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Dienstag. Nr. SS. 20. Mai 1873. WePerih-Mtuirg Amts-Matt fiir die Herichts-Aemter «nd Stadträttje zu Dippoldiswalde und Irauenstein. Verantwortlicher Rcdatteur: Carl Ichne in Dippoldiswalde. Dieses Blatt erscheint wöchentlich zwei Mal: Dienstags und Freitags. Zu beziehen durch alle Post - Anstalten und die Agenturen. Preis vierteljährlich 12 Ngr. 5 Pfg. Inserate, welche bei der bedeutenden Auflage des Blattes eine sehr wirksame Ver breitung finden, werden mit I Ngr. für die Spalten - Zeile berechnet. Reform -er Gewerbeordnung. Seitdem im Sommer 1869 der erste Streik in Berlin ausgebrochen ist, haben die zahlreichsten Arbeitseinstellungen in säst allen Gewerben und Handwerken stattgefunden und meist den gewünschten Erfolg gehabt. Es ist dadurch im Allgemeinen eine Aufbesserung der Löhne erzielt worden, die angesichts der zunehmenden Entwerthung des Geldes, d. h. des Theuerwerdens der nothwendigsten Lebensbedürfnisse gewiß nöthig war. Wir geben zu, daß die Massenarbeitseinstellungen dieses Ziel in außerordentlich kurzer Zeit erreicht haben, aber es ist auch nicht zu verkennen, daß grade die, vielleicht unge ahnte Schnelligkeit und Vollständigkeit ihrer Erfolge viele unter den Arbeitnehmern zu immer neuen Forderungen ver leitet, die zum Theil jedes billige Maß überschreiten und deren Ende nicht abzusehen ist. Dem gegenüber ist es nicht zu verwundern, daß in der jenigen Klasse, welche unter diesen Verhältnissen am direktesten und empfindlichsten leidet, in der Klasse der kleineren Gewerbe treibenden und Handwerksmeister, sich immermehr das Be streben geltend macht, Mittel aufzufinden, wie den stetigen Mehrforderungen der Arbeiter in wirksamer Weise zu begegnen sei. Im vorigen Jahre sollte die Errichtung von sogen. Einigungsämtern dieses Resultat erzielen, doch haben sich die daran geknüpften Erwartungen nicht erfüllt. Gegenwärtig wird eine Lösung der Frage durch eine Petition an den Reichstag erstrebt, welche unter den Handwerksmeistern circulirt und auf gesetzlichem Wege durch Abänderungen der bestehenden Gewerbeordnung Abhilfe schaffen soll. Die Petition betonte hauptsächlich folgende Forderungen: Wiedereinführung der Prüfungspflicht ver Lehrlinge nach beendeter Lehrzeit, Einführung obligatorischer Fortbildungs schulen für Lehrlinge, Regelung der Gesetzgebung über die Kranken-, Hilfs- und Sterbekassen für die Arbeiter, Einführung von Arbeitscontrolbüchern, obligatorische Einführung gewerb licher Schiedsgerichte und Errichtung von Gewerbe- und Handwerkerkammern. Namentlich an den letzten Punkt knüpft die Petition die größten Erwartungen, in dem Nichtvorhanden- sein von Gewerbekammern sieht sie geradezu die Ursache der gegenwärtigen Mißverhältnisse; „solche heillose Zustände wie sie jetzt bestehen," heißt es in den Motiven, „hätten sich gar nicht entwickeln können, denn die Errichtung von Gewerbe- und Handwerker-Kammern hätte denselben in entschiedenster Weise vorgebeugt." Wir vermögen nicht, uns diesen Anschauungen anzu schließen. Wenn die in dieser Petition ausgesprochenen Forde rungen Gesetzeskraft erlangten, so würden unsere gewerblichen Verhältnisse einen Rückschritt zu den alten Zuständen deS Gewerbezwanges machen, der erst durch so viele Kämpfe be- settigt worden ist. Die Arbeiter, namentlich in den großen Centralpunkten, machen sich die gegenwärtige starke Nachfrage zu Nutze, sie wissen, sie sind für den Augenblick unentbehrlich, und aus diesem Bewußtsein geht zum großen Theil die Schroffheit ihrer Forderungen hervor. Dem gewerblichen Spruche der Gewerbekammer würden sie sich immer nur dann fügen, wenn derselbe zu ihren Gunsten ausfiele. Erst wenn die ungeheure Anspannung der Produktion nachläßt, wenn die jetzt fast fieberhafte Unternehmungslust des Kapitals einer gründlichen Ernüchterung Platz macht, dürften solche Mittel Aussicht auf Erfolg haben und dann — möchten sie kaum noch nöthig sein. Tagesgeschichte. Dresden. Der Namenstag unseres Königs am 16. Mai wurde hier durch eine Reveille, im königl. Schlosse zu Pillnitz durch ein Familiendiner gefeiert, an dem auch Prinz und Prinzesiin Georg theilnahmen, die an demselben Tage von Wien zurückgekehrt waren. Leipzig. Da von Seiten der Stadt Leipzig beschlossen worden ist, 12 unselbstständige Gewerbsgehilfen zum Besuche der Wiener Weltausstellung mit je 75 Thlr Reisegeld auS- zustatten, so fordert die Leipziger Gewerbekammer die dasigen Gewerbsgehilfen auf, Bewerbungen bis spätestens den 31. d. M. an ihr Bureau gelangen zu lasten. Berlin. Die Abreise des Kaisers nach Wien wird erst nach dem Besuche des Schahs von Persien, der nebst 14 Prinzen und Ministern und ganzem Gefolge am 5. Juni hier eintreffen wird, erfolgen. Von Wien wird sich der Kaiser nach EmS begeben. Dort wird bereits am 1. Juni der Kaiser von Rußland eintreffen und 3—4 Wochen verweilen. — Der Kronprinz des deutschen Reiches findet mit seiner Gemahlin in Wien fortwährend die Zeichen ehrendster Aufmerksamkeit; er hat seinen Aufenthalt über die ursprünglich festgesetzte Zeit ausgedehnt und wird bis zum 20. Mai noch dort bleiben. — Als Resultat der diesmaligen Jmmatriculation an der Universität Berlin hat sich, der Spener'schen Zeitung zufolge, herausgestellt, daß der Ausfall an Studirenden diese Ostern noch weit bedeutender ist, als er im vorigen Herbste war. — DaS dem Reichstage vorgelegte Reichsmilitär gesetz enthält fünf Abschnitte in zusammen 65 Paragraphen. Beigefügt sind sehr ausführliche Motive nebst tabellarischen Uebersichten über den Bestand und die Formation des Reichs- heereS. Eigentlich neue Grundsätze betreffs der Heeres formation, der Dienstpflicht rc. enthält das Gesetz nicht (aus genommen die Formation der Artillerie), sondern nur eine gesetzliche Regelung und Feststellung dessen, was schon bisher