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Freitag. Ztr. 14. 18. Februar 1870. UWeißerih-Zeitung.M ostanstalten. 8 Pfg. Amts - und Mtigt-Dlatt der Königlichen Gerichts-Ämter und Stadträthc zu Dippoldiswalde und /raueusteiu. Vkrsntwortlicher vedacleur: Lart Lehne in Sippoldismalde. Die Adreßdebatte in den bairischen Kammern. Mit Spannung blickt Deutschland, ja Europa, auf die jüngsten Vorgänge in der Ständeversammlung Baierns, nicht etwa deshalb, weil dieses Königreich von wesentlichem Ein flüsse sein könnte auf die Geschicke unseres gemeinsamen Vater landes oder gar des Kontinents, nein nur deshalb, weil — wie Fürst Hohenlohe in seiner Rede vom 5. Februar sehr treffend bemerkte — der dort seit Anfang dieses Monats ent brannte Kampf nur einen Theil bildet des Kampfes, der zur Zeit die Welt bewegt. Es ist der Streit der beiden An schauungen, deren eine den modernen Rechtsstaat und die be gonnene freiheitliche Entwickelung der Gegenwart erhalten wißen will, während die andere, indem sie sich auf den Absolutis mus und die Kirche stützt, auf dieser Grundlage alle unsere staatlichen Einrichtungen neu begründen möchte; es ist der Kampf der freiwillig-nationalen und der absolutistisch-klerikalen Parthei. Bekanntlich ist es bei den letzten Wahlen in Baiern, namentlich unter klerikalem Einflüsse, gelungen, der absoluti stisch gesinnten Parthei die Mehrheit in der Versammlung zu verschaffen. „Die Wahl," sagt der Exprofessor Dr. Sepp, einer der Neugewählten, „war ein Gewitter; wir sind also Donnerskinder, und am Donnern wollen wir's auch nicht fehlen laßen." Aber gegen wen donnern sie denn, gegen wen sucht sich die in gewaltige Spannung gcrathene politische Electricität zu entladen? — Unsere Leser wißen, daß bereits 1866 Baiern mit Preußen einen Allianzvertrag geschloßen, des Inhalts: daß beide Staaten sich gegenseitig die Unver letzbarkeit ihres Gebietes garantiren und sich verpflichten, im Falle eines Krieges ihre volle Kriegsmacht einander zur Ver fügung zu stellen; ferner, daß in einem solchen Falle der König von Baiern den Oberbefehl dem König von Preußen überträgt. — Diese Verträge sind der sogenannten patriotischen Parthei, wie sie sich nennt, stets ein Dorn im Auge ge wesen, und sie hat nur auf eine Gelegenheit gespannt, um ihr Gift darüber los zu werden. An Zeitungsartikeln, voll der gemeinsten und albernsten Schmähungen und Verdächtigungen gegen Preußen und Die, welche es mit der Aufrechterhaltung der geschloßenen Verträge ehrlich meinten, hat es die ultra montane Parthei nie fehlen laßen, jetzt hat sie sich nun auch noch den Ständesaal erobert, und nun, meint sie, kann es ihr nicht fehlen. Sich unmittelbar an die Person des Mo narchen oder an die ganze Regierung zu machen, wagt die Parthei denn doch nicht, sie hat deshalb zum Zielpunkte ihrer Angriffe den Mann ausersehen, der bisher an der Spitze des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten gestanden, Fürst Hohenlohe, von dem bekannt ist, daß er redlich bestrebt ist, nicht nur die geschloßenen Allianzverträge mit Preußen redlich zu halten, sondern auch eine innigere nationale Verbindung mit dem Norddeutschen Bunde herbeizusühren. Gegen einen Eintritt Baierns in den Norddeutschen Bund hat sich Fürst Hohenlohe wiederholt erklärt; aber gewiße Angelegenheiten einer gemeinsamen Behandlung zu unterstellen, bei welcher Baiern ebenso viel Rechte beansprucht und eine ebenso entschei dende Stimme führt, als jeder andere Staat, das ist seist entschiedenes Bestreben gewesen. Gegen diesen Mann die volle Schale ihres altbairischen patriotischen Eifers zu ent leeren, ihn hinzustellen als Einen, der Baiern ins Verderben führe, das ist es, was sich die sogenannte patriotische Parthei zur Aufgabe erkoren hat. Die von der Reichsrathskammer bereits beschloßene Adresse, entworfen von dem ehemaligen sächs. Oberhosprediger, jetzigen Consistorial - Präsidenten von Harleß, spricht denn nun auch ein offenes Mißtrauensvotum gegen den Fürsten Hohenlohe aus und verlangt von der Re gierung, sich mit Männern zu umgeben, welche das Vertrauen des Volkes besäßen. Wer hat denn dem Fürsten Hohenlohe das Vertrauen des Volkes entzogen, wenn es nicht jene, die klerikale Parthei durch ihre lügenhaften Ausstreuungen in allen möglichen Blättern und Blättchen erst gethan hat? Was be kümmert sich denn eine bairische Landbevölkerung um den Fürsten Hohenlohe und um seine politische Thätigkeit? Freilich, wenn dem Landvolke von dem Herrn Pfarrer vorgepredigt wird, Hohenlohe wolle sie katholisch machen, er wolle ihnen ihren König nehmen und ihnen den König von Preußen geben, die Kunstschätze von München sollten nach Berlin geliefert werden und was dergleichen alberne Erfindungen mehr sind, dann ist es kein Wunder, wenn Alles schreit: Kreuzige ihn! Und dann heißt es: Wir wollen Männer haben, die das Vertrauen des Volkes besitzen. Zwar hat in der Abgeordnetenkammer eine Minorität eine besondere Adreße vorgeschlagen, in welcher „eine enge nationale Vereinigung der süddeutschen Staaten mit dem Norden gefordert wird; aber es ist nicht zweifelhaft, daß auch hier die Adreße der Majorität, die dasselbe Miß trauen gegen Hohenlohe ausspricht, durchgehen wird. Wie verhält sich nun aber der König diesen Kundgebungen gegenüber? Ganz und gar nicht zur Zufriedenheit der kleri kalen Parthei. Er, den man von gewißen Seiten für „re- gierungsunsähig" gehalten, von dem man fürchtete, daß er allen möglichen Einflüsterungen zugänglich sein werde, Hal eine Selbstständigkeit entwickelt, die wahrhaft überrascht hat. Bei der Abstimmung in der Reichsrathskammer hatten 12 Reichsraths mitglieder, unter ihnen Herzog Karl Theodor, gegen die Ad reße gestimmt; die andern, auch die königlichen Prinzen Luitpold und dessen Söhne Ludwig und Leopold, auch des Königs Bruder Otto, dafür. Am andern Tage fand eine Tafel beim Könige im Wintergarten statt, zu welcher sämmt- liche Reichsrathsmitglieder, die gegen die Adreße gestimmt hatten, geladen, alle übrigen aber ausgeschlossen waren; ja, man behauptet sogar, es seien die erstgenannten drei Prinzen bedeutet worden, daß sie bis aus Weiteres vom Besuche des Hofes dispensirt seien, welcher Konflikt indeß durch die Be mühungen des Fürsten Hohenlohe und die eigene Versöhnlich-