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Mchmtz -MW. Bellage zu Nr. 134. Dienstag, dm 14. November 1893. 59. Jahrgang. Der SriWph Deutschlands in Chicago. Die nun wieder geschlossene Weltausstellung in Chicago hat in überaus glänzender Weise die Fort schritte Deutschlands auf den verschiedensten Gebieten industrieller Thätigkeit selbst gegenüber dem Wett bewerbe hochentwickelter Jndustrievölker, wie es die Franzosen, Engländer und Nordamerikaner sind, dar- gethan. Diese für uns Deutsche gewiß hocherfreuliche Thalsache ist von allen kompetenten Besuchern der Chicagoer Ausstellung bestätigt worden und in den amtlichen Berichten der nach Chicago entsandten Kom missare der einzelnen Staaten findet sich übereinstimmend die wiederholte Versicherung, daß Deutschland bei dem jüngsten großen friedlichen Völkerwettstreit entschieden den Sieg über alle übrigen Nationen davongetragen habe. Seine äußerliche Bestätigung hat dieses Urtheil durch den Ausfall der Preisvertheilung bei der Chi cagoer Ausstellung erhalten, denn in allen wichtigeren Gruppen, bei denen Deutschland überhaupt vertreten war, entfielen auf die deutschen Aussteller durchgängig ein Viertel bis ein Drittel der sämmtlichen Preise, ja, in manchen Gruppen, wie z. B. in denjenigen der Edelmetall-Industrie, errangen die deutschen Aussteller sogar die Hälfte aller ausgesetzten Preise. Eine solche hervorragende offizielle Anerkennung durste aber die deutsche Industrie auf Grund ihrer Leistungen in Chicago auch mit Recht erwarten, denn mit der So lidität und Güte der ausgestellten Maaren überragte die deutsche Industrie in fast allen wesentlichen Zweigen die Arbeiten der übrigen Nationen, wie sich anderseits die deutsche Ausstellung vielfach auch in Bezug auf geschmackvolle Ausführung der präsentirten Sachen besonders auszeichnete. Als Industriezweige, in denen Deutschland in Chicago ganz speziell glänzte, sind namentlich zu nennen die Maschinenindustrie, mit welcher Deutschland selbst die in diesem Fache ja haupt sächlich vorgeschrittenen Nordamerikaner überflügelt hat, ferner das Kunstgewerbe, in welchem Deutschland wohl überhaupt von keinem andern Volke erreicht wird, dann weiter die Edelmetall- und Bijouteriewaaren- Jndustrie, die Fabrikation chemischer und optischer Instrumente, sowie einige Zweige der Textilwaaren- Jndustric. Die Frage liegt nun nahe, ob Deutschland von diesem seinem unbestreitbaren äußerlichen Erfolge auf der jüngsten Weltausstellung auch einen ent sprechenden Nutzen haben, ob ihm die Anerkennung seiner industriellen Leistungen auch praktische Vortheile und Früchte einbringen wird. Da kann dann auf die Thatsache hingewiesen werden, daß noch während der Ausstellung zahlreiche Bestellungen bei den deutschen Fabrikanten oder ihren Vertretern vorzugsweise aus überseeischen Ländern eingcgangen sind und daß mit Sicherheit weiteren Bestellungen entgegengesehen werden darf. Eine solche Ausdehnung und Vermehrung der kommerziellen Beziehungen Deutschlands zum Auslande in direkter Anknüpfung an die Chicagoer Ausstellung ist aber doch wohl ein hinlängliches Zeugniß für den positiven, greifbaren Gewinn, den Deutschland.; aus seiner glänzenden Betheiligung an der Chicagoer Welt ausstellung bereits ziehen kann und jedenfalls läßt sich nicht bezweifeln, daß sich das industrielle Absatz gebiet Deutschlands in Folge seiner hervorragenden Stellung in Chicago noch weiter vermehren und aus dehnen wird. Daneben muß noch auf Vortheile anderer Art hingewiesen werden, die Deutschland aus seinem Auftreten in Chicago erwachsen. Die deutsche Regierung hatte eine ganz ungewöhnlich große Zahl sachkundiger Beamte und Techniker, wie auch geschickter und intelligenter Arbeiter nach Amerika entsandt, welche den Austrag besaßen, ihr Augenmerk mit auf die unläugbaren modernen Verbesserungen zu richten, welche die amerikanische Industrie nach mancherlei Richtungen aufweist. Es ist wohl nicht zu bezweifeln, daß diese Beamten und Techniker ihre besondere Aus gabe begriffen und erfüllt haben und daß sie dann in der deutschen Heimath für die entsprechende Anwendung des Gesehenen sorgen werden. Schließlich wird der Erfolg der deutschen Industrie in Chicago gewiß auch noch günstige Wirkungen zeitigen, die gerade nicht nach der rein materiellen und praktischen Seite hin liegen. Hierzu gehören namentlich die Stärkung des deutschen Selbstbewußtseins, die Erhöhung der Zu versicht bei den deutschen Industriellen in die eigenen Leistungen und Unternehmungen, endlich auch die Hebung des deutschen Elementes im Auslande, speziell aber in der nordamerikanischen Union. Der Triumph Deutschlands auf der Chicagoer Weltausstellung wird sicherlich die Stellung der Deutschen in Nordamerika, die bereits durch die Gründung des mächtigen deutschen Reiches eine so wesentliche Kräftigung erfuhr, noch weiter stärken und zweifellos wird dieser Umstand wiederum auf den deutschen Gewerbefleiß von erfreu lichem Einflüsse sein. Die Abfälle und ihre Volkswirts schaftliche Bedeutung. (Schluß.) In englischen Industriestädten verbrennt man den Straßenunrath, Müll rc. nach dem vom Ingenieur Freyer in Nottingham erfundenen Destruktorsystem und benutzt die verbrannten Reste zur Füllung von Zwischen decken in Häusern, zur Ausschüttung von Straßen und zur Herstellung von Steinen. Die ungeheure Wärme der für den gedachten Zweck dienenden Oefen wird aber außerdem durch Vermittlung eines Dampfkessels zur Erzeugung von Wasserdampf verwendet, der zu den verschiedensten industriellen Zwecken Verwerthung findet: zum Treiben von Maschinen, zum Betriebe von Werken u. dergl. mehr. Ja, eine englische Stadt erzeugt sogar ihr elektrisches Licht (20 Glühlampen und 20 Bogenlampen) durch eine kleine Anlage. Wahre Hexenmeister in der Kunst, den bet Her stellung vieler chemischer Substanzen entstehenden Ab- sallstoffen und Nebenproduken neue werthvolle Erzeug nisse abzuringen, sind unsere Chemiker. Aus einer schwarzen, schmierigen Masse, dem bei der Gasberei tung in gewaltigen Mengen entstehenden Steinkohlen- theer, der früher den Gasanstalten außerordentlich lästig war, zaubert die technische Chemie der Neuzeit die herrlichen Anilin- und Alizerinsarben hervor, deren Pracht mit den von der Natur selbst gelieferten Farben erfolgreich wetteifert. Ferner liefert der Theer ver schiedene geschätzte Heilmittel, die eine wichtige Be reicherung unseres Arzneischatzes bilden, so z. B. das Antipyrin, das Antifebrin und das Phenacetin, das Thallin; dann die berühmten Desinfektionsmittel Carbol, Creolin, die so stark antiseptisch wirkende Salicylsäure, das Salol und die Dithiasalicylsäure. Aus dem Steinkohlentheer wird auch das an Süßig keit alle bisher bekannten Substanzen wett übertreffende Saccharin gewonnen, das für die Heilkunde ebenfalls durch seine Verwendung in Fällen von Zuckerharnrnhr von Wichtigkeit ist. Durch Destillation stellt man aus Theer das Benzol her, das, mit andern fettlösenden Bestandtheilen ge mischt, das unter dem Namen Benzin bekannte Fleck wasser ergiebt. Mit einem Gemisch von Salpeter- und Schwefelsäure behandelt, liefert es dagegen das Nitrobenzol, das als künstliches Bittermandelöl zur Parfümirung der Mandelseife dient, während man aus carbolsaurem Natrium das Cumarin gewinnt, einen Stoff, der in der Natur dem Waldmeister und dem frischen Heu den bekannten Duft verleiht. Die Par fümerie hat sich alsbald dieses werthvollen Stoffes bemächtigt und fertigt einen „oxtraot ok novinovm bax" (Auszug aus frischgemähtem Heu) daraus. Läßt man auf Carbolsäure Salpetersäure einwirken, so er hält man Pikrinsäure, die zum Färben verwendet wird, während ihre Salze unter den neuesten Explosiv stoffen (Melinit u. s. w.) eine große Rolle spielen. Ferner gewinnt die Chemie aus den Ueberbleibseln der Gas- und Sodafabrikation den Schwefel und aus den Chlorbereitungsrückständen das Mangan wieder, während die bei der Sodafabrikation sich als ein früher höchst unbequemes Nebenprodukt ergebende Salzsäure jetzt zur Gewinnung von Chlorkalk dient. Es ist nicht zu viel gesagt, mit der Behauptung, daß fast jede Fabrik unter ihren Absallstoffen solche hat, die neue Werthe zu liefern vermögen. So ge winnt man aus dem Walkwasser der Tuchfabriken jetzt das darin enthaltene Fett zurück. Die bei der Olioenölfabrikation zurückbleibenden Preßkuchen werden mit heißem Wasser behandelt und liefern dann bei einer zweiten Pressung da« grüne Baumöl, bei einer dritten das zur Seisenbereitung dienende Nachöl. Die Baummollsamen wurden früher weggeworfen, während man jetzt zuerst ein werthvolles Oel daraus gewinnt und die übrig bleibenden Preßkuchen als Dünger oder Viehsutter verwendet. Aus der bei der Rübenzucker« Gewinnung zurückbleibenden Melasse macht man Branntwein, Essig, Papier und Leuchtgas, und was übrig bleibt, dient noch als Dünger. Aus wollenen Lumpen erzeugt man wieder Kunst wolle, die billigen Shodywaaren, aus Seidenabfällen Floretseide. Thierische Abfälle liefern Kunstbutter und thierische Auswurfstoffe Ammoniak, phosphorsaure Magnesia und andere Präparate. Aus den Knochen, welche Drechsler und Knopfmacher nicht benutzen können, macht man das Knochenmehl, ein hochwichtige- Düngemittel, ferner sehr werthvolles Knochenfett und Knochenleim. Die aus den Hochöfen kommende ThomaSschlacke dient zur Bereitung von Cement oder als Düngemittel, wie die Asche von Steinkohlen und Holz, und der auf den Kohlenwerken sich massenhaft ansammelnde Kohlenstaub liefert ein vortreffliche- Feuerungsmaterial: die BriquetteS. Die angeführten Beispiele, die sich, wenn un- ge nügender Raum zu Gebote stände — leicht verzehn fachen ließen, werden immerhin genügen, um auch dem Laien darzuthun, welche Probleme auf diesem Gebiete der menschliche Scharfsinn bereit- mit Glück gelöst hat. Es handelt sich um viele Millionen an Werth, die so gewonnen werden, und ohne Zweifel werden unsere Techniker nicht dabei stehen bleiben, sondern immer weiter danach streben, nichts „umkommen" zu lassen. Vermischtes. Dreißigtausend Mäuse gefangen. Die in der Nähe von Mühlhausen in Thüringen liegende Gemeinde Bever stedt bezahlte für jede gefangene MauS 1 Pf. Nach der jetzt erfolgten Abrechnung sind im Ganzen aus dortiger Flur 3V 000 Stück abgeliefert worden. Mit welchem Eifer manche Kinder der Mäusejagd obgelegen haben, erhellt daraus, daß ein Junge allein 3000 Stück gefangen hat, gewiß ein» ziem- liche Leistung, wenn inan bedenkt, daß fast jede MauS esiyAn gefangen worden ist. Recht theuer — so schreibt man der ,T. R.' — wird in einem Dorfe Unterfrankens der Gemeinde die Wahl ihres Vorstehers kommen. Dort sind auf Rechnung der beiden Par teien, deren jede ihren Kandidaten durchbringen möchte, bis jetzt an die 8000 Mark vertrunken und verzehrt. Die ein» Partei hat fünf, die andere zwei Wirthschaften inne, in denen die Wähler unablässig gefüttert und getränkt werden. All abendlich seit drei Wochen sitzt der biedere, einfache Landmann und trinkt, was nur in ihn hineingeht, meistens aber Wein, und zwar nicht das gewöhnliche Schöpple, das der mittlere Bürger zum SonntagSsrühschoppen schätzt, sondern Flaschen weine und Champagner. Bis zu der nächstens stattfindenden Wahl dürsten wohl so an 10 000 M. verputzt werden. Als neulich in dem Dorfe ein Feuer ausbrach, mußten die zur Löschhilfe Verpflichteten erst aus den Wirthschaften geholt werden. Ein malerisches Bild entwirft das .Neue Wiener Tgbl/ von der Vereidigung der Muhamedaner aus den zu Wien in Garnison befindlichen bosnischen Bataillonen. »Genau aus demselben Platze" — so berichtet das Blatt — .von welchem aus im Jahre der Türkennoth 1529 der Beglerbeg von Bosnien seine Kolonnen gegen die zerschossenen Bastionen Wiens sandte, dort, wo einst die Roßschweise der islamitischen Stürmer flatterten, dort im Hofe des sogenannten Transport hauses, marschirtcn die nun unter dem Doppelaar dienenden Moslimsoldaten Neu-Oesterreichs aus. Vor der Front stehen der Divisionär Feldmarschall-Lieutenant Jäger, der Oberst Brigadier Grancy und der Stab; aus der Mitte dieser glän zenden Gruppe hebt sich die Gestalt eines orientalisch ge wandeten Mannes ab. Das edel geformte, von ebenholz schwarzem Vollbart umrahmte Antlitz überschattete ein mäch tiger Turban mit schneeweißer Kopsbinde. Es ist Effendi Mahmud Bekir AgicS, seines Zeichens Militär-Imam mit den Gebühren eines Hauptmanns erster Klasse. Seine schlanke Gestalt ist von einem schwarz-blauen Rock — einer sogen. Stambulina — mit amarathfarbigem Kragen bekleidet, an den Aermeln trägt er drei breite Goldborden als Zeichen seii er Würde. Nachdem sich die dreihundert MoSlim in Reih und Glied gestellt, tritt der Kommandant Oberstlieutenant Stephan Mlinarics mit gezogenem Säbel vor die langgestreckt« Front der Krieger. Mit sonorer, weithin hallender Stimme spricht er die Soldaten an. „Junatschi' — Junaken oder Helden', so nennt er seine Leute. In ihrer Muttersprache redet er zu ihnen, und man gewahrt, daß die vom echten Soldatenherzen kommenden Worte auch den Weg zu den schlichten Soldatenherzen der Hörer finden. Nach Beendigung der kurzen Ansprache steckt der Obcrstlieutenant den Säbel «in.