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Dienstag. 63. 14. August 1860. Erscheint . Preis MWeißerch-Zeüung.W anstalten. ' . P^S> Amts- md Innige-Ml der Königlichen Gcrichls-Ikmler md Ilndlrälhe M KipPNldiswaldc, /rancnftcin md Allenberg. Verantwortlicher Redactcur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Der deutsche Nationalverein. 1. Artikel. Der in der Uebcrschrift genannte Verein wird seil kurzer Zeit so ost in den öffentlichen Blättern genannt und ist eine so bedeutungsvolle Zeiterscheinung, daß unsere Leser viclleichr einige Worte zum Verständniß seiner Be strebungen nicht ungern durchlcsen. Wir wissen von der Schule her noch, daß das deutsche Volk schon vor Christus in der Geschichte handelnd auf tritt, daß cS zwar in verschiedene, aber durch Sprachein heit, Religion, Wissenschaft, Sitten, Gebräuche und Gesetzt und sonstige Interessen zusammengehaltene Stämme zerfiel, die sich später, durch ihre Fürsten, ein eigenes Oberhaupt wählten, das sich den Titel römischer Kaiser und deutscher König beilegte. Nachdem die Deutschen seit dem Jahre SIt alle Verbindung mit der fränkischen Monarchie, Karls des Großen und seiner Nachkommen, aufgegeben hatten, traten sie unter ihren Wahlkönigen bald als mehr, bald weniger bewußtes Ganze im Aeußern wie Innern auf. TheilS suchten sie ihren Thatendurst in auswärtigen Eroberungen, theilS in Befehdungen der Fürsten, Städte und Vasallen unter sich, zu befriedigen. Besonders beschäftigte sie auch der Kampf um das kirchliche Verfassungsleben. Allerhand gemeinsame Einrichtungen, bald von kürzerer, bald von längerer Dauer, wurden getroffen. Und wenn auch das Band, welches die Fürsten und Stämme um das gemein same Oberhaupt, den selbstgewähltcn König, schaarte, oft genug so locker war, daß eS kaum noch gefühlt und wahr genommen wurde, so konnte es doch nicht ganz zerrissen werden. Einzelne Herrscherfamilien, von denen hauptsächlich die habsburgische (jetzt österreichische) und bohenzollernsche (jetzt preußische) zu nennen sind, hatten nach und nach ihr Familienerbe theils auf Unkosten des Reichs, theilS durch andere Eroberungen und Erwerbungen, so zu ver größern gewußt, daß sie sich auch außer dem deutschen Reichs- verhande sicher fühlten und ihr Interesse im Bunde mit dem, deutscher Einheit feindlich gesinnten AuSlande, wie z. B. Frankreich, am besten gefördert wähnten. Als sich Deutschland in einem solchen Zustand be fand, machte Frankreich seine Revolution, welche Napoleon emporhob, der dann sein Augenmerk auf dieses, durch Un- einigkeit seiner Fürsten zerfallene Wahlreich, als Gegenstand der Eroberung, richtete, die letzteren durch Versprechungen, Einschüchterungen und Siege zum Abfall vom gemeinsamen Band durch Stiftung des Rheinbundes vom 12. Juli 1806 bewog; worauf denn am 6. August I80V das alte deutsche Reich sein Ende förmlich erreichte, als Franz II. die römische Kaiserwürde niederlegte. Derselbe Mann jedoch, welcher vom Geschick bestimmt schien, das Band der deutschen Einheit gänzlich zu zer- schneiden, war es auch, der gegen seinen Willen den Ge danken dieser Einheit wieder in einen, von Einheit zeugenden Thatendurst verwandelte. Der Druck, den er auf die deutschen Stämme und ihre Herrscher-Familien ausübte, war bald so unerträglich, daß sich die am meisten gedrückten, im Bündniß mit dem fianzosenfeindlichen Ausland, zu dem Entschluß, das Joch abzuwerfen, ermannten, welches denn auch durch die Schlacht bei Leipzig den 16., 18., IS. Oelbr. 1813 geschah und durch die Schlacht bei Waterloo am 15. Juni 1815, sowie durch den zweiten Pariser Frieden vom 20. Novbr. des selben Jahres, vollendet ward. Der Gang dieser geschichtlichen Entwickelung hatte nun den Deutschen wieder klar gemacht, daß der einzelne Stamm und sein Herrscher, welcher eigensüchtig und getrennt vom Ganzen, im Bund mit dem feindlichen Ausland, nur auf seinen Nutzen und Vortheil bedacht ist, nicht nur dem Ganzen schadet, sondern sich auch selbst die Grube gräbt, und daß Deutschland, wenn es im Innern einig ist, nach Außen mächtig auftreten und es mit einer gewaltigen Macht ausnehmen kann. Man hätte denken sollen, diese ernsthaften Erfahrungen würden dazu geführt haben, daß man die allzu locker ge wesene und deshalb zerrissene Reichsverfassung wieder auf gerichtet und in angemessener Weise verbessert hätte. Dies war leider nicht der Fall, denn jeder der Rhein- bundssürsten wollte, statt in die für ein Joch angesehene, zu verbessernde Reichsverfassung mit Land und Leuten zu rückzukehren, selbst den ganz unabhängigen Souverän spielen. So kam es denn, vermöge der Bundesaete vom 8. Juni 1815, nur zu einem deutschen Bund, der sich, wie bekannt, in Frankfurt versammelte und durch die Ab geordneten der deutschen Fürsten am 5. Novbr. 1816 seine, für das Gesawmtvaterland mehr Nachtheil als Vortheil bringende Laufbahn eröffnete. Darin ward wörtlich und tatsächlich anerkannt, daß an Stelle des deutschen Reiches, ein Deutschland treten solle, dessen Fürsten übrigens gegenseitig selbstständig und unabhängig, sich jedoch zur Bewahrung der Unabhängig keit und Unverletzbarkeit ihrer im Bund begriffenen Staaten und zur Erhaltung der innern und äußern Sicherheit Deutschlands verpflichteten. Uebcr diesen Bund, namentlich aber über seine Wirk samkeit, oder vielmehr und hauptsächlich über seine Un tätigkeit, find mit Recht sehr harte Urtheile gefällt worden; allein ein Verdienst, nehmlich da- unverschuldete, oie Idee der politischen Einheit Deutschlands vor dem förmlichen und radiealen Untergang bewahrt zu haben, muß man ihm lassen.