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/reitag. 72 14. September 1860. MWeißeritz-Zeitnng.M Ms- «,» Mchk-Ml der M-Iichw Vkrichls-Imter m» Ztadträthc z« Dippoldiswalde, MaeaM und Illeaderg. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Ehre den Handwerkern. Der Entwurf einer Gewerbeordnung, der vor mehreren Jahren von der Sächsischen Slaatsregierung veröffentlicht wurde, machte den Versuch» eineUeber- gangSperiode von dem Zunftzwang zur Ge werbefreibeit zu bilden, fand aber bei allen In nungen so wenig Anklang, daß wohl keine sein wird, die nicht ihre Bedenken in einer Vorstellung kund gegeben hätte. Wenn wir recht unterrichtet sind, so waren diese Bedenken gegen die etwa vorkommenden Bestimmungen, die daS Bisherige im Sinne der Gewerbefreiheit abänderten, gerichtet; nur der Ge- werbverein in Roßwein sprach sich für die Gewerb- freiheit auS — eine Erscheinung, die nicht geringe Sensation machte und jetzt noch von mehreren Ver- tbeidigern der Gewerbfreiheit auSgebeutel wird. Der neue Entwurf eines GewerbgesetzeS, der den Zwischendeputationen zur Berathung für den nächsten Landtag vorgelegt worden ist, kennt keinen Uebergang, sondern führt ohne Weiteres auS dem Zunftzwang in die Gewerbfreiheit — soweit sie daS Gesetz nicht beschränkt. Vor wenig Jahren hatte das Wort „Gewerbfreiheit" schon einen so schrecklichen Klang für die Innungen, daß der Stich der Tarantel darüber zur Mythe werden konnte. Und jetzt — wo kurz vorher ein Entwurf, der nur wenig an dem Zunftrecht änderte, alle JnnungSfedern in Bewegung setzte — wird daS Gesetz der Gewerbfreiheit ruhig hingenommen, ja die Presse in den Provinzialstädten, welche früher das Wort „Gewerbfreiheit" nicht drucken wollte, weil sie fürchtete, ihre Abonnenten einzubüßen, begrüßt mit Freude die neue Gewerbfreiheit und kann nicht Lob genug dafür finden. Alle Beweise, die stärksten und dringendsten Gründe, die erwiesensten Wahrheiten wurden verhöhn», da sich, um mit einem alten Zunftmeister zu reden, die Ansicht festgesetzt hatte, daß, wenn die Juden emanzipirt, den Handwerkern daS eine, und wenn die Gewerbfreiheit eingeführt werde, ihnen daS andere Ohr abgehauen würde. Bei der allgemeinen Ver- speisung von Judenfleisch war die Gewerbfreiheit ein leckeres Dessert. Man hat ganz andere Herren als die Handwerker für noch erbärmlichere Rechte als den Zunftzwang aus der alten guten Zeit in den Kampf gehen sehen, und man würde den Meistern gewiß Manches nachsehen. Wer sollte deswegen mit Steinen auf sie werfen! Wenn die Früchte am Baume deS Zeitalters reif sind, fallen sie, wie die Aepfel von den Winden deS heurigen JahreS, von selbst auf die Nase. ES zeigt von einem nicht geringen Bildungsgrad der Handwerker, daß sie den Entwurf nicht bekämpfen, sondern von der Nothwendigkeit, ihn als Gesetz zur Geltung zu bringen, sich zu überzeugen suchen. Sie haben sich von dem alten Zunftzopf, der in der Ab grenzung der Gewerbe seine längste Spitze erhalten halte, loSzusagen beschlossen, und thun daran in Erinnerung der vielfach unnöthig vergeudeten Kosten und Zeit sehr wohl. WaS hilft eS dem Tischler, wenn den Zimmermeistern die Arbeitöbefugnisse dahin be schränkt werben, baß sie sich der Anfertigung aller geleimten, durch Schlitz und Zapfen verbundenen, oder mit eingeschobenen Leisten versehenen und mit Zinken geschloffenen Holzarbeiten zu enthalten haben? Man lacht jetzt über solche, oft Jahrelang sich ausspinnende Prozesse. DaS „Bremer Handelsblatt" erzählt eine sehr ergötzliche Geschichte von einem Streite in Kopenhagen zwischen den Kuchenbäckern, den ge wöhnlichen Bäckern und den Conbitoren, denen sich als vierte Parthri noch die Gewürzkrämer, anderwärts Funfzehner genannt, beimengte. Der Streit datirte vom Jahre 1653, als die Kuchenbäcker mit dem schwankenden RechlSbegriff: ,,Pfefferkuchen und der gleichen zu machen", von den Bäckern getrennt wurden. Die Richter waren wegen der Entscheidung in nicht geringer Verlegenheit, da aber doch entschieden werden mußte und sich in den Gesetzbüchern kein Anhalt fand, wurde diese wichtige Fehde in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts durch folgende Abgrenzung ent schieden: Zum Reiche der Kuchenbäcker gehört, mit auSschließenbem Rechte, alles Backwerk mit Puder zucker, Syrup, Honig, Mehl und Butter, ferner Butterteigkuchen, Kuchen mit Eingemachtem, Kranz kuchen und Zuckerbrodkuchen; dagegen haben sie EiS, Gelee und Creme den Conditoren zu überlassen! Nach Ueberwindung der Conditoren legten die Kuchenbäcker ihre siegreiche Lanze gegen die Bäcker ein und ent rissen ihnen die Aepfelkuchen, Königringel und Pfeffer nüsse; nur alle Brodsorten, „die mit Säure oder Gest zubereitet werden", blieben den Bäckern, und großmüthig ward ihnen auch daS Bestreuen mit Zucker und ein Zusatz von Gewürz gestattet. — Mit solchen Affairen machen sich dir Handwerker in Kopenhagen lächerlich und sind ein abschreckendes Beispiel für ihre Erzfeinde in Deutschland. ES ist gebührend zu würdigen, wenn die Hand werker einsehen, daß die Forischrltte der Industrie vor einem längst drückend uud sinnlos geworbenen Rechte Halt machen können, und daß die von der Regierung aus sehr triftigen Gründen vielfach ertheilten Concessionen „zum fabrikmäßigen Betriebe" schon