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674 Berlin Das Kirchenjahr. früh abreisen und daß das Personal der russischen Konsulate demnächst folgen werde. — Einem freudigen Ereignisse in der Familie des Prinzen Wilhelm von Preußen wird im Januar nächsten Jahres entgegengesehen. daß sich die gesammte Gegend im schönsten Winter gewände zeigt. Wenn auf der einen Seite zu wünschen wäre, daß der Schnee wieder schmelzen und die schwachen Wasserquellen mit neuem Vorrath speisen möchte, würde im Interesse der Kürschner, Wollwaarenhändler rc. etwa« größere Kälte und flotte Schlittenbahn vor dem Weihnachtsfeste sehr heilsam sein. — Die Mitglieder des Reichstages werden am nächsten Donnerstag das Innere des Ne ichstags - gebäudes im Wesentlichen unverändert vorfinden. Kleinere Reparaturbauten, die von Session zu Session unvermeidlich sind, weil die deulschen Abgeordneten noch 5 Jahre mit einem Nothbau vorlieb nehmen muffen, entziehen sich dem Auge, wogegen neue Teppiche und Vorhänge den Eindruck Hervorrufen, als habe sich das Innere wesentlich verschönert. Das Haus ist gründlich gesäubert worden und die elektrische Beleuch tung hat eine Erweiterung erfahren; es ist also immer hin Einiges geschehen, um den Mitgliedern des Bundes raths wie des Reichstags den Aufenthalt in den Par- lamentsräumen angenehm zu machen. Die durchweg vornehme Ausstattung kommt in ihrer Einfachheit zu voller Wirkung und, damit gleich am ersten Sitzungs tage durch alle Zimmer und Säle hindurch eine gleich mäßige Temperatur erzielt werden kann, werden einige Tage zuvor die Heiz- und Ventilationsmaschinen in Bewegung gesetzt, um angenehm erwärmte Räume zu erzielen. In steter Verschönerung und Erweiterung befindet sich unter der Obhut des vr. Potthast die Bibliothek des Reichstags. Mehr und mehr gestaltet sie sich zu einem Musterinstitut heraus, und die gleich mäßig vor sich gehende Berücksichtigung der einzelnen Disziplinen giebt der kritisch zusammengebcachten Büchermenge eine wohlthuende innere Harmonie. Viel leicht kann schon heute, von der königlichen und der Universitätsbibliothek abgesehen, keine andere Bücher sammlung mit der des Reichstages sich messen, und dabei wird streng der Charakter der Reichstagsbiblio thek gewahrt, nur solches Material zu bewahren, das für die Gesetzgebung in deren idealem Sinne erforderlich ist. Oesterreich. Das Projekt der Verlegung der Wiener Kasernen, welches in den Delegationen zur Sprache kommen dürfte, war in letzter Zeit wieder Gegenstand der Besprechung zwischen dem Kriegs ministerium und der Kreditanstalt, welche sich seit Langem dafür interessirt. Es handelt sich darum, die in Wien befindlichen Kasernen behufs Demolirung zu übernehmen und außerhalb der Stadt große Kasernen anlagen zu bauen. Bisher ergaben die Besprechungen noch kein Resultat, da, abgesehen von gewissen juri dischen Schwierigkeiten, auch ziemliche Differenzen be treffs der Preisfrage bestehen. — Die Thätigkeit in den deutschen Münzstätten ist im Monat Oktober nur eine geringe gewesen; es sind in Dresden 48000 Mark Einmarkstücke und außerdem 33 552,89 M. in Einpfennigstücken geprägt; ferner in Berlin 4 381680 M. in Doppelkronen, und zwar ist dieser Geldbetrag nur aus Privatrechnung ausgeprägt worden. Von den viel gelästerten und viel geliebten silbernen Zwanzigpsennigstücken ist ein Gesammtbetrag von über 8 Millionen Mark bereits wieder eingezogen. Es wird sich vielleicht zeigen, daß man sich nach diesen Stücken zurücksehnen wird, wenn dieselben durch die schweren Nickelmünzen ä 20 Pfg. ersetzt werden, die gegenwärtig in der Prägung be griffen sind; Ende Oktober war noch ein Betrag von über 27 Millionen Mark in silbernen Zwanzigpfennig stücken in Umlauf. — Ihr Korrespondent wurde kürzlich bezüglich der Verleihung der durch den Tod des Herrn Bürger meister Grohmann erledigten hiesigen Lotteriekollektion falsch berichtet. Heute ist derselbe aber in der Lage, Ihnen aus sicherer Quelle melden zu können, daß die betreffende Lotteriekollektion dem Herrn Apotheker Stölzner übertragen worden ist. — Wie wir bereits meldeten, trifft am 24. Nov. ein Versuchs-Detachement vom Königl. Sächs. Infan terie-Regiment Nr. 134 hier ein und wird hier bis zum 25. Nov. Quartier nehmen. Am 26. Nov. rückt dasselbe wieder ab. Am 23. Nov. wird aber bereits schon ein anderes Versuchs-Detachement vom Leib grenadier-Regiment Nr. 100 von Altenberg kommen, hier in Stärke von 111 Mann und 5 Offizieren ein treffen, vom 23. zum 24. Nov. hier Quartier nehmen und am letztgenannten Tage den Marsch nach Sayda fortsetzen. Bulgarien. Kaulbars richtete am 18. Novbr. eine Note an die Regierung, worin es heißt: Der Czar wollte dem bulgarischen Volke seine aufrichtigen Gefühle für dasselbe bezeigen. Es sei aber kein Rath- chlag Rußlands befolgt worden, wohl aber seien dreiste Angriffe auf russische Unterthanen geschehen, (!) ohne daß die bulgarische Regierung Notiz davon genommen. Endlich wurde die Sobranje zusammenberufen ohne vorherige Verständigung mit Rußland und ungeachtet reffen Protestes. Diese Thatsachen (!) beweisen, daß die Regentschaft entschlossen ist, in ihrem Vorgehen von den Rathschlägen Rußlands sich nicht beeinflussen zu lassen. Er erkläre daher, daß die gegenwärtige bulgarische Regierung das Vertrauen Rußlands ver loren und eine Fortsetzung der Beziehungen unmöglich gemacht habe, so lange die bulgarische Regierung aus den gegenwärtigen Mitgliedern zusammengesetzt sei. Kaulbars theilte schließlich mit, daß er am 20. Novbr. Uages-eschicht,. Allen Behauptungen entgegen, welch« die Vorlage des neuen Septennates erst nach Weih nachten oder nach Beendigung der Etatsberathung ge schehen lassen wollten, ist bereits ein Gesetzentwurf wegen Feststellung des neuen Septennats bis 1895 im Bundesrathe vertheilt worden, und, wie der offiziöse Telegraph berichtet, wird diese Septennatsvorlage zu den ersten Vorlagen zählen, mit denen der Reichstag sich noch vor Weihnachten wird beschäftigen können. Die „Post" theilt mit, daß die in dem Entwürfe vor gesehenen Mehrforderungen „sich in den Grenzen des durch die Sicherheit des Reiches unbedingt Erforder lichen" hallen. Darüber wird man erst urtheilen können, wenn die Vorlage in ihren Einzelheiten be kannt ist. Brandts. Am 17. November Vormittags wurde der Getreidehändler Werner aus Albrechtshain, als derselbe mit seinem Geschirr von Kleinsteinberg nach Albrechtshain fuhr, in der Nähe des Preißer'schen Steinbruches, wo man mit Steinschießen beschäftigt war, von einem Stein, welcher auf seinen Wagen -ge flogen kam, derart verletzt, daß er nach kurzer Zeit verschied. Der Geschirrführer, welcher daneben saß, wurde von demselben Stein ebenfalls verletzt. Frankenberg. Der hiesige Verschönerungs- Verein hatte, nach hierzu eingeholter Genehmigung, die Bepflanzung der Humboldt-Straße und der von derselben abzweigenden Straßen mit einer Cratägus- allee beschlossen, und demzufolge in diesen Tagen mit dem Einsetzen der Bäume begonnen. Zur Bepflanzung der Strecke vom Bürgerschulgebäude bis zum Bahnhof sind 200 Bäume nöthig. Mittweida. Der Umbau der hiesigen Stadt - kirche stößt auf große Schwierigkeiten. Bei den Reinigungsarbeiten an den Gewölben der Kirchenschiffe hat sich herausgestellt, daß dieselben nach den Bränden in früheren Jahrhunderten gar nicht erneuert, sondern die theilweise durchglühten und morschen Steine ein fach überputzt worden sind. Bei Inangriffnahme der Arbeit stürzten einzelne Gewölbetheile von selbst ein, dabei andere Gewölbetheile noch zerschlagend; durch verfaulte Balkenlager und andere sich zeigende Mängel erhöht sich der ursprünglich veranschlagte Baupreis von 62,000 M. um weitere 25,000 M., über deren Bewilligung der dortige Kirchenvorstand und Stadtrath einig sind, während das Stadtverordneten - Kollegium sich jetzt noch ablehnend verhält. Leipzig. In Bezug aus die Auflösung der hies. Kramer-Innung hat der Rath der Stadt bereits Stellung genommen, indem er in einer seiner letzten Sitzungen sich dahin schlüssig machte, daß dem Nathe ein Anspruch auf einen Theil des Vermögens der Innung nach § 94 der Gewerbeordnung nicht zustehe. Es wird nunmehr seitens des Rathes Bericht an die königl. Kreishauptmannschaft erstattet werden. Dresden. Nach den Aufzeichnungen des „Sächs. Kirchen- und Schulblatts" sind in der Zeit von Mitte März 1885 bis Mitte Oktober 1886, also in 1'/» Jahren, in Sachsen 63,600 Mark zu kirchlichen Zwecken gestiftet worden. Hierbei bleiben außer Be tracht die beiden großen Kollekten für den Kirchenfond und die Kollekten für 3 Gemeinden zum Neubau ihrer Kirchen (1885: Fürstenau, 1886: Dröda und Gablenz), welche zusammen ungefähr 80,000 M. ergeben haben, und eine große Anzahl kostbarer Kirchenschmuck bei Neubau oder Erneuerung von Kirchen. Man wird nicht zu hoch greifen, wenn man den Gesammtbetrag aller kirchlichen Stiftungen auf 180 bis 200,000 M. annimmt. Königliches Landgericht Freiberg. (Aus dem »Freib. Anz.') Verhandlung vom LV. November. Wegen schwerer Körperverletzung (begangen in der Nacht zum 12. Juli d. I. gegenüber den Stallschwei zern Biegel und Stalter in Reichstädt) wurde der Handelsmann Hermann Leberecht Schauer in Dippol diswalde mit 3 Monaten Gefängniß bestraft, wohin gegen der gleichfalls mit angeklagte Müllergeselle Alexander Fridolin Langer in Dippoldiswalde mangels ausreichenden Schuldbeweises freigesprochen wurde. — Vierzig deutsche Alumnen des theologischen Seminars in Leitmeritz haben an den Bischof Schöbel eine Beschwerde über das Verhalten ihrer czechischen Kollegen gerichtet, welches ein einträchtiges Zusammen leben durch ihre demonstrativ nationale Haltung geradezu unmöglich mache; die Eingabe bemerkt auch, das agitatorische Vorgehen der czechischen Theologen schrecke deutsche Abiturienten vom Eintritt ins Seminar ab. Der Bischof ertheilte den czechischen Alumnen persönlich eine Verwarnung. Frankreich. Nach der Abreise des Generals Kaul bars und der russischen Konsuln aus Bulgarien hat Frankreich auf Wunsch Rußlands den Schutz der russischen Unterthanen in Bulgarien übernommen. Mit dem letzten gestrigen Sonntage nach Trinitatis, der, kirchlicher Sitte gemäß, stets zur Todtenfeier be stimmt ist, schloß das christliche Kirchenjahr, und mit nächstem Sonntage, dem l. Advent, beginnt ein neues. Daß die Reihe der christlichen Sonn- und Festtage, welche das Kirchenjahr bilden, nicht mit dem bürger lichen Jahre zusammenfällt, hat seinen Grund darin, daß man demjenigen Feste, das an den Ursprung des Christenthums, an die Geburt Christi, erinnert, — das also das erste im Jahreslaufe sein mußte — noch eine Vorbereitungszeit vorausgehen ließ und diese mit in den Jahreskreis einschloß. Diese Vorbereitungszeit sind die Adventsonnlage. Wenn und wo diese Ein richtung zuerst vorgenommen worden ist, läßt sich nicht ermitteln; übrigens stimmen die einzelnen christlichen Konfessionen nicht durchweg im Ansange des Kirchen jahres überein. In der englischen Kirche beginnt man es mit Mariä Verkündigung, den 25. März, in der griechisch-katholischen Kirche aber mit dem 6. Januar mit dem Erscheinungsfeste. In der christlichen Kirche Deutschlands, bei Evangelischen, wie Katholischen, be ginnt es vor Weihnachten, zwischen dem 28. Novem ber und 4. Dezember, nicht früher und nicht später. — Es könnte befremdlich erscheinen, daß das Weih nachtsfest, als der eigentliche Anfangspunkt des Kirchen jahres, in die rauheste und kälteste Jahreszeit gelegt worden ist, während doch das Weihnachtsevangelium von Hirten erzählt, die des Nachts auf dem Felde ihre Heerden hüteten. Der Grund dafür liegt darin, dass bei dem Siege des Christenthums über germanisches Heidenthum man einem bisher gefeierten heidnischen Feste, dem Julfeste, eine christliche Bedeutung gab. Die Religion unserer germanischen Altvordern war Naturdienst. Zu Ehren des himmlischen Feuers, das man in der Sonne verehrte, feierte man das Julfest, das Fest des Rades. Das Rad aber ist das Bild der strahlenden Sonne. Der Sonnengott bei den nordi schen Völkern war Freyr, der herabsteigt zu Gerda, seiner schönen Erdenbraut, um sie aus der Gewalt der Frostriesen zu befreien. So lange er mit ihnen kämpft, kann sein Schwert — der Sonnenstrahl — den Men schen nicht leuchten. Aber sie fürchten sich nicht bei. seinem Verschwinden, wenn sie gleich darunter leiden. Sie wissen, wenn er wiederkehrt. Wenn die längste Nacht gewesen ist, am 21. Dezember, dann kommt der Lichtgott wieder hervor, um im Mai seine Vermählung mit der Erde zu feiern. Die sichtbaren Zeichen des Wiederlichtwerdens nach der Kälte und Finsterniß des Winters waren die Flammen der Holzstöße, welch« die Julnacht durchloderten, und welche an dem reinen Funkenfeuer entzündet wurden, das von dem strohum wickelten mystischen Rade aus Buchenholz, mit neun Speichen, ausging, das 9 Männer so lange drehten, bis es Funken sprühte. — Als das Palmreis des Christenthums auf die Eschen- und Eichenhaine des Nordens gepfropft wurde, gelangte das Julfest durch den ersten christlichen König des Nordens, Hakon-Adal- stein, zu einem bestimmten Anfänge, den 25. Dezember, aber es war nicht mehr das Jubelfest des heidnischen Freyr, sondern es war der Geburtstag des himmlischen Lichtes, das in Christo der Welt aufgegangen. Wtv erkennt nicht in dem Anzünden der Lichter des Christ baumes die Spur der im Julfeste gegründeten alten Sitte? — Wenn man in neuerer Zeit bisweilen das Ver langen ausgesprochen hat, den Anfang des kirchlichen und bürgerlichen Jahres in Einklang zu bringen, so erscheint uns dasselbe mit Recht aussichtslos. Denn während der Anfang des bürgerlichen Jahres ein ganz und gar willkürlicher ist, ist der des Kirchenjahres ein in der Entwickelung unserer religiösen Vorstellungen wohl begründeter und durch Zeit und Volkssitte ge heiligter, und bei solchen Einrichtungen ist der kon servative Standpunkt wohl berechtigt. Es läge viel mehr die Frage nahe, ob es nicht zweckmäßig wäre, durch eine gewisse kirchliche Auszeichnung des 1. Advents- den Anfang des Kirchenjahres noch mehr zu markiren. Unserer Meinung nach würde sich z. B. die feierliche Einweisung der Kirchenvorsteher dazu eignen, und es soll ja auch, wie wir hören, dieselbe am nächsten. Sonntag vorgenommen werden.