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WeWtz-MlH. Beilage zu Nr. 8. Sonnabend, den 20. Januar 1883. 48. Jahrgang., Um Herz und Diadem. Novelle von M. He im Wald. (Forlsehunn.) Am andern Morgen brachte Viktorine freude strahlend den so heiß ersehnten Brief: „Sehen Sie, Fürstin", rief sie fröhlich, „daß ich recht gehabt. Sie zur Geduld zu ermahnen? Möge er Ihnen Gutes bringen!" ^ Einem feinen Beobachter wäre vielleicht das leichte Vibriren ihrer Stimme, die Unruhe ihrer Augen aus gefallen, doch Heddy sah und hörte nichts; sie riß ihr mit einem Freudenschrei den Brief aus der Hand, erbrach ihn, las und starrte wie betäubt darauf ; das konnte ja nicht darin stehen, das war ja gar nicht möglich — und doch — da standen die fürchterlichen Worte, die wie glühende Tropfen ihr auf das Herz fielen, als wollten sie es ganz und gar vernichten. Sie glaubte zu träumen, bat die Gräfin, ihr den Brief vorzulesen, damit sie wisse, ob sie wache oder träume. Die Gräfin stellte sich sehr erschrocken: „Fürstin, das muß ja Furchtbares sein, was Sie so zu erregen vermag?" „O, bitte, lesen Sie", rief die Aermste angstvoll, und Viktorine las: „Heddy! Meine letzten Briefe werden Dir wohl schon meine Gefühle klar gemacht haben, frage nicht, wie es ge kommen. Als ich Dich bei Deinem Vater kennen lernte, glaubte ich Dich zu lieben." — Heddy zuckte zusammen, die Gräfin sah besorgt auf sie und zauderte. „Weiter, weiter!" bat Heddy und die Gräfin las zitternd: „Ich habe mich getäuscht. Dein einfaches Wesen konnte mich nicht für immer anziehen, ich habe einen Fehler begangen, einen großen, schweren Fehler, das fühle ich jetzt inmitten des glänzenden Hofes, der mich umgiebt, inmitten der strahlenden, geistvollen Frauen, mit denen zu verkehren ich das Glück jetzt habe, unter die ich die einfache Waldblume niemals bringen kann. Du wirst so vernünftig sein, einzusehen, daß wir nicht für einander passen; cs war ein Rausch, der nur zu bald verfliegen mußte. Ich habe dabei nicht an die Pflichten gedacht, die ich als Bruder des Landesfürsten habe; nur eine ebenbürtige kann meine Gemahlin sein." Ein unterdrückter Aufschrei kam über ihre Lippen; die Gräfin wollte besorgt ihr beispringen, doch sie wehrte sie ab. „Weiter, weiter", sprach sie tonlos. „Und darum — ich denke, es ist besser, Du er fährst es bald, will ich meinem brüderlichen Herrn, der glücklicherweise noch nichts von meiner Vermählung weiß, den Willen thun, indem ich, sobald unsere Scheidung vollzogen, der liebenswürdigen Prinzeß Therese an diesem Hofe die Hand reiche. Ich werde sorgen für Dich, Du sollst niemals Noth leiden. Das Wiedersehen, welches uns Beiden nicht angenehm sein kann, bitte ich Dich, uns zu ersparen. Ich komme in vierzehn Tagen zurück nach Wolkenau. — Du wirst Gräfin Heltnsburg, der ich für ihre Freundschaft dankbar bin, wissen lassen, wohin Du gehst, das Weitere ist meine Sache. Camillo, Fürst " Aengstlich besorgt sah Viktorine auf die Fürstin, die stumm, mit starren Augen und zuckenden Lippen dastand; keine wohlthätige Ohnmacht löste den furcht baren Schmerz, der sie durchzog. Minuten lang stand sie in dumpfer Betäubung, und Viktorine wagte nicht, ihr zuzusprechen. Endlich ertönte ein Schrei, gepreßt und langsam, als wollte die Seele aus der Brust entfliehen. Die Hände vor's Antlitz schlagend, brach sie in krampfhaftes Schluchzen aus und alle Trostesworte der Gräfin verhallten ungehört; alle zärtlichen Liebkosungen waren vergebens, Heddy fühlte sie nicht, sie weinte nur heiße, brennende Thränen — Jahre ihres Lebens flössen in diesen Thränen dahin. Wehe der, die sie erpreßte. Als Viktorine diesen namenlosen Schmerz sah, überkam sie fast die Reue; die Scham allein hielt sie ab, der Fürstin zu Füßen zu fallen und ihr alles zu gestehen; doch sie vermochte die schwere Selbstanklage nicht. Es war einmal geschehen, nicht rückwärts konnte sie ; sie mußte vorwärts schreiten auf der einmal be tretenen Bahn, mußte das Mitleid unterdrücken, das sie für das arme, betrogene Weib des Fürsten fühlte. Als Hedvy nach langer Zeit wieder aufsah, er schrak die Gräfin fast vor ihr, so waren die Züge der unglücklichen Frau zerstört. Ohne jedes Wort setzte sie sich an ein Fenster und starrte hinaus. Den ganzen Tag, den ganzen Abend blieb sie sitzen: sie schüttelte nur den Kopf aus alle tröstenden Worte der Gräfin, ein Bild der tiefsten Verzweiflung. Die Gräfin kniete ihr zu Füßen, voller Angst ihr in's bleiche Antlitz schauend: „O, nur ein Wort, ein einzig Wort, Fürstin, lassen Sie mich hören, nicht dieses starre, todesähnliche Schweigen!" bat sie flehent- lichst; da endlich öffnete Heddy die Lippen und wie abwesend kamen die Worte aus ihrem Munde: Du armes Kind der Haide, Was willst Du dier? Schaffst Dir nur bitt'res Leide, Kamm, folge mir! — Athemlos lauschte Viktorine; was war denn das? Sollte durch den furchtbaren Schlag ihr Verstand ge litten haben? Einen leisen Schrei stieß sie aus und starrte entsetzt auf die unglückliche Heddy. Jetzt erst fühlte sie, welch' frevelhaftes Spiel sie mit dein armen Herzen getrieben. — „Großer Gott, Fürstin!" rief sie weinend, ihr die Hände küssend, „kommen Sie zu sich!" Da drehte Heddy ihr das Angesicht zu und sagte schmerzlich: „Sie glauben mich wahnsinnig, Gräfin? Ich bin es nicht; Gott hat mir diese Wohlthat nicht gewährt. Es tvar nur das Lied einer alten Sage, in der ein junges Zigeunermädchen einem Ritter auf sein Schloß folgte. E» aber ward ihr treulos und brach ihr Herz. „Ach, Gräfin", weinte sie, „auch mein Herz ist gebrochen, der Tod wird es bald mähen, ich wollte, er hätte es schon gemäht." Schluchzend sank ihr Kopf auf Viktorinens Schulter; das arme betrogene Herz ahnte nicht, an welcher Brust es ruhte. Am Morgen bat die Fürstin, Viktorine möge den Befehl zum Anspannen geben. „Was wollen Sie thun? Wohin wollen Sie?" fragte die Gräfin erschreckt. Ruhig antwortete Heddy: „Ich will an meiner Eltern Grab beten, dort will ich bleiben, bis der Tod meinem Schmerze ein Ende gemacht, es ist ja ganz gleich, wo ich meine Tage zubringe, für mich sind sie ja doch nur noch Nacht, eine einzige finstere Nacht, ohne einen Schimmer, ohne einen Hoffnungsstrahl." Die Gräfin wollte sie begleiten, sie aber lehnte es ab: „Sie müssen hier bleiben, müssen Camillo sagen, wie sehr ich ihn geliebt, wie tief er mein Herz ver wundet. Nein, das sagen Sie ihm nicht, es könnte ihm ein Vorwurf sein, und ich liebe ihn viel zu sehr, um ihm zu zürnen. Sagen Sie ihm, daß ich ihm für das kurze Glück danke, daß mein Segen ihn begleitet — Gott schenke ihm auch ferner Glück!" Diese Herzensgröße hatte Viktorine nicht er wartet; was war sie selbst mit all' ihrem geprahlten Geiste gegen dieses Herz. Tief in den Staub hätte sie vor ihr niedersinken mögen, und dennoch sprach sie nicht. Als Heddy, die nur das Nöthigste mitnahm und alle Briefe ihres Gatten, der Gräfin Lebewohl sagte, ihr unter Thränen für alle Liebe, alle Freundschaft dankte, konnte diese kein Wort erwidern, nur eine brennende Thräne fiel auf Heddy's kalte Hand. Noch einmal ging die Arme durch alle Zimmer, suchte jedes Plätzchen des Parkes auf, wo sie so glücklich gewesen. Auf der Bank, auf welcher sie einst den ersten Kuß der Liebe empfangen, flog ein welkes Blatt zu ihren Füßen nieder, sie hob es auf, zog die Briefe aus ihrer Tasche, und es dazwischen legend, flüsterte sie: „Des Herbstes rauhe Hand hat dich getödtet ivie mein Herz; ein welkes Blatt ist auch nur noch mein Leben." Wie im Traume ging sie zurück, stieg sie in den Wagen, nannte den Namen des Dorfes, an dem ihr kleines Häuschen mit dem Grabe ihrer Eltern war — ihr einziges, letztes Ziel. — Armes gebrochenes Herz! Viktorin ens Thränen hörten auf zu fließen, sie kannte durch sie ja nichts ungeschehen machen. Gut und Böse kämpften in ihrer Brust, aber die Eitelkeit, der Ehrgeiz siegten doch in ihr. Verlockend sah sie im Geiste das Diadem auf ihrem Haupte schimmern. Vorläufig wollte sie dem Fürsten nur eine tröstende Freundin sein, das klebrige werde sich dann schon finden. — Das Märchen, womit sie Heddy's Scheiden bemänteln und des Fürsten Herz ihr entwenden wollte, hielt sie fest trotz allen Schmerzes, den sie gesehen, ja sie glaubte sogar, daß dieser sich bald legen werde, da, wie sie meinte, übermäßiger Schmerz nicht lange anhalte. Die Waldeinsamkeit werde der Fürstin gut thun, sie beruhigen. Sie redete sich etwas ein, was ihre Seele nicht glaubte. Sie suchte, um ihren schänd lichen Plan zu Enve zu führen, Kraft vor Camillo's Bild, und sich selbst betrügend, wie sie die Fürstin be trogen hatte, sagte sie: „Um solchen Preis kann man ein Herz wohl brechen." , Fürst Camillo hatte unterließ seine schwierige Mission noch eher, als er gedacht, glücklich vollendet. Die Liebe hatte ihn erfinderisch gemacht und alle Hindernisse zu überwinden gewußt, denn täglich wuchs seine Sehnsucht nach seinem trauten Heim, nach seiner geliebten Heddy. Es war bereits spät am Abend, als er nach fünf monatlicher Abwesenheit wieder in der Residenz ankam uird sich unverzüglich bei Sr. Hoheit melden ließ. Hocherfreut empfing ihn der Bruder; er hatte Ca millo erst in den nächsten Tagen erwartet, obwohl er von dem glücklichen Ausgange seiner Sendung be reits telegraphisch unterrichtet war. Camillo berichtete ihm nun alle Einzelheiten, legte ihm Papiere vor, die der Unterschrift des Landesfürsten bedurften. Der Erfolg «übertraf die Erwartung und nnt Worten herzlichen Dankes reichte der Prinz dem Bruder beide Hände. „Fordere, was Du willst, Camillo, es sei Dir jeder Wunsch gewährt." Freude überflog des Fürsten Antlitz, denn er wußte, daß sein Bruder nie ein gegebenes Wort zurücknahm. „Ja, meiir Bruder und Herr", sagte er ohne Zau dern, „ich habe einen Wunsch, dessen Gewährung, so groß er ist, ich von Dir erbitte, er kostet Dir vielleicht viel." Se. Hoheit sah ihn fragend an. „Nicht Geld oder Land, etwas ganz Anderes ist es, was ich von Dir erbitte." Sein glücklich leuchtendes Gesicht ließ den Prinzen fast errathen. Camillo liebte, er dachte an die Gräfin, die seit des Fürsten Abreise nicht wieder am Hofe er schienen war. Lächelnd legte er die Hand auf Ca millo's Schulter und sagte: „Nun, gar so groß wird dieser Wunsch doch wohl nicht sein, daß ich nicht im Stande wäre, ihn zu, er füllen. So sprich: Nicht als Unterthan zum Fürsten, sondern als Bruder zum Herzen des Bruders!" „Dank für dieses Wort", erwiderte Camillo freu dig, und des Prinzen Hand erfassend, sagte er fest: „So höre — ich bin vermählt!" „Ah!" Unwillkürlich kam dieser Ausruf über Sr. Hoheit Lippen. Camillo war stets ein Romantiker gewesen, dem man viel zu Gute halten mußte, aber eine heim liche Heirath, das war doch etwas stark. O, diese schlaue Gräfin! Er hatte sich endlich von seinem Erstaunen erholt und sagte lächelnd: „Nun, wenn Deine Wahl eine würdige ist, muß ich mich wohl darein fügen!" „Würdig nur?" rief Camillo begeistert, „sie wird die Zierde Deines Hofes sein, sie ist —" „Nun wer?" läch.lte der Prinz. „Die Enkeltochter des verstorbenen Ministers von Saalfeld." „Wer?" fragte der Prinz stannend. Ca millo widerholte langsam und fest feine Worte. „Dessen einzige Tochter so plötzlich verschwunden war?" fragte der Prinz staunend. „Desselben." „Die Tochter derselben, für die Du als Knabe ge schwärmt?" fragte Hoheit immer noch zweifelnd. „Dieselbe." „Aber das ist ja ein ganzer Roman!" sagte der Prinz stannend. Camillo mußte lächeln, so hatte Frau Hollmann auch gesagt.