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UrbLderrecbtsucbutn: I'unk lärme-Verlag, Urckle (Lunte) .j tttaa;vruck verboten. Erstes Kapitel. Mit einem jähen Ruck unterbrach Kurt von Seeburg seinen späten Spaziergang. Wer weinte denn da im Dunkel so hcrzzerbrechcnd? Hier im Tiergarten, dicht beim Brandenburger Tor, wenige Schritte von rasenden Autos, klingelnden Straßenbahnen, ratternden Autobussen entfernt? Ach, dort auf der Bank saß, wie ein Häufchen Unglück, in sich zusammcngekauert, eine Mädchcngcstalt. Mit zwei Schritten war Seeburg hcrangctrctcn. Lächerlich eigentlich!, dachte er; vielleicht ist der Kleinen der Schatz untreu geworden. Aber er fragte doch: „Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, mein Fräu lein? Nein, Sie brauchen nicht zu erschrecken! Ich will nur wissen, ob ich irgend etwas für Sie tun kann." Schluchzend kam die Antwort: ..Nein, Herr Lcgationsrat! Ich danke Ihnen! Sehr freundlich von Ihnen! Aber da gibt es nichts zu helfen." „Ja — kennen Sie mich denn, mein Fräulein? Und woher?" Das stoßweise Schluchzen ließ die Worte nur ruckartig hervorkommcn: „Von der Bayrischen Gesandtschaft her, HerrLcgations- rat! Da war ich bis heute als Sekretärin. Heut' hat man mich und drei Kolleginnen vor die Tür gesetzt. Gehalt ausbezahlt. Wir daukcn — können Sie leider nicht weiter beschäftigen." „Aber liebes Fräulein, wie ist denn das gekommen? Freiherr von Reger ist doch ein so gütiger Vorgesetzter. Haben Sie denn etwas angestcllt?" „Ein Dokument soll fehlen. Wir vier wissen nichts davon. Niemand weiß, wo es hingekommcn ist!" Wieder setzte das Weinen ein. „Dieser Verdacht, diese Schande..." „Seit wann sitzen Sie denn hier, liebes Fräulein? Die Gesandtschaft schließt um vier Uhr und jetzt ist es elf Uhr. Weshalb gehen Sie denn nicht nach Hause?" „Ich schäme mich ja so, und ich trau' mich ja nicht zur Mutier. Sie weiß ohnehin weder ein noch aus. Vater ist vor acht Wochen gestorben, und wenn jetzt mein Gehalt fortfällt, was soll denn aus uns werden?! Wir haben ja noch die Last der großen Wohnung." Herrn von Seeburg kam erst jetzt zum Bewußtsein, daß das junge Mädchen in tiefe Trauer gekleidet war. Das Scheinwerferlicht eines vorbcirasenden Autos fiel auf ein verweintes, zartes Gesichtchen, das noch fast kindlich Ausgeweint hat sie sich ja!, dachte Seeburg, ich muß nun sehen, daß ich das arme Ding von hier fort und nach ihrer Wohnung bekomme! „Das hilft alles nichts, Kind", meinte er, „nach Hause müssen Sie gehen. Sie können doch nicht die Nacht über hier sitzenbleiben! So, ich komme noch ein paar Schritte mit. Wo liegt denn diese schreckliche, große Wohnung?" Folgsam kam die Antwort: „Maaßenstraße, am Lützow platz ..." „Das ist doch eine gute Gegend. Warum geben Sie da nicht ein Zimmer ab, wenn Ihnen die Wohnung zu groß ist, Fräulein?" Er stockte. „Sie kennen zwar meinen Namen, mein Fräulein — aber ich weiß immer noch nicht, mit wem ich spreche!" „Irene von Merten!" lautete die Antwort. Uebcrrascht fragte Seeburg: „Von Merten? Sind Sie verwandt mit Franz August von Merten, dem Oberleutnant, der bei den Zictenhusaren gestanden hat und neunzehnhundertachtzchn gefallen ist?" „Mein Bruder, Herr Legationsrat!" „Ihr Bruder? Wissen Sie auch, daß er ein guter Freund von mir war, mein gnädiges Fräulein? Sir müssen noch ein Kind gewesen sein, wie ich Ihren Eltern meine Aufwartung machte, als ich neunzehnhundertsechzehn auf Kommando in Berlin war. Nun müssen Sie mir natürlich gestatten, Sie bis an Ihr Haus zu begleiten, und bis morgen werde ich mir mal überlegen, ob es nicht einen Weg gibt, Ihnen behilflich zu sein. Aber erzählen Sie mir doch noch einmal ausführlich die Geschichte von dem merkwürdigen Verschwinden dieses Dokuments. Selbst verständlich nur, soweit Sie darüber sprechen dürfen." „Es handelt sich um eine Reichswchrangelcgenheit. Was das Dokument enthielt, weiß ich nicht. Ich habe es nie in der Hand gehabt. In unserem Schreibzimmer ist es allerdings gewesen. Fräulein von Burdach behauptet, eS bestimmt in die rote Unterschriftenmappe gelegt zu Haben, die mit.den anderen Unterschriften dann ins Haupt- ktretariat gekommen "ist. Dort-keblte das Dokument." „Wer hat es denn da hingebracht?" „Das wissen wir eben nicht. Wir haben jetzt mehrere Büroboten und einen jungen Burschen. Die sind alle ab wechselnd nach Unterschriftsmappen gekommen. Wer aber gerade diese Mappe abgeholt hat, darauf besinnt sich natür lich niemand." „Waren denn Fremde im Schreibzimmer oder im Hauptselretariat?" „Ja, das ist möglich! Es kommt öfter jemand. Mich hat heute auch ein Petter einen Augenblick sprechen wollen: Assessor Malesius", fügte Irene erläuternd hinzu; „er hatte dienstlich vorher etwas in der Gesandtschaft zu er ledigen." „Fatale Geschichte — wird sich aber schon aufklärcn! Und nun Kopf hoch, mein gnädiges Fräulein! Meine Empfehlung an die Frau Mama! Ich werde mir morgen erlauben, mich nach Ihrer beiden Befinden zu erkundigen!" sagte Seeburg, als sie an Irenes Wohnung angelangt waren. * * Kurt von Seeburg wartete, bis das junge Mädchen abgeschlossen hatte und in den Fahrstuhl gestiegen war. Nun ging er über den Lützowplatz, um rechts ins Lützow ufer einzubicgcn. An der Ecke der Lützowstraße prallte er beinah mit einem Herrn zusammen, der ihm gleich Vie Hand entgegenstrecktc, als er ihn erkannte. „Guten Abend, Herr von Seeburg! Hier in ver Stadt an diesem schönen Sommerabend?" „Es war zu spät zum Herausfahren. Und Sie, lieber Miller? Auf der Verbrecherjagd, wie gewöhnlich? Oder ganz undienstlich?" „Wir Polizeimcnschen haben ja immer die Augen offen, Herr Baron! Wenn ich auch nicht im Dienst bin, habe ich doch eben einen interessanten Aufschluß bekommen. Ich habe mich schon lange gewundert, wo dieser Assessor von Malesius — Donnerwetter, das war indiskret —, also, wo dieser junge Mann, den Namen vergessen Sie natürlich, Herr Baron, das Geld zu seiner noblen Lebens führung her hat. Eben habe ich ihn in einen sogenannten geheimen Spielklub gehen sehen. Ich interessiere mich für ihn, weil ich seinen Vater gut kannte. Wir waren sogar befreundet. Aber er starb, als der Junge noch klein war Der hat sich dann anders entwickelt, als sein Vater gehofft hatte. Aber was haben Sie denn?" Seeburg war stehengeblieben. Leise pfiff er durch die Zähne. „Gut, daß selbst ihr Polizeimenschen euch mal ver plappert. Sagen Sie mal, Doktor, wissen Sie nicht hier in der Nähe 'ne anständige kleine Weinstube, in der man ungestört plaudern kann und in der ich Sie zu einer Flasche einladen darf?" „Wenn ich mich mit der zweiten Flasche revanchieren darf, Herr Baron, dann brauchen wir nur ein paar Schritte zu gehen; dort können wir ungestörter plaudern, als dem Wirt lieb ist! Aber der Wein ist dort gut." * * * - Die Herren hatten in einer Ecke des kleinen, braun getäfelten Zimmers Platz genommen. Seeburg trank seinem Gast zu. Der bot ihm Bescheid und sagte: „Wenn mich nicht alles täuscht, Baron, so hängt Ihr Plauderbedürfnis irgendwie mit der Indiskretion zn- sammen, die ich vorhin unabsichtlich begangen habe!" „Sie merken aber auch alles, Doktor! Also: Sie er innern sich doch des armen Kerls, des Kameraden Merten, den die Engländer neunzehnhundertachtzehn abgeschossen haben?" „Selbstverständlich! Wenn es einen Menschen gab, um den es mir leid getan hat, dann war das Merten!" „Also, lieber Doktor, dessen Schwester — ich kannte die Kleine übrigens nicht — fand ich vor einer halben Stunde weinend auf einer Bank am Brandenburger Tor. Meine dumme Gutmütigkeit ging wieder mit mir durch; ich fragte, ob ich ihr irgendwie behilflich sein könnte." „Bei solchen Ritterdiensten können Sic mal schön an rennen, lieber Baron, wenn Sie auf eine Fremde treffen!" „Na, furchtsam bin ich ja gerade nicht! Und so leicht bindet keiner mit mir an!" Seeburg hatte recht. Mit diesem Hünen ließ sich nicht gern jemand im Bösen ein. In seiner stattlichen Größe von einem Meter achtzig Zentimeter sah er auf die meisten Menschen herab. Die energischen Gesichtszüge paßten zu dem durchtrainierten Körper, die Hellen, blauen Augen, die jetzt leicht ironisch dem Gegenüber zublinzelten, konnten ihren menschenfreundlichen Ausdruck verlieren, stablbart werden. Der Kriminaldirektor Miller sah neben Seeburg klen» unv untersetzt aus; er machte vcn Eindruck, als ob er ein behäbiger Spießbürger wäre. Doch die vielen Schmisse auf seiner linken Wange zeigten, vaß er einmal seinen Mann gestanden hatte. Ucber den grauen Augen hob sich eine gut geformte Stirn, mit seltsamen kleinen Vor wölbungen unmittelbar über den Augenbrauen. Die Farbe des kurzgeschorcnen Haares war kaum erkennbar, nur an vcn Seiten schimmerte es tief dunkelblond. Unter einer energisch geformten Nase saß ein ausdrucksvoller Mund. Das Kinn war nicht übermäßig groß, aber senkrecht und scharfkantig. „Also das Mädel heute", fuhr Seeburg fort. „Wer sie war, erfuhr ich erst später. Sie war bis heute als Sekretärin bei ver Bayrischen Gcsanvtschast. Plötzlich entlassen, mit drei Kolleginnen zusammen. Grund: ein Dokument soll verschwunven sein. Neichswchrsache. Wie weit wirklich wichtig, mir unbekannt. Die kleine Merten hat es nicht gesehen. Sie scheint völlig unschuldig in die Geschichte hincingekommen zu sein. Zufällig nannte sie in der Erzählung ihren Vetter Malesius. Uebrigcns in keinerlei Zusammenhang. Nur vrollig, daß Sic eben auch Malesius erwähnten! Den halte ich selbst heute mit einem dienstlichen Auftrag zur Bayrischen Gesandtschaft geschickt. Ich hielt ihn übrigens für vermögend. Prost!" „Zum Wohl, Baron!" „Das ist alles, was Sie vorauf zu sagen haben?- „Ja! In unserem Beruf ist vas nämlich so, daß eS ganz nebensächlich ist, was unsereiner zu sagen hat. Wichtig ist nur, was unsere verehrten Geschäftsfreunde sagen. Schon deshalb, weil meistens das Gegenteil davon richtig ist." „Also ist meine ganze Erzählung umsonst gewesen?" „Nein, Herr Baron! Aber nützen tut sie auch nichts. — Wenn ver gute Merten noch lebte, würde er sich vcn Besuch vcs sauberen Herrn Vetter bei seiner Schwester wohl mit hinreichender Deutlichkeit verbeten haben. Vermögen be sitzt Malesius kaum. Und wie man von dem Gehalt eines Assessors a. D. dauernd als Lebcjüngling auftreten kann, darüber zerbreche ich mir seit geraumer Zeit den Kopf. Jetzt werde ich mich doch mal um ihn kümmern, nachdem ich weiß, daß er spielt." „Unv, Doktor, wenn Sic was in ver Dokumenten- angclegenheit erfahren, tun Sie mir einen Gefallen, wenn. Sie sich mal wieder verplappern! Sucht diese Schießbuden figur Sie, lieber Herr Doktor?" Kriminaldirektor Miller hatte im selben Augenblick den Eingetretenen, dem man vcn Wachtmeister in Zivil auf zwanzig Meter ansah, herangewinkt. Einen steifen, harten Hut in der Hand, in einen festen grauen Anzug gekleidet, derbe Schuhe an ven Füßen, war der Mann mit dem runden vollen Gesicht und dem aufgezwirbeltcn Schnurr bart der Typ ves sogenannten Geheimen. Auf Doktor Millers Wink trat er an den Tisch, wo er, den schweren Eichenstock in der Linken, eine fast militärische Stellung einnahm. „Da hat Schulze doch recht gehabt. Er sagte, er habe Sie hier hereingehen sehen, Herr Direktor!" „Sie können in Gegenwart des Herrn Legationsrats ruhig sprechen!" sagte Kriminaldirektor Miller. „Gibt's etwas Besonderes?" „Nein, Herr Direktor! Der Herr, den ich beschattet habe, ist vor zehn Minuten mit einer eleganten, kleinen hell blonden Dame, die etwas merkwürdig sprach, in einem Auto fortgcfahren. Richtung Westen. Nachfahren konnte ich nicht, denn grmäß der gestrigen Verfügung werden Autospescn ja nicht mehr ersetzt." „Danke, Wachtmeister — so wichtig war es auch nicht! Und nun Schluß für heute. Aber auch für mich, Herr Baron! Ich bitte um Entschuldigung! Mehr als die zwei Flaschen wollen wir uns heute doch nicht leisten. Die sind leer, und ich muß morgen zeitig zum Dienst." Zweites Kapitel. Der Fernsprecher läutete. Fra» von Merlen, die miti Irene noch am Frühstückstisch saß, nahm den Hörer ab: „Guten Tag, lieber Franz! Dank für die Nachfrage. Nein, mir geht es gar nicht gut, mein Junge! Irene hat! Unannehmlichkeiten in der Gesandtschaft gehabt. Gestern.! Nein, sie ist nicht mehr dort. Wir überlegen eben, was! mir machen sollen. Irene ist dafür, Zimmer zu vermieten.! Aber ich habe so ungern fremde Leute in der Wohnung. Ja, natürlich, das wäre nett, Franz! Ich schicke dir Irene, einmal an den Apparat." / ^LwcttctumLckolat^