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lörbcbcrrcclitssLbut/.: ?imf Türmc-Verlng. Halle (8aalo) Mit einem leisen Ruck hielt der elegante grellrote Sportzweisitzer am Neichskanzlerplatz, und Hanns von Bassewitz sprang heraus, um seiner Kusine aus dem Wagen zu Helsen. Dann reichte er ihr die Hand, die das junge Mädchen lebhaft schüttelte. ! „Servus, Hanns! Also pünktlich um halb vier Uhr am Kanuhaus in Wannscc!" „Jawohl, Lore! Auf Wiedersehen!" , Hanns von Bassewitz sas; schon wieder am Steuer, griff an die schwarze Baskenmütze — und schon im nächsten Augenblick setzte sich der Sportwagen in Bewegung, um leicht und schnell davonzuflitzen. j Gräfin Leonore Koltau sah dem Wagen eine Sekunde mit leuchtenden Augen nach. Er sah gut aus, der schnittige Zweisitzer, und eS fuhr sich auch gut darin, um so mehr, als Vetter Hanns ausgezeichnet steuerte. Dann vergrub Leonore Koltau beide Hände in die Taschen ihrer röten Sportjacke, drehte sich um und schritt vergnügt über den grossen Platz. Der weiße Fallenrock schlug leicht um ihre schlanken, seidenbestrumpftcn Beine, die flachen Absätze der Hellen Sportschuhe klapperten in leisem, rhythmischem Takt über den Asphalt. / Puh!, wie heiß es ist!, dachte Leonore. Der Mai ließ sich gut an. Gut war das für das Training. Man brauchte keine Halle mehr, weder zum Tennisspielcn noch zum Schwimmen. Bald konnte man hinaus auf die Rot-Weiß- Plätzc und in die Havel. Nun wollten beide zum ersten Male das Kanu heraus- holcn, Hanns und sie. Das würde sicher herrlich werden. Noch viel schöner als die Autoraserei, die eine Menge Nachteile hatte. Man schluckte so viel Staub auf der Land straße. Und — so schön oft das Dahinrasen war — man sah nichts von der vorübcrsausendcn Landschaft, man hing nur am Tachometer, ohne an etwas anderes zu denken, ohne die Blütcnpracht zu sehen, die auf beiden Seiten der Straße lockte. In Werder waren sic gewesen, am Vormittag. Leonore hatte sich genug gewundert, daß der hochmütige Hanns einverstanden gewesen war, hinauszusteigcn auf die Bis- marckhöhe, sich unters Volk zu mischen. Und er hatte auch jetzt noch nichts gesehen von dem Blütenmeer, das sie umgab. Ucberhaupt, wenn cs nach ihm gingc, dann brauchte cs weiter nichts zu geben als Autostraßen und Sportplätze. . Für irgend etwas anderes ',attc er keinen Sinn. Er kannte nichts als den Sport; für ihn gab cs kennen Flirt und ' keine Liebe. . Und das war eigentlich gut so. Sonst hätte Leonore nicht so unbefangen und kameradschaftlich alles mit ihm l zusammen unternehmen können. Hanns war ihr bester ! Freund; sie harmonierten ausgezeichnet, deshalb wahr- ; scheinlich noch besser, weil alle anderen Gedanken aus- gcschaltet wavtn. Hanns war ein schneidiger Kerl, das mußte man ihm lassen. Er sah ausgezeichnet aus mit seiner Äinnen, sehni gen Gestalt und seinem braungebrannten, scharfkantigen Gesicht. Er gefiel Leonore ausgezeichnet, und sie wußte, daß es gut aussah, wenn sic zusammen auf den Sport plätzen erschienen. Ueberall waren sie zusammen: bei den großen Tennis turnieren, beinl Sechstagerennen, bei den Eishockeh- spielen im Sportpalast, bei den SHwimmfesten im Wellen bad, bei den Leichtathletikspiclcn, bei den Fechiturnieren. Sie segelten zusammen auf den« Wannscc, spielten Tennis, fuhren Auto. Und diesmal würde cs nicht sein Bewenden haben, das; sic beim Avus-Neunen zusahcn. Hanns würde selbst milfahre», und sic half ihm dabei, während er eifrig trainierte. Mit der Stoppuhr in der Hand kontrollierte sie ihn, und oft genug konnte sie ihm wertvolle Ratschläge geben. I M! boa Leonore Koltau in die Lindenallee ein. Ganz heiß wai e.- chc beim Gehen geworden, und hier, in der einsamen Straße, riß sie die Sportkappe von den rot braunen Locken, die sich allerliebst im Nacken rollten, und die ein feingeschnittenes, bildhübsches Gesichtchen um gaben. Noch ein paar Schritte, dann stand sie vor dem schönen Haus, das sie bewohnte. Sie durchschritt den kleinen Vor garten, ging die Treppe hinauf und klingelte im ersten Stock. „Oh, endlich, Komtesse Lore! Gräfin Regina wartet schon eine ganze Weile. Sie mochten gleich hinüber kommen, läßt sie bitten." „Mein Gott, Emma! Was ist denn los, daß es so pressiert?" „Ich weiß nicht, Komtesse. Jchiglaube aber, es ist etwas ! Wichtiges. Gräfin Regina hat mit der zweiten Post einen Einschreibebrief bekoWmen, und seitdem scheint sie sehr unruhig zu seil«." „Ach du lieber Gott! Gina nervös? Da muß es schon etwas Wichtiges sein. Sonst kommt sie nicht aus ihrer Ruhe. Na, da will ich gleich hinübergehen. Also, Emma, richten Sie mir, bitte, meinen blauen Kanudreß heraus. Wir wollen heute nachmittag anfahreu. Es ist herrlich draußen." Sie sind auch schon ein wenig verbrannt, Komtesse..." „Ja, Emma! Wir Walentin Werder. Da müssen Sic am Sonntag mal raus, mit Ihrem Heringsbändiger! Zu Höil ist es dort!" Die gute Emma war schon seit vielen Jahren im Dienst der Koltaus. So großen Respekt sie vor Gräfin Regina hatte, so vertraut war sie mit der kleinen Leonore, der sie imnrer half, wo sie konnte, und die ihr alles erzählte. Sie verstand ja nicht viel voll Leonores Sportgeschichten, aber sie hörte geduldig zu und ließ sich alles berichten. Jetzt sägte sie: „Komtesse Lore, Sic müssen jetzt aber gleich hinüber zu Frau Gräfin. Sic wartet sicher schon voller Ungeduld." „Ja, Emina! Sic haben recht!" Mit einem Satz war Leonore an der Tür. „Tag, Gina! Was ist denn los, um Gottes willen? Emma bat mir schon ordentlich Angst gemacht. Hat was gefaselt von einem Einschreibebrief und von deiner Un ruhe. Ich kann mir gar nicht denken..." „Grüß Gott, Lore! Wie gut, daß du endlich gekommen bist. Spät genug ist's heute ohnehin geworden. Ich bin gar nicht entzückt übcr diese Herumraserei mit Hanns Bassewitz." „Aber, Gina! Sei doch nicht so altmodisch! Wir beide wissen schon, Ivas wir voneinander wollen. Wir sind nichts weiter als gute Cportkamcraden und vertragen uns ausgezeichnet. Wir waren heute früh in Werder. Es war wirtlich wunderschön. Du müßtest auch einmal mit hin- auskommcn." „Das ist alles schön und gut, Lore. Aber schließlich darfst du nicht vergessen, daß du verlobt und was du deinem Verlobten schuldig bist!" . „Verlobt! Herrje! Das hätte ich wirklich bald ver gessen. An den Altenberger soll ich denken, den ich jahre- s lang nicht mehr gesehen habe. An diese furchtbare Idee von Vater, uns beide im Kindesalter miteinander zu ver loben. Ich denke wirklich nicht mehr an diese Verlobung! Ich bin überzeugt davon, auch der Altenberger hat diese Verlobung längst vergessen." „Da befindest du dich in einem gründlichen Irrtum, Lore. Graf Rudolf von Altenberg erinnert sich intensiv seiner Braut und ist Willens, sic zu heiraten." „Lieber Gott! Ist er verrückt geworden?" ries Leonore impulsiv aus. „Lore!" „Verzeih, Gina! Aber das kommt mlr zu unerwartet. Das ist ja purer Irrsinn. Wir kennen uns nicht, und er denkt daran, mich zu heiraten?!" Gräsii« Regina sah sorgenvoll zu ihrer jungen Schwester hinüber. Sie war fünfzehn Jahre älter als Leonore und hatte seit dem Tode der Mutter deren Stelle mit rührender Liebe vertreten. Jetzt war Leonore vier- undzwnnzig Jahre alt. Beide Schwestern glichen sich sehr, nur Ivar Regina reifer, voller als ihre schlanke, graziöse Schwester.