur steht und fällt mit dem Vollgymnasium und damit die Menschheit überhaupt . . ." „O Gott, haben Sie gesehen, Herr Kollege? Palm kätzchen?" „Was? Palmkätzchen? Wer, wie, wo . . .?" „Hier, Herr Kollege. Hier am Waldrand!" * „Also diese Lust hier! Himmlisch! — Ich sag's ja, diese Frühlingsluft, die macht halt Appetit! Hast doch's Brat hendl net vergessen, Alte?" „Wo werd' ich denn?A Halbs Pfund Emmentaler hab i auch noch mitg'nommen für den Fall des Falles . . „Saggara! Scho' wieder am Emmentaler! Ich kann ihn nimmer recht vertragen . . . Warum hast denn koan Le- berkas g'nommen? Woaßt, an Leberkas vom Stiegenwirt? Der macht's no auf altmodisch, net mit der Maschin', son dern.mit'm Wirkcisen. Wenn er aa um a Zehner! teurer is als wie bei dene Metzger! Dafür hast halt nacha do an Leberkas." „Jetzt hör amal auf mit dein Leberkas! An Leberkas kriegst ja so auf dem Kaff draußen, wo wir nachher ein kehren . . ." „Jetzt vergißt s' mir den Leberkas! Den Leberkas vom Stiegenwirt. Ich sag's halt tausendmal: Lange Haar und kurzer Verstand ... Da pfeif i gleich auf den ganzen Früh ling. Was hilft mir denn dös herrliche Klima da heraußen, wennst net amal dei Leibspeis draus setzen kannst . . .? Saggara! Was Ham denn dö da vorn? Ich glaub' gar... Palmkatzerl!" „Ja, wirkli', Palmkatzerl!" „Jetzt setz di aber in Schwung, oaß d' noch an Buschen erwischen tuast. Die Lalli da vorn reißen ja dö ganze Stau den z'samma! Also so was! Da sollt doch der Tierschutz verein einschreiten! Wie dö Stauden schon ausschaut! Dö Leut san grad wie die wilden Viecher. Und grad die Biam ten, die Gebüldeten..." „Hab i's net alleweil g'sagt, daß der Bubikopf bald wie der aus der Mode kümmt? Und jetzt san wir soweit." „Aber schön war er doch." „Schön is anders, mein Liabe! Is ebba a Henn', der 1' an Schwoaf g'stutzt Ham, schön? Schau dich an. wie du jetzt ausschaugst. Wie a g'schundene Katz' . . ." „Aber Frau Gevatterin!" „I mag halt dös modische Zeug amal net! Was wachst, dös soll man wachsen lassen." ^Vielleicht auch die Haare auf den Zähnen?" „Gelt, tu mir fein net anzügli' wer'n . . . Sonst hat's was mit der Gevatterschaft. Ueberhaupt als Muatt« mit fünf Bampsen — und a Bubikopf! Woaßt, was d' Leut da mals über di g'sagt Ham? So, dös woaßt net? Nachher brauchst es aa von mir net z' wissen . . . Jesses, was Ham denn dö Leut da vorn für a Grenn? I glaub gar, Palm katzerl!" „Ja, wirklich, Gevatterin, Palmkätzchen!" „G'schwind, daß wir auch noch a paar erwischen!" „Ach, so süße Palmkätzchen!" „Ja, dö kannst dir unter dein Huat stecken, da wo du früher amal Haar gehabt hast ..." * „Wenn es Geld gäbe, gäbe es auch Arbett.- G ist's: Wenn es Arbeit gäbe, gäbe es auch . . . ?l „Natürlich! Denn die Arbeit ist es doch, die Waren schafft. Und die Ware ist doch das Substrat für Geld. Geld hat ja nur Sinn und Bezug auf Ware. Je mehr Ware wir erzeugen, desto mehr Geld haben wir. Geld ist doch von Natur aus gar nichts anderes als Wertmesser und Tausch mittel für Ware!" „Wer sagt Ihnen denn das?" „Der gesunde Menschenverstand!" „Das ist mir ganz neu. Ich habe bisher geglaubt, das Geld wäre die conditio sine qua non der Volkswirtschaft?" „Nein! Gerade umgekehrt ist's! Der Produktionsgang ist doch so: Rohstoff als Noturvorkommen, nicht wahr? Die menschliche Arbeit — geistige und körperliche — verwandelt die Rohstoffe in Ware — nicht wahr? Die Ware kommt auf den Markt und trägt Geld ein, statt wieder Ware, nicht wahr? Der Schuster verkauft ein Paar Stiefel doch nicht des Geldes wegen, sonder» bloß um der Ware willen, die er mit dem Tauschmittel Geld wieder einkaufen will. Vom Geld kann doch niemand leben, sondern nur von d->- Ware. Kapieren Sie denn das nicht?" „Das ist mir ganz neu." „Das sagt Ihnen doch der gesunde Menschenverstand." „Hab ich! Hab ich doch!" „Scheinbar nicht, sonst müßten Sie doch begreifen, daß ..." „Was gibt's da? Ach Gott, Palmkätzchen! Palm kätzchen!" „Was, Palmkätzchen! Her mit den Palmkätzchen!' * „I sag's halt allemal wieder: Leben und leben lassen. A jeder möcht' halt doch a bisserl schnaufen können . . . Dös is dös wenigst', was man vom Leben verlangen kann . . ." „Ja, Schneckensoß mit Ameiseneiern! — Wenn dir's Finanzamt an Taler wegsteuert, bevor man an Nickel eingenommen hat . . . Da leb!" „Steuern müssen sein . .. Sind alleweil schon gewesen." „Jetzt du auch noch! Du als Baumeister ... Ja, gelt' weil du den Anbau vom Finanzamt übernommen hast. Weil's nimmer Platz g'habt Ham in dem alten Kasten . . . Du wirst ihnen's Fell net wenig über die Ohren ziehen. Da kann man freilich leben. . ." „Wo baut wird, verdient alles, alle Stände, Gewerbe, Berufe und Klassen verdienen . . . Drum sag i ja alleweil: Leben und leben lassen . . . Schau» S' nur, Herr Kommis sionär, was gibt's denn dort? I moan' alleweil, Palm katzerl . . ." „Ja, wirklich, Palmkätzchen! Los, Herr Baumeister, auf die Palmkätzchen!" * Der Menschenwurm wälzt sich auf der Waldstraße da hin. Ich trete aus dem Dickicht zu meiner Salweide. Ein zerrissener, zerfetzter, zerfaserter Strunk, allen Schmuckes beraubt, gähnt mir entgegen. Die Wurzeln sind noch da. Gottlob .. . Vielleicht treibt der Wurzelstrunk noch einmal — im nächsten Jahre. Wie hat der Baumeister gesagt? „Leben und leben lassen . . Wenn, ja wenn! Lsterzauber Auf allen Fluren liegt ein zarter Hauch Ani Waldessaume Baum und Strauck Durchfluten wieder neue Säfte; Wohin wir sehen und wohin wir gehen. Regt sich ein wundersames Auferstehen Wiedergeborner starker Lebenskräfte. Aus langer, banger Wintergrabesnacht Ist die Natur zu neuer Lust erwacht Und drängt der Sonne liebend sich entgegen. Vom Himmel strahlt in wunderklarem Licht Zur Erde Gottes huldvoll Angesicht Und gibt ihr gnadenreichen Ostersegen. Allewig bleibt dies himmliche Ereignis Ein sinnvoll tiefes Ostergleichnis: Wie Zesus Christ aus Not und Kreuzesbanden Zu Gottes lichtem Thron aufstieg, Zwingt jede Nacht der stolze Glaubenssteg Und Osterzauber: Christ ist auserstanden! Herbert Wendts Osterei „Ja, mein Junge", jagt Vater Wendt, „ich möchte es dir schon gern anders schaffen, aber ich seh' keine andere Mög lichkeit." Die beiden stehen im winzigen Schrebergärtchen am Rande der Stadt; links, hinter dem Drahtzaun, liegt die große Gärtnerei, die weit und breit im Lande bekannt ist. Dort hinter dem Drahtzaun stehen auch Herberts Ge danken still und können nicht los von den blanken Glassen- stern und den langen Beeten, auf denen es schon stark und junggrün sproßt. Aber diese Gedanken sind so trübe, wie heute der Himmel. Gar nicht froh und nach Festtag ist das alles; und dabei ist dach morgen Ostern! „Ja, Ostern . . ." denkt Herbert Wendt und seufzt tief auf. Die Schule hat ec nun beendet, und so, wie es nun einmal ist: der Vater seit langem schon arbeitslos und die kleinen Ersparnisse aus bes seren Zeiten fast aufgebraucht, muß Herbert sich nach Ver dienst umtun. „Ich habe ja mit Herrn Busch da drüben (mit einer Kopfbewegung zur Gärtnerei hin) gesprochen", sagt der Vater, „aber er will keinen Lehrling nehmen, den er auch beköstigen soll . . . Und du weißt, mein Junge, ohne dem " Herbert wandert mit gesenktem Kopf den Weg entlang zur Stadt, an Herrn Buschs Gärtnerei vorüber. „Herbert!" ruft jemand, und als er nicht aufschaut nochmals: „Herbert!" Da bleibt er stehen. Ach, Herrn Buschs Kätel ist es. Sie ist ein wenig jünger als Herbert und noch in der Schule, aber sie sind immer gute Kameraden gewesen. „Warum gehst du denn so mit der Nase auf der Erde. Junge?! Mor gen ist Ostern!" lacht das Kätel. „Morgen ist Ostern . . .". klingt es ihm nur immer in den Ohren und mit einemmal ist es, als risse etwas in ihm entzwei. „Und dann muß ich in die große Stadt und zu Onkel Max in die Werkstatt", sagt er laut und hastig und verstummt wieder. „Onkel Max?" fragt das Kätel. „ist das der, der die Schlosserwerkstatt im Vorort hat, die dunkle Bude, in der es so eng und voll Ruß ist?" Herbert nickt trübselig. „Aber du wolltest doch nur und allein Gärtner werden . . ." „Wollte und will ich auch". Herbert läßt noch mehr den Kopf hängen, „aber wo Vater jetzt arbeitslos ist . . . und das Essen knapp . . . und Onkel Max nimmt mich für Kost . . ." „Das tut mein Vati auch!" „Nein, das tut er nicht, hat er meinem Vater gesagt." Und der Herbert trottet mit hängendem Kopfe wei ter. Das Kätel aber rennt nach kurzem Besinnen ins Haus. „Vati, Vati!" Gärtner Busch und seine Frau fahren herum, als die Tür mit einem Knall auffliegt. „Was ist denn los, Sausewind?!" „Vati, ißt ein Junge viel?" „Aber Mä del, was ist denn das wieder?!" „Vati, ich hab' schon einen Haufen Geld auf meinem Sparbuch und in der Sparbüchse auch noch was. Wenn ich dir nun das alles hinzugebe und alles was ich im Monat in meiner Sparbüchse noch auf sammle, — — nimmst du dann den Herbert Wendt als Lehrling gegen Kost?'^ Und sie erzählt, was sie eben von Herbert gehört. „Ja, aber ich kann doch den Jungen »ich! einfach durchsüttern", schüttelt der Vater besorgt den Kops und sieht die Mutter an. „Warum den» nicht, du bist doch nicht arbeitslos, wie Herberts Vater", meint das Kätel. „und ich geb' doch noch was dazu . . ." Da muß Vater Busch über sein ungestümes Mädel lächeln, aber er ist nachdenklich geworden und redet leise mit der Mutter . . . So ist denn nun der Ostermorgen herangekommen und Herbert Wendt steht draußen im Schrebergärtchen. Der graue Nebel von gestern hat auch heute noch alle Aussicht verhangen, aber wenn der Herbert etwas mehr um sich scl-auen wollte, würde er bemerken, daß die Ostersonne doch schon gehörig Anstalten macht, das trübselige Grau zu vertreiben. Auf einmal fliegt etwas ihm hart an den Kopf und mit einem Plumps auf die Erde. Und „fröhliche Ostern" ruft das Kätel von der Straße her. „Du hast gut reden ...". denkt Herbert und bückt sich. Da ist es ein großes, buntes Osterei aus Pappe, und ein bißchen freut sich der Herbert nun doch, wie er es aufhebt und in den Händen hin und her dreht. „Das ist zum ausmachen", nist das Kätel und kommt näher. Und als er es immer noch in den Händen hält: „so »weh' es doch ans. dummer Junge!" Ein Zettel fällt heraus, daraus steht: .Hiermit fordere ich den Lehr ling Herbert Wendt auf. wenn er Lust hat, den Gärtnerberuf bei mir zu erlernen, nach Ostern sich bei mir zu melden. Gegen Verpflegung und ein Taschengeld will ich ihn in die Lehre nehmen. Karl Busch, Gärtncreibesitzer." „Und mein Sparbuch und die Sparbüchse brauche ich trotzdem nicht herzugeben", freut sich das Kätel; aber nur so nebenbei. Viel mehr freut sie sich über Herberts hell ge wordenes Gesicht und wie der mit einmal wieder lachen kann, obwohl er nichts begreift und keine Ahnung hat, was das Kätel meint und wie denn doch noch das alles zustande gekommen ist. Und die Ostersonne, die inzwischen die grauen Nebel beiseite geschoben, hat hell und strahlend auf zwei lachende Gesichter und ein frohbuntes Osterei geschienen. H. Möllendorff.