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Freitag. ^§61. 6. August 1858. Erscheint Dienstag« und Freitag«. Zu beziehen durch alle Post anstalten. Weißeritz-Zeitüng Preis pro Quartal kV Ngr. Zisserate die ^Spalten-Zeile t S.Psg. Amts- und Anzeige-Mt der Königlichen Gerichtsäwter und Stadträthe zu Dippoldiswalde, /rauenkcin und Altenberg. , Dcrantwortlichcr Rcdactcur: Carl Jehne iu Dippoldiswalde. Die neuesten Wirren im Orient. Als beim Abschluß des Pariser Friedens die Türkei als gleichberechtigter Staat zu den übrigen Staaten Europa s trat, als die Türkei ein Mitglied dcS „europäischen ConcertS" wurde, da sagte man: nun müsse die Ruhe und ein „ewiger Friede" kommen. Die Ruhe scheint aber nur von kurzer Dauer zu sein; denn einstweilen macht das neue Instrument, die Türkei, viel Scandal in dem europäischen Concert. Wir wissen nicht, woran das liegen mag: vielleicht hat es sich noch nicht eingespielt, oder cS ist noch nicht rein gestimmt, oder der Spieler hat den Takt noch nicht weg; im Stillen ist auch zu arg wöhnen, daß die Ander» ihm keine Ruhe lasse» und cS immer stören, wenn eS spielen soll. Was aber auch die Ursache sein mag, so viel ist gewiß: seitdem die orienta lische Krisis durch einen europäischen Friedensvertrag zu Ende geführt ist, hat die Türkei wiederholt Scandal in der Welt gemacht. Wir wollen gar nicht sagen, daß daran jedeSmal die Türkei schuld gewesen sei; in den meisten Fällen gaben türkische Angelegenheiten den euro päischen Regierungen nur den willkommenen Vorwand, ihre diplomatischen Kräfte zu versuchen; die Türkei blieb wie vor, so nach, der Zankapfel der europäischen Groß mächte. Wir erinnern hier nur an Bosnien, an Monte negro und an die Donaufürstenthümer, wo Händel und Unordnungen in Folge europäischer Einflüsse stattfinden. Es gibt aber in der neuesten Zeit eine andre Sorte von Händeln in der Türkei, die die europäische Diplomatie nicht auf ihrem Gewissen hat: auf der Insel Kreta und in Djedda haben Kämpfe und Anfälle der Türken gegen Christen und umgekehrt stattgefunden. In Candia (Kreta) haben sich die Christen bewaffnet gegen den Türken erhoben, und die Türken darauf einen Angriff auf die Christen gemacht. In Djedda haben die Türken schändliche Gräuel gegen die Christen ausgeübt; mehrere Christen sind er mordet, andere beschädigt, andere ihres Eigenthums beraubt worden rc. rc. Diese Gräuel sind schändlich und erheischen energische Bestrafung der Schuldigen; aber sie sind erklärlich. Die Türken, obgleich sie nicht die Mehrzahl des osmanischen Reichs bilden, sind bis jetzt die privilegirte Claffe, die gebietende Rasse gewesen. Durch ein Gesetz, das man der Türkei abnölbigte, durch den sogenannten Hat-Humavum ist ausgesprochen, daß alle Religionen in der Türkei gleichberechtigt sein sollen. Man hat also der Türkei noch mehr zugemuthet, als irgend einem andern europäischen Staate. In Oesterreich z. B. können die Evangelischen keine Gleichberechtigung mit den Katholiken finden; in Spanien, in Italien dürfen Evangelische, die doch auch Christen sind, ihre GotteSverehrung nicht öffent lich auSüben, sie werden um ihrer Religion willen hart bedrängt und verfolgt. WaS man europäischen und zwar civilisirten Staaten nicht zumuthet, allen ReligionSgenoffen dieselben staatlichen Rechte zu gewähren, das fordert man von der Türkei. Wenn nun auf einmal den Christen die gleichen Rechte mit den Osmanen im türkischen Reiche zugesprochen sind, so darf cS nicht Wunder nehmen, wenn auf der einen Seite Religionshaß, Neid und BerfolgungS- sucht, auf der andern übertriebene Forderungen die ver borgenen Funken gegenseitiger Eifersucht zur Hellen Flamme des Kampfes anfachen. DaS ist ebenso wenig christlich und human, aber es ist erklärlich, und war vorauszusehen, als jenes Gesetz gegeben wurde. Aste Durchführungen von Reformen haben nun einmal wegen der menschlichen Leidenschaften Kampfe in ihrem Gefolgt. Welche blutige Kriege find z. B. in Deutschland wegen der Reformation ausgebrochen; ist doch unser größeres Vqterlapd unter den Schrecknissen eines dreißigjährigen Kriege- zur Einöde geworden. Wie haben in Deutschland Edelmann und Bauer gegen einander gewüthet, als die Idee zuerst aufkam, der Bauer gelte im Staate ebenso viel, als der Junker; wie haben in Frankreich die Aristokraten und die „Bürger" gegen einander blutig gekämpft, welche Gräuelscenen sind dort vorgckommen; wie find in der ganzen Welt, wen^r die Bekenner einer andern Religion Gleichberechtigung mit der herrschenden beanspruchten, Ströme Blute- geflossen! Alles das weiß jeder Lehrling in der Geschichte. Daher sollte man doch von Türken und gar von den Horden fanatischer Araber nicht erwarten, daß sie viel sanfter, als die Christen in Europa, sein sollten, wenn man, ihnen ihre zeitherigen Bevorzugungen raubt und die „Ungläubigen" ihnen gleichstellt, welche zu hassen und zu bekämpfen ein Stück ihrer Religion ist. Frankreich, welches wegm seiner innern, nicht eben erbaulichen Lage Beschäftigung nach Außen hin sucht, hat England den Vorschlag gemacht, diese Gräuel und Unge- bührnisse, welche allerdings die Türken eben sowohl, wie die Christen der Türkei, begangen haben, selbst in Gemein samkeit mit England zu strafen. England hat dies abge- lehnt; wir freuen uns dessen — aber dagegen die Pforte zur nachdrücklichen Handhabung der Gerechtigkeit aufge fordert. Wir freuen uns dieser Weigerung England'-, weil es unter allen Verhältnissen für uns erwünscht ist, Frankreichs Schwert in der Scheide zu wissen, damit dessen furchtbare innere Gebrechen nicht überdeckt werden mögen von sogenannten Großthaten nach Außen hin, die wieder auf Handel und Geschäfte störend einwirken. Wollten sich europäische Mächte in dic Rechtspflege der Türkei einmischen, so wird das Ansehen der Aforte im eigenen Lande ungemein untergraben, dann „stärkt" man nicht, sondern schwächt die türkische Regierung. Die Regierung in der Türkei wird der Lauheit im