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1-11 Nachdruck verboten. „Als Zweiter Vorsiyeuoc-l uns als Erster Schriflsührer unseres Vereins", fuhr Rassow indessen mit Ziclbcwußt- heU fort, „haben wir uns erlaubt, eben nach der Beerdi gung, sozusagen im Gedenken an den verstorbenen Kame raden Heim, das Archiv, zu dem ich — wie Herr Ba—, Kamerad wissen — einen zweiten Schlüssel habe, zu be sichtigen. Und finde — finde —" „Na, was denn?" ermunterte mit einem Gesicht, aus dem schon wieder die alte neckische Bosheit sprach, Ramitz. „Hat die Katze des Wirtes darin gejungt?" „Um Gottes willen!" „Wieso um Gottes willen? Katzen jungen zuweilen und suchen sich ihre Kindsbettcn manchmal am komischsten Ort. Bei mir mal eine in meinem Nachtschränkchen", plau derte der Baron Ramitz, voll diabolischer Schadenfreude an der Aufregung der anderen. Ehe — na ja — erst wollte er noch seinen Spatz haben! „Wir finden —", hob mit erhöhter Stimme Peinlich an. Er gehörte zu denen, die kapituliert hatten und war feines Zeichens Feldjäger. Dicht vor der Altersgrenze stehend, genoß er noch jeden Augenblick die Macht und den Glanz, den seine Stellung ihm gab. Er scheute nicht ein mal den Baron Ramitz. Der, wenn der einmal was aus- frätze, ich würde ihn kurzerhand verhaften, sagte er bramar basierend. Dennoch erregten diese Worte in gewissen Kreisen ehrfürchtige Schauder. „Ein Schwalbennest?" „Wir finden nicht — die Kassette!" rief Peinlich mit großem Stimmaufwand. „Die Kassette, die die Vereins gelder enthält! Ich bitte Sie, Kamerad Baron — eben haben wir unseren Vorsitzenden mit allen Ehren zu Grabe geleitet — und jetzt..." „Müssen wir vielleicht die Kassette mit allen Ehren zu Grabe geleiten?! Kinners, regt euch nicht auf! Das ist doch ganz einfach. Heim hat sie eben mit in sein Büro ge nommen und in seinem privaten Geldschrank — einbruchs- und diebessicher! — untergebracht. Sehr vernünftig — wenn er sie nun schon mal nicht in ein Safe setzen wollte, oder das Geld sonst anlegen..." „Aber ohne den Verein zu fragen!" „Kamerad Peinlich, dem Entschlutz des Einzelnen mutz auch in der festgefügtesten Organisation ein gewisser Spielraum gelassen werden!" „Ich kann nicht umhin: ich finde — Heim in allen Ehren —, da hat er seine Befugnisse überschritten!" „Kamerad Rassow — viel drin war nicht. Als Revisor weih ich vas. Einundzwanzig Mark sechs Pfennige!" „Einerlei! Jedenfalls werde ich morgen abend zwei Anträge einbringen und bitte den Herrn Kamerad Ramitz und Herrn Baron von Schetteler heute schon, sie unter stützen zu wollen: erstens, in unserem Verein darf der Posten des Kassierers und des Ersten Vorsitzenden nicht mehr in einer Hand vereint sein. Das ist unzulässig. Ich habe mich nicht gescheut, das zu Lebzeiten des Kameraden Heim in sein Gesicht hinein zu vertreten und vertrete es heute noch. Und zweitens: es mutz in die Satzungen des Vereins statutengemäß ausgenommen werden, datz alle dem Verein gehörigen und durch die Mitglieder ordnungs- gcmätz aufgebrachten Gelder der Städtischen Sparkasse übergeben werden." „Sehr gut, Rassow!" rief Ramitz in einem Ton, als befinde man sich in einer öffentlichen Versammlung. „Und wie kommen wir nun zu unserer Kassette? Man kann doch, ohne unzart zu sein, nicht die Witwe be helligen!" warf Peinlich großartig hin. Er zeigte so gern, wie er, trotz seines rauhen Handwerks, eigentlich ein zart fühlender und fein empfindender Mensch sei. „Abwarten!" sagte Ramitz. „Heute oder morgen gehe ich mal zu ihr. Uebermorgen ist auch noch früh genug." „Meint der Herr Kamerad, daß wir die Sitzung so lange aufschieben?" „Wozu, Peinlich? Wir sind doch kein Bankverein! Die materiellen Dinge liegen uns als alten Soldaten ja über haupt nicht so." „Hier handelt es sich für mich nicht ums Geld. Hier handelt es sich um die Ehrlichkeit und Treue.eines Kame raden, dem wir alle — wenn wir auch zuweilen ganz anderer Meinung waren — unser Vertrauen restlos ge schenkt haben, über den sich kaum die Erde geschlossen hat. Wenn wir nun erfahren müßten, daß dieser in Selbst herrlichkeit oder gar Unehrlichkeit —" „Nanana, Peinlich! Wenn ein alter Kasten nicht an seiner Stelle steht!" „Kamerad Ramitz! Ein alter Kasten? Da sehe ich doch idealistischer. Diesen alten Kasten, wie Sie zu sagen belieben, hat vor zwölf Jahren unser Vereinsmitglied Schreiner Mülle eigenhändig vor seinem Tode hergestellt und demLserein geschenkt." „Gut, daß es nicht nach seinem Tode geschah", murmelte Ramitz. „An diesem Kasten, möcht' ich auch wohl sagen", warf Rassow^tn, „hängt ein großer Teil unserer Herzen, und er umschließt ein Stückchen Vereinsehre..." „Zwanzig Mark und sechs Pfennige", murmelte ge dankenvoll Ramitz. „Jedenfalls — nun ihr hier seid! — Kellner, eine Flasche Roten! Allerbeste Sorte! — Machen Sie mit, Schetteler?" Der, dem cs im Zuhöreu klar geworden, daß Ramitz wieder einmal irgendeinen Schurkenstreich ausgeführt habe, lehnte dankend ab. Er halte weder Zeil noch Lust zn einem Kneipabend. Ramitz war traurig. Er hätte gern einen soliden Beistand gehabt. Mit Schrecken, doch ohne Besorgnis — er hatte sich noch stets zu helfen gewußt — bemerkte er, daß er diesmal in ein Wespennest gestochen hatte, wie es auf der ganzen Welt kein größeres gab: in das Wespennest der Vcreinssimmclei guter deutscher Schildbürger. Er ließ Flasche auf Flasche anfahren und gab erst das Schlußzeichen, als die beiden so reichlich getrunken hatten, daß sie, aller menschlichen Voranssicht nach, bis morgen abend mindestens unschädlich sein würden, uns auch dann vielleicht noch nicht wieder klar genug, ihre Gedanken richtig zu äußern und ihren Willen durchzusctzen. Zeit gewonnen, alles gewonnen. Ein bißchen tat es ihm doch weh, daß dieser Zeitgcwinst mit einem so starken Geldverlust erkauft werden mußte. 12. Giscler war bei sinkender Dämmerung in Saßnitz ein- getrosfen. Seine Abreise hatte sich einen Tag verzögert. „Wozu schon heute reisen", hatte Hertha gemeint, „man kann ja gar nicht wissen, ob Luzie schon da ist?" So batte Giseler den Tag zu einer stillen Einkehr be nutzt, und das Resultat war gewesen, daß er am Abend einen langen Brief an seine Mutter geschrieben: er be kannte darin, daß sein Herz unlöslich an Luzie gebunden sei, und daß er beabsichtige, sich mit ihr während seines Aufenthaltes in Saßnitz auseinanderzusctzen, also zu ver loben. Er fügte einige wohlmeinende Ermahnungen hinzu, dahingehend, daß er hoffe, seine Mutter werde Luzie mit aller wünschenswerten Freundlichkeit entgegen- kommcn. Er erwähnte kurz das Fest, das man auf Brömitz plane, und äußerte die Absicht, während desselben seine Verlobung zu veröffentlichen. Dann weiß Mutter, dachte er, daß mein Entschluß unumstößlich ist. Fern von der Mutter fühlte er sich sofort freier Herr seiner Maßnahmen. Er mußte sich gestehen, daß diese Empfindung eine außerordentlich angenehme sei. Diese Freiheit genoß er auch, als er, nachdem er sich ein Zimmer genommen — es war in demselben Hotel, in dem auch Bredena und Per wohnten —, die Strand- promcnade entlang schlenderte. Das Konzert war schon zu Ende. Er hoffte nicht, Luzie hier noch zu treffen. Morgen wollte er dann in den Hotels Umfrage halten. Möglicherweise traf er sie auch schon ganz von selbst auf seinem Morgenbummel. Sie war ja eine Frühaufsteherin, genau wie er selbst. Im Speisesaal des Hotels, in dem er sich pünktlich zur Souperstunde einfand, bemerkte er mit einem Male an einem Tisch, ganz in ver anderen Ecke des weiten Raumes, Bredena mit einem anderen jungen Mann, von dem Giseler sich nicht -enthalten konnte zu denken, daß er einen zwar angenehmen, aber etwas einfältigen Eindruck machte. Sollte vas ein Kollege von Bredena sein? Was überhaupi lat der hier? Er hatte von einer Wanderung durch sie Insel gesprochen. War er hier auf einer Spur? Das konnte interessant werden! Giseler hätte ganz gern einmal etwas Kriminalistisches erlebt! „Herr Bredena", sagte Per zu seinem neuen Freund, mit dem er, da der alte eine Ucberlandlour machte, allein speiste, „da sitzt ein Herr, der beständig zu uns 'rüber schielt! Ist das etwa ein Kollege von Ihnen? Sie müssen sich gleich mal vorsichtig umschauen. Allerdings — Kol lege?! Ein so lamm- und rammdösiges Gesicht darf ein Detektiv kaum haben. Der Kerl sieht nicht aus, als ob er bis drei zahlen könne!" Bredena, sich bei schicklicher Gelegenheit umwendend, grüßte erfreut und höflich hinüber. „Lieber Mackeprang, das ist der Professor Giseler aus Rostock, dessen Mutter Sie vergeblich erwartet hat!" Per wurde feuerrot. „Donnerwetter! Die scheinen es aber auf mich ab- gesehen zu haben. Da soll doch gleich..." „Ich habe Giseler auf Brömitz flüchtig kennengelernt. Ein feiner, stiller, kluger Mensch! Ihnen ist der sicher nicht nachgereist. Für Sie beide ist es ja interessant, ein- ander kennenzulernen!" Man setzte sich nach dem Essen zusammen in den Salon, trank ein Glas Wein miteinander. Giseler und Per waren nicht ohne Verlegenheit gegen einander. Per bedauerte, nicht nach der jungen Dame fragen zu können, die übereifrige Mutterliebe für ihn vor gesehen. Er hatte sein Ausbleiben flüchtig und mit einem gewissen Trotz entschuldigt. Giseler hatte abwehrend die Hand erhoben „Aber bitte sehr! Verstehe ich so gut... ^<an wehrt sich seiner Haut, solange man kann." Sie lachten alle drei. Bredena hatte Per verboten, von seinem Verdacht und von der gefundenen Spur zu reden. Er selbst deutete nur leicht den Zweck seines Aufenthaltes in Saßnitz an. Er hoffe, bald Eptscheidendes zu finden... Erst gegen neun Uhr entsann sich Per, daß er den Ball im Kurhaus nicht versäumen möchte. Bredena lehnte ab, mitzukommen. Er hoffte, noch mit Giseler vertraulich reden zu können. Dies und das konnte e r andeuten, doch fürchtete er, Pc r werde zu restlos alle Verdachtsmomente aufzählc», und als guter Kriminalist wußte Bredena, daß man so wenig Vertraute wie möglich haben dürfe. An dererseits war Giscler ein guter Bekannter seiner Auftrag geber, und er meinte, ihm Ncchcnschafl schuldig zu sein. „Vielleicht kommen wir noch nach", trösteten sie den leicht betrübten Per. Luzie hatte große Toilette gemachr. Ihr braunes Lockenhaar bauschte sich hoch über ihrer Stirn. Das zartorangcfarbene Seidenkleid, ihre schmalen Glieder anmutig umfließend, stand ihr doppelt gut, weil ihre Haut durch die Fahrt tiefgebräunt war. Ihre dunklen Augen funkelten so blank wie zwei Sterne am Nacht- Himmel. Der schöne Schmuck gleißte an ihrem zarten Hals. Befriedigt und erwartungsvoll zugleich begab sic sich — nicht sehr früh — ins Kurhaus. Die Festlichkeit war schon im vollen Gang. Man blickte ein wenig erstaunt auf das blutjunge Ding — Luzie sah uoch weit jünger auS, als sie tatsächlich war —, das sich so allein nnd so kühn auf das glatte Parkett wagte. Ihre Toilette, beinahe ein wenig zu groß für die gegebenen Verhältnisse, machte sie allen interessant. „Eine Amerikanerin!" hieß es. „Eine Südamerikanerin! Eine Milliardärin!" tuschelte man fünf Minuten später. Ein flotter Walzer wurde gespielt. Einer der forschesten unter den nicht allzu zahlreich vertretenen Herren wagte es, sie znm' Tanz zu bitten Luzie nahm an. Ihre Grazie begeisterte die Herren. Sie flog von einem Arm in den anderen. Ihr spähendes Auge hatte vergeblich nach Per auS- gcschaut. Zwar bedauerte sie, daß ihre Rache sich nicht werde ausführen lassen. Aber sie begann, sich prachtvoll zu amü sieren, zumal sie merkte, daß man über sie leise munkelte und nicht so recht aus ihrer geheimnisvollen Person etwas zu machen wußte. Sie vermied klüglich, sich vorzustellen und genoß den Reiz des Allein- und Unbekanntseins. Per trat ein, als sie grade am Büfett eine Erfrischung nahm. Ein ostprcußischer Rittergutsbesitzer, mehr als Fünfzig, hatte sich ihrer bemächtigt. „Wir kennen uns doch, gnädiges Fräulein", suchte er sie auszuhorchcn. „Wir haben uns doch während der Grünen Woche in Berlin kennengelernt?" „So?" machte Luzie schlau. „Ich entsinne mich nicht! Aber möglich ist ja alles!" Sie sah Per im Spiegel und erkannte ihn sofort, ob schon er einen Smoking trug und sehr viel zivilisierter aussah, als sie es ihm zugelraut. Dennoch fühlte sie ihren Groll eher sich steigern, denn sich mindern. Ein Kavalier? Ach du liebe Zeit! Ein Feigling! Die Musik begann von neuem. Foxtrott. Luzie wiegte sich genießerisch im Takt. Ihr Opfer ließ sic nicht aus den Augen. So erspähte sie den Moment, da er sie sah. Er erkannte sie nicht sogleich. Sie bemerkte nur sein Interesse. Als der Tanz zu Ende war und sie sich ihrem Platz zusühren ließ, fühlte sie seine Blicke auf ihrem Rücken, den das tief ausgeschnittene Kleid frciließ. Dann pirschte er sich langsam näher. Jetzt stand er ihr gegenüber, wollte sich verneigen, sich vorstellen. Ihr Blick zwang ihn. Einen Augenblick wur zelten diese Blicke ineinander. Per wurde unter der Bräune seiner sonnverbrannten Haut langsam blaß. „Sic . ", sagte er mit heiserer Stimme. „Ich!" erwiderte sic, den Ton voll Verachtung. „Das — wagen Sie?" Sie hatte ihre Aufschneiderei fast vergessen, niemals in Erwägung gezogen, sie könne seine Handlungsweise beeinflußt haben. „Ich?" fragte sie hochmütig. „Sie sind es, der hier etwas riskiert! Wenn ich erzähle, wie ritterlich Sie mich im Stich gelassen haben, sind Sie hier erledigt!" „So? Und wenn ich erzähle?" „Was ist schon zu erzählen? Wenn Sie nicht Unwahr heiten auftischen..." „Sie sind reich geschmückt! Ist das auch — ein Ertrag Ihres Erwerbes!" Aha l, stellte man im Saal fest — der junge Ehemann, eifersüchtig und schlechtgelaunt. n«d sie verteidigt ihre Freiheit! Diskret schaute man beiseite. Luzie lachte leise verächtlich auf. Ach du liebe Zeit! So ernst nahm der das? Wie dumm! Zu dumm! „Sie Schaf!" sagte sie ungezogen. Per, von ihrer Schönheit und Eleganz überwältigt, war im Begriff gewesen zu kapitulieren. Er hätte sich vielleicht hinreiben lassen, sie zu warnen. Das böse Wort, mehr noch der böse Ton, in dem es gesprochen wurde, ließen ihn jede Rücksicht vergessen. „Gut", sagte er, „wie Sie wollen!" Er verbeugte sich leicht und ging hinaus. Judas!, dachte er trotz alledem. Judas? Hüter der gesellschaftlichen Tonung und Sicherheit!, lobte er sich, nicht ganz überzeugt. Gott, er hatte ja wirk lich schäbig gegen sie gehandelt! — Luzie tanzte noch einen Tanz. ' , ckorts. folgt.) I