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Urbeberrvcktsscbutn: kunk Türme-Verlag, Halle (Laalol 4> Nachdruck verboten. Unauffällig musterte er den Eintrctcuden, der sich in grober Aufregung zu befinden schien. Er hatte seine Extrauniform angelegt. Die Erinnerungsmedaille, das Militärdicnstabzcichcn und das E. K. II trug er auf der Brust. „Bitte, Herr Walburg, nehmen Sie Platz! Was bringen Sie mir?" fragte Miller freundlich, als Walburg in der Haltung des altgedientcn Soldaten zusammengcrisscn vor ihm stand. In dem von Wind und Wetter geröteten Ge sicht des Zugführers Walburg arbeitete cs. Die Enden seines hcraufgebürstetcn Schnurrbarts, iu dem einige graue Haare standen, zuckten. Auch die Stimme des Mannes zitterte, als er mühsam sagte: „Gott sei Dank, daß ich endlich an der rechten Stelle bin! Es ist ja so schwer, Herr Kriminaldirektor ..." Er machte eine hilflose Bewegung. Doktor Miller, der ihn scharf beobachtet hatte, drückte ihn auf den Stuhl an der schmalen Seite des Schreibtisches, goß ein Glas Wasser ein und hielt cs ihm hin. „Zuerst beruhigen Sie sich mal, Herr Walburg, uud daun crzählcu Sie mir in aller Ruhe, was Sie zu mir führt. Eiu braver Manu, wie Sic, hat von uns sicher nichts zu befürchten." Freundlich fügte er hinzu: „Wir ver stehen uns hier einigermaßen auf Gesichter. Ein Mann von Ihrem Schlage hat der Polizei nichts zu bekcnuen, höchstens etwas zu berichten." „Ich danke Ihnen, Herr Krimiualdircklor. Nein, ich habe nichts angestellt! Aber sein eigen Fleisch und Blut der Polizei anslicfern müssen! Mein Name, mein ehrlicher Name!" stöhnte der alle Bahnbcamte auf. „Nun, Herr Walburg, wir verstehen doch auch Rücksicht zu nehmen, soweit es sich mit unserer Pflicht verträgt. Sic sprechen von Ihrem Fleisch und Blut. Ein junger Mensch macht leicht mal eine Dummheit. WaS hat er denn an- gestellt, der Junge — denn es handelt sich doch wohl um Ihren Sohn?" „Ja, Herr Kriminaldircktor, um mciucu einzigen. Der Franz ist als Hilfsschrciber im Auswärtigen Amt. Ich war ja so froh, daß ich den Jungen in die Bcamten- laufbahn hincingebracht hatte. Er hatte immer Flausen im Kopfe. Detektiv wollte er werden. Das gab es bei mir natürlich nicht. .Du wirst Beamter, wie dem Vater und dein Großvater. Und die Schwindelgcschichtcn von Meister- Detektiven' — so habe ich ihm Bescheid gesagt —, ,für die s du dein Taschengeld ausgibst, die bleiben mir jetzt aus dem Hause!' Na!, dann hat er sich ja eine Zeitlang auch ganz gut geführt. Ich war ein paarmal bei seinem Vorgesetzten, mich nach dem Jungen zu erkuudigcn. Schlau uud tüchtig ist er, hat man mir gesagt. Hat die Augen überall, auch was ihu nichts angchl. Bissel fahrig manch mal. Aber das würde sich schon legen. Ich bin so froh gewesen, daß der Junge ciuschlägt... und null komme ich nach Hanse... meine Alte läuft verheult 'rum, der Junge ist gedrückt; ich habe mich gleich gewundert. Daun habe ich mich erst mal ansgcschlafcn ... und heute lauge ich mir dcu Jungen. Da tomml's 'raus mit dem Aktenstück..." Doktor Miller hatte Walburg ruhig reden lassen und seine Spannung verborgen. Mit Fragen hätte er kaum etwas herausgeholt. Der Alaun war zu erschüttert; der mußte sich seinen Kummer vou der Seele reden. Jetzt erst unterbrach er ihn: „Also, das Aktenstück hat der Junge geklaut? Wo ist cs denn?" > „Hier, Herr Krimiualdircktor! Nehmen Sie cs nicht übel, wenn es nicht gut aussieht — ich hab's dem Jungen in der Aufregung um die Ohren geschlagen. Versteckt hat's der Lümmel, wie aus dem schlechten Scherz Ernst ge worden ist, und das große Suchen und das Verhören an- gefangen hat. Ist zur Mutter gelaufen, wie ein kleines Kind, statt zu seinem Vorgesetzten zu gehen und zu ge stehen: Hier ist's. Ich habe geprahlt, daß kein Mensch was merkt, wenn einer hier was wegnimmt, und hab's zurück- bringen wollen nach zwei Tagen... Aber in so einem Amt haben sie doch eine bessere Ordnung, als der dumme Bengel gedacht hat. Und da könnt' er cs nicht mehr un bemerkt zurücklegen, wie er hoffte. Als der große Mann hat er dastehcn wollen, der seinen Vorgesetzten zeigt, wie leicht da was verschwinden kann, und ein Lob hat er erwartet. Und macht sich dabei unglücklich fürs Leben, der Bengel!" „Sachte, sachte, Herr Walburg! Wenn das wirklich stimmt, was Ihnen der Junge erzählt hat, dann ist die Sache gar nicht so schlimm. Wo, sagten Sic, war das Aktenstück inzwischen?" „In meiner Wohnung, .Herr Kriminaldircktor." „Und wem hat cs'Jhr'''Sohn da'gezcigt?" fragte Doktor Miller hastig. .Keiner Menschcnseele, Herr Kriminaldirektor!" „Nun, Herr Walburg, da beruhigen Sie sich mal. Ich kann natürlich nichts versprechen, aber ich glaube, daß die Herren im A. A. bei dieser Sachlage mit sich reden lassen, natürlich, wenn alles so liegt, wie der Junge Ihnen er- -Sylt hat. Wo ist er übrigens?" „Er wartet draußen. Er wollte durchaus mit 'rein. Er Hält, die Ungewißheit, nicht aus,. hat, er gesagt. Aber ich. MlltHMy"W^selb?r'^al'm ÄhnenMrech'en, ÄM Kriminaldircktor, und ich danke Ihnen von Herzen, daß Sie mir etwas Hoffnung gegeben haben!" „Gehen Sie ruhig nach Hause, Herr Walburg — oder noch besser: warten Sie draußen auf Ihren Sohn, damit er mit Ihnen nach Hause geht. Bestätigt sich alles, dann wird hoffentlich kein Strafantrag gestellt werden. 'Machen Sic sich vorerst keine zu großen Sorgen. Und noch eins: ihr Junge interessiert mich. Ich bin doch anch so ein Detektiv. Vielleicht kann mau die Sehnsucht des Jungen in geordnete Bahnen lenken. Schicken Sic ihn jetzt herein!" Das Verhör des gänzlich verstörten jungen Walburg ergab für Doktor Miller die Nichtigkeit der Darstellung, die der Sohn dem Vater gemacht hatte. Franz Walburg hatte gefunden, das; die Aktenstücke nicht sorgsam genug bewacht würde». Er hatte absichtlich ciue ganz harmlose Mappe für sein Experiment gewählt. Wenn nicht am Tage zuvor der Diebstahl bei der Bay rischen Gesandtschaft vorgckommen wäre, hätte Franz Walburg seinen Plan durchführen können. Er hatte mit einem Freunde vorher davon gesprochen. Und dann hatte*' er den Kopf verloren. Doktor Miller bewies dem Zerknirschten, wie leicht fertig er gehandelt hatte, versprach aber, als er die Neue des jungen Menschen sah, ein gutes Wort für ihn cin- zulcgen. Tann sprach er mit ihm über seine Leidenschaft zur Dctcktivlaufbahn. Zum Schluß meinte er gütig: „Wenn Sie im A. A. nicht bleiben dürfen, dann kommen Sic mit Ihrem Vater zn mir. Wir wollen dann mal scben, ob Ihr Wunsch und der Ihres Vaters, der einen Beamten aus Ihnen machen will, sich vielleicht vcr- >einigcn lassen" Als die beiden Walburgs, Vater und Sohn, dankbar und leichteren Herzens gegangen waren, berichtete Doktor Miller zunächst kurz dem Staatssekretär Doktor Berg über die Auffindung des verschwundenen Aktenstücks und teilte ihm mit, daß die Angelegenheit sich harmlos aufkläre. Dann sah er in seinem Notizbuch uach der neuen Nummer Seeburgs und rief anch diesen an. Das Amt schien falsch verbunden zu haben, denn eine französisch sprechende Dame meldete sich. Doktor Miller hing ab, nahm aber im nächsten Augenblick den Hörer wieder ans Ohr. Die Stimme hatte ihm so seltsam bekannt geklungen. — Doktor Miller vergaß die Stimme von jemandem, mit dem er einmal zu tun gehabt hatte, nicht so leicht. Wo hatte er doch diese Stimme schon gehört? Aus sciuem Unterbew-ißtscin tauchte das Bild einer alten Dame auf, deren jugendliches, Helles Organ ihm damals so gar nicht zu ihrem Aussehen hatte passen wollen. Aber wo uud wann war das gewesen? Vielleicht, daß cs ihm einficl, wenn er die Stimme noch einmal hörte! Wieder melden: sich die Dame. Um sic in ein Gespräch zn verwickeln, fragte Doktor Miller, welche Nummer dort sei. Sein Deutsch wurde offenbar nicht verstanden; er wiederholte die Frage französisch. Es war die richtige Nummer. Doktor Miller bat, Freiherr» vo» Seeburg an den Apparat zu rufen. „Pout clo suite, monsieur", hörte Miller. Aber woher er die Stimme kannte, darüber war sich Doktor Miller immer noch nicht klar. Nun kam Seeburg an den Apparat. Doktor Miller berichtete ihm kurz über den Fall Walburg. „Na, Gott sei Daut, daß sich diese Geschichte so harmlos aufklärt! Den, Jungen sollte man eine langen — und damit basta! Uebrigcns, haben Sie hcnte abend Zeit, mit mir irgendwo ein Glas Wein zu trinken? Ich habe ein bißchen das, was man Vudengraus nennt." Doktor Miller sagte zu. Er war immer gern mit dem intelligenten, befreundeten Manne zusammen. Auch hoffte er, etwas über diese Stimme zu hören, mit der er tele phoniert hatte, und die ihm so merkwürdig bekannt im Ohr fortklang. — An einen, der nächsten Nachmittage erschien bei Frau von Merten wieder ein Mieter. Ein Herr, der in ge brochenem Deutsch bat, ihn, das freie Zimmer zu zeigen. Irene übernahm die Verhandlungen. Sic wurde mit dem Ausländer, einem hageren, dunklen Manne von un bestimmten Alter, mit scharfen Angen hinter einer großen Brille, schnell einig. Er bewilligte sogar ohne Zandern einen etwas hühercnPreis. HerrWassiliew bat nur darum, bald einziehcn zu dürfen. „Ich werrde garrnicht stören. Bin ich anspruchsloser Mensch geworden. Vorr Revolution ich habe abwechselnd gclcbbt in Petersburg und Moskau. In beiden Städten hatte ich eigene Häuserr. Nach Revolution bin ich ge flüchtet. Derr größten Teil von Vermögen ich habbc ver loren. Einen Teil ich halte schon vorr Krieg in England angelegt, davon ich lcbbc." „Ich hoffe, daß Sie nicht politisch tätig sind", bemerkte Irene. „Wir sind hier — unversehens — sehr international geworden. In dem Zimmer wohnt eine Französin, außer dem allerdings wohnt noch ein deutscher Herr hier." „Schade! Ich hätte in meiner Jugend mehr sollen treiben Französisch!" erwiderte der Nüsse, mit einem fast traurigen Gesicht. „Ich habbc aberr so gelibbt Deutsch land, daß ich habbe imerr nurr gesprochen außer russisch deutsch. Englisch und französisch ich kann leider nichts." „So, Berta", sagte Irene draußen lächelnd, „wieder MIlusländer.*- „Die reine Menagerie!" räsonierte die alte Berta. „Nu fehlt bloß noch ein Chinese, dann können wir auf den Jahrmarkt ziehen. Bin mal neugierig, wann die Fran zösin auch mit dem anbandelt!?" „Na, schimpfen Sie nicht, Bertchen. Der neue Mieter spricht zur Abwechslung kein Französisch. Da können wir die beiden ruhig nebeneinander einguartiercn." Irene sagte es hastig und mit gemachter Gleichgültig keit zu ihr. „Wäre mir schon lieber gewesen, der Herr Baron könnte auch nicht französisch sprechen!" brummte Berta. Mit ihren scharfen Augen hatte sie alle Wandlungen in Irenes Stim mung erkannt. „Der französische Floh hopst allweil in, Korridor herum, wenn der Herr Baron kommt oder geht. Die muß reinweg ihre Uhr nach ihm gestellt haben, und dann geht cs los, daß cmcm gruselig werden könnte. Neu lich habe ich Tee 'reinbringen müssen, und dann hat der Herr Baron eine geschlagene Stunde drin gesessen und Tee getrunken. Bei u n s ist er ja noch nicht gewesen, der Herr Baron! Aber das windige Franzoscnzcug, das schmeißt mit den Augen, daß einer» angst und bange wird." Irene zog die Augenbrauen zusammen. Auch sie hatte sich über Seeburgs schnelle Frenudschaft mit Wonne Dumont gcwundcrt, und wie ci» leiser, feiner Schmerz war es in ihr anfgcstiegcn. „Lassen wir's gut sein, Berta. Wir sind ja schließlich auch keine Filmschauspielcrinncm Wir sind nicht inter essant. Aber — was geht cs uns an?!" Die alte Berta sah verstohlen von ihrer Näherei auf. Sic kannte doch Fräulein Irene seil ihrer Kinderzcit.. Was war denn das für ein trauriger To»? Sic erschrak, sagte aber nichts. Die schwarze, große Tür, die Ivonnes Zimmer vou dem des neuen Mieters verband, wollte sich nicht ganz ins Schloß drücken lasse». Jre»c bemühte sich vergeblich, den Schlüssel ganz hcrumzudrchcn, damit sie ihn abziche» konnte, nachdem sie zugeschlosscn hatte. Der Portier wurde geholt. Da es nicht anders ging, schlug er ein paar Nägel senkrecht ein, die ein Zurückweichen der Tür verhinderten. Er trieb die Nägel nur zu einem Viertel in den Fußboden. Da ein Schrank vorgerückt wurde, bemerkte man sic nicht. Tie Tür schloß jetzt. Irene nahm den Schlüssel an sich. Kurz darauf kam der russische Mieter. Als Berta am nächsten Tage im Zimmer des Fräu lein Dumont aufgeräumt hatte, kam sie ärgerlich zu Irene. „Das Schloß ist bloß nicht zugegaugcn, weil Fräulein Dumont Papier an ihrer Seite dort ausbewahrt hatte. Einen anderen Platz hat sie wohl nicht gefunden. Dabei hat sic einen Papicrkorb in; Zimmer!" Es war ein Stück einer französischen Zeitung, das Berta im Türspalt gesunden hatte. Achselzuckens, teate cs Irene fort. Fünftes Kapitel. Doktor Miller saß in der kleinen Weinstube am Lützow platz, in der er mit Seeburg neulich gewesen war. See burg schic» sich »in ein paar Minuten zn verspäten. Doch da kam er ja schon. Offensichtlich in bester Stimmung. „Guten Abend, lieber Doktor! Sie haben mir mit Ihrem Anruf heute eine große Freude gemacht. Ich bin sehr vergnügt, daß sich die angebliche Diebstahlaffäre so harmlos aufgeklärt hat. — Bringen Sie mir wieder den Mosel von neulich Abend!" wandte er sich an den heran- trctcndcn Kellner. „Oder haben Sie inzwischen eine neue Spezialität hier ausgckuudschaftrt?" „Ich bin nicht sehr für das Ncuc, Herr Varon; es ist selten gut! Ich bin bei der alten Marke geblieben." „Also dann mir auch eine! Vielleicht gehen wir dann zu einer noch besseren Marke über. Ich bin heute in so guter Laune, daß ich Lust dazu Hütte." „Gratuliere, Herr Baron! Sie scheinen also mit Ihrer Wohnungswahl sehr zufrieden zu sein? Trinken wir einen stillen Schluck auf das Gedenken des armen Merten." Seeburg erhob sein Glas und bot Doktor Miller Be scheid. „Und nun, Varon, wenden wir uns wieder den Leben den zu! Auf Fräulein Irenes Wohl, wenn ich mir ge statten darf! Sie zeigten neulich soviel Anteilnahme für ihr Schicksal. Hat sie sich getröstet?" Seeburg nippte an seinen; Glase und hob es dann gegen Doktor Miller. Seine Worte kamen etwas zögernd: „Ich habe leider keine Gelegenheit mehr, ein persön liches Wort mit Fräulein von Merten zn wechseln. Sie stellt sich fremd und kühl zu mir, als ob sie mir beweisen wollte, daß sie eine junge Dame ist, die auf sich hält und keine Annäherung duldet. Dabei bestand bei mir doch wahrhaftig nur ein warmes Interesse für die Schwester des alten Kaineraden, wenn ich das Mädel auch nett gefunden habe. Aber jetzt setzt sic eine Miene auf, als ob sie mich jeden Augenblick in die Schranken zurückwcisen müßte." „Drollig!" sagte Doktor Miller. „Ich hatte mir eigent lich ein ganz anderes Vito von Fräulein Merten gemacht. Sie muß ihrem Bruder doch gar uicht ähulich sein? Der war die Impulsivität selbst. Allerdings — das werden Sie wohl auch beobachtet haben, Herr Baron —, wenn ihm etwas nicht paßte, dann hatte er eine eisige Art und ver breitete etwas von Unnahbarkeit nm sich. Wenn man sich nicht darum kümmerte, dann legte sich das wieder." „Die kühle Art Fräulein von Mertens wäre mir viel leicht gar nicht so ausgefallen, Doktor, wenn ich nicht in zwischen das gerade Gegenstück von Fräulein von Merten durch einen glücklichen Zufall kennengelernt hätte. Ich bin doch weiß Gott über die erste Jugendschwärmerei hinaus; aber so etwas Entzückendes und Graziöses wie dieses Fräulein Ivonne Dumont können Sie sich gar nicht^vor- TüMgA tÄ'nfeMnsMat.)'^