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(1. Fortsetzung.) Leonore Koltau hatte wunderschöne, große, braune Argen, während Regina aus sanften dunkclblanen Augen än die Welt blickte. Reginas Wesen war viel ruhiger und ausgeglichener als das der sprunghaften, lebcnshungrigen Leonore. Leonore war drei Jahre alt gewesen, als die Mutter ftarb. Damals lebten sie noch auf Koltau, dein großen Schloß und Majoratssitz, der mit dem Tode des Grafen an eine Nebenlinie der Koltauer gefallen war. Seit zwölf Jahren schon war Graf Koltau tot, seitdem lebten die Schwestern in Berlin. Von mütterlicher Seite her waren die Gräfinnen Koltau sehr, sehr reich, und sie gehörten zu den besten und vielumworbcnsten Partien ihrer Kreise. Aber alle Bemühungen um die beiden Koltaus waren bisher vergeblich gewesen. Leonore flirtete und amüsierte sich, dachte noch nicht ans Heiraten. Außerdem stand jene Jugendvcrlobung im Hintergrund, von der die anderen Leute allerdings nichts wußten. Gräfin Regina schien allen Männern gegenüber un empfindlich zu sein. Sie lebte ziemlich still und zurück gezogen; außer bei ihren Verwandten verkehrte sie nur noch in dem exklusiven Haus der Fürstin Hohenstein, in dem man alle paar Wochen einmal zusammenkam, um Musik zu treiben oder ein gutes Buch durchzustudieren. Fast gegen den Willen der Schwester hatte Leonore es Lurchgesetzt, daß sie ihren Liebhabereien, vor allem dem Sport, nachgehen durfte. Sie war überall mit dabei, er lebte jeden Augenblick eine andere Sensation und war immer vergnügt und immer strahlend. Sie beherrschte die große Schwester gänzlich. Ein Blick aus ihren braunen Koboldsaugen — und Regina war entwaffnet. Regina wußte allerdings, daß sic sich im großen und ganzen auf die Schwester verlassen konnte. Und die Tatsache, daß sie fast überallhin von Hanns von Basse- Witz begleitet wurde, gab ihr auch wesentliche Beruhigung. So verlief das Leben der Koltauschen Schwestern an genehm und ohne große Sensationen. Bis nun dieser Brief angekommen war. Jetzt schien cs auf einmal aus zu sein mit dem schönen und harmo nischen Leben zu zweien, jetzt tauchte ein Störenfried auf, mit dem man ernstlich gar nicht mehr gerechnet hatte. Gras Rudolf von Altenberg wollte sein Wort einlösen, wollte Leonore Koltau heiraten. Die Vorgeschichte dieser Jugendverlobung war seltsam genug. Graf Tassilo von Altenberg — der Vater Rudolfs — und Graf Koltau waren von Kindheit an gute Freunde gewesen. Die väterlichen Besitzungen lagen dicht neben einander, und die Jungens waren unzertrennlich gewesen. Das änderte sich auch nicht, als sie zusammen in die Kadettenanstalt kamen und später in das gliche Regiment. Das Schicksal meinte es gut mit ihnen; denn auch als die beiden Freunde heirateten, harmonierten die gegen seitigen Frauen ausgezeichnet, und die Freundschaft wurde auch durch die Ehen nicht im mindesten getrübt. Tassilo von Altenberg hatte Heinrich Koltaus älteste Tochter zur Taufe getragen, und vier Jahre darauf er wies der Koltauer dem Freunde den gleichen Liebesdienst^ nach der Geburt seines Sohnes Rudolf. Mehrere Jahre nach Rudolfs Geburt kehrte der Storch zum zweiten Male auf Schloß Koltau ein; wie ein rosiges Wunder lag die kleine Leonore in der großen, altväter lichen Koltauer Wiege. Rudolf von Altenberg, ein elf jähriger Knabe, konnte sich nicht sattsehen an dem kleinen Erdenwunder. Fast täglich kam er herübergeritten nach Koltau, und es war schwer, ihn von der Wiege fortzu bringen. Rudolfs Interesse erlahmte auch nicht, als die Kleine hcranwuchs. Stundenlang konnte er geduldig mit ihr spielen, alle ihre Launen ließ er sich gefallen. Wenn man den Jungen mit seiner Liebe zu Leonore neckte, ließ er sich das gern gefallen, und eines Tages er klärte er, er werde die Leonore heiraten, sobald sie beide erwachsen wären. Die beiderseitigen Eltern hörten das nicht einmal un gern. Und aus dem Scherz des Knaben wurde mit einem Male Ernst. Der Koltauer und der Altenberger beschlossen, Rudolf und Leonore miteinander zu verheiraten, sobald die Zeit dazu gekommen war. Klein-Leonore wuchs heran. Sie war ein reizendes, wildes Ding, das in den Mallen zu Hause war und unter dcn Hecken herumkroch, und das bis in die äußersten Spitzen der Bäume hinaufiletterte. Kein Kunststück war ihr zu toll oder zu verwegen. Rudolf von Altenberg war inzwischen fortgekommen; er besuchte das Gymnasium der Kreisstadt, und seine Be suche auf Koltau waren auch während der Ferien seltener geworden. Der Wildfang Leonore gefiel ihm nicht mehr so gut; immer mehr zog er sich von Koltau zurück. Und dann hatte Leonore nie mehr etwas von ihrem Frühverlobten gesehen. Die Jahre verginge» mit Blitzesschnelle. Die zwei Schwestern mußten Koltau verlassen. Nach Beendigung der Schulzeit kam Leonore in ein Pensionat nach London. Die Jahre bei de» feinen englischen Lehrerinnen wirkten wie ein Wunder auf das wilde Mädchen. Als elegante, wohlerzogene, aber immer »och fröhliche junge Dame verließ Leonore das Pensionat, um einen Winter bei ihren Londoner Verwairdten zu leben. Regina brachte gern dieses Opfer, weil sie sich von dem Londoner Aufenthalt viel Gutes für die junge Schwester ver sprach. Leonore fügte sich überraschend gut in das englische Gesellschaftsleben ein. Sie bezauberte selbst die steifen Engländer und ihre ebenso vornehmen Gattinnen, und sie hatte Verehrer in Massen. Wie ein schöner, bunter Schmetterling gaukelte sie durch diesen Londoner Gesell schaftswinter, dessen Mittelpunkt der große Hofball bil dete, bei dem die deutsche Komtesse sogar dem englischen Königspaar vorgestellt wurde. Im Frühjahr kehrte Leonore nach Berlin zurück, um sich voller Vergnügen in das großstädtische Leben der Ncichshauptstadt zu stürzen. So schön es in London ge wesen war, hier gefiel cs ihr noch viel, viel besser. Hier war sie erst recht in ihrem Element. Regina hatte ihr ein einziges Mal von der Jugendver- lobung gesprochen. Leonore hatte mit dem Kopfe ge schüttelt: „Wo denkst du hin! Der Altenberger hat mich sicher vergessen. Ich glaube, auf diese Verlobung brauchen wir keine Rücksicht zu nehmen. Ueberhaupt: jch denke gar nicht ans Verloben oder Heiraten. Mir gefällt es so viel besser. Jch glaube fast, wir werden immer zusammen bleiben, Gina!" Von da an hatte man den Altenberger nicht mehr er wähnt. Die Schwestern wußten, daß Graf Rudolf von Alten berg sich zu einem Globetrotter von Passion ausgewachsen hatte. Man hatte viel von seiner großen Weltreise ge sprochen und noch mehr von der Forschungsreise ins Innere Afrikas, die er zusammen mit einer Expedition unternommen hatte. Damals, als der Altenberger seinen Kondolenzbesuch bei den Schwestern gemacht hatte — einen ziemlich förm lichen und belanglosen Besuch —, damals hatte kein Wort an jene Jugendvcrlobung erinnert. Und Leonore war die ganze Zeit über der Meinung gewesen, daß von einer Verlobung eigentlich nicht mehr die Rede sein konnte. Das alles paßte nicht mehr in die heutige Zeit, war eine ver gessene und überwundene Angelegenheit. Die Schwestern hatten Wohl gehört, daß Graf Rudolf von Altenberg vor einiger Zeit von seinen großen Reisen zurückgckehrt war und jetzt auf seinem thüringischen Besitz lebte. Direkt hatten sie die ganze Zeit über keine Nachricht von ihm bekommen. (Fortsetzung folgt!)