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- WHeritz-Mung Anzeiger für Dippoldiswalde und Umgegend 75. Jahrgang. Donnerstag, den 21. Oktober 1909. »Nr. 122. Ayifükkott für die Königliche Imtshauptm-nnschast, das Königliche Amtsgericht und den Stadtrat zu Dippoldiswalde. Mtt achtfettigem „Illustrierten Anterhaltungsblatt". Mit land' und hauswirtfchastlicher Monats-Beilage. Für die Aufnahme eines Inserats mi bestinnnter Stelle »md an bestimmten Lagen wird keine Garantie übernommen. Verantwortlicher Redakteur: Paul Jehnr. - Druck und Verlag von Carl Jelrne in Dippoldiswalde. tag und Sonnabend und wird anden vorhergehen- denWenden ausgegeoen. PrelsviertrlMrlichlM. 26 Pfg., zweimonatlich 84 Pfg., einmonatlich 42 Pfg. Einzelne Nummern LV Pfg. — Alle Postan- Palten, Postboten, sowie »nsereAusträger nehmen Bestellungen an. Inserate werden mtt 1» PW-, solche au» unsere» Ämtshauptmui mschast mit 12Psg.die Spal^eil« oder deren Raum berech net. Bekanntmachungen auf der ersten Sette (nur von Behörden) die zwei- gespaltene Zelle 35 bez. 30 Pfg. - Tabellarische und komplizierteJnserate mit entsprechenden, Auf- schlag. - Eingesandt, im redaktionellen Teile, di« Spaltenzeile 30 Pfg. Der amtliche Teil befindet sich in der 2. Beilage. Die Landtagswahlen in Sachsen. Am 21. Oktober finden im Königreiche Sachsen all gemeine Neuwahlen zum Landtage statt, deren Ausfall man auch außerhalb der Grenzen dieses Bundesstaates mit Interesse entgegenblicken darf, denn sie vollziehen sich zum ersten Male auf Grund des neuen Wahlgesetzes, welches nach langen mühevollen und ungemein verwickelten parlamentarischen Debatten im vorigen sächsischen Landtage zustandekam. Die Wahlreform, welche hiermit perfekt wurde, räumte mit dem bisherigen Modus der indirekten Drei-Klassrn-Wahl auf und führte statt ihrer das Plural stimmensystem ein, welches neben der Grund- oder all gemeinen Wählerstimme noch eine weitere Stimme, die vom Nachweis einer gewissen wissenschaftlichen Bildung (Einjährig-Freiwilligen-Zeugnis) abhängig gemacht wird, sowie eine dritte Wählerstimme, welche der Besitz eines bestimmten Einkommens oder Vermögens bedingt, gewährt, und schließlich noch jedem Wähler, welcher das 50. Lebens- jahr vollendet hat, eine Allersstimme zugesteht. In- folge dieses Systems gibt es also Wähler mit nur einer Stimme, dann aber auch Wähler mit zwei Stimmen, drei Stimmen, und sogar vier Stimmen, was freilich auch nicht das Ideal eines wirklich zeitgemäßen Wahlrechtes ist. Immerhin kann das neue sächsische Wahlrecht im Gegen satz zu dem bisherigen Wahlgesetz, welches namentlich den unbemittelten Beoölkerungsklassen große Schwierigkeiten in dem Bestreben, sich eine parlamentarische Vertretung zu erringen, entgegensetzte, als ein Fortschritt bezeichnet werden, denn es bietet der Arbeiterbeoölkerung Sachsens die Mög lichkeit, eine mehr oder weniger große Anzahl ihrer Kan didaten durchzubringen, und andererseits kann es auch «ine liberalere Zusammensetzung des sächsischen Landtages er möglichen. Denn das ist unbestreitbar, daß die bisherige sächsische Zweite Kammer mit ihrer großen absoluten kon servativen Mehrheit nicht als die richtige und zweckmäßige Volksvertretung eine» Landes bezeichnet werden konnte, welches, wie Sachsen, weit mehr ein industrieller, als ein ackerbautreibender Staat ist; in der alten Kammer über ragten die Vertreter der agrarischen Interessen ganz ent schieden die Vertreter der Interessen von Industrie, Handel und Gewerbe, und ein Wahlsystem mit solchem Charakter war allerdings nicht mehr als ein zeitgemäßes zu be trachten. Ob nun aber das Pluralstimmensystem eine wesentliche Aenderung in der politischen Zusammensetzung der Zweiten Kammer des Königreiches Sachsen bewirken wird, das ist noch völlig ungewiß. Es läßt sich eben über den Wahlausgang nicht die geringste irgendwie begründete Behauptung ausstellen, er ist vielmehr durchaus unberechen bar, sodaß die diesmaligen Landtagswahlen tatsächlich einen wahren Sprung ins Dunkele bedeuten. Da das Pluralstimmensystem eine absolute Neuerung, nicht nur sür Sachsen allein, sondern überhaupt für das ganze Deutsche Reich darstellt, so besitzt der Ausfall dieses wahlpolitischen Experimentes in Sachsen natürlich auch sür das übrige Deutschland ein erhebliches Interesse, und man blickt darum allenthalben mit Spannung auf die sächsischen Wahlen. Daran allerdings, daß sie vielleicht einen gewaltigen Sieg der sozialdemokratischen Partei ergeben, ihr wohl gar zur Mehrheit im künftigen Landtage verhelfen könnten, ist im Ernste nicht zu denken. Aber Ueberraschungen sind in dieser Beziehung doch nicht ausgeschlossen, äußert man ja selbst in konservativen Kreisen Sachsens die Besorgnis, es würden möglicherweise 20 bis 25 Sozialdemokraten gewählt werden, was also beinahe ein Drittel aller Mit glieder des neuen Landtages sein würde. Der sächsische Landtag wies zuletzt nur noch ein einziges sozialdemo- kratisches Mitglied auf, den unterdessen verstorbenen Ab geordneten Goldstein; es würde demnach immerhin einen großen Triumph der sächsischen Sozialdemokratie bedeuten, wenn es ihr gelänge, bei den jetzigen Wahlen eine große Anzahl von Vertretern in den Landtag zu entsenden. Wie sich die Mandatsverteilung zwischen den Konservativen, den Nationalliberalen und den Freisinnigen vollziehen wird, dies ist ebenfalls noch durchaus ungewiß, und so muß man einfach abwarten, was in Sachsen der große „Sprung ins Dunkle" am 21. Oktober eigentlich bringen wird. In den Berliner Regierungskreisen soll man den sächsischen Landtagswahlen eine besondere Aufmerksamkeit widmen, angeblich, weil man ihre Ergebnisse für die ge plante Landtagswahlreform in Preußen zu verwerten ge denkt. Einstweilen ist indessen diese Wahlreform zweifel- los wohl noch in weitem Felde, sodaß die jetzigen Land tagswahlen in Sachsen in dieser Beziehung kaum vorbild lich werden dürsten. Sächsisches. — Die sächsischen Aerzte werden auf eine harte Ge duldsprobe gestellt, denn der in der Plenarversammlung des Kgl. Landesmedizinalkollegiums im November 1907 fertiggestellte Entwurf einer neuen Gebührentaxe für ärzt liche Privatpraris harrt noch immer der Bestätigung durch das Kgl. Ministerium des Innern. In ärzilichen Kreisen ist man der Meinung, daß es sich bei lleberwindung der Schwierigkeiten um die in dem Entwürfe vorgesehene Auf besserung des Mindestsatzes für die erste Konsultation in der Sprechstunde von bisher 1 M. auf künftig 1,50 M. und des Mindestsatzes für die weiteren Besuche (bei Tage) von bisher 1 M. auf 1,50 M. handelt, also um eine Er höhung dieser für den praktischen Arzt besonders wichtigen beiden Ansätze um je 50 Pfg., die aber von Kranken kassenseite stark bekämpft werden. Diese Ansätze, wie über haupt die ganze Debührentare gelten aber nicht für die Krankenkassenpraxis, denn mit den Krankenkassen sind wohl überall gerade hinsichtlich der Ansätze für Konsulta tionen und Besuche u. a. vertragsmäßig Gebühren festge setzt, die sich weit unter den Mindestsätzen der staatlichen Gebührentaxe halten, sondern sie gelten sür die ärztliche Privatpraxis. — Die Bürgermeisterstelle in Lengenfeld hat 34 Be werber gefunden. Kreischa? Der hiesige Schulvorstand hat mit Ge nehmigung der Gemeindeverwaltung beschlossen, für einen später unausbleiblichen Schulerweiterungs- bez. Schul neubau schon jetzt einen Fonds zu gründen, welchem die Besitzwcchselabgaben, die Rechnungsüberschüsie jeden Jahres und außerdem noch regelmäßig 100 Mk. jährlich — die in den Haushaltplan einzustellen sind — zugesührt werden sollen. Barenstein. In einer Versammlung des Landwirt- schastlichen Vereins hielt am Sonnabend in Büttners Gast hose Herr Kantor Schlosser einen sehr interessanten Vor trag über das Thema: „Aus unseren Kolonien". Sieben neue Mitglieder meldeten sich zum Vereine an. Im Winterhalbjahre soll allmonatlich ein Vortrag stattfinden und es ist nur zu wünschen, daß die rührige Vereins- leitung durch Beitritt aller Landwirte und Freunde der Landwirtschaft und durch zahlreichen Besuch der Veran staltungen unterstützt wird. Bärenstein. Eine ziemlich schwach besuchte Wahlver sammlung fand am Sonntag mittag I2Uhr(!) in Zilgers Restaurant statt. Der konservative Kandidat für den 12. ländlichen Wahlkreis, Eemeindevorstand Hähnel, entwickelte in Gegenwart seines konservativen Konkurrenten Or. Böhme sein Programm. Eine lebhafte Debatte schloß sich an, die schließlich aus dem Grunde abgebrochen werden mußte, weil die Kandidaten keine Zeit mehr hatten (!), einer hatte sich für den Nachmittag nach Johnsbach, der andere nach Liebenau engagiert. Königstein. Mit Genehmigung des Königs wird das Festungsportal, das seinerzeit unter der Regierung des Kursürsten August des Starken erbaut worden ist, plasti schen Schmuck erhalten. Unter anderem wird die doppelt lebensgroße Porträtreliesfigur des Kurfürsten über das Tor kommen. Mit dem Auftrage ist der Dresdner Bildhauer Otto Panzner betraut worden. Hainichen. Einen schönen Schmuck haben die An lagen an der neuen Kirche durch den eben erbauten Zier brunnen, „Jesus am Jakobsb»unnen", erhalten. Die Kosten des Brunnens werden mit den auf Veranlassung des Pfarrers v. Külz in der Gemeinde gesammelten Gaben gedeckt. Colditz. Beim Ausholzen wurde der pensionierte Schutzmann Kupper durch einen abstürzenden Ast vom Baume geschleudert und erlitt so schwere Verletzungen, daß er bald darauf starb. Oschatz. Die Gattin des Stabsarztes vr. Schippan in Ragewitz wollte im oberen Stock ihrer Villa ein Fenster reinigen. Dabei verlor sie das Gleichgewicht und stürzte so unglücklich in die Tiefe, daß sie unmittelbar darauf verstarb. Leipzig. Ein Raub an fall ist am Nachmittag der 16. Oktober in einem Grundstück der Hohenzollernstraße in Leipzig-Reudnitz an einem 15 Jahre alten Kaufmanns lehrling verübt worden. Der junge Mensch hatte einen größeren Geldbetrag auf der Bank eingezahlt und war bereits wieder in dem Hause, in dem sich seine Firma befand, angelangt, als ihm ein Mensch auf der Treppe entgegenkam, der ihm plötzlich gestoßenen Pfefffer in da» Gesicht warf, ihm die Mappe, in der sich das Geld be funden hatte, entriß und dann die Flucht ergriff. Trotz der heftigen Augenschmerzen und obgleich er kaum aus den Augen sehen konnte, verfolgte der Lehrling sofort den Räuber mit lauten „Haltauf!"-Rufen. Zwei Männer nahmen diesen alsbald fest und Übergaben ihn der Polizei. Der Festgenommene ist ein kriminell schon vorbestrafter 26 Jahre alter Arbeiter, der früher in dem betreffenden Geschäft tätig gewesen ist, und in der Mappe, die der Lehrling bei sich trug, Geld vermutet hatte. Der Lehrling mußte sich in die Behandlung eines Augenarztes begeben. — In einer Sitzung des Rates der Stadt Leipzig nahm der Rat einen Bericht hinsichtlich der Beteiligung Leipzigs bei der Errichtung einer Lustschisfahrtsgesellschaft entgegen. Nach dem Bericht sind bereits 175000 Mark von 200000 Mark, die man für Leipzig als Beteiligung in Aussicht genommen hat, gezeichnet. Wegen kostenloser Ueberlassung von städtischem Areal für Ankerplatz und Halle sind Verhandlungen imgange. Kamenz. Nach Kenntnisnahme von dem bevorstehen den Uebertritt des Schuldirektors Kelle in den Ruhestand beschloß das Stadtoerordnetenkollegium die Ausschreibung einer neuen Schuldirektorstelle mit 4000 Mark Gehalt und 600 Mark Wohnungsgeld. Ferner beschloß das Kollegium, zum Zwecke der Verbreiterung der Rodelbahn am Hut berge einen 4 Meter breiten und 80 Meter langen Streifen abzuholzen, sowie einen Arealstreisen von einem Nachbar grundstück zu erpachten. — Der Stadtrat hierselbst erläßt folgende Verordnung: Bei allen im Stadtbezirke Kamenz eintretenden Veränderungen im Besitze von Grundstücken ist vom Erwerber eine Abgabe zu entrichten, welche mit 80 Pf. auf je 100 Mark der Erwerbs- oder Wertsumme zur Stadtkasse erhoben wird. Erreicht die Erwerbungs- oder Wertsumme den Betrag von 50 Mark überhaupt nicht, so ist der Abgabensatz von 100 Mark zu entrichten. Reichenbach i. V. Das Ministerium des Innern hatte die Errichtung einer Klöppelschule und die Ein führung von Kursen sür die Ausbildung im Klöppeln in Reichenbach angeregt. In der letzten Sitzung des Gesamt stadlrats wurde beschlossen, diese Anregung unberücksichtigt zu lassen. Bad Elster. Die König!. Siaaisregierung hat auf Flur Mühlhausen ein mehr als 10000 Quadratmeter großes Wiesenareal, auf dem Moor in Unmenge lagert, aus Prioalhand angekauft, um das Moor für Bade zwecke zu gewinnen. Tagesgeschichte. Berlin. Die Konfirmation der Prinzessin Viktoria Luise, der einzigen Tochter des Kaiserpaares, hat am Montag vormittag in der Potsdamer Friedenskirche statt gefunden. — Die amerikanischen Zeitungen sind des Lobes voll über die stramme Haltung der deutschen Matrosen im Festzuge bei der Neuyorker Hudson-Fulton-Feiejr. Von den Blättern schreiben: „Neuyork Herald": „Nur fünfhundert Mann. Aber man fühlte es: fünfhundert deuische Dreadnoughts (was wagemutige Lcule bedeutet) marschierten daher. Ein Staunen und eine Verwunderung für die Menge. Wer das gesehen hat, der muß sich sagen: und bauten sie an der Themse Strand noch hundert Dreadnoughts dennoch: Lieb Vaterland magst ruhig sein!" — „Neuyork Times": „Als die deutschen Matrosen unter den Klängen des „Hei! Dir im Siegerkranz" stramm im Para deschritt heranmaschiert kamen: das war die packendste Szene in der ganzen Parade. Die Menge schrie sich heiser vor Begeisterung. Keine der anderen Matrosen abteilungen kam ihnen gleich." — „Neuyork Preß": „Ein ununterbrochenes Dröhnen von Beifallsrufen durchzitterte die Luft, als die deutschen Seeleute in scharf abgemessenen