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mit der Zeit fortgegangen, daß sie Fortschritte gemacht hat, was man von der Kirche in vem Maaße nicht sagen kann; daß vie „Tochter" nicht mehr in den Kinderschuhen einher geht, sondern daß sie die Jahre der Mündigkeit erreicht hat und unablässig strebt, zu immer höherer Vollkommenheit zu gelangen. Daß man sich aber in den Jahren der Mündigkeit nicht mehr am Gängelbande leiten lasten, sondern selbständig seinen Weg gehen, seine Angelegenheiten selbst ordnen und ausführen will, ist ein ganz natürliches, wohlberechtigtes Verlangen. Sollte es allein bei der Schule kein solches sein? Sollte sie nicht vielmehr Lob verdienen, daß sie auf eignen Füßen stehen, ihr Werk selbst ordnen und sich nicht von Solchen darein reden lassen will, die die Schule höchstens als einen Durchgangsposten, als eine mühselige, saure Station zu dem ersehnten Hasen des geistlichen Amtes betrachten und be nutzen ? — Tie Kirche indeß erkennt dieses Verlangen der Schule nicht an; diese soll ihre gehorsame Dienerin bleiben, wie bisher; sie nennt es Undankbarkeit, Ueberhebung, wenn die „Tochter" daran denkt, den eigenen Hausstand, den sie sich längst ge gründet, nun auch nach ihrer eigenen Erfahrung zu verwalten. Aber die Schule denkt trotz alledem daran, hat schon lange daran gedacht und wird daran denken und dafür ar beiten, daß sie selbständig und der geistlichen Aufsicht und Führung enthoben werde. Dieses Streben und nichts Anderes ist es, was man „Emancipation der Schule von der Kirche" nennt. Der Ausdruck ist, das muß mau zugeben, nicht sehr glücklich gewählt; er hat zu manchem Mißverständnis; Veranlassung gegeben; aber da, wie schon oben bemerkt, bei einer der Mitwirkung der Gemeinde entbehrenden Verfassung der Kirche die Geistlichen die Kirche repräsentiren, ist die Bezeichnung nichtsdestoweniger treffend. Will denn aber die Schule deshalb in Ungebundenheit, ohne alle Aussicht ihr Werk treiben? Mit nichten — sie verlangt eine ernste, sachkundige Aussicht und Führung von Männern, die sich ihr ganz und gar widmen, die wo möglich in der Schule aufgewachsen sind, hier in unmittelbarer Tätig keit einen Schatz von Erfahrungen gesammelt, an den Leiden und Freuden, an den Mühen und Erfolgen des Volksschul lehrers selbst theilgenommen haben. Das will die Schule, und sie weiß sehr wohl, daß sie dadurch nicht eine Verringe rung ihrer Mühe und Arbeit, im Gegentheil eine Erhöhung derselben erstrebt; aber es ist ihr das eine Freude, sie ist sich ihres Zieles, ihrer Aufgabe bewußt und hofft, unter sachverständiger Führung und Aufsicht derselben vollkommener und freudiger genügen zu können. Die Frage, „ob es denn nicht auch Geistliche gebe, die mit der nöthigen Sachkenntniß und Liebe zu Schule und Lehrer Führung und Beaufsichtigung der Lehrerlhätigkeit über nehmen könnten?" ist eine völlig müssige. Warum soll es deren nicht geben? Warum sollen nicht auch Geistliche, die vorher Lehrer gewesen sind, die nöthige Fähigkeit zu solcher Führung besitzen? Ein denkender Lehrer wird so anmaßend nie sein, ihnen dieselbe von vornherein absprechen zu wollen. Aber möge man doch nur begreifen lernen, daß die theolo gische Bildung nicht auch nothwendig die pädagogische Be fähigung in sich schließt; wolle mau nur endlich so gerecht sein, zu gestehen, daß die Pädagogik sich im Lause der Zeit ebenso gut zu einer Wissenschaft und zu einer Kunst gestaltet hat, die erlernt sein wollen, wie alle anderen Künste und Wissenschaften, und die man um so bester erlernen wird, je mehr Naturanlage dazu vorhanden ist, die aber nicht Jedem beschert ist; gebe man doch endlich also zu, daß nicht Jeder, der Geistlicher ist, deshalb auch zugleich Lehrer der Jugend sein oder einen Schulorganismus ersprießlich leiten könne. Es kann hier nicht unsere Absicht sein, diese Frage weitläufig zu erörtern; wir sind des Verständnisses jedes denkenden Lesers gewiß. Dennoch mag die Kirche, d. h. die Geistlichkeit, das bisher behauptete Aussichtsrecht über die Schule uicht missen, und leider wird sie in ihrer Opposition gegen alle Emanci- pationsbestrebungen von einem Theile der Lehrerschaft selbst bestärkt; denn einestheils wird es immer Leute geben, die sich commandiren lassen, anderntheils solche, die der Gewohn heit oder andern, vielleicht sehr ehrenwerthen Gesinnungen zu Liebe es verlernt haben, sich auf einen freien, principiellen Standpunkt (durch welchen übrigens die erwähnten ehren werthen Gesinnungen in keiner Weise irritirt werden sollen) zu stellen. So wogt der Kampf nun schon (seit Jahren h u uud her, und daß er von der sich bedroht wähnenden geistlichen Parthei nicht immer auf objective, ruhige Weise gesührt wird, sondern daß den für Emancipation Kämpfenden Feindschaft gegen das Evangelium, „Religionslosigkeit" vorgeworfen und schließlich mit dem Zusammenstürze der Kirche und allen Greueln gedroht wird, ist Demjenigen nichts Neues, der sich mit dieser Frage ,aus Zeitungen" und öffentlichen Vor trägen, wie sich's gebührt, vertraut gemacht hat. Wie schon erwähnt, will die Schule, die der geistlichen Bevormundung enthoben zu werden wünscht, deswegen nicht ohne Aussicht sein. Da aber die von ihr begehrten Schul- inspectoren Pädagogen und keine Geistlichen sein sollen, so prophezeiht man von dieser Seite, wenn die neue Einrichtung durchgehe, Beseitigung des Religionsunterrichts, Einführung einer Nalurreligion rc. Die rationelle, d. b. die vernünftige, auf die Erkenntniß der kindlichen Natur gegründete Pädagogik wird freilich, ein gedenk des apostolischen Grundsatzes: „Ich hätte euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen," nicht so anmaßend sein, nur den Versuch zu wagen, den vollen Inhalt des kirchlichen Lehrbegriffs den Schülern der Volks schule zur Erkenntniß zu bringen; sie wird mit den Grund lehren genug zu thun haben und der Kirche für spätere Unter weisung genug überlassen müssen; aber sie wird sich vollständig über diesen scheinbaren Mangel trösten, da es ihr ja nicht sowohl aus die Lehrsätze, als vielmehr auf ciu christliches Leben ankommt. Dieses Streben der rationellen Pädagogik, das vielmehr als ein religionssreundliches sich darstellt, wissen die Gegner der Emancipations-Bestrebungen geschickt in das Gegentheil zu verkehren, es als den geraden Weg zur Religionslosigkeit zu bezeichnen und eS als ein Schreckbild allen Tenen vorzuhalten, die nicht gewohnt sind, den Schein von dem Wesen zu unterscheiden. Wir stellen auf diese Verdächtigungen nur die Frage: „Besteht denn die Kirche wirklich blos aus Geistlichen? Sind denn nicht alle Aeltern, sind denn die gewünschten pädagogischen Jnspectoren nicht auch Glieder der Kirche; werden sie denn nicht eben so gut von der höchsten Obrigkeit verpflichtet werden, keine Irrlehren zu dulden; haben sie und die Lehrer selbst denn kein Gewissen, und meinen denn die Geistlichen, die Kirche halte blos so lange zusammen, als sie eine Glaubenspolizei ausüben? — Wenn dem so wäre, dann stände es wahrlich traurig mit der Kirche. Ferner wird von der Geistlichkeit, um der Befreiung der Schule von ihrer Specialaufsicht entgegenzuarbeiten, die Entstehung konfessionsloser Schulen (d. h. solcher Schulen, in denen ein den Bekennern aller christlichen Confessionen angepaßter Religionsunterricht ertheilt wird) als eine unaus bleibliche Folge jeder Emaucipationsbestrebung hingestellt. In Sachsen ist wenigstens von der Gründung solcher Schulen noch keine Rede gewesen; es ist dieses Verlangen blos da laut geworden, wo sich der Confessionalismus auf eine schroffe, unduldsame Weise geltend gemacht hat. Dort hat man, um die Jugend nicht schon in der Schule mit dem ärgerlichen Zwiste der Confessionen zu behelligen, das