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204 — Auf eine bisher noch völlig unaufgeklärte Weise verschwand am Abend des 18. Dez. vor. I. der in DreSden-Etriesen wohnende Handarbeiter Hanke. Der beklagenSwerthe Mann, ein treusorgender Famtiicurater, lebt« mit seiner Frau besonders glücklich und zufrieden. Er begab sich an dem erwähnten Tage, von einem BekannM begleitet, auf den Christmarkt, um Geschenke für seiiO Kinder einzukaufen und verabschiedete sich Abends 8 Uhr in einer seiner Wohnung nahen Gast- wirthschast mit dem Bemerken, nach Hause zu gehen. Seit diesem Augenblick ist Hanke verschollen, und alle polizeilichen Nachforschungen, sowie Mittheilungen in der Presie sind ohne den geringsten Erfolg geblieben. Am 26. Dez. vor. I. wurde die arme Frau des Ver schollenen durch einen anonymen Brief aufs neue in eine hochgradige Angst versetzt und erst durch das Ein schreiten der Polizei wieder etwas beruhigt. In dem Schreiben war gesagt, daß Hanke einer nihilistischen Gesellschaft angehöre und weil er Geheimnisse verrathen, festgehalten werde, um den Verrath mit dem Tode zu büßen. Man hake jedoch beschlossen, dem Gefangenen das Leben zu schenken und ihn freizugeben, wenn bis am Abend des nächsten Tages ein mit 50 Mark be schwerter Brief unter der Chiffre U." postlagernd Hauptpostamt ausgegeben werde. Geschehe dies nicht, so sei H. rettungslos verloren und die Todesstrafe werde durch Enthauptung vollzogen. Noch ehe die Polizei Kenntniß hiervon erlangte, bot die geängstigte Frau im vollen Glauben an den Inhalt des Briefes alles auf, um das verlangte Geld zu beschaffen, und beruhigte sich erst etwas, als ihr die Polizei unter Hinweis auf den vermuthlichen Zusammenhang empfohlen hatte, sich ganz passiv zu verhalten. Der Briefschreiber wurde schon am nächsten Tage, als er sich in den Besitz des erhofften Antwortschreibens setzen wollte, ermittelt und verhaftet. Es war der 24jährige Kutscher Ernst Eduard Friebe aus Oberseifersdorf, ein arbeits scheuer Mensch, der im Sommer v. I. seine Stellung bei der deutschen Straßenbahngesellschast eigenmächtig verlassen und sich dann einige Monate in Berlin und Hamburg umhergetrieben hatte. Der vorgestern wegen versuchter Erpressung und Betrugs vor das Landgericht verwiesene Angeklagte bekannte sich ohne jeden Funken von Reue schuldig, den Versuch unternommen zu haben, die kummer- und sorgenvolle Lage der Frau Hanke unter Androhung des Mordes an ihrem Manne aus zunutzen. Ebenso räumte der Verbrecher ein, 5 Briefe ähnlichen Inhaltes an Damen der Aristokratie geschrieben und unter der Androhung, irgend eine von ihm aus der Luft gegriffene, angeblich von Verwandten der Adressaten verüble Schandthat zu veröffentlichen, Schweigegelder von 100 und 200 Mark verlangt zu haben. Zn allen diesen Fällen — es kamen auch Bettelbriefe der frechsten Gattung in Betracht —, war der Angeklagte leer ausgegangen. Er wurde zu 2 Jahren Zuchthaus und 3 Jahren Ehrenrechtsverlust verurtheilt. Bischofswerda. Ein Brand vernichtete am 13. März das Haus des Webers Traugott Bär in Burkau. Leider sind durch dieses Schadenfeuer, wel ches mit rasender Schnelligkeit um sich griff, 2 Men schenleben, und zwar die Ehefrau Bär, einige 40 Jahre alt und Mutter von 6 Kindern, sowie die Mutter der Frau, zum Opfer gefallen. Bär und dessen Kinder haben nicht unerhebliche Brandwunden davongetragen. Man vermuthet Brandstiftung. Der arme Betroffene verlor alle seine Habe. Aus der Lausitz. Am Sonntag sand ein van einigen jungen Leuten aus Bautzen veranstalteter Wettlauf von Bautzen nach Löbau statt. Es wurde ein großartiger Erfolg erzielt. Der beste Läufer legte den Weg in 1 Stunde 30 Min. und der letzte in 2 Stunden 14'/» Min. zurück. Der Weg sollte in 2 Stunden 15 Min. zurückgelegt werden. Zittau. Am Montag Nachmittag wurde auf die Fabrikarbeiterin Schwarzbach aus Hörnitz ein Mord anfall ausgesührt. Die Frau wurde in der Nähe von Sommerau von dem Schuhmacher Pollack aus Friedersdorf auf den Kops geschlagen und dabei so schwer verletzt, daß sie bewußtlos liegen blieb und von hinzukommenden Leuten'in das hiesige Krankenhaus gebracht werden mußte. Königstein. Der Mörder, welcher am 6. d. M. in der WaldHeimer Strafanstalt die grausige Blutthat verübte, ist der Dienstknecht Heinrich Hermann Tannert, am 20. März 1868 zu Kleinhennersdorf geboren. Er ist ein früher wegen Betteln und Landstreichens vielbestraster Mensch, der von 1888 — 188!) auch schon in der Korrektionsanstalt zu Hohenstein gewesen ist. Vom Landgericht zu Freiberg ist er dann im Jahre 1890 wegen schweren und einfachen Diebstahls zu 4 Jahren 6 Monaten Zuchthaus verurtheilt worden und diese Strafe verbüßt er gegenwärtig noch. Er wird als ein jähzorniger Mensch geschildert und soll schon früher während seines Vagabondenlebens mit Beamten Reibereien gehabt haben. Annaberg. Bei dem Läuten der Glocke in d-m Thurme der Marienkirche zum Abendgottesdienste am Sonntag fiel der Klöppel aus derselben, glücklicher Weise aber auf der westlichen Seite auf das Dach der Kirche und von da in den Lötsch'schen Garten, so daß die vor dem Gotteshaufe harrenden Kirchenbesucher einer Gefahr nicht ausgesetzt wurden. Plauen i. V. Die von Herrn Lehfeldt in Berlin mit dem Stadtrathe geführten Verhandlungen wegen Anlage einer Straßenbahn mit elektrischem Betrieb in Plauen haben zu dem Grgebniß geführt, daß Dienstag Abend vom Stadtgemeinderath Herrn Sombold in Leipzig die Genehmigung zum Bau und zum Betrieb der elektrischen Straßenbahn ertheilt wurde. Die Ausführung des Baues und der Betrieb der Bahn erfolgt durch die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft in Berlin. Der Bau soll alsbald beginnen und so ge fördert werden, daß der Betrieb im nächsten Herbste ausgenommen werden kann. Hartha. Hier ist s. Z. ein Erlaß ergangen, der den säumigen Steuerzahlern den Besuch von Gast- wirthschaften verbietet. Den Gastwirthen werden 100 Mk. Geldstrafe angcdroht, wenn sie solche Per sonen in ihren Lokalen dulden. Man will zur Durch führung dieser Maßregel die säumigen Steuerzahler — photographiren und diese Bilder den Wirthen über geben. Das wird eine interessante Galerie werden. Soll das Momentphotographie sein oder werden die Glücklichen durch den Ortspolizeidiener vorgeführt? Frohburg. Die neue Hochvruckwasserleitung soll nach einem in der letzten Sitzung des Stadtge- meinderathes gefaßten Beschlüsse, noch in diesem Jahre gebaut und sämmtliche Herstellungsarbeiten der Aktien gesellschaft „Königin Marienhütte" übertragen werden. Leipzig. Ein interessanter Fund wurde am Sonn tag von einigen Knaben gemacht. Bei Connewitz wurde kürzlich an der Coburger Straße in der Nähe der Brücke über die Pleiße eine alte Eiche gefällt. Am genannten Tage spielten dort einige Knaben und beim Untersuchen einer morschen Stelle des Baum stumpfes wurden eine größere eiserne Kugel (etwa wie eine Shrapnelkugel) und einige zwanzig Bleikugeln (Gewehrkugeln) in dem Holz des Baumes gefunden. Anzunehmen ist, daß diese Kugeln noch ein lieber- bleibsel der Schlachttage von 1813 sind. Tagesgeschichte. Berlin. Dem Verlauf der am 16. März be gonnenen zweiten Lesung der Mililärvorlage in der Kommission wird mit allgemeiner Spannung ent gegengesehen. Die Nationalliberalen und das Zentrum bereiten sormulirte Anträge vor, gleichwohl wird auch für die zweite Lesung ein negatives Resultat voraus gesagt. Die zweite Lesung des Entwurfs im Plenum wird Ende April erwartet. Die Regierung hält an der Absicht fest, auch eine dritte Lesung abhalten zu lassen. Berlin. Der Gegenantrag des Zentrums zur Militärvorlage setzt die Friedenspräsenzstärke vom I.Oct. 1893bis30.Sept. 1898auf420,031sest, während die Vorlage die Präsenzstärke bis 31. März 1899 auf 492,068 festsetzt. Die Fußtruppenzahl gilt als Jahres durchschnittsstärke, die Kavallerie- und reitende Feld artillerie-Zahl als Jahreshöchststärke. Kavallerie und reitende Artillerie dienen dreijährig, die anderen Mann schaften zweijährig bei der Fahne; Kavallerie und reitende Anillerie treten zur Landwehr über und dienen in der Landwehr ersten Aufgebots nur drei Jahre, Zweijähriggedienle werden zur Reserve ent lasten, können aber durch Kaiserliche Verordnung im aktiven Dienste zurückbehalten werden, dürfen im ersten Neservejahre nicht auswandern und können im ersten Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes bis zur beendigten Nekrutenausbildung zurückbehalten oder wieder einberufen werden. — Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: „An der heutigen Börse hat das Gerücht, der Kaiser habe die Zurückziehung der Militärvorlage angeordnet, Speku- lationseffecten um 2 v. H. steigen gemacht. Hoffent lich wird es gelingen, den Biedermann festzustellen, welcher die Börse zu dieser eigenartigen Bekundung ihrer specifischen Logik veranlaßt hat. Mit wie viel Procent würde wohl seiner Zeit die Berliner Börse einen Minderwerth deutscher Wehrkraft zu büßen haben?" — Es verlautet, Prinz Heinrich von Preußen werde Ende dieses Sommers nach Berlin bezw. Pots dam übersiedeln, um seinen kaiserlichen Bruder von den wachsenden Nepräsentationspflichten zu entlasten. Eine Rangbesörderung des Prinzen soll daher bevor stehen. — Der Kaiser hat eine Kabinetsordre vollzogen, wodurch der graue Mantel, wie er in den letzten Monaten probeweise vielfach getragen wird, an Stelle des bisher üblichen schwarzen Mantels für die Gene räle der preußischen Armee als Dienstkleidungsstück l eingeführt ist. Für alle anderen Officiere und Mann schaften bleibt zunächst der schwarze Mantel Dienst, kleidungsstück. — Zu der Frage der Abschaffung der blanken Helmtheile für die Armee, die jetzt im Reichstage wieder vorgelegen hat, wird von unterrichteter Seite berichtet, daß nach dieser Richtung hin bereits früher Proben dahin angestellt worden sind, sämmtliche Me- talltheile des Helms einschließlich des Adlers mit braunem Lack zu überziehen. Die Versuche führten jedoch zu keinem günstigen Ergebniß; die Probe-Exem plare werden noch jetzt in einer Berliner Helmsabrik aufbewahrt. — Major Fukuschima, der japanische Offizier, welcher das kühne Wagniß unternommen hatte, von Berlin zu Pferde seine Heimath zu erreichen, ist laut einer bei der japanischen Botschaft in Berlin einge troffenen Meldung nach schwerer, doch glücklicher Ueber- windung der mongolischen Steppen und Sandwüsten, wie auch des letzten Theiles der kolossalen Reisestrecke, der Mandschurei, am Freitag, den 10. d. M., wohl behalten in Wladiwostok, dem Endziele seines Rittes, nunmehr eingetroffen und hat damit die sich gestellte Aufgabe gelöst. Nach einigen Tagen der Erholung wird er sich aus dem genannten, am Japanischen Meer gelegenen russischen Hafen zu Schiff in die Heimath, das japanische Jnselreich begeben. — Der Papst ist nunmehr telegraphisch benach richtigt worden, daß das Kaiserpaar im Vatican einen Besuch abstatten werde. Leo XIII. antwortele sofort in verbindlichster Form ebenfalls auf dem Dcahtwege. Württemberg. In Stuttgart hört man das Ge rücht, daß Herzog Nikolaus von Württemberg sich mit der jüngsten Tochter Olga des Prinzen Hermann von Sachsen-Weimar, würltembergischen Generals der Ka vallerie, verloben werde. Man erfährt, daß eine solche Verlobung in Kreisen, die dem würltembergischen Hofe nahe stehen, nicht überraschen würde; ob sie aber wirklich als Thatsache anzusehen ist oder sein wird, ist nicht bekannt. Keine Frage aber ist es, daß die große Mehrheit des würltembergischen Volkes die Nachricht mit Freude ausnehmen würde. Eine zweite Vermäh lung des Herzogs Nikolaus (geboren am I.März 1833), der seit dem 24. April 1892 Wittwer ist, könnte dem Lande einen protestantischen Thronfolger bringen, während nach den bisherigen Verhältnissen der würt- tembergischen Herrscherfamilie die Krone in späterer Zeit auf die Linie des katholischen Herzogs Philipp von Württemberg übergehen würde. Die Prinzessin Olga, geboren in Stuttgart am 8. September 1869, wird als eine Dame von ausgezeichneten Eigenschaften des Körpers und des Geistes geschildert. Oesterreich-Ungarn. In Oesterreichisch-Schlesien stehen sich Deutschliberale und Deutschnationale ebenso erbittert gegenüber, wie in so manchen anderen Theilen Oesterreichs. Hiervon zeugte auch der heiße Wahl kampf anläßlich oer Neichsrathsersatzwahl im Wahl kreise Troppau, wobei sich die beiden Parteien wüthend bekämpften. Da die Hauptwahl keinem der beiden Kandidaten dieser Parteien die absolute Mehrheit ver schaffte, da auch ein konservativer Kandidat eine An zahl Stimmen erhalten hatte, so machte sich eine Stich wahl »öthig. In derselben siegte der deutschliberale Kandidat Demel mit einer kleinen Mehrheit über den deutschnationalen Pommer. Rußland. Der General Kirejew, der bekannte Vorkämpfer für die Vereinigung der orthodoxen mit der römisch-katholischen Kirche, fordert in den „Mos- kowskija Wjedomosti", daß der Name Petersburg in Petrograd oder Petrow umgewandelt werde. Die übrigen Blätter, besonders „Nowoje Wremja", weisen dieses Verlangen kategorisch zurück mit dem Hinweis, daß die Residenz so wie so über kurz oder lang nach Moskau zurückoerlegt werden müsse, da Rußland, nach dem cs die Einigung Deutschlands zugelaffen, im Westen nichts mehr zu suchen Hobe. Der Gang der Dinge dränge nach Osten; in Asien sei die Grenze noch lange nicht erreicht. — Zwei Pastoren im livländischen Gouvernement wurden vom Petersburger Bezirksgericht wegen Voll ziehung kirchlicher Handlungen nach lutherischem Ritus an Griechisch-Orthodoxen verurtheilt; der Eine, Pastor Meyer, ist unter Aberkennung der geistlichen Würde zu vier Monaten Gefängniß verurtheilt, der Andere erhielt strengen Verweis und wurde auf sieben Monate des Amtes enthoben. Rußland. Der Finanzminister legt großen Werth auf den günstigen Ausgang der Handelsvertrags verhandlungen mit Deutschland. Obgleich einige deutsche Vorschläge nicht acceptirt werden dürften, ist dennoch der Finanzminister zu allen Concessionen be reit, welche irgend möglich sind, ohne die heimische Industrie zu schädigen und mit dem augenblicklich be stehenden Schutzzollsystem zu brechen. Belgien. Die belgische Sozialistenpartei scheint durch den Erfolg, den ihre Agitatoren in der Garni-