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Freitag. Kr. 54 11 I«li 1858 o Weißerih-Zeitung Erscheint Dienstag« und Freitag«. Zu beziehen durch alle Postanstal- tcn. Preis pro Quart. lüNgr. Inserate werden mit . 8 Pfg. für dte Zeil, berechnet und in allen Expeditionen angenommen. Ein unterhaltendes Wochenblatt für den Bürger und Landmann. Verantwortlicher Redacteur: Carl Jehne in Dippoldiswalde. Die sächsischen Kirchenvisitationen. Aus mehren Gegenden unseres Vaterlandes werden Berichte über den Verlauf der bereits begonnenen Kirchen« Visitationen veröffentlicht, und wir säumen nicht länger, unsere Leser mit dieser neuen oder lwie man will) alten Einrichtung bekannt zu machen. Anfang Mai d. I. ist nämlich durch daS königliche Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichtes eine Verordnung wegen Abhaltung von Kirchenvisitationen er« lassen worden, und man hat damit eine Einrichtung er neuert, die zur Zeit der Reformation für nöthig erachtet, seit dem Jahre IS80 den Superintendenten in sächsischen Landen allgemein zur Durchführung aufgetragen worden ist. Wie so manche Einrichtung, sind auch diese Visita tionen allmählich, besonders seit dem vorigen Jahrhundert, außer Uebung gekommen, nun aber durch die oben erwähnte Verordnung wieder «»besohlen worden. Um unfern Lesern einen deutlichen Begriff davon zp geben, was eigentlich unter dieser Maßregel zu verstehen sei, geben wir nach stehend die hauptsächlichsten Artikel der Visitationsord nung im Auszuge an. „h. 1. Nach Maßgabe der in ter evanaelisch-luthcrischen Landeskirche Sachsen« seit I58Ü gesetzlich getreffcncn Einrichtung sollen innerhalb der nächsten 3 Jahre sämmtlichc Parvchiccn in den Erblanbcn einer Kirchcnvlsitation durch die Superinten- bcnteu. jedoch In Gegenwart und unter Beihilfe je eine« vom Kircheorrgimenle zu bestimmenden Geistlichen, unterworfen werden. H. S. Der Zweck dieser Visitation soll sein: I) den allge meinen kirchlichen und sittlichen Zustand der Gemeinde» und die in dieser Hinsicht sich ergebenden Bedürfnisse und Gebrechen, sowie 2) die amtliche Wirksamkeit der Geistlichen und Schul lehrer in ihrem ganzen Umfange, namentlich ihr Verssällniß zur Gemeinde re, keNncn zu lernen ; 3) eingeriffene Mißbräuche zu ermitteln und abzuficllrn, und 4) da« kirchliche Leben kräftig anznrrgen. , 4 3. Die Zeit der Visitation wird vom Ministerium d. E. n. iffentl. Untere, bestimmt. 4 6. Die Visitation (welche laut 4 5 an Sonn- und Wochentagen abzuhaltcn ist), beginnt mit einem vollständigen Gottesdienste, wo der Pastor die Predigt hält; darnach folgt eine Ansprache de« Superintendenten oder de« bcigeordneten Visi tators an die Gemeinde. Nachmittag« Katechi-mu-rramen mit der erwachsenen Jugend, dann wieder Ansprache. Der übrige Thcil de- Nachmittags wird zu Besprechungen mit der Gemeinde verwendet, an denen die Kirchenväter, Stadt« räthe, Gemeinde- oder Schulvorstände theilzunehmen verpflichtet sind, alle HauSvLter aber (Sonntag- vorher in einer Abkündigung) blo« eingeladen werden. Äm 2. Tage ist In der Kirche KätechismuSlehre mit der schulpflichtigen Jugend durch^dle Lehrer abzuhaltcn; darauf Ansprache durch den Su perintendenten. Hierauf Durchsicht de« Pfarrarchiv«, endlich Besprechung der Visitatoren mit den Geistlichen und Lehrern, wobei nicht blo« auf die eigenen Zweige ihrer Amtsthätigkeit beson ders cinzugehen ist, sondern auch ihre persönlichen und — so weit die« von Einfluß auf die Amtsführung sein kann — ihre häuslichen Verhältnisse ,c. in« Auge zu fassen, Winke, Ermah nungen re. zu geben sind. - .4. 8. Bei dem öffentlichen Gottesdienste haben die Visi- tqioren ihre Aufmerksamkeit der Predigt (schrist-und bekennt- nißgemäßer Inhalt, Form, Vortrag) zuzuwcnden, aber auch dle Haltung der Gemeinde" (». B. beim Singen, Anhören der Vorlesungen, rechtzeitige« Erscheinen, Benehmen während des Segen« ,c.) „und die Leitung de« Gesänge« durch den Cantor re. in« Auge zu fassen. tz. S Bei der Unterredung mit den Gemeindeniltgliedern ist auf Abstellung von UebelstLnden oder tiefgewurzelter Uebrl in der Gemeinde hinzuwirken; auch soll Gelegenheit geboten werden, Wünsche in kirchlicher Hinsicht vorzubringen. tz. II. lieberdle Visitation sind (vom Superintendenten und dem anderen Visitator) zwei gesonderte Berichte an das Con- sistorium einzureichen, welche diese« (nach Befinden mit Be merkungen) au da« Ministerium eiuscndrl." Das Dresdner Jpurnal meint zwar (bei Gelegenheit der Bekanntmachung der Vifitation-ordnung), ,^eS werde nicht schwer halten, mit Hilfe dieser Vorlage selbst nun mehr ein gründliches Urtheil über die Zweckmäßigkeit der in Rede stehenden Maßregel sich zu bilden;" da jedoch die VifitationSordnung in tz. 1 sich auf die Einrichtung von 1580 beruft, diese «rst« Einrichtung aber wohl vielen unserer Leser völlig unbekannt sein dürste, so halten wir eS für zweckmäßig, einen kurzen geschichtlichen Rückblick zu geben, um zu sehen, ob eine Einrichtung, die aus so früher Zeit sich herschreibt, in der unsrigen noch dieselbe Bedeutung habe, als zur Zeit ihrer Entstehung. Wie schon erwähnt, find die Kirchenpifitationen eine sehr alte Einrichtung; schon die Apostel bereisten die neu. entstandenen Gemeinden. Späterhin gehörten diese Visi tationen zum Berufskreise der Bischöfe; aber durch allerlei Mißbräuche, die sich dabei nach und nach gefunden hatten,. war, wie sich Luther in seiner kräftigen Spracht auSdrstckt, „dies Amt, gleich wie alle heilige, christliche, alte Lehre und Ordnung, auch des Teufels und AntichristS Spott und Gaukelwerk worden, mit greulichem, erschrecklichem Verderben der Seelen." — Luther war es, der die Er neuerung der Kirchenpifitationen im Jahre 1527 beim Chursürsten Johann dem Beständigen anrrgte und durchführte., Ueber die Nothwendigkeit derselben in dieser reformatori- , schen Zeit kann kein Zweifel sein. War doch zunächst erst genau zu erkunden, wer eigentlich sich zur gereinigten Lehre bekenne, oder der alten nicht entsagen wolle; mußte man sich doch überzeugen, nicht allein wie die Lehrer des Volkes, Geistliche und Schullehrer, die gereinigte Lehre auffaßten, sondern auch wie eS mit ihrer Amtsthätigkeit beschaffen war, welchen Lebenswandel sie führten rc. Wie dte Re formatoren ost mißverstanden worden waren, wie sich in ein und derselben Gemeinde Altes und Neues neben einan der brüderlich vertrugen, wie elend oft der Unterricht, wie anstößig an vielen Orten oft der Lebenswandel der Geistli chen und Lehrer war, wie wenig aber auch die Gemeinden für ihre Seelsorger thaten: das lernte man durch diese, Visitationen allerdings genauer kennen, als das Gerücht von solchen traurigen Zuständen gesprochen hatte. Sehet doch nur, um Euch zu überzeugen, Ihr Hausväter, in die Vorrede d(S kleinen lutherischen Katechismus, der in Folge