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Meißeritz-Ieitlmg Anzeiger für Dippoldiswalde und Umgegend. 69. Jahrgang. Dienstag, den 3. November 1903. Nr. 129. Amtsblatt fiir die Königliche Umtshaupimannschast, das Königliche Amtsgericht und dm Stadtrat zu Dippoldiswalde. Verantwortlicher Redakteur: Paul Irhnr. - Druck und Verlag von Carl Jelpre in Dippoldiswalde. Mit achtseitige« „Illustrierten Anterhattungsblatt". Mit land- und hauswirtschaftlicher Nonais-Beilage. Die „Welberitz-Zettung» erscheint wöchentlich drei- mal: Dienstag, Donners tag und Sonnabend Und wird an den vorhergehen- denAbenden ausgegeben. Preis vierteljährlich 1M. 25 Pfg., zweimonatlich 84 Pfg., einmonatlich 42 Pfg. Einzelne Nummern 10 Pfg. - Alle Postan- stalten, Postboten, sowie unsere Austräger nehmen Bestellungen an. Jnlerate, welche bet d« bedeutenden Auslage d« Blattes »ine sehr wirk same Verbrelung finden, werden mit 12 PA., solche aus unserer Amt-Haupt- mannschaft mit 10 Pfg die Spaltzeile oder deren Raum berechnet. — Ta- bellarische und kompli zierte Inserate mit ent sprechendem Aufschlag. — Eingesandt, im redaktio nellen Teile, die Spalten zeile 20 Pfg. Gin Ausblick ans »ic Weltlage. Noch immer bilden die Balkanwirren eurerseits, die ostasiatische Krisis anderseits die Angelpunkte der gegen wärtigen Lage in der hohen Politik, denn nach wie vor erscheint der schließliche Ausgang sowohl der jetzigen schwebenden Probleme aus der Balkanhalbinsel als auch des russisch-japanischen Streithandels im Lichte der Un gewißheit. Was zunächst den Stand des ersteren anbe langt, so ist er in jüngster Zeit wieder ein weniger be friedigender geworden, dies hauptsächlich, weil sich der Sultan und die Psorte gegenüber den neuen Forderungen Österreich-Ungarns und Rußlands hinsichtlich der mazedoni schen Reformfrage als halsstarrig erweisen. Sollte man türkischerseits in der lat bei der Ablehnung der Forde rungen der beiden Mächte verharren, so könnte dies nur die Schwierigkeiten im Südasien Europas erneut ver schärfen, und lediglich ein Wiederemporflammen der auf ständischen Bewegung in Mazedonien bewirken. Unter solchen Umständen muß es noch als ein Glück bezeichnet werden, daß die kältere Jahreszeit allmählich hcreinbricht, die in den rauhen Bergen von Mazedonien von selbst jede größere Operation mit Wassen verbietet; gilt es doch sowieso als zweisellos, daß im nächsten Frühjahre die mazedonische Insurrektion auf alle Fälle mit verstärkter Kn st einsetzen wird. Wechselvoll geben sich immer wieder auch die Dinge in Ostasien; kommt den einen Tag eine beruhigendere Nachricht von dort, so wird sie am nächsten Tage wiederum durch kriegerisch klingende Meldungen ab gelöst, dies Spiel geht nun schon seit Wochen so fort. Un verkennbar läuft aber bei den Sensationsmeldungen der letzten Zeit viel tendenziöse Mache mit unter, was ja der japanische Premierminister selber in einem Gespräch mit dem Tokioer Vertreter des Reuterschen Bureaus offen Zu gegeben hat und sehr bedauert. Im weiteren ließ sich der Minister hierbei in durchaus friedlichem Sinne ver nehmen, und verlieh der Hoffnung Ausdruck, daß die gegenwärtigen Verständigungsverhandlungen zwischen Ruß land und Japan noch zu einem günstigen Abschlusse ge langen würden. Dies ist gar nicht so unwahrscheinlich trotz alles Säbelrajselns hüben wie drüben; Rußland hat gar keine zwingenden Ursachen, seine Differenzen mit Japan gewaltsam auf die Spitze zu treiben, während es sich anderseits die japanische Regierung wohl zweimal überlegen wird, ob sie ihr Land wirklich in einen Krieg mit dem gewaltigen Zarenreiche stürzen soll, in einen Krieg, bei dem nichts weniger als die staatliche Weiter- eristenz des Jnselreiches des Ostens auf dem Spiele stünde. Unterdessen ist mit der am 4. November in Wiesbaden stattfindenden Zusammenkunft des deutschen Kaisers und des Kaisers von Rußland ein neues Ereignis mit unver kennbar politischem Hintergründe herangenaht. Es darf wohl angenommen werden, daß bei der Wiesbadener Kaiserzusammenkunft die Balkansrage ebenso ihre Rolle spielen werde, wie dies offenbar schon bei den voran gegangenen Begegnungen Kaiser Wilhelms und dann des Zaren mit dem Kaiser Franz Joseph der Fall gewesen ist. Noch vor der Wiesbadener Kaiserentreoue, an der auch der russische Minister des Äußeren Graf Lambsdorff und der Reichskanzler Graf Bülow teilnehmen, hat der leitende Staatsmann Rußlands von Darmstadt aus einen mehrtägigen Besuch in Paris abgestattet und daselbst mehrere eingehende Unterredungen mit seinem französischen Kollegen Decasse gehabt. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß Frankreich durch seine politischen Extratouren mit England und mit Italien das Mißvergnügen seines ruisi- scheu Alliierten hat, und daß deshalb Graf Lambsdorff nach Paris beordert worden ist, um dort klaren Aufschluß über die Politik Frankreichs gegenüber England und Italien zu verlangen. Vermutlich wird Herr Delcasse dem Grafen Lambsdorff die gewünschten befriedigenden Aufklärungen auch geben, denn von einer Wiederher stellung des intimen Verhältnisses zwischen den alten West mächten Frankreich und Italien aus der Zeit des Krim krieges kann bei der heutigen Konstellation der europäi schen Großmächte kaum die Rede sein. Es wird daher auch bis auf weiteres noch bei dem französisch-russischen Zweibund einerseits, dem deutsch-österreichisch-italienischen Dreibund anderseits sein Bewenden haben, während Eng land in Europa politischer „Outsider« bleibt, und sich hier für höchstens mit seinem noch erst zu erprobenden japani schen Bündnisse trösten kann. Lokales und Sächsisches. Dippoldiswalde. November! Der trübeste und traurigste im ganzen Chor der Monate des Jahres. Ob er's diesmal besser machen wird, ob er sich freundlicher gestaltet, als sein Ruf: Wer will es voraussagen? Die von ihm überreichte Visitenkarte nimmt sich einigermaßen nett aus. Auf Empfehlungen ist aber oft wenig zu geben. — Am vergangenen Sonnabend früh fand die zweite diesjährige Aufstellung der hiesigen Pflichtfeuerwehr statt, die sehr rasch beendet war, da nur die Geräte einer Prüfung unterzogen wurden. Dieselben zeigten sich allent halben in Ordnung. — Am Sonnabend hielt der Konservative Ver ein des Amtsgerichtsbezirks Dippoldiswalde seine General versammlung. Der Vorsteher, Herr Apotheker Meißner, erstattete den Jahresbericht, der sich besonders über die Tätigkeit des Vereins zur Neichstagswahl verbreitete, welche nach der Jahresrechnung des Kassierers, Herrn Stadtrat Mende, dem Verein 253 M. gekostet hat. So dann erfolgte die Wahl des Vorstandes. Es wurde von der Versammlung für Februar ein öffentlicher Vortrag als erwünscht erachtet. Bor Schluß der Versammlung dankte Herr Baumeister Schmidt den bisherigen Vorstands mitgliedern, die meist alle wiedergewählt worden sind, für die gewissenhafte und geschickte Geschäftsführung. Dippoldiswalde. Bei der hiesigen Sparkasse wurden im Monate Oktober d. I. 442 Einzahlungen im Betrage von 72337 Mk. 61 Pf. geleistet, dagegen erfolgten 357 Rückzahlungen im Betrage von 66135 M. 4 Pf. Überhaupt sind in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Ok tober d. I. 688 201 Mk. 06 Pf. Einlagen in 4343 Posten, 86000 Mk. — Pf. Kapital-Rückzahlungen, 177420 Mk. 11 Pf. Zinsen, 13350 Mk. — Pf. für Wertpapiere, 35 000 Mk. — Pf. Bankrückzahlungen, 207 Mk. 60 Pf. Insgemein 1 000 178 Mk. 77 Pf. in Sa. vereinnahmt, dagegen 652424 Mk. 70 Pf. Rückzahlungen in 4376 Posten, 1722 Mk. 87 Pf. Zinsen an die Einleger, 140 740 Mk. — Pf. Kapital-Ausleihungen, 34410 Mk. — Pf. für Wertpapiere, 50480 Mk. — Pf. Bankeinlagen sowie 33 833 Mk. 16 Pf. abgelieferte Überschüsse und Ver waltungsaufwand 464660 Mk. 73 Pf. in Sa. verausgabt worden. — Geschäftsbericht des Vorschußvereins für Dippoldis walde u. Umg. (e. G. m. b. H.) auf den Monat Ok tober: Einnahme: 250 Mk. Geschäftsanieile, 41 Mk. 20 Pfg. Eintrittsgelder, 14 544 Mk. Spareinlage, 20 Mk. Mietzins, 22 342 Mk. zurückgezahlte Vorschüsse, 281 Mk. 25 Pfg. Provision, 1175 Mk. 75 Pfg. Zinsen. — Aus gabe: 20 521 Mk. ausgeliehenc Vorschüsse, 4474 Mk. ge kaufte Staatspapieie, 16376 Mk. zurückgezahlte Sparein lagen, 10 Mk. 70 Pfg. Rückzinsen, 43 Mk. gezahlte Divi dende, 60 Mk. 45 Pfg. Steuern und Negieaufwand. — Taschen zu! Die Börse, die lange gefastet hat, möchte gern wieder einen Fischzug tun. Die Speiulanten treiben plötzlich wieder alle Kurse in die Höhe. Sie sagen, daß nunmehr die Krisis beendet sei und daß „sich alles, alles wenden" müsse. Schon scheint ein Teil des Publi kums wieder in Gefahr zu sein, alle die schönen Lehren in den Wind zu schlagen, die es aus dem Krach der letzten Jahre gezogen hat oder doch gezogen haben sollte. Wie stark dieses Emportreiben der Kurse ist, zeigt sich darin, daß etliche industrielle Werte, so z. V. die Kohlen aktien und einzelne Bergwerkpapiere, teilweise bereits die höchsten Kurse erreicht haben, die sie in den flottesten Jahren hatten. Berliner, Hamburger und noch andere Bankgeschäfte recht zweifelhafter Güte sind bereits am Werke, die Kapitalisten in dec Provinz mit ihren Zirku laren zu überschwemmen, worin auf die voraussichtlich noch weiter steigenden Kurse hingewiesen und die „aller- lockendsten Angebote" gemacht werden. Vor dem Sirenen gesänge dieser Börsenspekulanten kann gar nicht dringend genug gewarnt werden. Versprechungen, die einen „sicheren Gewinn" von 10 und mehr Prozent zusichern, bedeuten eine Spekulation auf die Dummheit. Wenn die Herren wirklich „mit Sicherheit" 10 Prozent verdienen könnten, dann würden sie diese Geschäfte für sich selbst zu machen suchen und sich nicht damit quälen, nach Gimpeln in der Provinz zu Haschen. Wer sich des ungestörten Besitzes seiner Spargroschen erfreuen will, der höre nicht auf die- jenigen, welche ihm einreden wollen, daß unsere Wirt- schastsentwickelung nunmehr „mit Volldampf voraus!" sich vollzieht, und daß es auch in Zukunft wie einst wieder Dividenden regnen wird. — Bon der hiesigen Schutzmannschast ist am Sonn tag abend, den 1. November, ein vom Königlichen Amts gericht Dresden wegen Betrug seit Mitte Juni d. I. steck brieflich verfolgter Tischler H. P. Th. aus Dresden sest- genommen und dem Königlichen Amtsgericht hier zuge führt worden. Seisersdorf. Am Sonntag abend gegen 4 Uhr brach in der Scheune des Gutsbesitzers Sterl Feuer aus, wodurch dieselbe mit sämtlichen Futtervorräten und Ma schinen eingeäschert wurde. Auswärtige Spritzen erschienen von Ölsa und Freiw. Feuerwehr Rabenau, doch trat keine derselben in Tätigkeit. Es soll Brandstiftung vorliegen. Dresden. Das „Dresdner Journal" schreibt: In einigen Blättern findet sich die Notiz, daß die vormalige Kronprinzessin jetzige Gräfin Montignoso kürzlich an ihren geschiedenen Gemahl, Se. Königliche Hoheit den Kronprinzen, ein persönliches Schreiben gerichtet habe, in dem sie ihn bittet, ihr zu gestatten, zu Weihnachten ihre Kinder wiederzusehen; auf diesen Brief habe Se. König liche Hoheit der Kronprinz eigenhändig geantwortet. Nach eingezogenen Erkundigungen ist weder das eine noch das andere richtig; damit erledigen sich auch alle an die be hauptete Korrespondenz angeknüpften Bemerkungen. — Das kgl. Landgericht Dresden verhandelte am 24. Oktober gegen den Bergarbeiter Karl Wilhelm Querner aus Zinnwald wegen fahrlässiger Brandstiftung. Am 3. Juni d. I. war der Angeklagte mit noch einigen Berg arbeitern in der Betstube des Huthauses der „Vereinigt Zwitterfeld-Fundgrube" in Zinnwald. Querner benutzte daselbst zum Anbrennen einer Pfeife einen auf dem Tisch liegenden Sprengzünder. Hierbei flog ein Funke in eine danebenstehende mit noch mehreren Zündern gefüllte Zigarrenkiste. Diese explodierten, flogen gegen die Decke, wo eine Kiste mit Zündern zum Trocknen angebracht war. Hierbei fiel ein Funke herunter in einen Werkzeugkasten, in dem sich mindestens zehn Pfund Sprengpulver befanden. Es erfolgte hierauf eine so gewaltige Explosion, daß die im Zimmer befindlichen Arbeiter in dem Gesicht und an den Händen durch Brandwunden nicht unerheblich ver letzt wurden. Ein Arbeiter stand an der Tür. Er wurde infolge des starken Luftdrucks durch zwei Zimmer und zum Fenster hinausgeschleudert, ohne Schaden zu nehmen. Auch an dem Gebäude wurde Schaden angerichtet. Das ent standene Feuer aber sofort wieder unterdrückt. Querner muß diese Fahrlässigkeit mit einer siebentägigen Gefängnis strafe büßen. — Der 45 Jahre alte Handarbeiter Berger in Dresden zertrümmerte aus Übermut einen öffentlichen Feuermelder, er zog den Griff und eilte davon. Infolge dieser falschen Meldung rückte die Feuerwehr mit sechs Fahrzeugen aus. Berger wurde mit einer zweimonatigen Gefängnisstrafe belegt. — Nachdem sich die städtischen Kollegien von Zittau bereit erklärt haben, die vom Gewerbeverein gegründete Handwerkerschule vom 1. April 1404 ab in städtische Verwaltung zu übernehmen, beschloß der Gewerbeverein, das gesamte Inventar im Werte von einigen Tausend Mark der Stadt unentgeltlich zu überlassen. Außerdem verpflichtet sich der Gewerbeverein, zunächst auf drei Jahre einen Beitrag von 500 M. pro Jahr zu gewährleisten. — In Döben bei Grimma lebt eine Frau, die 14 Kittdern das Leben schenkte. 15 davon leben, und alle sind gesund und kräftig. Dabei sind die Kinder der einzige Reichtum der Familie. Colditz. Wegen Lohndifferenzen und angeb licher Maßregelung haben in der Schuhwarenfabrik von Schink L Walther hier die Zwicker die Arbeit niedergelegt. Rochlitz. Der wegen Beschädigung und Zerstörung der Meßeinrichtungen verhaftete Gutsbesitzer Bucher ist wieder aus der Haft entlassen worden. Tagesgeschichte. Berlin. Der Zusammentritt des Reichstages ist vorläufig für den 1. Dezember d. I., der des preußi- chen Landtages für den 12. Januar n. I. in Aussicht zenommen.