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71 Nachdruck verboten. „Wieso?" „Dann nehmen wir cs eben für uns in Anspruch!" „Ohne Benzin? Hat doch keinen Sinn!" „Wir lösen die Visitenkarte des Wagens ab../ „Die Visitenkarte?" „Per, sei nicht so begriffsstutzig! Hinten die Nnmmer. Und leihen uns daraufhin irgendwo ein paar Mark. Da und da liegt unser Wagen — etwas lädiert, aber noch brauchbar. Gebe« Sie uns fünf Mark... Mit fünf Mar! kommen wir bis Stralsund. Und da habe ich Kapitalien!" Per wehrte sich mit viel mehr Leidenschaft als nöti gegen diesen Plan. Das Empfinden, mit einer gewerkt mähigen Einbrecherin und Diebin unterwegs zu sein, lie seine selbstverständliche Ehrlichkeit in eine hysterisch Ueberrcizthcit geraten. Der Sinn für den Humor dev Sache ging ihm verloren, besonders wegen der Tatsache des entführten Bootes. Wenn sic'... Aber er verbot sic' in dieser Richtung weiterzudenken. Er fühlte nur nv> die Verpflichtung, eine Seele zu retten, und die menschlich Gesellschaft, der er die reizende Sünderin nicht auslicfcn wollte, auf audere Weise von ihr zu befreien — eben indem er sic auf den Pfad der Tugend zurückführte. E> zweifelte nicht, das; ihm das gelingen würde. „Na, denn »ich", sagte Luzie ärgerlich. „Mit deiner Pedanterie bringst du uns in die schönste Verlegenheit. In einer Stunde spätestens haben wir ein. gehöriges Ge witter. Daun las; uns wenigstens für die Nacht eine Bleibe finden. Ta drüben liegt ja ein Dorf. Los also!" „Mein Boot ist nach Osten gefahren. Ich denke, Luzie, wi^ gehen auch in die Richtung. Vielleicht legen sie irgendwo an — und man kann sic schnappen!" „So dumm könntest d u sein, Per — die nicht", sagte Luzie mit der ihr eigene» Offenherzigkeit. „Aber man los! Bis Arkona ist es auch nicht weit. Und dort können wir gegen Singen und Spielen — ich kann auch tanzen! — vielleicht am ehesten Unterkunft finden. Da sind Kurgäste. Die wollen unterhalten sein!" So unpraktisch, wie die Geheimrätin Giscler dachte, war Luzie gar nicht. Sie überlegte sehr genau, was in ihrer recht verzwickten Lage praktisch und vernünftig sei. Eine Acht-Pfennig-Postkartc würde sie ja Wohl irgendwo bekommen. Dann liest sic sich einfach Geld überweisen. Komisch: Was Geld wert ist — und wie man ohne es gradczu der Gefangene der Verhältnisse ist, das merkt man erst, wenn man einmal gar keins hat, dachte sie be sinnlich. Der Weg zog sich. Sie waren auch, trotzdem der Lcuchtturm von Arkona wie ein Wegweiser vor ihnen lag, auf Umwege geraten, Die Felder, größtenteils bereits abgecrntet, waren menschenleer. Feierabend war ja längst! Es dämmerte. Die heraufziehcndcn Gewitterwolken taten ihr Teil, das Abenddunkel zu beschleunigen. Und dann setzte plötzlich der Sturm ein — und der Regen! Blitz und Donner um zuckten sie. Sogar die kühne Luzie war im Begriff, die Nerven zu verlieren. Und wohlig und schützend empfand sie die warme Nähe des neuen Freundes, dessen Phlegma sich in dieser Stunde bewährte und nützlich erwies. Quer über die kahlen Felder waren sic auf Arkona zugcschritten. Plötzlich tauchten die dunklen Umrisse kleiner Häuser vor ihnen auf. Ein Dorf! Gott sei Dank! Rasten und einkehren! Wo? Ein Haus erwies sich durch mehrere erhellte Fenster als Gaststätte. „Da hinein!" sagte atemlos Luzie. Ohne Geld?, dachte Per. Aber was half's? Man würde sie schon nicht hinausjagen! In der Gaststube saßen ein paar Sommergäste. Die niedliche Wirtstochter spielte lustige Melodien, die neuesten Schlager, auf einem nur leicht verstimmten Klavier. Augenscheinlich wollte sie damit über die ein wenig gedrückte Gewitterstimmung hinweghelfen. Der Wirt trat den beiden Ankommenden mit herrischem Mißtrauen entgegen. „Sie wünschen?" „Schauern!" sagte Per lakonisch. „Bei dem Wetter ist es unmöglich, draußen zu bleiben!" „Noch dazu mit Damen!" sagte einer der Gäste. „Ihre Frau?" fragte der Wirt. „Wandergenossin!" erklärte wortkarg Per. Der Wirt zog eine Miene. Aber die Gäste zeigten Ver ständnis. „Wandervögel!" sagte ein alter Herr mit langem Voll bart entschuldigend. Luzie warf sich auf eine Bauk und streckte die Beine von sich. Mit dem nassen Aermel ihres durchfeuchteten, triefenden Segclanzuges versuchte sie, sich das Gesicht zu trocknen. Ihre lockigen Haare klebten naß an ihrer Stirn. Sie sah krank und elend aus. „Kaffee — recht, heiß!" befahl sie kategorisch. „Sie sind ja völlig naß!" sagte die Wirtstochter, die ihr Spiel unterbrochen hatte. „Darf ich Ihnen mit etwas Garderobe aushelfen?" „Gern", erwiderte leutselig Luzie. „Aber: einen ^Augenblick! Ich muß mich ein wenig verschnaufen. Denken Sie, wir kommen mit einem Segelboot. Wir haben es grade noch auf den Sand ziehen können — und sind dann gelaufen, was das Zeug halten sott. Sie müssen schon entschuldigen, wenn wir Ihnen Zeche und Qnartier bis morgen früh schuldig bleibe». Wir baden in der Eile alles an Bord gelassen!" Per riß die Augen aus. Lügen konnte dies kleine Scheusal! Na ja, eine gewohnheitsmäßige Verbrecherin! Und cabei: wie unschuldig und treuherzig sie aussah! Wirt und Wirtin beteuerten, daß das gar nichts aus- ache. Man brachte heißen Kaffee. Luzie bestellte Eier ?id Schinken. Aber man bedeutete sie, daß das Abcstd- >cot sogleich serviert würde. Ob 5>o nicht daran teil- ^hmen wollten? O ja! Sie wollten... Das junge Fräulein winkte Luzie. Auf ihrem Zimmer echscltc sie ihren nassen Anzug gegen Wüsche und Kleid er Wirtstochter; sie waren ungefähr von einer Größe, ur ein bißchen zu weit waren die Sachen der rundlichen Dorfschönheit für die überzierlichc Luzie. Was machte ^is? Der nasse Anzug wurde zu»; Trocknen in der Küche aufgchäugt. Per hatte ebenfalls ein trockenes Hemd bekommen und eine warme Jacke. Drausteu heulte der Sturm. Drinnen war cs höchst gemütlich. Es duftete ganz zart »ach Abenteuer» und Ungewöhn lichkeiten. Luzie genos; das. Per war besorgt. Was sollte morgen werden? „Unserem Boot kann doch nichts geschehen?" fragte ein paarmal Luzie mit gut gespielter Besorgnis. Man tröstete sic. Wenn sie cs weit genug aufs Land gezogen... Rach Tisch nahm Per die Klampfe vor. Die Haus tochter setzte sich wieder ans Klavier. Luzie sang. Keine Schlager! „Pfui, nein!" sagte sic einfach. Es gab kein Auflchnen dagegen. „Volkslieder!" Schelmenlieder! Sic trug sie wmidcrvott vor, und ihre Stimme erregte allgemeine Bewunderung. Dann aber erklärte sic, mehr nicht vortragen zu dürfen. Cie müsse sich schonen. Ihr Lehrer in Berlin würde sofort höre», wenn sie sich übernommen hätte. So? Sic würde im Gesang ausgebildet? Natürlich, bei der Anlage! Konzert? Wahrscheinlich Oper! „Wenn die Oper inan nicht am Kinderwagen endet!" meinte einer der Gäste. Er warf einen ausdrucksvollen Blick auf Per. Luzie zog eine verächtliche Fratze. Gott, der?, sagte die. Per, wütend, begann mit der Wirtstochtcr zu flirten. Wahrhaftig, er brachte es fertig. Sonst war ihm das unmöglich! Aber die Wut vermag, Talente zu wecken. Luzie sah es und freute sich! Je mehr Eisen im Feuer, desto besser! Man mußte sich auch in oas Fremdenbuch eintragen. Per hatte ja nichts zu verbergen! Und Luzie schrieb mit der Miene höchster Kühnheit und Unverfrorenheit ihren richtigen Namen! Per fand das empörend. Für ihn bedeutete es den Namen eines unangenehmen Mädchens, mit dem ihn eine unbekannte Dame verkuppeln wollte, um den eigenen Sohn davor zu bewahren. Aber gewiß, vies Mädel da hatte Grund, zu verschweigen, wer sie war und klaute einfach den Namen, den er ihr sorglos verraten hatte, ehe er wußte... Zimmer waren nicht mehr frei! Aber Per schlief, mit einigen Decken umhüllt, auf der Bank im Gastzimmer. Luzie bekam eine Matratze in der Küche. Da war es noch dazu herrlich warm. Sie war sehr zufrieden. Man wollte sich grade schlafen legen — obwohl es noch nicht halb zehn Uhr war, aber die schwere Gewitterluft hatte sie alle müde gemacht —, als es an die Fensterläden klopfte. Ein paar ver auf Arkona stationierten Matrosen... Sie lachten, als sie hörten, daß man schon „in die Koje" schlüpfen wollte. Jetzt sollte es erst anfangen, gemütlich zu werden. Ein bißchen Tanz, ein bißchen Radau. Luzie zog ihre Blicke auf sich. Forsches Ding, die Kleine. Und konnte tanzen wie eine Elfe. Der Wirt erzählte das Abenteuer der beiden — lam, behaglich und zufrieden, etwas Neues zu wissen an dem kleinen Ort, an dem so selten Neues geschah. Die Matrosen wunderten sich. „Im Segelboot? Wir haben seit sechs Uhr nur ein Segelboot gesichtet. Und das zog ostwärts, schien nach Lohme zu wollen..." „Dann macht die Augen besser auf", sagte sic patzig. „Meint ihr etwa, wir verkohlen euch?" Per begann ihre unverfrorene Frechheit zu bewundern. Sie schien auch hier damit durchzukommen. Die Matrose» lachten und schwiegen. Als man aber um elf Uhr nun wirklich zur Ruhe ging und der Wirt den Matrosen hinausleuchtcte, sagte der eine von ihnen leise: „Trauen Sie den beiden neuen Gästen nicht. Die sind niemal' -U . . cm Segelboot ge kommen. Auf dem Nordstrand li. gl Ici» Boot. Die Kleine ist niedlich. Aber sie flunkert. Die wollen die Zeche prellen!" Mißtrauisch und verdrossen kam der Wirt ins Zimmer zurück. Luzie war schon in ihrer Küche. Per streckte sich auf der Bank. Der Wirt streifte Um mit einem drohenden Blick. Aber Per war viel zu müde. „Gute Nacht!" sagte er schläfrig. „Ja, bis morgen!" erwiderte der Wirt. ES klang wie: „Warte man!" Früh um sechs Uhr schon kam die alte Magd, weckte Lnzie, die noch im tiefsten Schlaf lag, und machte Feuer. „Kriegen wir gleich Kaffee?" schmeichelte Luzie und huschte in ihren Strandanzug, der zwar zerknittert und beschmutzt, aber doch trocken war. Sic klopfte bei Per an. Es dauerte, ehe er antwortete. Sonor und regelmäßig waren seine Schnarchtönc. Dann erschien er, ebenfalls in seine» eigenen, dürftigen, schäbig gewordenen Kleidungs stücken. „Das Mädchen gibt uns eine Tasse Kaffee", raunte ihm Luzie zu. „Und dann los. Ehe sic dcu Betrug merken..." Aber der Wirt kau; schon die Treppe herunter. „So, nun wollen wiv mal an den Strand und uns das Boot besehen!" Per warf'Luzie einen verzweifelten Blick zu. „Ja", begauu er iu seiner langsamen Weise. „Ja", sagte der Wirt. „Ich weist schon Bescheid!" Er schlos; die Haustür auf. Drausteu standen zwei handfeste junge Burschen. „Ihr sollt euch wundern! Entweder arbeitet Ihr das ab — oder..." „Oder?" fragte Per, und das Blut stieg ihm dunkclroi zu Kopf. „Das; wir euch verkohlt haben, das war dumm. Siehst du, Luzie! Lügen haben kurze Beine. U n s ist das Boot gestohlen, jawoll! Und wenn Sie schlau sind, geben Sic uns die paar Groschen bis nach Stralsund. Sie kriegen alles richtig wieder — doppelt und dreifach!" „Sie kriegen alles richtig wieder, doppelt und drei fach!" machte höhnisch der Wirt. „Drauf, Jungens!" Die Rügener Jungkncchte hatten Kraft, Gottvcrdori! Aber leider Gottes war Per geschulter Boxer. Ehe es sich die beiden versahen, lagen sie aus dem Pflaster — und der Wirt rist Mund und Augen auf. „So!" sagte Per. „Die Arbeit wäre getan!" „Großartig!" jubelte Luzie. „Mcusch, wie du das kannst!" „Die Polizei kann noch mehr!" sagte gelassen der Wirr. Seine Hilfskräfte trollten sich, auf ihn schimpfend, davon. Errief ihnen nach, die Belohnung gäbe cs heule abend. Die schleppten ihre Knochen die Dorfstratze entlang. Per und Luzie halten sich durch Blicke verständigt. „Schließlich", sagte die kleine Katze Luzie geschmeidig, „habe ich doch auch gesungen und getanzt. Das ist doch auch was wert!" „Ein bißchen Holz will ich ja Woll spalten", meinte Per, „trotzdem..." Aber ihm graute vor der Polizei. Die arme Luzie! Freilich schic» sie sehr ruhig. Aber er sorgte sich statt ihrer. Der Haufen Holz war nicht grade klein; Per kam sich vor wie Herkules, dem man ja auch mit allerlei an sich unsinnigen Aufgaben das Leben schwergemach, Halle. Seine ganze Wut bekam das arme Holz zu spüren. Luzie half. Sie schichlete die Scheile sehr schön orvenllich auf. Es machte ihr Spaß. Sie lachte und neckte schon wieder. Per spürte so etwas wie Scham, sand sich geschändet. Ihm, ihm das — dem Fehmarner Großhändlers Sohn, der ersten einer in dem Hcimatsorl! Er war weidlich böse auf Luzie. „Warum lügst du eigentlich immer?" sagte er wütend, in der Arbeit innehaltend. „Du siehst doch, cs bringt nichts wie Unangenehmes?" „Lügen?" sagte sie verwundert. „Erstens lüge ich nicht. Ich schneide bloß auf. Und dann: ist das nicht einfach ein wundervolles Erlebnis? Das Ganze ist wie ein Film! Schade, daß ich dich nicht drehen kann — mit deinem finsteren Gesicht — und wie du draufhaust!" „Und unser Boot geht auf diese Weise endgültig für uns verloren!" „Ach, Per — wozu mag's gut sein? Wer weiß, ob die, die es gestohlen haben, diese Nacht überlebten? Es war doch zeitweise ein furchtbarer Sturm!" „Wenn sie segeln konnten! Das Boot ist fest!" Die Sonne hatte zwar am Morgen in strahlender Pracht geschienen. Aber jetzt bezog sich der Himmel von neuem. Es war kühl geworden. Das gute Wetter schien vorbei zu sein. Gegen neun kamen auch die Gäste herunter. Der Wirt erzählte, was es für eine Bewandtnis habe mit den lungen Leuten, die gestern abend eingetroffen. Einige, schadenfroh und moralinsauer, gingen ostentativ Uber den Hof, um die Arbeitenden, wie sie hofften, zu be schämen. Aber Luzie lachte sie so boshaft-vergnügt an, daß sie nicht auf ihre Rechnung kamen. Eine ältere Dame, alleinstehend und gütig, bot an, die Zeche für die beiden zu bezahlen. Aber man wies es all gemein ab. Nein, Strafe müsse sein! Zu Mittag aber ließ sic ihnen denn doch ei» gutes Essen reichen. Sie bekamen es aus den Hof gebracht. Es schmeckte ihnen indessen sehr gut. „Fräulein", sagte der vollbärtige Kurgast, „lassen Sic das Holz liegen und singen Sie uns was vor!" „Nicht unter fünf Mark das Lied — und mein Freund muß begleiten!" „Frechdachs!" hieß es empört. Erst spät am Nachmittag war die Arbeit getan. (Forts, folgt.)