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zur Räumung von Biscaya genöthigt worden. In Bittoria lrifft man zur Ankunft des König« Alfons Vorbereitungen. Die CorteS sind am 15. Februar in Madrid vom König eröffnet worden; derselbe weist in der Thronrede auf die Aus sichtslosigkeit und Ohnmacht der karlistischen Bewegung hin und kündigt an, daß er demnächst selbst aufbrechen werde, um zur. Wiederherstellung des Friedens mitzuwirken. Die Beziehungen zu den Mächten seien freundschaftliche. Telegraphische Depesche. Dover (England), 17. Februar. Der Hamburg- Amerikanische Dampfer „Franconia" stieß mit dem Dampfer „kltratsiohäs" zusammen, in Folge dessen der letztere sank. 3 Passagiere wurden gerettet, 5S ertranken. Valeska. Novelle von S. v. d. Horst. s4. Forschung.) Ob er doch recht gehabt, der unbekannte Retter, als er sagte, daß Fehlschläge und Mißgeschick nur anspornen müssen zu desto energischerem Ringen? daß sich Niemand jemals verloren geben dürfe? — Sie dankte ihm nicht für den unerbetenen Ritterdienst, sie wünschte auS voller Seele, daß er ihr niemals wieder begegnen möge, aber dennoch hatte sie alle ferneren Selbst mordgedanken mit einer Art Beschämung aufgegeben. Ihr Mann brachte an mehreren Tagen größere Summen nach Hause, ohne jedoch sagen zu wollen, woher er daS Geld habe; nüchtern war er jetzt niemals mehr. Valeska ging tief verschleiert am späten Abend auS und^kaufte Stoffe ein, um wenigstens Handarbeiten machen zu können; ihre Spaziergänge unterließ sie ganz, aus Furcht, dem Unbekannten plötzlich in den Weg zu kommen. Ebenso wurden alle Besuche abgewiesen; die junge Frau empfand eine nervöse Furcht vor fremden Gesichtern, nur um des Einen willen, das sie in jener schrecklichen Stunde ge sehen. Sie hatte ja Niemand, dem sie sich anvertrauen, dem sie ihr übervolles Herz ansschütten konnte, daraus entstand die krankhafte Scheu , vor den Menschen, welchen gegenüber sie sich als eine Art Au-gestoßene, als eine, die ohne Rechte, verlassen, dastand, sich vorkam. So oft nur Jemand zufällig am Hause emporsah, er schrak Valeska und dachte: „der weiß Alles!" — So oft Jemand klopfte oder draußen die Magd fragte, fuhr sie zu sammen, als ob ein Verbrechen ihr Gewissen belaste; so oft Leisrink des Vormittags einigermaßen nüchtern ihr gegen über saß, erwartete sie ängstlich seine Anrede, und athmete erst auf, wenn er fort war, ohne gesagt zu haben, daß ihm Jemand daS Schreckliche hinterbracht. Den neuen Nachbar — seiner Karte nach, Adolph Böhm — hatte sie bis jetzt nicht gesehen, sondern nur mehrfach mit sehr angenehmer Stimme singen und auch spielen hören. Sie fühlte wohl, daß er nach der ersten Abweisung eine nunmehrige Einladung erwarten müsse; aber dennoch war es ihr unmöglich, ihm dieselbe zukommen zu lassen. Jedes Inter esse am Leben, an irgend einer Menschenseele ging unter in dem verschlossenen tobten Brüten, daß ihren einzigen Genuß ausmachte. Vielleicht gelegentlich einen ganz oberflächlichen lebensfrohen jungen Mann stundenlang unterhalten zu sollen, schien ihr schrecklich, daher zögerte sie von Tag zu Tage, ihn kennen zu lernen. Da, an einem Sonntagnachmittage, Ende Juli, als die Sonne zu sinken begann und die Spaziergänger bereits in Schaaren nach Hause kamen, saß Valeska allein wie immer am Fenster und nähte, oder hielt doch wenigstens eine Arbeit in den herabgesuukenen Händen, während ihre Blicke träumerisch und wie in Gedanken verloren, das Treiben unten auf der belebten Straße überflogen. Plaudernde Gruppen vor den HauSthüren, spielende jubelnde Kinder, junge Mädchen im besten Sonntagsstaate, wohl auch hier und da ein Liebespaar oder eine Fatnilie, welche von dem Ausfluge in die grünen Felder nach Hause kam; die Mutter das Jüngste, der Vater den nächstfolgenden Sprößling tragend, während zwei oder drei ältere Kinder mit Kornblumen an den Hüten und großen Sträußen in de» Händen nebenher trabten und ein ermüdeter Hund gesenkten Hauptes den Beschluß machte. Alle diese Menschen bis herab zur alten Bettelfrau, welche heute mehr kleine Gaben einsammelte, als an den sechs Wochentagen zumal — alle freuten sich des Daseins und hatten Theil an seinen Gütern, nur sie nicht! Ihr Mann saß trunken im Wirthshau«, ihr Kind lag begraben in ferner, ferner Erde am Rhein, wo zuletzt Lieutenant v. LeiSrink'S Regiment stationirt gewesen — daS Geld, von dem sie Brod kaufte, wie mochte es erworben sein? — Ihr gehörte 'von Allem, was daS Menschenherz beglückt, nicht ein noch so kleines Theilchen, sie war auSgestoßen vor Millionen Begünstigten. — Keinem da unten mißgönnte BaleS ka'S kummerschweres Herz seine Schätze; Keinem hätte es daS eigene Leid auf bürden wollen, um selbst minder einsam und verlassen dazu stehen; aber heiße Thränen netzten das bleiche ideale Gesichtchen und unter dem schwarzen Kleide hob sich die Brust der jungen Frau mit leidenschaftlichem Schluchzen. „Warum, ach warum Jenen Alles und mir — Nichts?" Da hörte sie im Nebenzimmer, von dem ihrigen nur durch eine dünne Wand getrennt, den neuen Mitbewohner einige Griffe auf dem Piano machen und allmählig in eine deutlich erkennbare Melodie übergehen. Erst etwas unsicher, dann aber ganz fest, und mit außerordentlich gewinnender Stimme sang der junge Mann, sich selbst begleitend, da« bekannte: „Es ist bestimmt in Gottes Rath, daß man vom Liebsten, was man hat, muß scheiden!" Wie immer die Musik, ob auch noch so mächtig in daS Gefühlsleben hineingreifend und mit verdoppelter Stärke die Wehmuth wachrufend, doch besänftigend zu wirken pflegt, so auch hier. Valeska lehnte den Kopf in die Falten der Gardine und schloß die Augen, um sich ganz dem Eindruck dieser weichen seelenvollen Klänge hinzugeben. Sie sang in Gedanken mit dem Fremden all' die Worte voll bedeutsamen Ernstes, sie fühlte sich tief erregt auf den freundlich ver heißenden Schluß: „Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen!" Noch lange, als schon der letzte Ton verhallt, saß sie stumm, ganz stumm, nicht getröstet, aber doch auch v el weniger erbittert, viel sanfter und ruhiger als zuvor, wo ihr alle Welt so glücklich geschienen, nur sie selbst verloren in jeder Beziehung. Der fröhliche junge Mann, dessen Stimme sie so oft Schelmencouplet'S und Trinklieder hatte trällern hören, mochte dies ernste Stück nur um der schönen Melodie willen gesungen haben; er kannte schwerlich schon die Bedeutung desselben; aber anders der Dichter! Die Brust, au« welcher diese Klage als Wort hervorgequollen, um da« Eigenthum einer ganzen Nation zu werden — mußte schwere Kämpfe in sich ausgestritten haben, ehe so fromme Ergebung sie beherrschen konnte! — Valeska hätte ihn kennen mögen, den Dichter, ihn fragen: „Jst's wirklich bestimmt in Gottes Rath, mußtest auch Du scheiden? Ward auch Dir Alle«, Alles geraubt?" Sie fühlte sich fast versucht, das eigene Piano zu öffnen und selbst einen Theil der mächtigen Erregung ihres Innern ausströmen zu lassen in regellosen Phantasien; nur der Ge danke, daß dem Fremden ein solches Anknüpfen oder Auf merksammachen sonderbar Vorkommen könne, hielt sie zurück.