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„Erlösung -em Erlöser.'" vstergedanken in Richard Wagners „Parsifal". Von Pfr. Marquardt-Friedenau. Als nach dem morgenhellen Erlebnis des Karfreitags zaubers, wie ihn Richard Wagner im „Parsifal" so unver gleichlich schildert, der Weg zur erlösten Gralsburg offen steht und die Kraft der ewigen Liebe wieder entbunden ist, da öffnet sich unter Parsifals reinen Händen wieder die ewige Herrlichkeit — „Höchsten Heiles Wunder" — und der Liebesmahlspruch — „Erlösung dem Erlöser" — steigt aus der" Tiefe der Männerstimmen empor, dringt durch die Jünglingschöre hindurch bis hinauf zur höchsten Höhe der Kuppel des Gralstempels, wo die hohen Knabenstimmen es wie eine goldene Sonne in den höchsten Tönen halten wirklich wie ein Bild des aus der tiefen Grabrsnacht zum Hellen Osterlicht auferstandcnen Heilandes, von dem nun auch „alle Zungen bekennen sollen, daß er der Herr sei, zur Ehre Gottes, des Vaters." „Erlösung dem Erlöser", das ist recht verstanden ein herrliches Osterwort. In der Dichtung des „Parsifal" muß der Erlöser aus den unreinen Händen erlöst werden, damit er seine erlösende Kraft wieder ausüben kann. Ist das nicht ein Symbol auf den wirklichen Erlöser, unsern Herrn und Heiland, selbst gesagt? Wir sehen im Geiste jene Szene vor uns: Jesus ge fesselt und gebunden neben dem Aufrührer und Verbrecher vor Pilatus und vor dem fanatisch erregten Volkshaufen. „Welchen wollt ihr, daß ich euch losgebe." Und die Stimme des Volkes bittet den Verbrecher und Mörder frei, und der Erlöser bleibt gebunden, keine Stimme, die da ruft: „Gebt uns Jesus frei!" So ist er auch heute noch gebunden und gefesselt, wie einst zur Zeit seiner wirklichen Passion. Er ist gebunden von den Mächten der Zeit und des Zeitgeistes, von den Vorur teilen und Meinungen der Menschen. Wir nennen uns wohl ein christliches Volk, aber die meisten wissen gar nicht mehr, wer eigentlich Jesus war und was er wollte. Die einen nehmen ihn wohl gelegentlich gern in Anspruch für ihre besonderen Zwecke, wenn es ihnen gerade einmal so paßt, die andern haben wohl etwas von ihm gehört, aber nicht wirklich verstanden, sie haben vor allem nie etwas ge fühlt vom Pulsschlag seines Herzens, haben ihm nie wirk lich ins Auge gesck>aut, sind nie in ein eigenes, persönliches Verhältnis zu ihm getreten — mit einem Wort: sie kennen ihn nicht! Dazu kommt noch oft genug die Unwürdigkeit derer, die sich manchmal am lautesten zu ihm bekennen, die gehäs sigen Kämpfe unter den Christen selbst, die Engherzigkeit und Beschränktheit vieler, die ihm durchaus eine ganz b-- . stimmte Form und Fessel aufzwingen möchten, die ihm vor- l ! schreiben möchten, zu wem er kommen darf als Erlöser und ^zu wem nicht — ja wahrhaftig, Jesus ist gebunden, „Erlö- ' ^sung dem Erlöser!" j Das ist seine Passion bis in unsere Zeit. Er möchte die igroße. innere Not lindern, wo Menschen glauben möchten, laber noch nicht können, er möchte die sittliche Not heilen, ?wo es dem Menschen an innerer Kraft und Festigkeit fehlt, >er.möchte auch die leibliche Not bessern, wo Menschen schreien nach Brot und Barmherzigkeit — aber er ist ge bunden, seine Liebe und sein Mitleid können sich nicht aus wirken. Darum die Heilandsklage: „Erlösung dem Erlöser!" Die Sünde in allen diesen Formen ist es, die ihn ge bunden hält. Wie sie im „Parsisal" verkörpert ist in der Gestalt des Amfortas, des „kraftlosen" königlichen Sün ders, in Kundry, der Sünderin aus Neigung und aus Zwang, in Parsifals Nichtwissen um die Heilandsklage, so ist sie auch in unserm Leben die Sklavenkette, das Grabtuch, die Fessel des Erlösers, von der er erst wieder frei werden muß. Was hilft seine Auferstehung dir, wenn er nicht zugleich auch in dir, in deinem Herzen, in deinem Willen und We sen auferstanden ist! Der Erlöser braucht erlöste und erlösende Menschen, die auch die Kraft haben, andere zu erlösen, „einer des andern Christus" zu werden. Oder mit den Worten Nietzsches ge sprochen: „Bessere Lieder müßten sie mir singen, daß ich an ihren Auferstandcnen glauben lerne; erlöster müßten mir seine Jünger aussehen, daß ich an ihren Erlöser glau ben könnte. „Ja, erlöster müßten die Christen aussehen, daß die Welt an den Erlöser glauben lernen kann. Darum Erlösung dem Erlöser! — das ist eure Osterpflicht, ihr Christen! Auch in unsre Hände ist etwas gelegt von dieser wahr haften Ostertat der Erlösung. Denn wenn der Erlöser nicht erlöst wird, dann kommen die Mächte des Unheils und des Verderbens wieder auf, Sünde und Zerstörung triumphie ren, Grab und Tod behalten den Sieg. Darum müssen wir, die wir seine Jünger sein wollen, selbst alles tun, daß durch unser Leben und Wandel, unser Tun und Handeln der Er löser wieder frei werden kann aus unwürdigen Fesseln und Banden, dann erst wird die Stimme des Volkes auch wieder Gottes Stimme sein. So muh denn der Erlöser von der Nachwelt und für die Nachwelt immer neu befreit, immer wieder erlöst wer den. So verändert der Christus ohn' Unterlaß sein Ange sicht und bleibt doch immer „göttliche Kraft und göttliche Weisheit", so wird der Herr stets mit neuem Namen ange rufen und erweist sich doch nicht anders, als der „Geist und das Leben", so wird aus den Fesseln des Buchstabens und der menschlichen Vorstellung beständig für jede Zeit das Wunder erlöster Gottesgemeinschaft aufstrahlen und die Sonne einer ewigen Erlösung bringen, dann ist das Wort erfüllt: „Höchsten Heiles Wunder! Erlösung dem Erlöser!" Er lebt! Er lebt! Der Iubelruf der Frauen Erschließt das weite, rosenrote Tor, Und Sonnengold durchflutet alle Auen, Die dunkel noch und grabesstill zuvor. Die Kreuze, die auf Golgatha noch ragen, Sind wie ein Kleinod in Rubin gefaßt, Als hätten sie kein Opferlamm getragen Und hätte keine Blutgier hier gehaßt. ' Der dunkle Weg erblüht wie Friedensgärten, Und Vogeljubel füllt das weite Tal, Durch das voll sel'gen Ahnens die Gefährten Die Pfade ziehn zum hohen Friedensmahl. Es ist vollbracht! Der bittre Ruf der Klagen Weicht nun der schönsten Freude hehrem Klang, Kein Herz kann mehr in Bitternis verzagen, Seit diese Kunde durch die Welten drang. So laßt auch uns das Ostermahl bereiten Und aus der tiefen Erabesnacht erstehn Und schuldbefreit die neuen Wege schreiten Mit allen Willigen, die mit uns gehn. G. H. Litern M4 Lieoe umern! Ihr konntet mir keine gröhe.e Freude bereiten, als sie diese Osterfahrt an den deutschen Rhein für mich bedeutet. Ich weiß, daß Ihr mir damit mein gut be standenes Abiturientenexamen fast über Eure Kräfte hinaus belohnt habt, aber es ist zu schön, diese Tage sorglosester Iugendfreiheit am Rheine zu verleben. Als künftige Stu denten haben wir unsere Fahrt bereits in Marburg an der Lahn begonnen, und man kann schon Lust bekommen, hier ein Semester zu verträumen. Lahn abwärts an Hirschhorn und dem schönen Limburg vorüber erreichten wir in Brau bach am Fuße der Marksburg den Rhein. Noch sind die lieb lichen Rebenhügel erst vom Lenz kaum angehaucht, aber herrlichster Sonnenschein gibt allen Bergen frohen Glanz, und gern folgt das Auge den schimmernden Windungen des Stromes, der sich in dämmernder Ferne zwischen blauen Wäldern verliert, die in dem Glast kaum noch erkennbar sind. Der erste Tag am Rhein! Welcher deutsche Jüngling hätte da nicht die Pokale gefüllt und bei fröhlichem Zeck-en all die schönen Lieder gesungen, die zum Lobe des deutschen Stromes aus Dichtermunde strömten! Wir kannten die Ge sänge schon von unserer Schülerkneipe her, aber hier am Rhein haben sie Blut und Wärme bekommen, einen Sinn, der in die Tiefe geht. Man begreift nun erst ganz die un sagbare Liebe zum Rhein, an dem uns die deutsche Geschichte von ihren Uranfängen an so wunderbar offenbart wird. Ir gendwo im Siebengebirge soll Jung-Siegfried den Drachen erschlagen haben, irgendwo ruht auf dem Grunde das fluch beladene Gold der Nibelungen. Hier wurde den Legionen Caesars Halt geboten, und während sich jenseits des Stro mes das römische und gallische Blut zu einem neuen Volk vermengte, fand Tacitus nach Überschreitung des Rheines jenes Germanien dessen Tugenden er dem zerfallenden Volk der Römer mahnend vor Augen führte ... Erst heute in Bacharach komme ich dazu, meinen Brief an Euch, liebe Eltern, zu beenden. Gestern sind wir durch den herrlichen Kammerforst zum Niederwalüdenkmal gewall- fahrt. Die Kolossalfigur der Germania hat den Blick gen Westen gewandt und erinnert uns deutsche Jünglinge daran, daß weit drüben in dämmernden Weiten französische Hügel herübergrüßen. Es mag nichts schaden, daß man mitten ini tiefsten Frieden an das ständige Bereitlein gemahnt wird, und so haben wir hier oben in unserem Ueberschwang das trutzige Lied gelungen: „Sie lallen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein". Ihr werdet vielleicht darüber lächeln, aber der ernste Herbert Hal uns dabei eine flam mende Ansprache gehalten über das Wort: „Si vis paeem, para bellum" („Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg"), und wenn Du. lieber Vater, mir oftmals sagtest, daß ich mich noch nicht um Politik zu kümmern brauche, so hatte Herbert dennoch recht, als er es als eine Schande er klärte, daß Tausende von deutschen Jungen mit gesunden und starken Gliedern nicht Soldaten würden, weil der Reichs tag nicht die entsprechenden Heeresstürken bewillige. Was waffenfähig ist. soll auch wasfentüchtig gemacht werden, das ist alter Germanenbrauch. Als wir vom Niederwalddenkmal hinab nach Rüdes- heim stiegen, waren unsere kriegerischen Gedanken ganz und gar verflogen, und das Präsidium unserer Gefühle über nahm der weinselige Gott Bacchus, und da wir so schön sin gen konnten, haben uns drei ehrwürdige, weißhaarige Zecher, die am Nebentisch saßen, verschiedene Flaschen goldenen Weines gespendet, den mir in dieser Güte uns nie hätten leisten können. Und da es just am Osternachmittag war. ließen wir den Trunk uns munden, und das Lob des Wei nes wurde zur Laute besungen: „Wie glüht er im «Ätale, , Wie flammt er so bald, : Geschliff'nem Topase Vergleich ich sein Gold. Und Düfte entschweben Ihm blumig und fein: ' Gott schütze die Reben Am sonnigen Rhein!" Ulstern am Rhein! Niemals, liebe Eltern, werd? ich die ses Gottesgeschenk vergessen. Bacharach, wo ich diese Zeilen schreibe, ist ein trautes Nest, und unser Wirtstöchterlein ein echt rheinisches Mädchen voll heiteren Frohsinns. So unge fähr habe ich mir immer die Lindenwirtin oorgestellt. Sie hat mir versprochen, ein neues Lautenband für meine Zupf geige zu sticken, dafür habe ich ihr einen schönen Bers ins Tagebuch geschrieben, und da ich in diesem Tagebuch sehr viele schöne Verse von jungen Männern fand, habe ich mich wenigstens norm ernsthaften Verlieben gehütet, aber hübsch ist sie doch. So, liebe Eltern, nun wißt Ihr 'o ziemlich alles, denn etwas muß ich ja noch zum Erzählen übrig lassen. In herzlichster Dankbarkeit grüßt Euch Euer treuer Sohn Bacharach a. Rhein, Ostern 1914. Rickard * Es war Ostern 1933, als ich dielen Brief zum ersten Mal sah. Richards Eltern sprachen davon, daß sie ihrem Jungen bald diese Rheinfahrt versagt hätten. Nun aber sind sie glücklich darüber, ihm seinen Wunsch erfüllt zu haben, denn Richard ist einer von den deutschen Jungen, die mit dem Deutschlandlied auf den Lippen in Flandern in den Tod gingen. Und wenn die Eltern in feierlicher Erinne rungsstunde den letzten Friedensbrief ihres Kindes aus Ba charach hervorholen, fragen sie getröstet: Beweist nicht dieser Brief, daß unser lieber Junge gewußt hat. für ein wie herr liches Vaterland er gefallen ist? Und daß er nicht umsonst im Felde blieb, hat uns das Ostern der deutschen Auf erstehung 1933 gezeigt. Die Ideale, für die Richard in den Tod ging, sind lebendiger denn je in unserem Volke. Das ist ein starker Trost im'Elternschmerz, die Auferstehung de« Meistes von 1914 erlebt zu haben. Jörg Beßler-Gera.