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Wchmtz -Mmiz Beilage zu Nr. 1 Dienstag, den 5. Januar 1886 W. »e ich sichst V r. >en. echt r. lich macht. Die Friedensliebe Deutschlands ließ sich deutlich auch in seiner Verwickelung mit Spanien wegen der Karolinen-Inseln erkennen, trotz aller Provokationen von Seiten Spaniens bewahrte das mächtige Deutschland seine Ruhe und Mäßigung und hierdurch ist es denn auch unter der vom Fürsten Bismarck angerissenen Vermittelung des Papstes ge lungen, die so viel Staub aufwirbelnde Karolinenfrage in einer für beide betheiligte Parteien gleich befrie digenden Weise zu lösen. Im klebrigen lassen unsere Beziehungen zu allen Staaten nichts zu wünschen übrig und dies kam auch der Weiterentwickelung der deut schen Kolonialpolitik zu Gute. An verschiedenen neuen Stellen West- und Ostafrikas und der Südsee (Mar schalls-Inseln) wurde die deutsche Flagge gehißt; hoffentlich werden fernere blutige Ereignisse, wie die Tage der Neger-Empörung in Kamerun, auf,den Blättern unserer Kolonialgeschichte nicht weiter zu ver zeichnen sein und ist hierfür die friedliche Auseinander setzung mit dem Sultan von Zanzibar eine nicht ge ringe Bürgschaft. — Trotz der unleugbaren Erfolge, welche die kaiserliche Politik auch in dem letzten Jahre nach Innen wie nach Außen auszuweisen hatte, wogt dennoch der Kampf der Parteien bei uns weiter und leider läßt sich nicht absehen, ob und wann dieser Kampf einmal in gemäßigtere Bahnen einlenken wird. Doppelt erfreulich ist es darum, zu sehen, daß wenig stens alle Parteien — vielleicht von den Vertretern der rothen Internationale abgesehen — mit gleicher Liebe und Verehrung zu dem greisen Oberhaupte des Reiches emporschauen und die bevorstehende Feier des 25jährigen Negierungsjubiläums Kaiser Wilhelms als König von Preußen wird allen patriotischen Deutschen Gelegenheit geben, einmal die politischen Meinungs verschiedenheiten zu vergessen und sich in dem Gefühle der Verehrung für den ruhmgekrönten ersten Kaiser des neugeeinten Deutschlands zusammenzufinden. Wenden wir uns nun dem uns Deutschen so nahe stehenden Oesterreich-Ungarn zu, so bemerken wir als den hervorstechenden Zug in dessen inneren Ange legenheiten den noch immer am Marke des Kaiser staates zählenden Nationalitätenhader. Derselbe macht sich namentlich in der westlichen Reichshälfte geltend, wo der Nationalitäten-Kampf hauptsächlich zwischen Deutschen und Czechen tobt. Auf dem Gebiete der auswärtigen Angelegenheiten des Donaukaiserreiches steht die Begegnung zwischen dem Kaiser Franz Josef und dem Kaiser von Rußland in Kremsier als die wichtigste Begebenheit da. Die Zusammenkunft beider Herrscher hat der langjährigen offenen Feindschaft zwischen Oesterreich-Ungarn und dem Czarenreiche ein Ziel gesetzt und der bisherige Verlauf der neuesten Balkankrisis beweist deutlich, daß die Zusammenkunft von Kremsier das ihrige zur Ausgleichung in dem Jnteressenstreite Oesterreichs und Rußlands auf der Balkanhalbinsel — wenn man überhaupt von einem solchen sprechen kann — mit beigetragen hat. In Bezug auf das russische Riesenreich selbst ist zunächst die Verwickelung hervorzuheben, in welche dasselbe mit England wegen der afghanischen Grenz frage mehr als einmal einen kriegerischen Zusammen stoß beider Großmächte ernstlich befürchten ließ. Aller dings ist in Centralasien ein vorläufiger Vergleich zwischen Rußland und England erfolgt, aber früher oder später wird eine kriegerische Auseinandersetzung beider Reiche darüber, wem von ihnen die Herrschaft in Centralasien ausschließlich gebühren soll, unver meidlich sein. Unser großer Nachbarstaat im Westen, die fran zösische Republik, trat in den Fragen der euro päische» Politik weniger hervor, da die Republik durch ihre ostasiatischen Verwickelungen fortgesetzt ganz be deutend in Anspruch genommen wurde. Die Tonkin- srage führte sogar zum Sturze des Kabinets Ferry und dessen Ersetzung durch das Kabinet Brisson-Frev- cinet, obwohl fast unmittelbar nach dem Sturze Ferry s die Nachricht von dem Friedensschlüsse zwischen Frank reich und China, in welchem letzteres das französische „Protektorat" über Tonkin und Annam anerkannte, in Paris eintraf. Trotz des offiziellen Friedensver trages mit China haben aber die französischen Truppen heutigen Tages die Ruhe in Tonkin und Annam noch nicht vollständig Herstellen können, was den franzö sischen Radikalen und Monarchisten noch in den letzten Tagen des alten Jahres Anlaß gegeben hat, die Frage Politische Jahresrundschau. Das alte Jahr ging zur Rüste und das neue brach an. Wie man nun schon im bürgerlichen Leben an der Scheide zweier Jahre nochmals seinen Blick in die Vergangenheit versenkt, so überblickt auch der Poli tiker in diesem wichtigen Augenblick noch einmal die Ereignisse des vergangenen Jahres und zieht so gleich sam das politische Facit desselben. Was nun den all gemeinen Charakter des Jahres 1885 anbelangt, so hat dasselbe glücklicherweise keine verheerenden, welr- erschütternden Ereignisse geboren, von denen die Mensch heit im Großen und Ganzen schmerzlich berührt worden wäre. Wohl leuchtete auch in dem vergangenen Jahre die Kriegsfackel an so manchen Punkten des Erdballes, ja, der Südosten unseres Welttheils selbst war noch vor Kurzem der Schauplatz blutiger Kämpfe zwischen zwei stammverwandten Völkern. Dennoch muß mit Befriedigung konstatirt werden, daß es gelungen ist, feindliche Zusammenstöße zwischen den inaßgebenden Nationen Europas zu verhüten und dies ist nicht zum Geringsten ein Verdienst der Friedenspolitik des deutschen Reiches. Die Weltstellung unseres großen Vaterlandes machte sich auch im Jahre 1885 in den erfolgreichen Bemühungen der Neichsregierung, den zwischen Rußland und England wegen der afghanischen Grenzfrage drohenden Kriegsfall zu verhüten, bemerk lich, und im Weiteren ist die im Gange befindliche friedliche Lösung der jüngsten Orientwirren offenbar das Werk dec deutschen auswärtigen Politik. Mit Stolz und Bewunderung blicken wir daher auf das ehrwürdige Oberhaupt des Reiches, auf Kaiser Wil helm, welcher mit Unterstützung seines Kanzlers und der anderen bewährten Minister und Näthe seines verantwortungsreichen Amtes an der Spitze Deutsch lands so segensvoll weiter waltet und mit Dank gegen die göttliche Vorsehung erkennen wir es an, daß der greise Schirmherr des Reiches sich noch wahrhaft be wunderungswürdiger geistiger und körperlicher Frische erfreut. — Schmerzlich berührt wurde Kaiser Wilhelm durch das Hinschewen seines Neffen, des Prinzen Friedrich Karl von Preußen, den ein jäher Tod im kräftigsten Mannesalter dahinraffte und in welchem das preußisch-deutsche Heer einen seiner hervorragend sten Führer betrauert. Auch andere bewährte Waffen genossen des greisen Monarchen sind im Jahre 1885 aus dem Leben geschieden, so Prinz August von Württemberg, General Vogel von Falckenstein und Feldmarschall Frhr. v. Manteuffel. — Die Wahl des Prinzen Albrecht von Preußen zum Regenten von Braunschweig muß man als eine durchaus treffliche betrachten und hat hiermit die vielverschlungene braun schweigische Erbfolgefrage ihre vorläufige Lösung ge funden. — Von anderen hervorragenden Begeben heiten auf dem Gebiete der inneren deutschen Politik ist vor Allem das Doppel-Jubiläum des Reichskanzlers Fürsten Bismarck hervorzuheben, welches der Fürst am 1. April 1885 feierte, indem er an diesem Tage unter allgemeinster Theilnahme der Deutschen Nation neben seinem 70. Geburtstage sein 50jähriges Dienst jubiläum beging. — Wahlen zu den gesetzgebenden Körperschaften wurden in Preußen, Sachsen und Baden vorgenommen, welche indessen in der bisherigen Zu sammensetzung der Landtage der beiden ersteren Staaten keine wesentlichen Veränderungen ergaben, dagegen sicherten sie im badischen Landtage der nationalliberalen Partei die unbedingte Mehrheit. Zum Theil sehr wichtige Ergebnisse zeitigten die Neichstagsverhand- lungen, wenigstens in der letzten Hälfte der vorigen Session, denn es wurden — wenngleich vielfach erst nach stürmischen Debatten — die Vorlagen über die Erhöhung der Vieh- und Getreidezölle, über die Ein richtung überseeischer Postdampferlinien, der berühmte zweite Direktorposten im Auswärtigen Amte, der Etat für Kamerun, dann der neue Zoll im Ganzen, endlich noch die Novelle zum Unsallversicherungsgesetz und das Börsensteuergesetz genehmigt. Die Reichsregierung konnte also mit dem Verlaufe dieser Session im Ganzen zufrieden sein; dagegen sind von der neuen Session des Reichstages, welche am 19. November ihren Anfang nahm, noch keine besonderen Leistungen zu verzeichnen. Was nun die auswärtigen Angelegen heiten des deutschen Reiches anbelangt, so ist schon angedeutet worden, daß sich hier nach wie vor der eminente Friedenszug in der deutschen Politik bemerk der Räumung Tonkins ernstlich in Fluß zu bringen. Mit einer Mehrheit von 4 Stimmen hat sich die De- putirtenkammer durch Bewilligung des von der Re gierung geforderten Tonkin-Kredits für fernere Be setzung Tonkins entschieden. Während sich so die politischen Verhältnisse in Frankreich -am Jahresende in keineswegs günstigem Lichte präsentiren, läßt auch die Lage in England ungemein an Klarheit zu wünschen übrig. JmIrüh- jahr 1885 führte die unglückselige auswärtige Politik des liberalen Kabinets Gladstone dessen Ersetzung durch das konservative Ministerium Salisbury herbei, aber das letztere hat trotz seiner zielbewußteren Politik keinen festen Boden gewinnen können. Dies beweist der Ausfall der englischen Parlamentswahlen, bei welchen die Liberalen eine relative Mehrheit erhielten, die Parnelliten im Parlamente aber auch auf ca. 80 Mann anwuchsen und hieraus -rgiebt sich gegenwärtig für England eine Situation, die nach allen Seiten hin sich als äußerst verworren darstellt. Was die auswärtigen Angelegenheiten Englands anbetrifft, so haben wir schon des Streithandels mit Rußland wegen der afghanischen Grenze Erwähnung gethan. Ein rascher und glücklicher Feldzug ist von den Engländern gegen das Königreich Birma geführt worden, doch haben sie jetzt daselbst noch immer mit irreregulären Banden zu thun. Ein dunkler Punkt in der aus wärtigen englischen Politik ist nach wie vor Egypten. Hier führte die unentschlossene Heeresleitung der Eng länder gegenüber den Sudanrebellen zu der Katastrophe von Chartum und dem Tode Gortwn's und somit waren all' die schworen Opfer, welche England an Geld und Menschenleben zur Niederwerfung des Aufstandes im Sudan gebracht, vergeblich. Die Sudanesen dringen mittlerweile immer weiter gegeu Oberegypten vor und es stehen den Engländern allem Anscheine nach neue schwere Kämpfe mit den Rebellen bevor. — Die jüngste der europäischen Großmächte, Italien, folgte gleichfalls dem kolonialpolitischen Zuge der Zeit und setzte sich an der Westküste des Rothen Meeres fest, doch haben ihr die Erwerbungen daselbst noch nicht viel Freude gemacht. Wie im Jahre 1884 Neapel, so wurden im vorigen Jahre Palermo und Sicilien von der Cholera schwer heimgesucht; auch jetzt behauptet sich die Seuche noch in Italien, in der Lagunenstadt Venedig. — Von den europäischen Mächten zweiten und dritten Ranges trat Spanien durch die Karo linenfrage und dann durch das Ableben des Königs Alfons Xll. hervor. Auch Spanien wurde von der Cholera empfindlich heimgesucht, außerdem richteten Erdbeben große Verheerungen an. An den Weltbe gebenheiten nahm Belgien durch Erwählung des Königs Leopold zum Souverän des neugegründeten Kongostaates Theil; in Antwerpen fand eine erfolg reiche Weltausstellung statt. Das Nachbarland Bel giens, Holland, hatte vornehmlich mit sozialistischen Unruhen in Amsterdam, Haag rc. zu thun. Die Schweiz beschäftigte sich meist mit inneren Fragen (Alkohol-Vorlage), daneben mit der Frage der Be festigung des Gotthards. Die skandinavischen König reiche machten sich in der europäischen Politik so gut wie gar nicht bemerklich; in Dänemark nimmt der Verfassungs-Konflikt seinen Fortgang. Auf der Bal kanhalbinsel führte die bulgarisch-ostrumelische Union zu einem kurzen, aber blutigen Kriege zwischen Serbien und Bulgarien, dem jetzt durch das vermittelnde Ein schreiten der europäischen Mächte ein vorläufiges Ziel gesetzt ist. Doch birgt die Lage auf der Balkanhalbinsel noch immer bedenklich viel Zündstoff in sich, wenngleich von der Einigkeit der Mächte zu hoffen steht, daß abermaligen kriegerischen Ereignissen vorgebeugt werde. In Konstantinopel riefen die Vorgänge in Ostrumelien eine vollständige Neugestaltung des Kabinets unter Kiamil Pascha hervor. — Wenden wir nun noch den Blick kurz nach den jenseitigen Gestaden des Atlan tischen Ozeans, so ist aus der nordameeikamschen Union der am 1. März 1885 erfolgte Amtsantritt des demokratischen Präsidenten Cleveland als vor nehmstes Ereigniß zu verzeichnen. In Kanada erregten die französischen Mischlinge einen Aufstand, auch in Central-Amerika sanden anläßlich des Versuches des Präsidenten Varrios von Guatemala, die fünf central amerikanischen Republiken in eine Republik zu ver schmelzen, blutige Unruhen statt.