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151 Nachdruck verboten. Aber ihre Stimmung war Yin. So himmelweit sie davon entfernt mar, so etwas wie Liebe für Per zu emp finden: sie hatte ihn schwesterlich gern gehabt, und sein Verrat hatte sie gekränkt. Daß er aber gar ihre lustige Aufschneiderei ernst genommen?! Löffel!, dachte sie gut niedersächsisch. Wie kann man so dumm sein! Sie verabschiedete sich auf französisch, sobald der Tanz zn Ende war, ging in ihrem Hotel auf ihr Zimmer und bat um Zeitungen. Sie hatte ja tagelang nichts von der Welt mehr gehört und wollte versuchen, bei Lektüre ihren Aerger zu vergessen. Morgen, dachte sic, reise ich ab. Nach Rostock? Eigentlich, sagte sie sich, könnte ich einmal nach Brömitz fahren! Wie lange habe ich Hertha nicht mehr gesehen! Und Klein-Ingeborg! Doch sie würde die Fclschen benachrichtigen; die gute Alte machte sich gar noch Sorgen! Sie begann unwillkürlich, ihre Koffer zu packen. Doch wozu? Das hatte Zeit bis morgen! Sie legte sich auf vas Ruhebett — ihr elegantes Abendkleid hatte sic inzwischen mit einem einfachen Morgenrock vertauscht — und begann zu lesen. So erfuhr auch sic von dem Einbruch auf Brömitz. Heißer Schrecken packte sic. Die arme Hertha! Sic war ,o zart-cmpfindcnd, so sensibel! Eigentlich hatte sie, Luzie, sich darüber immer ein bißchen mokiert. Aber in diesem Falle... Ja, sie wollte hin und Hertha ein wenig trösten. Dazu war sic grade die Nichtige, sie, die nichts ansocht und deren Nerven vorbildlich waren. . Einbruch! Schrecklich! Wer... Und mit cincm Male stand ihr das Herz fast still vor Entsetzen. Die beiden Männer im Walde, die Pers Boot ge stohlen! Sie hatte sie, aus purer Rache für Per, nicht anzeigcn wollen. Es waren in ihrer Art brave Burschen gewesen! Aber stimmte nicht Zeit und Tag und das leicht verwirrte Wesen der beiden, alles, zusammen? Sie durfte sie nicht schonen! Jetzt ärgerte sie sich, daß sic mit dcr Anzeige so lange gezögert hatte! Kostbare Tage waren verstrichen! Doch der Fuß des einen war gewiß noch nicht wieder in Ordnung. Auf alle Fälle würde die Förstersfrau... Halt, sic konnte ja eben einmal ansragen! Sic nahm vas Telephon, ließ Verbindung Herstellen und erfuhr von dem Förster — seine Frau sei bereits schlafen gegangen —, daß die „Herren" noch da seien, jedoch morgen abreisen wollten — per Auto. Das Auto sei in Saßnitz bestellt. Wohin? Das hätten sie nicht gesagt! Ja, er selbst habe den Wagen beordert — da und da — bei dem und dem — um vier Uhr nachmittags! Vier Uhr nachmittags? Zeit genug! „Grüßen Sie die Herren! Ich käme noch heraus, mich von ihnen zu verabschieden!" Morgen nachmittag um vier Uhr! Zeit genug! Es genügte, wenn sie morgen früh der Polizei die Anzeige machte. Befriedigt, doch ermüdet, noch einen herzlichen Ge danken an die Schwester sendend, legte sich Luzie hin und schlief fest und traumlos die ganze Nacht hindurch. Die neuen Ereignisse halten sie den „dummen" Per fast ver gessen gemacht. Der war in sein Hotel gestürzt und hatte Bredcna und Giseler noch zusammen gefunden. Eiligst hatte er erzählt, was ihm geschehen war. „Sie ist hier! Ich habe sie gesehen, mit ihr gesprochen! Sie ist — hochelegant! — im Kurhaus, tanzt, amüsiert sich, baldowert natürlich wieder eine Gelegenheit aus. Diamanten hat die! Wenn die echt sind..." „Vielleicht gestohlen?" vermutete Giseler. „Gestohlene Sachen würde sie kaum tragen! Ich ver mute, wertlose Imitationen!" sagte kennerisch Bredena. „Ich suche hier eine junge Bekannte, mein früheres Mündel", sagte Giseler nachdenklich. „Hoffentlich wird sie »icht noch ein Opfer der Diebesbande! Ich habe mich noch nicht weiter um sie bemüht, ich kam erst so spät hier an. Nun, ich denke, diese eine Nacht..." Per war rot geworden. Das frühere Mündel Giselers? Aha, diejenige welche... Hm, der Professor war ja nicht übel! Wäre ganz nett, wenn er das Mädel mal — flüchtig — kennenlernte! „Aber", fasle er laut, „Herr Bredena — wollen wir ffle nicht lieber, zur Vorsicht, gleich heute abend verhaften lassen?" Bredena überlegte. - „Gehen wir alle drei auf den Ball! Ich möchte mich «erst einmal überzeugen..." Irgend etwas bei der ganzen Sache schien ihm nicht tz« stimmen. Einbrecherinnen pflegen zu fremden Herren Nicht so bieder „Schaf" zu sagen. Sie sind auf andere Töne gestimmt. Und dennoch! Die von Per verdächtigte Dame war inzwischen lort- gegangen. Niemand wußte, wohin! Bredena wurde nun selbst unruhig. Ausgerüstet mit seiner Berufsmarke, suchte er einige der Hotels auf und ließ sich die Liste der Anwesenden verzeigen. Auf diese Weise erfuhr Giseler, wo Luzie wohnte. Sonst blieb die Sache vergeblich. Bredena schüttelte den Kopf. „Hoffentlich ist das Ganze nicht ein Irrtum, und eine falsche Spur lenkt mich ab, die richtigen Ucbeltäter zu finden. Wo sott das Mädchen geblieben sein?" Mehr und mehr fing er an, Per Mackevrangs Aus sagen ru mißtrauen. 13. Piter und Jürgen waren sehr gerührt, als sie vom Förster erfuhren, daß das Mädel angernfcn habe. So eine Feine! Und doch so treu! Wir wollen sie cinladcn, mit unserem Auto zu uns hcrauszukommcn. Das sparte ihr Geld. Sie hatten es ja dazu! Es wurde für sic die höchste Zeit, nach Bergen zurück- zukchren. Am Abend sand die Versammlung des Kavallerie- Vereins statt, zu dcr Ramitz sie bestellt hatte. Attes sollte sehr dramatisch vor sich gehen. Sie malten sich aus, wie sic die Kassette vor dem alten Heim auf den Tisch stellen würden — na und so weiter! Ihre übrigen Sünden drückten sie immer weniger, je näher sie selbst dem Moment kamen, wo sie sic sühnen lassen konnten. Sie riefen Luzie an, deren Hotel sich der Förster ge merkt hatte, wnndcrten sich ein wenig, wie kühl das Fräulein sprach. Na ja, so Mädels! Und freuten sich geruhsam auf den Nachmittag und die schöne Autofahrt von dem Forsthaus bis Bergen. — Luzie hatte ihre Toilette eben beendet, als sich Giseler melden ließ. „Du?" sagte sie mehr erstaunt als erfreut. „Was in aller Welt willst du hier?" „Dich nach Brömitz holen! Hertha läßt dich eiuladen!" Sie saßen sich im Salon des Hotels gegenüber. Wie hübsch und frisch das Mädel ist, und wie ihr die Ehrlichkeit aus den Augen leuchtet!, dachte Giseler entzückt. Gegen diesen albernen Per ist Herbert - Onkel Her bert — doch richtig eine Erquickung. Der würde nie so dumm sein, zu glauben... Auch dann nicht, wenn er mich nicht von Kindesbeinen an kennte, überlegte sie. „Ich wollte sowieso hin!" sagte sie laut. „Eine Post karte hätte genügt. Ich möchte aber heute obreisen! Paßt vir vas?" Doch ja! Das Wetter war so nicht für einen See- ansenthalt geeignet. t „Vorher", fuhr sie fort, „habe ich noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Ist es dir recht, fahren wir mir dem Auto. Um wieviel Uhr?" Sie einigten sich auf zwei. „Und heute morgen?" „Erlaube mir noch eine Viertelstunde! Dann komme ich zu dir auf die Strandpromenade. Es regnet zwar, aber doch nicht viel. Ich denke, wir machen einen kleinen Bummel!" „Gern, sehr gern!" sagte er warm. Dieser Bummel sollte über sein Geschick entscheiden. Luzie erledigte die Anzeige durchs Telephon. Sie gab ihre Personalien an und erwähnte, daß sie die Schwester der Frau von Schettelcr sei. Dann fügte sie ihre Verdachts momente hinzu und gab den Aufenthaltsort dcr Täter an. Ob das genüge? Ja! Man werde nötige Schritte sofort tun. Uebrigens sei man auch noch weiteren Spuren nachgegangen. Man hoffe, die Sache käme bald ins Reine. Luzie teilte noch mit, wann sie abrcisen werde und wohin — falls man sie als Zeugin brauche. Man dankte verbindlich. Luzie packte ihren Koffer fertig, zog ihr Nciseklcid an und begab sich zur Promenade. Aus der Viertelstunde war eine halbe geworden. Giseler hatte sich ein bißchen weiter entfernt. Suchend blickte Luzie umher. „Mein Fräulein", sagte in diesem Augenblick eine dunkle, energische Stimme hinter ihr, „machen Sie lein Aufsehen. Folgen Sie mir unauffällig. Sie sind ver haftet!" Luzie hatte Vredcua in Pers Begleitung gesehen, er kannte ihn wieder und lachte hellauf. Aber Bredena zeigte ernst seine Erkennungsmarke. „In Ihrem eigenen Interesse, gehen Sic ruhig mit mir!" „Hat dieser junge Esel von Mackeprang mich wirklich verpetzt?" sagte sie rcspcktslos. „Herr Mackeprang tut seine Pflicht!" mahnte ernst Bredena. Verdammt wenig nach Verbrecherin sah das Mädchen aus. Aber aufs Aussehen konnte man nichts geben. Schweigend und gelassen ging Luzie neben ihm. Alles war ihr furchtbar lächerlich! Und Giseler? Mochte er vergeblich warten. Er konnte sich bei seiner Mutter be danken, die ihr einen Per Mackeprang hatte aufdrängen wollen. Stc dachte sehr ungerecht Uber dc:. c. Aber auch das war ihr nicht zu verdenken! Auf der Polizei verweigerte Luzie jede Austun,. Nur auf die Frage, ob sie die Herren Soundso, sie zur Zeit im Forsthaus wohnten, kenne, antwortete sie ein boshaftes „Ja". Ihre amüsierten Blicke machten die Polizisten fast nervös. Giseler, überlegte sic, wird ja binnen weniger Viertel stunden erfahren haben, was geschehen ist, und mich holen. Ich sage nicht, wer ich bin. Mögen sie sich's selbst aus tüfteln. Aber Giseler, dem Per und Bredena nicht ohne Er regung mitteilten, daß man die Diebin endlich verhaftet, brachte die gar nicht in einen Zusammenhang mit seinem früheren Mündel. Er wartete, geduldig und lange. Erst als fast anderthalb Stunden vorüber waren, ging er in ihr Hotel. Hier erfuhr er, daß Luzie vor langer Zeit bereits fortgegangen sei. Wohin, wußte mau nicht. Sollte sie ihm einen Streich gespielt haben? Aber wieso? Es lag kein Grund vor. Er aß appetitlos zu Mittag. Per uns Bredena, die ihn abholen wollten, wies er ziemlich schroff ab. Er müsse auf Luzie warten. Sie werde jeden Augenblick kommen. Er wußte, daß sie ihre Rechnung im Hotel noch nicht bezahlt habe. Also war er sicher, daß sie wiederkommen werde. Ihr Koffer, gepackt, stand bereit. Wo blieb sie? Aus seinem Aerger wurde Angst und Sorge. Um zwei kam das Auto. Er bezahlte eine Abschlags- summe und blieb. Herrgott, was mochte nur los sein? Luzie unterdessen wartete ebenfalls und — wunderte sich... Man brachte ihr Essen; aber obwohl sie hungrig war, wies sie cs ab. Sic war noch nie in einem Gefängnis gewescn — die Kahlheit und Enge des Raumes begannen, sie aufzureizen. Das Eingcschlosscuscin legte sich ihr wie ein Alp auf die Brust. Wo blieb Giseler? Schließlich meldete sie sich energisch. Sie fragte, ob sie, für ihr eigenes Geld, ein Auto nehmen und sich nach Bergen bringen lassen könne. Man überlegte. Das Saßnitzer Arrcstlokal war primitiv. Luzies Art machte außerdem die Vertreter dcr Ord nung stutzig. Ohnc gewaltige kriminelle Erfahrungen sagte man sich doch, vaß Schuldige vielleicht Frechheit unv ! Anmaßung, aber nicht viese graziös-überlegene schelmische ! Sicherheit zeigen könnten wie die seltsame Arrestantin. Bredena. ven man befragte, war a,uch vafür. Wer weiß, ob nicht Komplicen ihr sonst noch zur Flucht verhelfen. Mackeprang, der auch sein Wort sprach, er klärte, daS reizende Wesen sei ganz ungeheuer schlau unv gefährlich. Bredcna würde sie begleiten — und zwei schwer bewaffnete Polizisten. Giseler mied die Bekannten. Das Gerede von der „Einbrecherin" war ihm ehrlich zuwider. Er sorgte, ängstigte sich um Luzie — und in diese Emp findungen mischten sich Scham und Aerger. Wie konnte man so launisch, so rücksichtslos sein! Er hatte ven Be kannten noch gar nicht gesagt, saß er sie immer noch nicht gefunden. Sie habe Migräne und lasse sich entschuldigen. ! Per grinste wissend. Natürlich wollte sie bloß ihn nicht sehen... Konnte er verstehen. Außerdem waren seine Gedanken anderweitig beschäftigt. Furchtbar interessante Sache, dieser Fall... Und selbst varin eine Nolle zu spielen! Giseler brütete auf seinem Zimmer über Luzie und ihr abscheuliches Betragen. Vielleicht hatte seine Mutter doch recht, ihn vor ihr zu warnen. Frauen sehen zuweilen klarer über Frauen, lassen sich nicht so leicht durch äußeren Charme blenven. Sein Herz tat ihm weh. Er hatte in Luzie zu viel Voll kommenheit hineingesehen. Ihre Frische und Natürlich keit wären also nichts als Firnis? Es klopfte. Per trat ein. Er brannte vor Sensationslust. „Kommen Sie mit, Professor? Das Mädchen wird abtransportiert. Also eine Menschenmenge hat sich va angesammelt. Toll, sag ich Ihnen! Wollen Sie sie. nicht auch mal ansehcn?" Giseler winkte angewidert ab. „Ich hege gegen solche Sensationen eine unaussprech- liche Abneigung. Asoziale Menschen haben mein Mitleid. Man weiß nie, wie sie dazu kamen, zu werden, was sie sind. Abscheulich finde ich es, wenn man sie anstarrt wie wilde Tiere. Lieber sollte man versuchen, sie durch Rück sicht und Takt zu bessern..." „Ja, wenn Sie nicht wollen", machte Per betrübt. „Bredena fährt doch mit. Vielleicht könnten Sie ihm Adieu sagen. Er ist heute abend wieder bei diesen Schcttelers." Giseler stand auf. Er konnte einen Gruß, eine Bestellung mitgeben. Er käme morgen, hoffe, Luzie mitzubringen. Hoffe... Darin lag eine Unsicherheit. Man würde schon verstehen. Unterdessen schritt Luzie mit der Würde einer gekrönten Königin durch die Reihe der Neugierigen, die dicht und eng war. Es hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, daß eine Hotcldiebin verhaftet worden sei und abtransportiert würde. Eine Hoteldiebin! Man redete nut von Tat sachen, ließ keine Eventualitäten gelten. Riesengroße Ge- rüchte schwirrten mit schwarzen Flügeln über die Müßig- leit des Badeortes, sich mit jedem Schwingen- bezugs- weise Zungenschlag noch ungeheuer verbreiternd. Hätte Luzie gehört, was alles man von ihr wußte, sie wäre nicht müde geworden zu lauschen. . (Worts, folat.l