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Fastnacht. AuS Meister Gustav Adolph Leberecht'S Papieren. (2. Fortsetzung.) Mir klopfte das Herz doch ein Bischen. Der Zufall spielt Einem zuweilen schlimme Streiche, und wenn Anna Louise erfahren hätte, was hinter ihrem Rücken vorging — o — daran durfte ich nicht denken! Bald nach 5 Uhr kehrte Dore mit dem Waschkorbe zurück und packte in meiner Werkstatt, aus der ich die Arbeiter schon entlassen hatte, die Herrlichkeit deö Orients aus, über die sie sich noch mebr freute, wie ich. „So gut kann Unsereiner eS freilich nicht haben," er zählte sie dabei. „Ich gehe blos als Gärtnermädchen und mein Gefreiter im Domino. Dazu habe ich mir einen weißen Rock viermal mit rothem Band besetzt, den grünen Shawl von unserer Frau binde ich mir als Schärpe um, nehme den kleinen Semmelkorb, und mein Gefreiter besorgt mir die Blumen; vom Grünzeug ist noch genug in der Speisekammer." Anna Louise, Du wirst doch eigentlich schrecklich ver lachen! Nun ging'S mit der Kostümirung meiner werthen Person lös, und ich will dabei Dore reden lassen, denn ich schämte mich eigentlich ein Bischen als Türke. „Rothe Stiefelchens! — Die könnten Sie mir eigentlich borgen, Herr Lebrecht, — Ihnen sind sie doch zu klein! — Nehmen wir lieber die gestickten Morgenstiefel, die Ihnen im vorigen Jahr die Frau schenkte; die Sohlen sind ja noch ziemlich gut. So, sehen Sie, die passen besser! — Grüne Beinkleider und so weit, daß man sich zwei Röcke d'raus machen könnte — feinster Merino und nagelneu! — Nehmen Sie sich damit in Acht, Herr Lebrecht! — Hier ist die Schnurre mit großen Puscheln! — 'ne gelbe Weste mit Silberlatzen! — rein wie Spinat und Eier! Herr Gott, eine rothe Atlasjacke mit! — was die wohl kosten mag? — Und eine blaue Schärpe mit Palmen, an die sechsmal 'rum, und Sie sind doch ganz weit in die Taille! — Nun binden Sie sich auch noch den krummen Säbel um, er ist blos von Holz. — Ei, ei, und der grüne Turban mit 'nem abnehmenden Mond und weißen Hahnenbusch! — Herr Lebrecht, Sie sehen gottvoll aus, man könnte sich in Ihnen verlieben! — Der reine Türke! — Himmel, die Maske mit der krummen Nase und dem großen Bart! Na, in Ihnen erkennt wahrhaftig Keiner 'nen Drechslermeister wieder! — selbst die Frau würde sich vor Ihnen fürchten!" Nun, es wurde sieben Uhr und schon ganz finster; Dore mußte gehen, mir eine Droschke zu besorgen. Für uns, in der kleinen Stadl, ist das Droschkenwesen natürlich nicht so geordnet und vervollkommnet wie in der Residenz; die Ein wohner gebrauchen selten ein solches Fuhrwerk, nur die Reisenden von und nach dem entfernten Bahnhofe. Deshalb besitzen wir auch nicht mehr wie etwa zwölf solcher Droschken, d. h. Wagen von allem möglichen Kaliber, bereits sehr ab genutzt und mit einem einzigen elenden Pferde bespannt. Natürlich durfte Dore nichts vrrrathen, für wen die Droschke sein sollte, und benachrichtigte den Kutscher im Voraus, daß er einen Türken und zwar wohin fahren sollte; ich hatte mit dem Menschen also gar nichts mehr zu verhandeln. Er mußte auch eine ganze Strecke weit von unserer Garten- thür in der Hintergasse vorfahren, wohin ich mich zu Fuß begab. Obgleich im Februar, war die Luft warm und die un gepflasterte kleine Gasse recht schmutzig, indessen kannte ich ja hier auch im Finstern Schritt und Tritt. Einen Mantel hatte ich nicht mitgenommen, weil ich keinen besaß, und mit Ueberzieher oder Pelz würde ich mir das schöne Kostüm arg gedrückt haben; bei Nacht und Nebel sind ja alle Katzen grau, auch die Türken. Ich erreichte die Droschke, stieg schweigend ein, drückte Doren noch einmal die Hand und rollte davon. Eigentlich rollte mein Fuhrwerk weniger, als daß es wie eine Schnecke kroch, aber mit furchtbarem Gerumpel, uod dabei mußte ich den Köpf fortwährend aus dem Wagenfenster strecken, um den Hahnenbusch am Turban nicht zu zerknicken. Es war gerade nicht weit bis zur Tonhalle, bei dieser Beförderungsart etwa zwanzig Minuten; indessen schon nach den ersten zehn blieben wir halten, und aus dem Fluchen des Fuhrmanns entnahm ich, daß der störrische Gaul nicht von der Stelle wollte; er schlug wüthend hinten aus, und jedes Mal bekam ich dabei einen Ruck der Fensterumrahmung gegen meine Backe, daß mir fast Hören und Sehen verging. Ich mußte zu alle dem schweigen, denn ich wollte mich nicht gerne durch meine Stimme verrathen. Endlich erklärte der Kutscher, eS ginge so nicht weiter; hier befinde sich gerade ein tiefes Loch in der Straße und ich müsse aussteigen, um ihm das eine Rad herausheben zu helfen. Schöne Zumuthung für einen türkischen Pascha und obendrein noch für mein glänzendes Kostüm! Aber was sollte ich thun? — Kein anderer Mensch ließ sich in der einsamen Straße erblicken. Ich fügte mich daher dem Verlangen dieses bezahlten Sclaven, arbeitete im Schweiße meines Angesichts unter der lästigen MaSke, und als ich mich endlich überzeugte, daß auch damit Nichts geholfen sei, ging ich mit einem mir unwill- kührlich entschlüpfenden: „daß Euch und Eure schlechte Mähre ein Donnerwetter hole" meines Weges weiter. Der Kutscher rief mir noch einige nicht sehr höfliche Worte nach, von denen ich nur das eine, „Kümmeltürke" verstand, doch achtetet? ich nicht weiter darauf. Die Straßen waren sehr kothig, und ich konnte mir nicht einmal die besten Stellen aussuchen, weil, ich mich im Schatten der Häuser fortdrücken mußte, um bei zufällig Be gegnenden nicht Aufsehen zu erregen. Ein Glück, daß Dore sich der rothen Safsianstiefeln angenommen hatte; die Morgen stiefel vertrugen diese Strapazen schon besser. Endlich gelangte ich glücklich an den Eingang der Ton halle, und eS genirte mich nicht wenig, daß derselbe so er leuchtet war, aber auf der Straße konnte ich auch nicht lange stehen bleiben, fühlte die Naßkälte an meinen Füßen und faßte Muth. Ein Eintrittsbillet hatte ich mir schon vorher besorgt und zeigte es nur dem galonirten Portier vor, der eine tiefe Ver beugung vor mir machte; er öffnete mir eine Thür, ich dachte sogleich in den Ballsaal einzutreten und befand mich in der Garderobe, die ich eigentlich zu vermeiden gewünscht hatte. Ein kleiner behender Kerl sprang auf mich zu und machte eine sehr enttäuschte Miene, als er bemerkte, daß ich Nichts abzulegen hatte, an mir also wohl schwerlich ein Trinkgeld zu verdienen sein würde; indessen wußte er sich schnell zu helfen. „Eure Gnaden," sagte er, „befehlen ohne Zweifel, daß ich Ihnen die Stiefel abbürsten soll?"! Dies war allerdings nur zu nvthwendig, wie ich jetzt erst bemerkte. Er holte auch sogleich eine Bürste und begann sein Werk. Selbstverständlich mußte ich ein Trinkgeld dafür geben, aber als ich in der Hosentasche nach meinem Portemonnaie faßte, — o Schrecken I — da war das letztere nicht mehr da. Vermuthlich hatte ich es zwischen die anderen weiten Fallen deS türkischen Grünen gesteckt, — ich erinnerte mich, daß ich beim Abschied aus der Droschke, Dore'n noch einen Thaler, den ich daraus nahm, in die Hand gedrückt, — eS lag also noch in der Droschke, oder ich hatte es bei dem Wagenschieben verloren. Zum Glück trug ich noch zehn Thaler in Kassenscheinen, den ganzen Rest meine« Reptilienfonds, in einem kleinen Taschenbuche auf der Brust bei mir. Man berechne die Miethe für das Kostüm, da« Btllet, DorenS Douceur, Droschkengeld und Etwas über zehn Thaler in dem verlorenen Portemonnaie, — es stimmt! — Ich mußte, ehe ich noch den Ballsaal be treten, die Reserve angreifen.