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161 Nachdruck verboten. Aber ihr kamen auch recht ernste Gedanken in dieser Situation. Wer dieser schamlosen Schaulust, dachte sie, ausgesetzt ist mit wirklicher Schuld — oder noch schlimmer, un schuldig, aber ohne die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen: wie furchtbar für den! Man sollte, empfand sic, mit niemandem mehv Takt haben als mit den Ucbcltätern. Wie müssen sie die Menschen verachten, die aus ihrer Not, ihrem Unglück — selbst aus ihrer Schlechtigkeit! — eine Sensation machen! Sic selbst begegnete den nengicrigcn Blicken mit so ernster Ruhe, daß manches Auge nicht standhiclt. „Das ist ja die große Dame von gestern abend...", hörte sic gehässig eine kalte Stimme sagen. „Die — werden sie schon klein kriegen!" antwortete eine andere. Sie schüttelte unwillkürlich den Kopf. O diese Menschen! Wie wenig Güte, wie viel Mißgunst! Und dabei — .oie wenig Güte genügte, um das Leben besser und leichter zu machen. Mitleidig dachte sie an die beiden Diebe, die sic an gezeigt hatte. Es war ja ihre Pflicht gewesen. Aber sie nahm sich vor, wenn sie als Zeugin vernommen würde, so mild wie möglich zu sprechen und das anständige Wesen der beiden vor allem hervorzuhcbcn. Leise wunderte sie sich über Giscler! Was konnte vorliegen, was geschehen sein, daß er sich nicht mehr um sie bekümmerte? Ein leises Mißtrauen gegen ihn erwachte. Nun, ihre Hotelrcchnüng würde er begleichen, ihre Sachen mit nach Brömitz nehmen... Leider hatte man ihr Geld beschlagnahmt. Und weil sie namenlos bleiben wollte, konnte sie sich selbst zu ihren Effekten nicht be kennen. Bredena, bei ihrem Anblick immer wieder zweifelnd — aber hatte sie Per nicht so viel Einzelheiten mitgekcilt, daß ein Irrtum ausgeschlossen schien! —. öffnete ihr höflich das Auto. >Sie mochte Bredena gern. Er tat seine harte Pflicht, aber er tat sie mit Takt. Per Mackeprang ,dagegen! Er sollte ihr und ihrer Rache nicht entgehen! Die Polizisten, schwer bewaffnet, setzten sich auf die vorderen Stühle, sie und Bredena nahmen die breiten Sessel ein. „Das ist ja schon so sicher wie im Gefängnis", sagte Luzie nicht ohne Spott. Der Motor zog an. Langsam manövrierte sich der Wagen durch die Menge. Um die Ecke biegend, streifte er fast den Bürgersteig, auf dem Giseler und Per soeben dahcrkamen. Die Menge drängte nach. - Es waren fast alles Badegäste. Aber die Bahn war doch frei, das Auto nahm nun das denkbar schnellste Tempo. Heraus mit der Arrestantin aus diesem Wust von Neugierde und Sensationslust, hatte Bredena gesagt, und dem Chauffeur einen Wink ge geben. Aber der Augenblick hatte genügt — Giscler hatte Luzie, Luzie Giseler erkannt, Giseler und seinen Begleiter. Der Professor stand einen Herzschlag lang wie ver steinert. „Luzie", rief er dann — hoffnungslos, das Auto hatte bereits eine zweite Ecke genommen, war schon draußen auf der Landstraße — unerreichbar jedem Ruf, jedem Wink. »Ja", sagte Per grinsend, „so nannte sie sich!" „Aber das ist ja — das ist ja mein Mündel! Luzie Hofmann!" „Nein!" sagte Per verständnislos. . „Ja, ja, ja", rief Giscler in höchster Wut. „Ja, Sie Idiot!" Er konnte sich später nicht besinnen, wie cs zugcgangcn. Aber Pers Aussage genügte ihm. Es waren auch viele Zeugen vorhanden, die es be stätigen konnten. Giseler, der Aesthet, Giscler, der Freund und Vertreter jeder Gewaltlosigkeit, Giseler, der (wir können es nicht verschweigen!) wohlerzogene Muttersohn, Giseler versetzte dem graßen, vierschrötigen, boxgeschulten Per eine schal lende Ohrfeige. Die saß so gut und war so wohlangepaßt, daß Per seine Künste in Angriff wie Verteidigung vergaß. "„Aul" schrie er auf. 'Fassungslos sahen sie sich darauf eine Sekunde an. Dann wandte sich Giseler verächtlich ab. „Meine Adresse wissen Sie. Ich erwarte Ihre Nach richt! Sie Lump!" ' ' Ha, tat das gut, > Giseler ging langsam davon. Per stand wie an gewurzelt. „Aber sie hat es doch selbst erzählt!" sagte er begossen IZU den Umherstehenden. »Sie hat mir selbst erzählt, daß ssie* Einbrecherin sei." k» »Das ist auch durchaus möglich!" mischte sich ein alter > Her? ein.-.Es gibt Leute, die. na. saacn wir mal, rein zu ihrem Vergnügen Verbrechen begehen. Meistens sind sic Häupter einer großen Bande." „Ja", sagte Per und ging mit dem alten Herrn Seite an Seite weiter, „das sagte sie auch. Ihre Bande heißt: Fünf Männer und ein halber. Der Halbe wäre sic." Ter alte Herr nickte. „Am Tage sind cs ordentliche Leute in rechtschaffenen Berufen. Nachts machen sie die tollsten Sachen. Schizoide nennt man das?" „Wie bitte?" fragte erstaunt Per. „Schizoide! Haben Sie noch nichts davon gehört?" „Nein!" sagte Per. „Ich bin Getreide- und Mchl- händlcr. Engros. Mackeprang, Fehmarn." „Negenau, Stargard", stellte sich der andere vor. „Rektor." „Sehr angenehm. Also schizoide, meinen Sic? Kann ich mir nicht recht Vorsteven. Abends war sie immer schrecklich müde und ging am liebsten um nenn zu Bett. Mas soll sie da nachts für Streiche machen? Herr Gott, dieser Giseler! Wenn ich mich nur nicht blamiert habe!" „Mit Giseler — das geht nicht ohne Duell. Ich kenne ihn woll, >var mal ein paar Semester in Rostock. Wenn Sie einen Sekundanten brauchen!" „Klar! Ob er boxen kann, weiß ich nicht. Ich kann nicht schieben. Er sieht mir mehr nach Schießen aus. Vielleicht nehmen wir Säbel. Das können wir schließlich beide nicht. Dann sind wir wenigstens quitt!" „Ich werde noch einen zweiten Sekundanten suchen und daim gleich zu ihm gehen!" „Meine Mutter wird schön böse sein!" sagte Per nach denklich. Ob cs wegen des Duells war oder wegen der Luzie, die er hatte heiraten sollen und nun verhaften ließ — das blieb ihm selber unklar. I" x ' ! ! 1t. Piter und Jürgen hatten einen wUdcrvollcn Vor mittag verlebt. Das Wetter war heute weniger regnerisch und kühl als die vorhergehenden Tage. Sie saßen im Garten der .Försterei, aßen von den letzten Stachelbeeren, so viel ihr Magen fassen konnte, tranken dazwischen einen harmlosen Likör, fühlten sich in der Sommerfrische und freuten sich auf Luzie. - . Ab und zu machte Piter Gehversuche. Doch, es ging schon! Er würde heute abend, bei der großen Szene im Kavallerieverein, schon wieder auftreten können! Jürgen hatte eine zarte Gefühlsanwandlung. Er pflückte Blumen und band einen schönen Strauß. Er bevorzugte rote, blaue und gelbe Blumen. ' „Wenn ich ihn ihr gebe, singe ich: Ein bissele Lieb und ein bissele Treu und ein bissele Falschheit ist allweil dabei!" „Quatsch!" sagte Piter, weil er sich ärgerte, die gute Idee nicht selbst gehabt zu haben. Um zwölf brachte die Frau Förster das Mittagessen in die Laube. Rührei mit Schinken und Salat. Zum Nachtisch saure Milch mit Sahne und (viel) Zucker. Sie hatten cs sich bestellt, denn cs war ja ihr Abschieds mahl. Kaffee und eine gute Zigarre! Ach Gott, das Leben ist doch schön!. / „Hallo!" sagte aus der Gemütlichkeit ihrer Stimmung heraus Jürgen. „Ein Auto!" „Sie kommt!" rief Piter und versuchte, elegant auf zuspringen. „Mit einem Lastwagen?" fragte Jürgen Kaffkirl und lachte pfiffig. „Mensch, kick doch erst zu, ehe du dich in Auslagen stürzt." „Rassow aus Bergen!" sagte Piter und wäre beinah umgefallen, weil er vergaß, daß sein Fuß noch nicht wieder völlig tragfähig war. „Mensch, hast du Töne! Rassow sein Ueberlandauto und Rassow sein Chauffeur!" „Ja", sagte die Frau Förster, die aus dem Hause kam und sich die Hände an ihrer blauen Schürze abtrockucie. „Wir kriegen alle Vierteljahr von Rassow aus Bergen Kolonialwaren auf Vorrat! Kennen die Herren das Geschäft?" '„Och doch", machte Piter verlegen. „Ich hab mit der Firma zu tu» gehabt!" Rassows Chauffeur war vom Führersitz hcrabgcstiegen und machte schon den großen Wagen auf. Er kam gern auf die Försterei, wo er immer reichlich bewirtet wurde. Als er Piter und Jürgen sah, hätte er fast die Kiste von der Schulter fallen lassen. „Kerls! Hier seid Ihr! Und Ramitz hat euch doch mit seinen Reitern zurückholen lassen wollen. Aber Ihr Dcubelskerlc auf und davon! Und in ganz Bergen fragt man sich: Wo stecken die Rackers? Und was hat Ramitz mit dem Takelzcug vor?" - , Piter und Jürgen lachten behaglich. ' -s Der Chauffeur gehörte zur „Hilaritas". ' „Habt ihr denn schon 'nen neuen Vorstand gewählt?" „Wir? Nee! Wir gehören doch nicht zu den Kaval leristen!" „ „Ist cs denn schon 'raus? Hat Heim schon abgcdankt?" „Ja, Jungens, wißt Ihr denn nicht? Heim ist doch tot! Gestern begraben!" „Nein!" riefen Piter und Jürgen entsetzt. „Doch nicht wegen der Kassette?" „Davon weiß ich nichts. Soll 'nen Herzschlag gekriegt haben — tot im Bett gelegen haben, so vor sechs, sieben Tagen. Ja, den Tag, wo Ihr Takelzcngs weggcmacht habt, da morgens..." „Tann sind wir da nicht schuld an!" sägte Piter er leichtert. „Dann hat ja aber die ganze Geschichte leinen Sinn! Wenn sich bloß der Baron jetzt nicht drückt!" meinte Jürgen bedenklich. „I, wie soll er! Wort ist Wort!" „Mit großen Herren ist nicht gut rechten!" gab Jürgen zu bedenken. Gemeinsam mit Jürgen hatte der Chauffeur die Kisten abgelaoeu. Jetzt setzte er sich in die Laube an den Tisch, von dem die Kameraden eben getafelt, und cs gab viel Fragen und Antworten. Man weihte die Fran Förster ein, soweit daS ging. Die war zufrieden, daß sic ihr Geld hatte — einerlei, von Wem cs kam. Piter erzählte umständlich die Reise und ihre Aben teuer, den Raub des Autos und des Bootes, die nächtliche Wasscrfahrt im Sturm, daS schwierige Landen, das Mal heur mit seinem Fuß und das anmutige Abenteuer mit dem Mädel. „Ra, na!" machte der Chauffeur und drohte mit dem Finger. „Wenn das unser Fräulein Ida hört!" „Die soll sich wohl nichts daraus machen!" erwiderte finster Piter. „Der bin ich so gleichgültig wie eine Spinne an der Wand — noch gleichgültiger, denn sic nimmt sich nicht mal dic Mühe, mich zu entfernen!" „Dieser Tage ist sic manchmal mit ganz dicken roten Augen 'rumgclaufen", sagte nachdenklich der Chauffeur, „aber ich möchte »icht behaupten, daß das deinetwegen wäre, Piter!" Die Frau Förster, die die bescheidenen und dankbaren Gäste ins Herz geschlossen hatte, und sah, wie gut bekannt sie mit dem Chauffeur des angesehenen Geschäfts in Bergen waren, hatte doch bei den Erzählungen Piters ihre Bedenken. „Werden Sie denn keine Unannehmlichkeiten davon haben, daß Sie einen fremden Namen geführt haben, und daß Sic den Ausweis sozusagen mißbräuchlich benützen?" gab sie zu bedenken. „Wenn nun Vieser .Herr Mackeprang ein Schurke wäre und Sic kämen für ihn in einen schlechten Verdacht? Es ist nämlich gerade eben von der Polizei aus Saßnitz angcfragt worden, ob Herr Mackeprang und sein Begleiter noch da wären — und wir sollten über die Nach frage schweigen. Aber nun Sie gar nicht der Herr Mackc- praüg sind..." „Gottsdunner!" sagte Jürgen und sprang auf. „Von der Polizei? Und wir müssen heute abend in Bergen sein! Mit der Polizei, das hält immer auf! Detlev, wann fährst du? Nimm uns lieber mit!" » „Wcnn's sein muß, sofort!" sagte der Chauffeur und wischte sich den Mund. „Nee, wenn das eine Schikane für die Kavalleristen gibt, will ich auf die guten Zigarren der Frau Förster gern verzichten." „Sie können sie ja mitnchmcn!" tröstete die freundliche Frau. „Aber reinen Mund halten. Ich habe nichts ver raten!" Eine Viertelstunde später raste das schwere Anto, dessen letzte LicferstaUon die Försterei in der Stübnitz gewesen war, seinem Heimatort zu. Piter und Jürgen saßen etwas eng, aber zufrieden neben dem Chauffeur. Für „das Mädel" hatten sie den hübschen Blumenstrauß — für das bestellte Auto die Bezahlung und bei der Frau Förster neben einem freundlichen Andenken ein böses Gewissen zurückgclassen. Was sollte sic dcn Polizisten sagen? Man näherte sich schon der schmalen Verbindung zwischen dem Großen und Kleinen Jasmunder Bodden, als das große Lastauto von einem recht eleganten Per sonenwagen überholt wurde, dessen Insassen aber die lustigen Burschen auf dem Führersitz keines Blickes würdigten. Dafür aber sahen sich Piter und Jürgen verblüfft an. „Da soll mich der Schlag treffen! War das nicht — ?" „Toch!" bestätigte Piter. „Das war —" „Jh, waren das nicht — Landjäger? Dic d„ vorn im Wagen saßen?" „Sah akkurat so aus!" „S o eine kann das aber doch nicht sein? l"^ „Unmöglich!" Und nach kurzem Sinnen Piter: „Jürgen, das is 'ne Prinzessin! Das habe ich mir immer schon gedacht! Des halb reist sic unter Bedeckung!" - „Meinst du?" „Klar!" sagte Piter überzeugt. „Ganz klar! Damit ihr nichts passiert!" „Aber damals im Walde?" „Gott, so Fräuleins, denen wird das eben mal leid! Immer Bewachung! — Deshalb ist sie eben mal aus- gckniffen!" „Möglich!" „Unseren schönen Blumenstrauß hat sie nu leider nicht zu sehen bekommen!" „Wirklich schade!" Sie logen sich gegenseitig etwas vor. Ihr Herz war schwer geworden. Auf das Mädel hätten sie Häuser ge baut! — Als Luzie Giscler erkannt hatte — Giscler zusammen mit Per Mackeprang! —, war ihr Herz mit einem Malo fast erstarrt vor Entsetze». Giseler wußte — und trat nicht für sie ein? So wenig konnte man auf Freundschaft, jahrelange Bekanntschaft, heimliches Licbeswcrbcn und väterliche Be vormundung geben?