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- Erscheinungsdatum
- 1923-09-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1761426109-192309086
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1761426109-19230908
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1761426109-19230908
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Weißeritz-Zeitung
-
Jahr
1923
-
Monat
1923-09
- Tag 1923-09-08
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Monat
1923-09
-
Jahr
1923
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Spietttubs in alter Jett. Von Albert Frick. Schon im Altertum wurde fleißig hasardtert. Di« iSpielverbote in Sparta, im Morgenlande und anderswo be weisen zu Genüge, daß man der Leidenschaft des Spiels in verwerflicher Weise gefrönt hat. Harmlose Belustigungen bedürfen nicht des Verbotes. Auch der griechische Mythos beschäftigt sich mit diesem Vergnügen, — KreoS, der seine eigenen Kinder verschlang, betäubte auf Kreta beim Spiel die Stimme des Gewissens. Im Mittelalter wurde in den Feldzügen dem Spiel gefrönt, und der Name des Hasardspiels „Lands- knecht- bezeugt dessen Herkunft deutlich. Und SpielklubS oder ähnliche Einrichtungen hat es im 18. Jahrhundert in allen Hauptstädten gegeben. In vielen Orten, wo Fürsten subventionierte Theater hielten, gestattete man, in diesen zu hasardteren, um dadurch die fürstliche Subvention für das Theater zu erringen. So erließ z. B. die Kaiserin Maria Theresia ein Reskript im Jahre 1758, worin es heißt: „Ich verwilltge, daß in dem Theater bei der Burg gespielt werde, wie in Mailand auch verbotene Spiele, jedoch mit der Restriktion, daß nur um bares Geld gespielt werde, daß das Spiel nicht länger dauern darf als die Komödie, und daß nur jene Per sonen spielen dürfen, welche auch in die Redouten gehen können und allda in die Säle gelassen werden.- Das letztere war nicht jedermann gestattet, der Zutritt zu den Spielklubs war also ein Vorzug für die Standespersonen. In Berlin war schon ein paar Jahrzehnte früher mit den Spielklubs begonnen worden. Da hatte der „starke Mann-, wie sich Karl von Eikenberg nannte» der vordem als Athlet und mit ähnlichen Künsten durch die Lande gezogen war, es aber in Berlin zum Hofkomödianten Friedrich Wilhelm I. gebracht hatte, in der Brettestraße sein Theater aufgebaut und hatte so starken Zulauf, daß die Königliche Kartenkammer sich beklagte, daß er sie schädige. Die Leute gingen ins Theater und spielten nicht mehr soviel Katten. Eikenberg sollte zu einer. Steuer an die Kartenkammer ange- balten werden. Das brachte nun Eikenberg, der beim König in sehr hoher Gunst stand, auf den Gedanken, der König möge ihm gestatten, in seinem Theater Assembleen abzuhalten, „bei Venen Katten gespielt und eine honette Unterhaltung geführt werden könne, wie diese bisher bei den Assemblees in den adeligen Häusern schalten worden ist-. Der Vorschlag sand des Königs Beifall und gelangte durch eine königliche Order vom 7. Januar 1733 zur Aus führung. Es hieß darin, daß Seine Majestät wahrgenom men, daß viele in ihren Häusern zu den Assemblers nicht den erforderltchssn Raum gehabt. „Es ihnen überdies auch ! viele JncommodilS verursachet, und an ihren Meubles Ver- lnst erlitten-. Es wird dann weiter ausgeführt, daß v. Ellen- bcrg zweimal wöchentlich Assemblers abhalten dürfe, wozu ihm eine Reihe Adliger, Minister usw. — die Order führst mit Namen auf — dreißig Taler geben sollten, wofür sie den ganzen Winter hindurch erscheinen dürsten und umsonst Kaffee, Tee, Schokolade und Limonade haben sollten. Die nicht in der Liste Stehenden sollten das Gleiche für 8 Groschen Entree genießen dürfen, „und die, so spielen, 16 Groschen Kattengeld bezahlen, die Capitains und Subatter- nen aber von allem diesen befreit sein.- Es war also ein regelrechter Spielklub, zu dem der höchste Adel gehörte, und in dem sogar dann und wann die königliche Familie persönlich austauchte. Und aus diesen Assemblen verbreitete sich dann die Pest der Spielleidenschast nach und nach in alle Kreise, so daß Friedrich der Große, der ein Gegner des Spiels war, das Hasardspiel verbot. Aber die SpieMubs fanden sich immer von neuem in j Berlin. In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts f beschreibt Adolf von Schaden (1761—1840) die preußische ' Hauptstadt einmal und kommt dabei auf die Spieltlubs zu sprechen: „Streng sind sie verboten, die Hasardspiele, allein hinter verschlossenen Türen werden dem König Pharao ver hältnismäßig in keiner großen Hauptstadt häufigere Opfer , gebracht als hier; zuweilen wohl gelingt es der wachsamen Polizei, Banken aufzuheben, allein als Warnung werden solche Ereignisse keineswegs beachtet. Auch die internationalen Spieler vom Schlage Riccauts, ' die nur vom Spiel leben, wurden immer wieder in diesen - Kreisen gesehen. In einem zweibändigen Werk, das 1838 in Paris erschien und eine geschichtlich romantische Schilderung der Mark Brandenburg und speziell von Berlin gibt, vom > Markgrafen Albrecht dem Bären an bis aus die Zeit, da das - Buch erschien, wird eine Spielhölle „auf der eleganten Haupt- - Praße Unter den Linden- geschildert. Der Bankhalter ist ein Mamsell Herdft. Aus dem Norwegischen. (Schloß.) .Nein. Behalt du nur deine Maria Lisa. Der hübsche 2bMsschreiber wird schon für euch sorgen.' .Der Amtsschreiber?' .Jawohl, der! Ich sehe Ihn doch hier vom Fenster aus jeden Abend mit Maria Lisa im Garten spazieren gehen. Zwischen 10 u»d 11 kannst du sie beide in dem 3asminlusthause finden, wenn L» sie treffen willst.' .Liegt die Sache so . . .' grollte Hans. .Hat sie mich nur zu» Narren, dann ist es rein aus zwischen uns beiden. 3ch »erde in dem Lusthause mit ihr reden: heute abend noch.' Er wandte sich zum Gehen, zögerte aber verlegen. .Hast du noch etwas auf dem Herzen, Hans?' .3a, ich möchte Mamsell Herbst doch gern um Verzeihung ge- beten haben, weil . ..' .Weil ich dir einen an die'Ohren gab? Eigentlich käme es Mr wohl zu, dich zu bitten . . .' .O nein, Mamsell. Sie sollen dafür bedankt sein. Es ist bmntt wie mit der spanischen Fliege, die ich in der Lungen- Entzündung auf die Brust bekam. Sie brannte anfangs furchtbar, aber nachher hatte ich gut davon.' Mit diesen Worten entfernte er sich. Am Abend ging er sehr lustig dem Lusthause zu. Am nächsten Bormittag bat Maria Lisa meine Mutter auf das eindringlichste, ihr die Erlaubnis zur Abreise nach Schweden zu geben: sie könnte es vor Heimweh nicht mehr aushalten. Es stand kein Hindernis im Wege. Der Amtsschreiber ließ um Entschuldigung bitten, daß er nicht zu Tisch komme. Er habe seinen Fuß verrenkt und müsse sich einige Tage ruhig halten. Köcksch-Annas starke Natur gewann raschen Sieg über den französischen Essig. Einige Tage später strahlte ihr Angesicht wieder von Gesund- h« und Herdfeuer. HanS hatte Abbitte geleistet und Vergebung erhalten. Die wird den bösen Männern stets so leicht gewährt. Einig« Monate später an einem herrlichen Sommernachmittag «»pelte unser« alte Fanrilienkalesch« den Kirchweg entlang. franzöistscher Abenteurer Etrau. Dramatisch wird da ge- schildert, wie diese Spielhölle polizeilich aufgehoben wird: „Die Beamten nahmen die ihnen angewiesenen Posten ein zwei Kompagnien wurden gebildet. Mit den beiden kräftig sten Männern der Mannschaft begab sich der Führe, der Ex peditton vor daS HauS, die Beamten postierten sich an dei Eingangstür, aber so, daß sie bei deren Aufgehen nicht gleick bemerkt werden konnten. Drei kleine Schläge machte der Che! an die Tür, diese wurde geöffnet, der Hausflur war gam dunkel. Der Führer trat ein, und der Wächter des Hauses wurde durch den Beamten ergriffen, aus dem Hause aewor. fen und ihm der Mund mit Pfefferkuchen verstopft. Hieraul drangen die Beamten Wetter in ein Neines einstöckiges Gar- tenhäuschen, das wie eine Orangerie aussah. Die Vorhänge waren zwar heruntergezogen, aber es drang doch Lichtscheir durch. Wieder drei besonders markierte Schläge, und die Be- amten befandm sich in einem der Garderobe dienenden Vor zimmer. Ein herauskommender Livreedimer erschrak be! dem Anblick der Eintretenden und wurde totenbleich. Dei Führer nahm seinen Mantel ab, bedeckte seinen Kopf mii einem großen Hut. Ein Flügel der Hinteren Tür wurde auf gestoßen, und man befand sich in einem großen von Lich strahlenden Zimmer, in welchem auf einem mit einen Teppich bedeckten Tisch ein großer Haufen von Gold- uni Silberstücken glänzte. Es war eine äußerst elegante Gesell schäft, die dort der Göttin Fortuna opferte. Die Herren all, im Frack, einer mit dem Eisernen Kreuz geschmückt, auch di, anderen meistens mit sehr hohen Orden. Der Führer dei Expedition ging an den Spieltisch, deckte seinen Hut auf dil Kasse und rief in die Versammlung: „Niemand rühre da! Geld an im Namen des Königs!- Der Erzähler berichte dann noch, daß ein Namensprotokoll ausgenommen wurd, und niemand einen falschen Namen zu nennen wagte, da dii Spieler alle den Beamten bekannt waren.—, Spät« Blüten. Blütentage — wenn der Mensch das Wort spricht, denkt er an den lachenden Mai — an Veilchen und Primeln, an Bäume im Blütenschnee, an Goldlack und Vergißnichtmein. Aber auch später kommen noch Blüten tage. Selbst wenn der Sommer Abschied von uns nimmt, überschüttet er uns noch einmal mit leuchtender Blumen pracht. Die Kinder des Frühlings sind zart und fein von gedämpften Farben und hauchen süße Düfte aus. Die Blumen des Spätsommers sind duftlos, aber sie lodern und flammen, als hätten sie alle Sonnenglut der ver schwundenen Wochen in sich hineingetrunken. Die kost baren Züchtungen der Dahlien, die Astern stehen da wie prunkende Edelsteine. Blumen, deren Namen der Laie gar nicht kennt, vereinen sich zu einem wahren Farben rausch. Und das Heidekraut blüht! Da liegt sie jetzt draußen im Spätsommerglanz, die blühende Heide! Zwischen den Kiefern und an den sonnigen Halden leuchtet ein einziger Teppich in schimmerndem Violett. Tausend und aber tausend schlanke Blütenstielchen wiegen sich im Sonnenwind. Mißfiel Leben in diesem Blütenmeer. Die Bienen summen, die dicken Hummeln brummen da zwischen, buntschillernde Falter gaukeln selig drüber hin. In der Vase auf dem Fensterbrett steht die rote Erika und erzählt von all diesem Spätsommerglück. Kinder im Schlosse Neusorge. Von Alfred Pröhl, Dresden. Etwa Halbwegs zwischen den beiden Städten Mittweida und Frankenberg ragt auf der Höhe aus üppigem Blattgrün ein Türm chen heraus. Es gehört zum Rittergut Neusorge. Man betritt einen geräumigen Gutshof und blickt von ihm geradeaus auf einen stattlichen Barockbau — das Schloß. Freilich, wer noch vor wenigen 3ahren dort war, wird erstaunt sein über das heutige Bild, das sich dem Beschauer bietet. 3m Siebenjährigen Kriege ward der stolze Bau begonnen und konnte nicht zu Ende geführt werden. Das Schloß hat niemals seiner ursprünglichen Bestimmung als ländlicher Herrensitz gedient. Stürme brausten viele 3ahrzehnte lang durch die Fensterhöhlen un- das Dach mit seinem starken Holzgefüge drohte zu bersten. Und was für ein prächtiger Sih wäre das Schloß geworden. Ein wundervoller Park mit altem Baumbestand umgab den formenschönen Bau, von dessen breiter Südterrasse der Blick hinauf ins Erzgebiktz«, zur Augustusburg, schweift. Heitere Träume sind nicht in Erfüllung gegangen. Die Zeitverhältnisse waren stärker als die Kasse der sreiherrlichen Schlosserbauer und Neusorge versank in einen langen Dorn röschenschlaf. Neue Zeiten stiegen herauf — Schloß Neusorge schien dem Verfall geweiht. Allerhand Pläne entstanden und wurden wieder verworfen oder waren nicht ausführbar. Man wollte den Bau Anstaltszwecken dienstbar machen, ihn zu einem Erholungsheim für irgendeinen großen Verband oder eine Berufskronkenkasse einrichren. Es wurde nichts daraus. Vor 10 3ayren errichtete der Fürsorgeverband der Kreishauptmannschaft Leipzig auf Mitt weidaer Flur, doch fern der Stadt, sein grbßes Erziehungsheim für schwer erziehbare und sittlich gefährdete Kinder, eine Muster- anskalt, die weit über Sachsens Grenzen hinaus als vorbildlich gilt. Der Weltkrieg brachte eS mit sich, daß die vielgealiederte Anstalt, j die äußerlich einem friedlichen Gemeinwesen gleicht, räumlich nicht ! mehr ausreichte. Da erwarb man zur rechten Zeit Schloß und Rittergut Neusorge, und das sogenannte Orangeriegebäude des Schlosses wurde zur Aufnahme einer Anzahl Knaben eingerichtet. Später konnten diese in die Hauptanstalt zurückgenommen werden. Nun reifte ein neuer Plan seiner Verwirklichung entgegen. 3n ! der richtigen Erkenntnis, kein Opfer für die 3ugend, unsere Zu kunft, zu hoch erscheinen zu lassen, ging der Fürsorgeverband daran, den gesamten Schloßbau, der eigentlich nur aus den allerdings wetterfesten Umfassungsmauern und dem Dach bestand, wohnlich auszugestalten, um Schloß Neusorge als Erholungsheim für schwäch liche Kinder einzurichten. Das Werk ist glänzend gelungen! schon in baulicher Hinsicht. Breite steine.rne Treppenaufgänge führen zu den einzelnen Stockwerken und zu einem herrlichen ! Saal. Durch hohe Fenster flutet goldiges Sonnenlicht in ge- - räumige, gefällig ausgemalte Zimmer. Die Küchenanlage im Erd- geschah würde das Entzücken jeder Hausfrap bilden, Speisesaal und Schlafsäle entsprechen weitgesteckten hygienischen Anforüe- ' rungen. Am 1. 3uli 1922 zogen die ersten Kinder ^ein, um sechs Wochen lang Berg- und Waloluft zu atmen und kräftigst genährt zu werden. Aus Leipzig und aus anderen Städten der Kreis- - Hauptmannschaft kamen sie heran, bleich, unterernährt und in hohem Grade erholungsbedürftig. Mas sie erwartete, war für sie ein wahres Paradies. Nach wenigen Wochen schon straffte sich die Haut der Kleinen, röteten sich die Wangen, wurde der Blick lebhafter von Kindern, von denen viele wohl kaum einmal aus dem Asphaltlabyrinth der Großstadt herausgekommen waren, und aus Häusern, in deren enge Höfe kein Sonnenstrahl fiel. Solch großzügig durchgesührte Kinderhilfe ist in der Tat ein erfreuliches Zeichen in unserer so trostlisen Zeit. Zwei Männer Haden be sonderes Verdienst um dieses ideale Werk der Nächstenliebe: Ge- - heimrat Dr. Dietrich, der geistige Schöpfer des Erziehungsheims - Mittweida, der auch bei dieser Schöpfung alle Hindernisse über wand, und Kreishauptmann Lange, der das Merk in jeder Be ziehung förderte. Seit mehr als 3ahresfrist erfüllt nun die Räume des weiten Schlosses Neusorge das fröhliche Treiben der 3ugend. Ueber 200 Kinder können gleichzeitig Aufnahme finden und vor wenig Wochen betrug die Bestandsziffer 231, darunter 50 Ruhrkinder. Das Erholungsheim ist das ganze 3ahr hindurch in Betrieb und auch der Winter bringt hier viele Freuden. Platz ist genug da für lustige Schneeballschlachten, dichtbesetzte Rodelschlitten sausen dann ins Tal des Zschopauflusses hinab und der Wald zaubert Märchen stimmung. Gegenwärtig schickt sich der Herbst an, seinen bunten Farbenkasten auszumachen, und 3ungen wie Mädchen versichern jedem Besucher glaubhaft, daß es hier .herrlich' sei. Wenn sick aber die 6. Aufenthaltswoche ihrem Ende nähert, dann verstumm! der frohe Lärm und manche Träne fließt, wenn der große Wagen mit den Gepäckstücken zum Gutstor hinaussährt. Dann steht die jugendliche Schar noch einmal auf dem Gutshof und nimmt mit heißem Dank im Herzen Abschied vom Schloß und Park und von den freundlichen Pflegerinnen und ihren Gehilfen. Das Wohlbefinden der in Neusorge als Gäste .weilenden Kinder hängt nicht allein ab von den anheimelnden Bäumen, der anmutigen ländlichen Umgebung und der vorzüglichen Beköstigung, sondern nicht zuletzt auch von dem Geiste, der Im Haus herrscht. Wesentlich vor allem ist dabei die Tatsache, daß man hier nichts von einem .Anstaltsbetriebe' merkt. Die Kinder sind in Gruvpen geteilt, die eine jede für sich gewissermaßen eine Familie bilden, die einer Pflegerin bzw. einem Pfleger unterstehen. Als Ober- leikerin wurde in Fräulein Förster eine tüchtige Kraft gewonnen, die nach einer siebenjährigen Tätigkeit als Erzieherin im Er ziehungsheim Mittweida die nötige Erfahrung im Umgang mit der äugend mitbrachte. Wie schon angedeutet, ist alles Anstattsmähige möglichst ausgeschaltet: das kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß die «Pflegerinnen keine Berufstracht tragen. Sie erscheinen mehr als die älteren Kameradinnen der Mädchen und die Pfleger als Kameraden der Knaben. Der fröhliche, ungezwungene Ver kehr mit dem Aussichtspersonal bewirkt auch, daß sich bei den nach Neusorge entsandten Kindern kaum das Heimweh einstellt. Und dann vermeidet man hier ein tägl'-^es Einerlei. Die 3ugend will Feste feiern. Mit den einfachsten Mitteln, die kaum nennens werte Kosten verursachen, begeht man durch kleine sinnige Feiern den Wechsel der 3ahreszeiten, das Erntefest, die Geburtstage der einzelnen Kinder und der .Tanten'. Papier- oder Blumenschmuck und kleine Aufführungen, Reigen im Park und im Saal geben solchen Tagen ein außergewöhnliches Gepräge. Die Kosten dieser Erholungsfürsorge, die ein vorbildliches Stück Sozialpolitik darstellt, werden zum Teil von den Gemeinden, zum Teil durch die Quäkerhilfe getragen und der Fürsorgeverband s vermittelt eine Verbilligung der benötigten Nahrungsmittel, insbe- ! sondere der Milch, die den Kindern täglich verabreicht wird. Aber auch der privaten Wohltätigkeit würde sich hier ein äußerst dank- ' bares Feld bieten. Vieles ist ja nach dieser Hinsicht schon in er freulichem Maß geschehen. Geld und praktische Ding«, die ein solch großes Heim benötigt, wurden, gespendet, aber der Bedarf ist immer noch erheblich, und ebenso wie das Alter, sollt« man auch die 3ugend nicht Not leiden lassen, denn Tausende von I Kindern warten darauf, auch einmal die Wohltat eines solchen ! Erholungsaufenthalts zu genießen. Mein Vater und ich saßen auf dem Bock, die Mutter und Mamsell auf dem Vordersitz und Hans, der Kutscher und Köcksch- Anna auf dem Rücksitz, denn die beiden waren die Ehrengäste des Tages, a s Braut und Bräutigam. Köcksch-Anna mit Myrtenkrone und langem weißen Schleier faß stumm und weinte die ganze Zeit, wie es sich nach ihrer An schauung für eine wohlerzogene Braut schickte, und Hans saß stocksteif in seinem neuen Anzuge, ohne ein Auge für seine Braut zu haben. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dagegen meinem Vater, von dem er unverkennbar erwartete, daß er die Pferde über die nächste Hecke oder in den einen oder anderen Graben jagen würde. Nach der Trauung nahmen die Neuvermählten ihr Mittags mahl gemeinschaftlich mit uns ein, aber es schien, als wenn sie sich nicht recht behaglich fühlten. Hans hakte offenbar keine Uebung im Umgang mit Silbergabeln und Anna war zu tief ge rührt, als daß sie hätte auch nur eine Spur genießen können. Um so fröhlicher pflegte sich Mamsell Herbst und nahm von allen Gerichten. Namentlich gab es einen marinierten Lachs, der ihr ganz besonders zusagte. Sie ließ sich ihn wiederholt reichen, öfter als ihr gut war. Nach Tisch befand sie sich nicht mehr wohl und die anfangs geringe Unpäßlichkeit nahm so rasch und gewalt sam zu, daß sie zu Bett gebracht werden mußte. Köcksch-Anna legte den Myrtenkranz und den Brautschleier ab und ging in die Küche, Haferschleim zu bereiten; Hans, der Kutscher, zog eilig seinen Livreerock an, um in die Stadt nach dem Arzt zu fahren. Einer von den Leuten erbot sich hierzu, aber Hans gestattete es nicht. .Sie hat so viel für mich getan,' sagte er, .diesen Dienst muß ich ihr erweisen. Vielleicht ist es das letzte Mal, daß ich für sie fahre, vor ihrer allerletzten Tour.' Der Arzt kam, aber er sagte, seine Kunst sei hier zu Ende. Die Morgensonne sandte ihre ersten Strahlen durch das Fenster und streifte Mamsell Herbsts Bett. Meine Eltern und ich saßen neben dem Kopfkissen, Anna hatte zu ihren Füßen Platz genommen und Hans stand weiter unten bei der Tür. Sie schlief. Die Augen waren geschlossen, die weißen Hände mit den Grübchen lagen zusammengesaltet über der Brust. Sie hatte noch ihr« weiße Haube mit den hellgelben Rosetten und den langen hellgelben Wehbändern auf. Meine Mutter hatte sie nicht ab- nehmen wollen, weil sie fürchtete, den Scheitel in Unordnung zu bringen. Plötzlich erwachte Mamsell Herbst aus ihrem leichten Schlummer. Sie wandte sich gegen die Tür und winkte HanS. .Komm näher, mein Freund,' sprach sie leise. .Wie hübsch bist du heute. Die Sonne glänzt auf deinen Knöpfen, sie sehen aus, als wären sie von Gold. Setze dich zu mir her. Hans setzte sich an das Bett. Tränen rollten an seinen sonn verbrannten Wangen herab. .Du mußt nicht weinen, mein Freund, du weißt es ja, daß ich dich liebe, obgleich du nur ein simpler Sergeant bist. Du bist so stattlich mit deinem großen Schnurrbart und deiner Uniform. Vielleicht gibt es Krieg, du zeichnest dich aus und kommst heim als General. Dann machen wir Hochzeit und Hans fährt uns zur Kirche und Köcksch-Anna kocht das Essen . . . prachtvolles Essen.' Mit suchender Hand tapple sie auf der Decke. .Sehe . . . sehe dich ein wenig näher. Wir waren glücklich, es . es ist so lange her.' Die Mutter legte sackt die Hand auf ihren Arm. .Es ist Hans, der Kutscher, sprach sie sanft. .Si« haben ein wenig ge schlafen und geträumt.' .3a, ich träumte, flüsterte sie. .Schön« Träume, 3ugend- träume.' Sie faltete die Hände wieder und legte das Haupt auf das Kissen zurück. .3ch bin so matt; ich denke, ich werde wieder schlafen. 3ch will versuchen, den Traum fortzuträumen, den Traum von vorhin.' Mamsell Herbst schloß die Augen und schlummerte ein, um nie wieder aus ihren äugendträumen erweckt zu werden. Meine Mutter öffnete leise das Fenster und zog die weißen Gardinen vor. Das Brautpaar stand zu Füßen der Token. Hans hielt Anna umfaßt. Der Liebe lächelnder Gott, mit dem Finger auf den Lippen, hatte sie in das Brautgemach geleuchtet, sein bleicher Bruder mit der umgewandten Fackel war gekommen und führte sie statt dessen an ein Sterbebett. Und doch war diese düstere Aochzetsnacht nicht von schlimmer, Vorbedeutung für die Zukunft. 3m Gegenteil, Es schien, als wenn die weiße Hand mit den Grübchen darin, di« so kräftig irr ihren LebenSgang eingriff, auch später sie ungesehen schützt« und schirmte und Glück und S«gen auf ihren Weg streut«.
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