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Dienstag. 43. 5. Juni 1860. Erscheint Dienstags unh Freitag«. Zu beziehen durch alle Post« anstalten. Weißerih-Zeitung. Preis PN» Quartal 10 Ngr. Inserate die Spalten «Zeile 8Psg. Amts- und Anzeige-Klatt der Königlichen Gerichts-Aemter nud Stadträthe zn Dippoldiswalde, /ranenstein and Altenberg. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Deutschlands gegenwärtige Lage und was es zu thun hat. Bis vor einem Jahre hatten wir uns gewöhnen müssen, den Gedanken an eine Wiederherstellung des deutschen Reiches in zeitgemäßer Form, als unerreichbaren und überflüssigen Wunsch auS dem Gedankenkreise und der Unterhaltung zu verbannen. Wirklich schien es auch, als ob ein deutsches Reich nicht gebraucht werde, denn der, Europa am Gängelband führende Kaiser Napoleon hatte sich zum Friedensapostel auSgerufen, so daß man glaubte, er wolle nur eine ruhige, geschichtliche Entwickelung des Völkerlebens, im Gefolge des von ihm beherrschten Frankreich. Zum Entsetzen Aller zeigt sich jedoch auf einmal auS dem Schafskleide heraus die WolfSnatur, welche bemüht ist, Unfrieden unter Herrschern und Unterthanen zu säen, um dann für sich Vorthril durch Vergrößerung daraus zu ziehen. Die Beispiele liegen vor. Es ist unzweifelhaft, daß er, im Einverständniß mit Rußland, nicht nur Italien und die Türkei, sondern auch Deutschland in das Bereich seiner Vergrößerungsgelüste zu ziehen gedenkt. Sein Heer ist schlagfertig, mächtige Verbündete, die eben so wie er das Ziel eigensüchtiger Vergrößerung verfolgen, stehen ihm zur Seite, und Deutschland, das, wenn es einig wäre, auch dem mächligsten Gegner furchtlos gegenüber stehen könnte, steht trotz seiner unermeßlichen Kräfte IhatcnloS, in sich uneinig und ohne zuverlässige Verbündete da. Die Güter, die uns der fränkische Eroberer bringen wird, lassen sich schon vorläufig bei einem kurzen Rück blicke in die Vergangenheit übersehen. Sie bestehen l) in Unfrieden, 2) Unterdrückung jeder freien Meinung in Wort und Schrift, 3) der Oberherrschaft französischer Ideen und Sitten, 4) Raub und Plünderung, 5) Dar- nicdcrliegen der Gewerbe und des Handels, v) Verhöh nung der Sittlichkeit, des Rechtes und der Religion. Alles, was die deutschen Stämme Heiliges und Ehrwürdiges haben, steht auf dem Spiele. Schon jetzt predigt er: daß jeder Regent über sein Land mit Unterthanen nach Gutdünken verfügen und dasselbe an wen er will, verkaufen, vertauschen und ver schenken könne, ohne daß ihm hieran Jemand hinderlich sein dürfe, und hat diesen Grundsatz mit dem König von Sardinien in Gemeinschaft bei Savoyen und Nizza zur Anwendung gebracht. ES ist nicht zu bezweifeln, daß Napoleon für diesen seinen Grundsatz auch Bundesgenossen unter den deutschen Regenten gesucht habe und noch suche, wenn gleich der Erfolg zweifelhaft sein mag. Unter so drohenden Umständen hat der Gedanke an ein einigeres Deutschland, an ein deutsches Reich eine Bedeutung gewonnen, die er 1848 noch nicht hatte, weil er damals wehr auS dem Volksbewußtsein hervorging, während er sich jetzt auch den Herrschern zu empfehlen und durch die Gewalt der Thatsachen seine Verwirklichung zu erzwingen verspricht. Wer die Lage des aus 38 souveränen Staaten (Oesterreich und Preußen mit seinen Zubehörungen ringe- rechnet) bestehenden Deutschland, wo jeder sein besonderes Heer, seine besonderen Gesandten hat, seine besondere Gesetzgebung, zwei so mächtigen Gegnern, wie Frankreich und Rußland, gegenüber, mit ihren Verbündeten in Er wägung zieht, der muß bei dem Gedanken an die Selbst ständigkeit und Uneinigkeit einer so großen Zahl, bei der Nichtswürdigkeit der französischen und russischen Politik, bei der Schlagfertigkeit und Eroberungslust beider Mächte das Aeußerste fürchten. Und leider streiten sich Oesterreich und Preußen am Sitz des Bundestages nicht nur um die Obergewalt, son dern es herrscht selbst unter den deutschen Stämmen deS Südens und Nordens eine gereizte Stimmung, und unter diesen bewegen sich wieder die Gegensätze der Katholiken und Protestanten, der Constitutionellen und Reaetionären, der Demokraten und Aristokraten. Eine Partei wünscht, daß Preußen ein kleines Deutschland zu Stande zu bringen versuche, und arbeitet ihm in die Hände, ein anderer Theil will wieder ein großes Deutschland, mit Einschluß von Oesterreich. Mitten unter diesen auS einander gehenden Ansichten werde» am Sitze des Bundes die Frage der churhesstschen Verfassung, die Angelegenheit Schleswig-Holsteins, die Be festigung der nördlichen Seeküste, der Anführerschaft der BundeStrnppen im Kriegsfall, ohne Aussicht aus Einigung und Erfolg, verhandelt. Für Deutschlands Feinde kann es keinen einladen deren Zustand zu Eroberungen geben. Ihnen gegenüber kann uns Kleindeutschland nicht retten, sondern nur in eine verzweifelte Lage bringen. Wie soll es zu Stande gebracht werden, bei dem Widerwillen, der sich unter den Stämmen und Herrschern seiner künftigen Zubehörungen gegen diesen Gedanken offenbart? Der Beisuch seiner Construction zeigt das größte Zerwürfniß und Revolution im Gefolge. Und das gerade sind die Zustände, welche Rußland und Frankreich uns wünschen, nm ihre selbstsüchtigen Interessen innerhalb und außerhalb Deutschlands zu be friedigen Davon abgesehen, würde uns mit Kleindeutschland ein unschätzbares Juwel, das in den österreichisch-deutschen Zubehörungen mit 3572 dlMeilen und l l,788,300 Ein wohnern besteht, verloren gehen, und uns überdieß der