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Freitag. Nr. 94. 2. December 1870. Erscheint Dienstagsund Freitags. Zu beziehen durch alle Postanstalten. Wrißerttz-Zeitnng Preis pw Ouartak 10 Ngr. Inserate die spalten Zeile 8 Ptg. Amts- und Mtigt-Dlatt dcr Königlichtn Gerichts-Aemtcr und Iti-trüthc zu Dijipoldisuiatdc und /rautnstciu. ficrinlworilichcr kedgltrur^ Lari Zrlinr in Dippoldiswalde. Monats-Bericht. Der Monat October schloß mit der in der Ge schichte einzig dastehenden Capitulation von Metz, brachte diese alte deutsche Stadt nach mehr als 300- jähriger Trennung wieder zum deutschen Reich und die letzte französische Feldarmee in deutsche Hand. Am 1. Novbr. langten dieselben französischen Marschälle, welche von einem siegreichen Einzuge in Berlin geträumt hatten, als Kriegsgefangene in Cassel an. Gleichzeitig wurden von französischer Seite Waffenstillstands- nnlerhandlungen angeknüpft, allein die mehrtägigen Unterhandlungen Hierüberzwischen dem Grafen Bismarck und Hrn. Thiers waren erfolglos, weil die Franzosen die Verproviantirung von Paris forderten, was deutscher Seits selbstverständlich nicht bewilligt werden konnte. Die militärischen Operationen mußten daher ihren Fortgang nehmen. Anfangs trugen wir uns wohl mit der Hoffnung, daß es der disponibel gewordenen Armee des Prinzen Friedrich Carl ein Leichtes sein werde, die in der Eile zusammengerafften undisciplinirten Heeres- körper der Franzosen zu vernichten. Wir hatten uns mit vielen Anderen hierin getäuscht; mit ungeahnter Energie und Schnelligkeit hatten die Franzosen an der Loire eine ansehnliche Armee mit mehreren Hundert Kanonen zusammengezogen. Es gelang dieser Armee am 9. Novbr., den bairischen General v. d. Tann, welcher Orleans mit etwa 16000 Man» besetzt hielt, zu verdränge», ja sie machten sogar den Versuch, über Dreux »ach Versailles und Paris vorzudringen, wurden aber am 18 Novbr. durch den Großherzog von Mecklen burg auf der ganzen Linie zurückgeworfen, und erlitten eine Anzahl Niederlagen in Recognoscirungsgefechten. Am 28. wurden die im nördlichen Frankreich gebildeten bedeutenden Streitkräfte total geschlagen, während TagS vorher General v. Werder die unter Garibaldi's Sohn Menotti Commando stehenden Streitkräfte siegreich und mit großem Verluste schlug. An Festungen capitulirten im Laufe des November: Verdun am 8. mit 4000, Neubreisach am 11. mit 5000, Diedenhofen (Thionville) am 24. mit 4000, und La Före am 27. mit 2000 Mann Gefangenen: zusammen 15000 Mann mit ca. 500 Geschützen. Zum Schutze der Belagerungs armee vor Paris sind inzwischen der Feldmarschall Prinz Friedrich Carl im Süden und der General von Manteuffel im Norden vorgerückt. Letzterer hat am 28. Amiens besetzt, und die französ. Nordarmee scheint vernichtet zu sein. Die neuesten Nachrichten (s. u.) melden denn auch, daß man bereits im Süden ebenfalls begonnen hat, aufzuräumen: der größte Theil der Loire-Armee ist vom Prinzen Friedrich Carl am 28. Novbr. geschla gen worden, und damit ist für das belagerte Paris die letzte Aussicht auf Entsatz abgeschnitten. Die in Paris organisirten Streitkräfte haben am 28. und 29. Novbr. einige Ausfälle gemacht, die glücklich abge schlagen wurden. Der Hunger scheint in Paris doch schon sehr bedenklich zu wirken und General Trochu hat sich genöthigt gesehen, den Vorposten das Frater- nisiren mit den deutschen Truppen zu untersagen. Zweifelsohne kann in den nächsten 14 Tagen der Capitulation von Paris entgegengesehen werden. Man erwartet dies sogar schon bis 5. Decbr. Während der kriegerischen Actionen gingen im Hauptquartiere zu Versailles die Verhandlungen über die deutsche Verfassungsfrage ihren ruhigen Gang. Nach jedenfalls sehr mühevollen Verhandlungen ist es gelungen, mit sämmtlichen süddeutschen Regie rungen ein Abkommen über ihren Eintritt in den nun mehr deutschen Bund zum Abschlüsse zu bringen, welche Vereinbarungen dem gegenwärtig versammelten Reichstage zur Genehmigung vorliegen. Mag das Erreichte vielleicht nicht allen Wünschen genügen, die Hauptsache ist doch erreicht. Deutschland ist fortan für den Kriegsfall unter dem Oberbefehl des Königs von Preußen militärisch geeinigt und hiermit die wesent lichste Bedingung aller nationalen Existenz, — Schutz und Sicherheit nach außen — erzielt. Deutschland hat ferner ein gemeinsames Parlament, durch welches die Stimme der gesammten Nation zum Ausdrucke gelangen kann und diejenigen Einrichtungen getroffen und Gesetze geschaffen werden können, welche daö Inter esse der gesammten Nation erheischt. Die Bundes regierungen und der Reichstag haben nun die Aufgabe, das neugebaute Haus wohnlich etnzurichten und zu verschönern. Daß dies nur im nationalen Sinne geschehen wird und muß, dafür ist uns nicht bange, denn jede rückläufige Bewegung wäre der Untergang des Vaterlandes. An der Lebensfähigkeit der deutschen Nation etwa zu verzweifeln, dazu ist jetzt wahrlich kein Grund vorhanden. Werfen wir zum Schlüsse noch einen Blick auf die übrigen Staaten Europa'«, so war eS die Seiten Rußlands in der Mitte des Monats erfolgte Kündigung des '-pariser Vertrages von 1856, welche eine Zeit lang die Cabinete und die Presse sehr lebhaft beschäftigte. Am Schlüsse des Monats wurde von preußischer Seite die Ordnung dieser Angelegenheit auf einem in London abzuhaltenden Congresse vorgeschlagen, und es scheint, als wenn dieser Vorschlag Annahme finden sollte. Spanien hat sich endlich in der Person des Herzogs von Aosta einen König gewählt.