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(38. Fortsetzung.) Es konnte doch nicht wahr sein. Rudolf stöhnte aus. Sein Mädel, sein süßes, einziges war in die Nacht hinaus- gcflohen, weil es glaubte, daß das besser für ihn war. Welch eine Torheit! Liebes, kleines Dummerchen! Als ob Rudolf Altenberg nicht ganz genau wußte, was er tat. Als ob er die Frau, die er liebte» nicht vor der ganzen Welt beschützen und sie gegen alle Menschen fcsthaltcn würde! Aber er würde ihn sich wiederholen, seinen wilden, kleinen Querkopf. Nie würde er eine andere Frau heiraten — das wußte er. Die Komtesse Koltau gab ihn frei, sobald sie hörte, daß er eine andere liebte. Sie war, nach alledem, was er gehört hatte, viel zu hochmütig und zu stolz, um sich einem Mann aufzudrängen, der eine andere liebte. Mochte man über ihn und über seine Ehe spötteln. Was >lag ihm daran? Er brartchie die Meinung der Welt nicht; ihn kümmerte nichts, wenn er nur erst seine Lore wieder hatte. Noch in der Nacht fuhr er mit seinem Wagen nach München. Der Wagen sollte dort bleiben, in irgendeiner Garage, und er wollte mit dem ersten Flugzeug nach Berlin fahren. Er war sicher, Lore bei ihrer Mutter in Berlin zu finden. Wo anders sollte sie schließlich hin gehen? Und nun war er in Berlin. Seine Erregung hatte sich mit einem Male gelegt; plötzlich war er wieder der kühle, zrrlbewußte, energische Mann gewogen, der genau wußte, was er zu tun hatte... »Ich und Dienstmädchen werden? Nee, daraus wird nichts. Ich lerne Büroarbeit und gehe als Tippfräulein. Das ist ein ganz anderes Leben, und dabei kann man's wenigstens zu was bringend Und so war die Hannelore Tippfräulein geworden. Jetzt war sie zwanzig Jahre alt und hatte bereits ein Leben hinter sich. Rese Sicbenhühner schüttelte nur immer wieder den Kopf. Aber sic sagte nicht mehr viel, es hatte ja doch alles keinen Zweck. Auch ihr Mann wußte nicht mehr, was er mit der Tochter anfangen sollte. „Man hat uns ein Kuckucksci in das Haus gebracht", pflegte er zu sagen, wenn Hannelore wieder irgendeine Liebelei hinter sich hatte. „Es ist ein Glück, daß ihre Mutter das alles nicht mehr erleben mußte." Hannelore kümmerte sich gar nicht um die Vorwürfe, § die man ihr machte. Sie tat genau das, was sie wollte. I Sie war eine kesse, echte Berlinerin — Lippenstift und § Schminke spielten bei ihrer Toilette eine große Rolle, und i ihre Haare waren jeden Augenblick anders gefärbt. Platinblond, rot — wie es ihr gerade gefiel. Ihre Stellungen wechselte sie alle drei bis vier Monate, j Es dauerte immer nur so lange, bis der Chef wieder ! nüchtern geworden war und Hannelore wieder genau so l behandelte wie die anderen Angestellten. Dann hatte sie i genug und suchte sich ein anderes Wirkungsfcld. Einmal hatte sie einen Bräutigam gehabt. Als sich dann die Folgen des Verhältnisses zeigten, hatte er sich davonacmawt. Mr glaubt, äaß rückt schmeckt,kst sicher noä. nie äMRmdremer probiert Frau Rese Siebenhühner hatte gerade wieder so einen Tag. Aerger, nichts als Acrger vom frühen Morgen an. Ihre Stieftochter Hannelore — sie war gleichzeitig ihre ,Nichte, denn Rese hatte den Mann ihrer verstorbenen Schwester geheiratet —, die hatte ihr wieder den ganzen Tag verdorben. Mein Gott, sie und ihre Schwester und auch der Sieben hühner, das Ware» doch alles arbeitsame, respektable, ordentliche Menschen. Wie kam nur dieses leichtsinnige Geschöpf mitten unter diese Familie?! Ob wohl alle junge» Menschen von heute so waren? Gleich, als Hannelore aus der Schule kam, halte es anaefanaen. Nun war sie wieder einmal verlobt. Mit einem feinen, noblen Herrn, von dem sie Wunderdinge erzählte. Alle Vorstellungen, daß der vornehme Mann doch sicher nicht ans Heiraten denke, nützten nichts. Die letzten vierzehn Tage war sic mit dem Mannc ver reist gewesen. Am vergangenen Abend war sic zurück- gckommen. Hatte erzählt von dem Schönen, was sic ge sehen hatte. Am Morgen, als Rese Sicbenhühner die Hannelore gefragt hatte, wie es denn mit der Hochzeit sei, hatte sie nur spöttisch gelacht. „Das werdet ihr alles zur Zeit er fahren. Macht euch nur^meinetwegen keine Sorgen." Dann hätte sic stundenlang Toilette gemacht und war' davongerauscht. Frau Sicbenhühner stand gerade, mit ihren finsteren i Gedanken beschäftigt, vor einer Waschwanne und wusch die' Socken ihres Mannes, als cs klingelte. Sie ging an die Korridortür. Draußen stand ein großer, eleganter Mann und fragte^ nach Frau Sicbenhühner. „Bitte, die bin ich selbst!" „Ich möchte gern mit Ihnen sprechen. Es handelt sich' um Ihre Tochter Lore." „Lore? — Na ja! — Bitte, treten Sie ein!" Rudolf Altenberg stand gleich darauf in einem cin-i fachen, aber sehr sauberen kleinen Wohnzimmer, in dem^ auch ein Bett stand. Außerdem ein Tisch, ein Plüschsosa^ einige Stühle, ein Vertikow und ein Spiegeltisch. Graf Altenberg setzte sich, das Zimmer mit einem musternden Blick überfliegend. „Frau Sicbenhühner, Lore wird Ihnen ja von unserer j Reise aus geschrieben haben..." ' „Nun, so üppig war es nicht. Mein Mann war sehr! ärgerlich darüber." „Ihr Mann? Einen Vater hat Lore auch? Das wußte ich nicht; sie sprach nur von ihrer Mutter." „Ach! Und dabei bin ich doch nur ihre Stiefmutter." „Ich weiß cs. Aber warum sic mir nur nichts von ihrem Vater gesagt hat?" „Nichts hat sie gesagt? Sie wird sich doch nicht ihres! Vaters schämen? Das hat sie wirklich nicht nötig." i „Sie hat sich sicher nichts Böses dabei gedacht. Hat sie' Ihnen gesagt, daß wir uns verlobt haben, Frau Sieben-! Hühner?" »Ja, sic sagte es. Nnr, wir wollten cs nicht recht! glauben" ! „Zweifeln Sie daran, daß ich es ehrlich meine? Des wegen komme ich ja zn Ihnen. Ich will Ihre Tochter! heiraten, Frau Sicbenhühner." „Ach Gott, ich habe es ja immer gehofft, daß sie mal! einen Mann findet, der cs gnt mit ihr meint. Und wenn! cs der Nichtige ist, wird sic auch ihren Lebenswandel ans-! geben." „Ihren Lebenswandel?" fragte Attenberg und sah die! Frau groß an. >! „Ja, ich will auch ehrlich zu Ihnen sein. Sie ist gairz, gut, die Lore, nur so sehr leichtsinnig. Und davon ist auch' alles Unglück gekommen. Auch das mit dem Fehltritt..! Altenberg war aufgesprungen. „Fehltritt? Was soll das heißen, Frau Sicbenhühner?" ' „Ja, das müssen Sie erfahren, wenn Sie Lore heiraten wollen. Sie hatte schon mal einen Bräutigam — und als das Kind unterwegs war, ließ er sie sitzen, ging auf und davon, auf Nimmerwiedersehen. Das Kind ist gestorben, gleich nach der Geburt..." „Soso!?"