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freuen, mal was Junges bei sich zu haben. So alt ist er doch gar nicht." ! „Sie sehen mich verwundert an? I s lich nicht — ich wollte doch nicht ins Es war eine friedvolle Wintcrnacht. Sie lagerte auf tief verschneiten Häusern und Bäumen, auf weis; schimmernden Straßen, die ganz wunderbar ver schieden von ihrem sonstigen Aussehen waren. Die weiche, weiße Schneedecke verbarg allen Schmutz und alle Häßlich keit, und das sind ja die größten Vorzüge des Winters, daß er Frieden und Schön heit bringt! Am Himmel stand eine große, dicke Wolke. Sie war ganz voll bis hinauf an den Rand mit großen, weißen Schneeflocken, die eben ihre große Reise in die Welt hinunter antreten sollten. Sie tuschelten und flüsterten, kicherten und drängten sich, wie es solch unge bärdiges junges Volk halt zu tun Pflegt. — „Ich komme natürlich in eine große Stadt," prahlte eine Flocke. — „Ich will Leben sehen, Licht und viele Menschen." — „Ach nein, ich suche mir ein stilles Gelände draußen vor der Stadt," sagte eine große, ernste Flocke. Die erste lächelte geringschätzig, aber zum Ant worten kam sie nicht, denn plötzlich öff nete Onkel Nordwind die Ture und rief mit dröhnender Stimme: „Na, seid ihr bereit, Kinder? — Dann kann die Reise losgeheu!" Aus war es nun mit dem stillen be schaulichen Gleiten und Schweben. Der Wind war diesmal Reisemarschall und er trieb seine derben Scherze während der ganzen Reise. Unsere erste Flocke hatte sich richtig einen Platz ans dem Gehsteig einer breiten Hauptstraße errungen. Wohl gefällig fah sie in das schimmernde Licht der Bogenlampen und hörte die ge dämpfte Musik, die aus dem prächtigen Gebäude drang, vor welchem sie lag. „Ja, — das ist Leben!" flüsterte sie voller Seligkeit. „Könnte ich doch auch Men schen sehen!" Die Musik verstummte, eine breite Tür öffnete sich und eine Menge Menschen strömte heraus. „Sehen sie s o aus," dachte unsere Flocke noch, aber da legte sich eine schmutzige Schuhsohle hart auf sie und trug sie mit sich fort! Wieder öffnete sich eine Tür; sie fühlte einen rauhen Stoff unter sich — den Schuhabstreifer, während die Schuhe sich entfernten. „Wie schmutzig mein hübsches neues Kleid geworden ist!" dachte sie voll Trauer und sah an sich herunter. Und dann wurde ihr ganz merkwürdig zu Sinn, sie wurde ganz weich, und schließlich blieb von ihr nur ein armseliges, unsauberes Wasscrtröpf- chen, das in den Fasern des Stoffes versickerte. Das Ivar das Ende. Und wie erging es der zweiten Flocke? Ist auch sie nicht mehr? O nein! Es liegt ein weites Feld bei einem stillen Dörfchen. Wie eine ungeheure Decke liegt hier weißer, unberührter Schnee. Kein Meuscheufuß tritt ihn. Und hier liegt auch unsere Flocke und wird hier liegen bleiben bis zu dem Tage, an welchem der Frühling einzieht. Dann wird sie als glitzernder Tropfen in die Erde versinken .und die zarten Keime des jungen Kornes tränken, auf daß dieses wachse und blühe. Und s i e wird nicht unnütz gelebt haben!