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fast erdrückt. Besonders wich Rosa nicht von seiner Seite und wußte nicht, auf welch« Weise sie ihre Freude, ihre Liede und ihr Glück über seine Ankunft, über das Wiederfinden einer ihr gehörigen Person, zu erkennen geben sollte. n Durch baö Getüstnmel im Hause war auch der spät noch von einem Krankenbesuche zurückkehrende Bader herbei gelockt worden. Reugier, waS wohl der Grund dieses Jubels sein möge, hieß ihn eintretcn. Er stutzte nicht wenig, einen fremden und so vornehmen Herrn neben Rosa fitzen zu sehen und war anfangS etwas verlegen; als jedoch Mutter Gertrud ihm verkündete, wer der Gast sei, daß Verlobung gefeiert werde, und ihm ein tüchtiges Glas Wein barreichte, damit er die Gesundheit deS Brautpaares trinken könne, da wurde der Mund desselben geöffnet und alle Schüchternheit war verschwunden. Nun floß ihm das Herz über, nun war er unerschöpflich an witzigen Einfällen und Späßen. Spät erst schied er, ziemlich wankenden Schrittes seiner Wohnung zu gehend. Trotzdem, aber war er am nächsten Morgen, seit jenem Tage, als er den unangenehmen Propheten ge macht, zum ersten Male wieder, im Gasthofe züm goldenen Löwen und erzählte von dem im Hause beö Müllers verlebten schönen Abende, von der Verlobungs feier dase.lbst, von dem reichem Vetter R o sa's und von allen den schönen Dingen, die er dort gesehen, gehört. „Das ist ein Mann I" — rief er aus, indem er eine Beschreibung des Fremden zu geben versuchte. — „Steinreich, hat ein sehr großes Haus in Hamburg, 20 Diener in seinem Geschäfte; Schiffe, die ihm ge hören, fahren auf dem Meere und Gold gilt bei ihm so viel, alö bei uns das Kupfer. Und wie herablassend dabei ist erl Ich mußte mit ihm aus seiner schweren goldenen Dose schnupfen und mich durchaus neben ihn setzen. Ja, der Andreas macht eine Partie, eine Partie, wie sich gar nicht beschreiben läßtl Ein so engelschönes und auch engelfrommeö Mädchen, gebildet, auS sehr angesehener Familie und so reich, daß sie den Löwen mit allem bezahlten und unbezahlten Zu behör wohl zehn Mal kaufen könnte!" Dies und noch mehr gab Frenzel zu hören. Kaum konnte dieWirthin und Helena ihren Ingrimm verbergen. ES war ihnen zu klar, daß der Bader gerade dieSbalb zu ihnen gekommen sei, um sie mit dieser Neuigkeit zu ärgern. Letztere wurde abwechselnd blau und grün im Gesicht über die Frechheit und über den Spott, den sie anhörcn mußte; gern hätte sie ihrerseits dem übervollen Herzen Luft gemacht und den schadenfrohen Nachbar zum Schweigen gebracht; doch wußte sie, baß er dann ihrer Fehler und ihres Vergehens noch weniger geschont haben würde, und darum schwieg sie. Andreas war nun einmal für sie verloren, und waS geschehen, war nicht ungeschehen zu machen. Dieser aber, wie Rosa, blieben für sie nagende Würmer ihr Leben lang. Acht Tage darauf sah Dippoldiswalde ein HochzeitSsest feiern, wie ein solches lange nicht ge feiert worden war. Zuerst war eS ein höchst liebens würdiges junges Paar, das mit Freude und Rührung nach dem Gotteghause wandelte; dann war es eine so schöne, reichgckleidete Braut, wie eS noch keine ge geben; aber die ganze Bevölkerung schloß sich diesem Festzuge auch an und nahm daran Theil. Alle mußten sich freuen, und besonders für die Armen war eS ein Freubeniag. Der Kaufmann Weih mann ließ an selbige Speise und Geld auötheilen, gab mit vollen Händen den Unglückliche«, «rb suchte diesen Tug überhaupt dem Andenken aller Bewohner werth zu machen. Auch Vater Kotto und Mutter Gertrud scheuet«» kein Geld dabet; «S war darauf angefangen, Alle zu beglücken. Daß der Bader nicht fehlte, brauche ich nicht erst zu erinnern; pathetisch schritt er in dem Zuge nach der Kirche neben dem Oheim Rosa's her, und er konnte sich nicht enthalten, auch Acht zu geben, ob man dies bemerke. — , Im Gasthofe zum goldenen Löwen allein nur war dieser Tag ein Trauertag. Alö die Glocken auf dem Kirchlhurme das Braut paar herbeiriefen und der ganzen Stadt das freudige Ereigniß verkündeten, fiel Helena in Ohnmacht. Ihr Herz war gebrochen. Besondere Anzeichen aber ver- riethen, daß auch zugleich die Stunde erschienen sei, welche über das Leben eines jungen Weltbürger- ent scheiden sollte. Todesschwciß bedeckte ihr Angesicht und ein eisiger Frost durchrieselte ihren Körper. Bald genaß sie eines todten Kindes; doch wenige Stunden danach, und noch ehe ärztlicher Beistand erschienen war, lag sie kalt und starr als Leiche auf ihrem Bett. Die Kunde davon machte auf die Kotte'sche Familie einen tiefen Eindruck; denn sie hatten ja Alle schon längst vergeben, vergessen. ES that ihnen herz lich wehe, baß Helene so schwer für ihre Thorheit und für ihr Vergehen hatte büßen müssen. Besonders aber bedauerten sie die alten Eltern derselben, die nun allein und einsam dastanden. Selbst der Bader war betrübt und konnte nicht sogleich seine heitere Stimmung wieder gewinnen. „Hätte man mich noch zu rechter Zeil gerufen," — sagte er träumend, — so würde ich gern das Meine gelhan haben; doch scheint mir, daß auch hier Vie gerechte Hand Gottes waltete, und sicher war ihr schon vorher am heutigen Tage ihr letztes Stündchen bestimmt. Möge sie sanft ruhen und dort einen gnädigen Richter finden!" — Das junge Ehepaar lebte höchst glücklich, und unternahm auch im nächsten Jahre die Reise nach Magdeburg. ES fehlte ihnen an Gütern der Erde nicht; die Ruhe ihres Herzens, der fromme, gottes fürchtige Sinn und der streng tugendhafte Wandel machte ihnen den LebenSpfad zu einem Paradiese. So konnte es ihnen auch an Segen nicht mangeln; denn wo die Menschenliebe Unglück mildert, Thränen trocknet, den Bedrängten beschützt und der Verlassenen sich er barmet, da streuet Gottes milde Hand die reichsten Erdenfreuden auS, und einst folgt ihnen deS Himmels schönster Lohn. — Mehr über diese Familie kann ich nicht mittheilen; denn hier enden meine Nachrichten. Gesagt ist mir aber worden, daß später die Mühle abgebrannt, dann in andere Hände gekommen und darauf wieder an einen Kotte, jedoch anderer Linie, verpachtet worden sei. Dies Alles gehört der neueren Geschichte an, und meine Berichte sind somit nicht nothwendig. Die Verwundeten nach der Schlachtb. Leipzig. Nachtstück. Als Erinnerung an das Jahr 1813. Das nachstehende Dokument, das zugleich als Bei trag zur Geschichte einer der denkwürdigsten und blutigsten Schlachten der Neuzeit dienen kann, ist der officielle Bericht, den der damals wirkende berühmte Arzt und Professor der Medicin, I)r. Reil, wenige Tage nach der Schlacht bet